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Ist der Feminismus für alle Frauen da?
10. Januar 2018 Feminismus Lesezeit 7 min
In seinen ideengeschichtlichen Ursprüngen war der Feminismus nicht das linke Projekt, als das er heute überwiegend gesehen wird. Das aktuelle österreichische Frauenvolksbegehren schließt an die linke Tradition an, was die Frage aufwirft, ob es allen Frauen eine Stimme gibt.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Feminismus und ist Teil 5 einer 10-teiligen Recherche.

Warum sie der Feminismus anekelt, erklärte Ronja von Rönne vor inzwischen drei Jahren in einem kurzen Text. Schonungslos radikal und überspitzt machte sie deutlich, dass sie eigentlich eher Egoistin denn Feministin ist: „Früher hat sich der Feminismus doch durchgesetzt, weil die Frauen, die mürrisch auf die Straße gingen, selbst betroffen waren. Sie kämpften nicht für eine obskure dritte Instanz, sondern für sich selbst. Mittlerweile ist der Feminismus eine Charityaktion für unterprivilegierte Frauen geworden, nur noch Symptom einer Empörungskultur, die sich fester an die Idee der Gleichheit klammert als jedes kommunistische Regime.“

Die Empörungswelle folgte auf dem Fuß. Kann man soll man darf man nicht sagen. Auch wenn das Ganze als Meinungsstück gedacht war. Dabei ist es ja nicht so, dass nur Frau Rönne skeptisch-kritische Worte zum aktuellen Zustand des Feminismus findet. Aber Nonchalance erzürnt die Gemüter eben leichter.

Wie kann das sein?

Man mag von diesem Text halten, was man will. Es ändert nichts an der Frage, wie es sein kann, dass tatsächlich Frauen vom Feminismus genervt sind. Schließlich geht der doch jede Frau etwas an. Der Begriff Feminismus steht dafür, Frauen in allen Lebensbereichen, in Staat, Gesellschaft und Kultur und auch in der Privatsphäre gleiche Rechte und Freiheiten zuzugestehen. Außerdem geht es um die gleiche Teilhabe an politischer Macht und gesellschaftlichen Ressourcen. An dieser Stelle muