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Teilzeit ist Frauensache, besonders auf dem Land
8. Januar 2018 Feminismus Lesezeit 11 min
Österreich ist Vize-Europameister in Sachen Teilzeitarbeit. Jede zweite Frau arbeitet weniger als 40 Stunden in einem bezahlten Job. In ländlichen Regionen ist die Teilzeitquote noch höher als im städtischen Raum. Wir zeigen Ihnen, wie die Quote in Ihrer Gemeinde aussieht und beantworten die Frage, ob es von Vor- oder von Nachteil ist, wenn man 15, 20 oder 30 Stunden arbeitet.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Feminismus und ist Teil 2 einer 10-teiligen Recherche.

Teilzeit ist weiblich. 50 Prozent aller erwerbstätigen Frauen zwischen 25 und 60 Jahren sind teilzeitbeschäftigt. Bei den Männern in dieser Altersgruppe ist das ein Minderheitenprogramm (neun Prozent). Europaweit betrachtet ist die Teilzeitquote bei Frauen nur in den Niederlanden noch höher als hierzulande. Österreich ist, wenn man so will, in diesem Bereich also Vizeeuropameister oder vielmehr Vizeeuropameisterin.

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Was man unter Teilzeit versteht

Es gibt unterschiedliche Definitionen für Teilzeitarbeit. Laut Statistik Austria galt man bis 2003 als Teilzeitkraft, wenn man maximal 35 Stunden pro Woche gearbeitet hat, seit 2004 können sich die Befragten bei der sogenannten Mikrozensus-Erhebung selbst zuordnen. Die Arbeiterkammer versteht unter Teilzeit wiederum weniger als 38,5 (Kollektivvertrag) oder 40 (Gesetz) Stunden pro Woche.

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Das Bildkonzept

Die Titelbilderserie dieses Projekts zeigt eine Auswahl der berühmtesten Frauendarstellungen der Kunstgeschichte. So vielfältig wie die dargestellten Frauenbilder sind die Positionen im Feminismus.

Die Teilzeitquote war allerdings nicht immer so hoch wie heutzutage. Vor 20 Jahren war jede dritte berufstätige Frau zwischen 25 und 60 Jahren teilzeitbeschäftigt. Die Steigerung ist laut Experten primär darauf zurückzuführen, dass heute wesentlich mehr Frauen arbeiten gehen als früher .

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Die Daten variieren geografisch gesehen aber relativ stark. In vielen kleinen Gemeinden haben bis zu 87 Prozent aller beschäftigten Frauen einen Teilzeit-Job, während es in Wien „nur“ knapp 41 Prozent, in Graz 46 Prozent und in Linz 49 Prozent sind. Im Schnitt liegt die Quote in dünn besiedelten Regionen bei 54 Prozent, in dicht besiedelten Gebieten bei rund 41 Prozent.

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Wir haben recherchiert, wie die Teilzeitquote in Ihrer Gemeinde aussieht:

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Was die Entscheidung für Teilzeit beeinflusst

Warum arbeiten viele Frauen weniger als 38,5 oder 40 Stunden? Wir haben errechnet, anhand welcher Faktoren man am besten voraussagen kann, ob Frauen eher einen Vollzeit- oder einen Teilzeit-Job haben.

Hauptgrund für die Entscheidung pro Teilzeit sind Kinder. Wer also keine Kinder hat, arbeitet mit großer Wahrscheinlichkeit Vollzeit. Auch das Alter hat Auswirkungen. Wer jünger als 44 Jahre und kinderlos ist, ist auch eher vollzeitberufstätig. Wenn eine Frau älter als 44 Jahre ist und der Partner über ein gutes Einkommen verfügt, steigt die Wahrscheinlichkeit für eine Teilzeit-Tätigkeit. Verdient der Partner hingegen wenig, ist es wahrscheinlicher, dass die Frau voll berufstätig ist. Das zeigt: Teilzeit muss man sich auch leisten können. Mitentscheidend ist auch noch, welches Bildungsniveau eine Frau hat und ob sie in Miete oder in Eigentum wohnt. Akademikerinnen, die älter als 44 Jahre alt und kinderlos sind, üben beispielsweise eher einen Vollzeit-Job aus (siehe Grafik).

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Der Mikrozensus der Statistik Austria liefert international vergleichbare Daten zu Erwerbstätigkeit, Arbeitslosigkeit und Bildung und ist auch eine Ergänzung zur Volkszählung. Pro Quartal werden rund 22.500 Haushalte in Österreich befragt. Die Basis für die Stichproben-Ziehung bildet das Zentrale Melderegister.

Die Mikrozensus-Erhebung der Statistik Austria hat ebenso ergeben, dass Frauen hauptsächlich Teilzeit arbeiten, weil sie Kinder oder Angehörige betreuen.

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Dieser Entscheidungsbaum wurde mit einem CART-Algorithmus und dem EU-SILC-Datensatz aus dem Jahr 2016 für Österreich erstellt. Dieser Algorithmus wird mit Daten und Variablen gefüttert und versucht mittels maschinellen Lernens, aus allen Variablen die wichtigsten Einflüsse auf das Ergebnis herauszufiltern. In unserem Fall ist das die Entscheidung von Frauen, Vollzeit oder Teilzeit zu arbeiten. Das Modell liegt in 72 Prozent der Fälle mit seiner Voraussage richtig. Diese Analyse ist von der Analyse des Wahlergebnisses der Berlin-Wahl 2016 der Berliner Morgenpost inspiriert.

Die Variablen, mit denen der CART-Algorithmus gefüttert wurde sind:

  • Sind Kinder in irgendeinem Alter im Haushalt?
  • Sind Kinder im Alter von 0–3 im Haushalt?
  • Sind Kinder im Alter von 4–5 im Haushalt?
  • Sind Kinder im Alter von 6–12 im Haushalt?
  • Sind Kinder im Alter von 13–15 im Haushalt?
  • Braucht eines der Kinder mehr formale Kinderbetreuung?
  • Ist die Frau momentan in einer Ausbildung?
  • Hat die Frau Migrationshintergrund?
  • Ist die Frau Akademikerin?
  • Lebt die Frau in einer Lebensgemeinschaft?
  • Arbeitet die Frau in einer großen Firma (mehr als 20 Mitarbeiter)
  • Arbeitet die Frau im Handel?
  • Arbeitet die Frau im Gesundheits- oder Sozialbereich?
  • Wie viele Personen leben im Haushalt?
  • Lebt die Person in einer Eigentumswohnung?
  • Ist der Haushalt armutsgefährdet?
  • Das Einkommen des Partners und Transfers, gewichtet mit der Haushaltsgröße.
  • Hat die Frau Pflegeverpflichtungen?
  • Anzahl der Wochenstunden, die die Frau pflegt
  • Hat die Frau eine gesundheitliche Einschränkung?
  • Ist die Frau eine Führungskraft?
  • Hat die Frau ein befristetes Arbeitsverhältnis?

Dass Frauen in ländlichen Gebieten seltener einer bezahlten Vollzeitarbeit nachgehen als im städtischen Raum, hat nach Meinung von Expertinnen verschiedene Ursachen. Einer der Hauptgründe sei, dass es an Kinderbetreuung mangle. „Auf dem Land gibt es weniger Kinderbetreuungseinrichtungen, die Vollzeit-Arbeit ermöglichen“, sagt etwa Ingrid Moritz, Leiterin der Abteilung für Frauen und Familie in der Arbeiterkammer (AK). Die Soziologin Sonja Dörfler vom Institut für Familienforschung an der Uni Wien nennt auch „mehr ganztägige Kinderbetreuungsangebote“ als einen Hauptgrund für die geringere Teilzeitquote im städtischen Raum.

Die Statistik gibt den Expertinnen Recht. Laut EU-Vorgabe sollte es in jedem Bundesland für jedes dritte Kleinkind (bis zwei Jahre) einen Betreuungsplatz in einem Kindergarten oder in einer Krippe geben. Dieses Ziel wird nur in Wien erreicht (44 Prozent), in der Steiermark können nur 14 Prozent der unter Dreijährigen in einem Kindergarten betreut werden.

Flächendeckende Kinderbetreuung, die Frauen auf Wunsch einen Vollzeitjob ermöglichen soll, ist auch eine Forderung, die von den Initiatorinnen des neuen Frauenvolksbegehrens erhoben wird.

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Erschwert wird Vollzeitbeschäftigung nicht nur, weil es zu wenig Kinderbetreuungsplätze gibt, sondern auch, weil viele Kindergärten auf dem Land bereits am frühen Nachmittag ihre Pforten schließen. In Vorarlberg, Tirol und in der Steiermark ist jeder zweite Kindergarten nur bis maximal 15 Uhr geöffnet. In Wien sind hingegen nahezu alle Kindergärten länger geöffnet. Dazu kommt, dass viele Kindergärten und Krippen auf dem Land oft – etwa während der Schulferien – ganz geschlossen sind.

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Nützt oder schadet Teilzeit?

Ist es generell von Vor- oder von Nachteil, wenn Frauen teilzeitberufstätig sind? Nützt oder schadet es? Die Expertinnen Sonja Dörfler und Ingrid Moritz subsumieren unter den negativen Folgen:

  • Geringeres Einkommen: Wenn man 20 Stunden arbeitet, verdient man in der Regel weniger, als wenn man für 40 Stunden pro Woche angestellt ist.
  • Schlechtere Aufstiegschancen: Wer Teilzeit arbeitet, hat weniger Chancen, die Karriereleiter hinaufzuklettern.
  • Weniger Weiterbildung: Teilzeitkräfte können sich seltener fortbilden als Vollzeit-Mitarbeiter.
  • Weniger Arbeitslosengeld: Wenn man den Job verliert, bekommt man aufgrund des geringeren Einkommens bei einer Teilzeitarbeit auch weniger Arbeitslosengeld, weil dieses am bisherigen Einkommen bemessen wird.
  • Niedrigere Pension: Wenn man längere Zeit ein geringeres Einkommen hat, wirkt sich das negativ auf die Pensionshöhe aus.
  • Mehr unbezahlte Arbeit: Teilzeitkräfte übernehmen in der Regel wesentlich mehr unbezahlte Tätigkeiten (Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen, Haushalt) als Vollzeit-Erwerbstätige.
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Aber Teilzeit-Arbeit bringt auch einige Vorteile mit sich:

  • Ein Teilzeit-Job ist besser als gar kein Job: Es sei besser, weniger Stunden zu arbeiten, als gar nicht berufstätig zu sein, sagen Dörfler und Moritz unisono.
  • Zeit mit dem Kind: „Teilzeit-Arbeit ermöglicht mehr persönliche Betreuung von Kindern. Das stärkt die Beziehung zwischen Eltern und Kindern“, sagt Dörfler.
  • Mehr frei verfügbare Zeit.
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Was ist also empfehlenswert?

Ingrid Moritz betont, es mache „einen Riesenunterschied, ob man 15 oder 30 Stunden arbeite“. Sprich die Nachteile von Teilzeitarbeit würden sich automatisch verringern, wenn man das Stundenvolumen erhöhe.

Frauen, die teilzeitbeschäftigt sind, arbeiten derzeit im Schnitt 23,7 Stunden pro Woche.

Dörfler meint: „Erstrebenswert wäre eine generelle Arbeitszeitverkürzung für Eltern. Dann ist mehr Zeit für alle in der Familie da. Man könnte 35 Stunden anpeilen, das wäre gesamtgesellschaftlich wünschenswert und sinnvoll.“ Das würde auch die Lohnschere verkleinern, und die unbezahlte Arbeit würde gleichmäßiger auf Männer und Frauen aufgeteilt. 

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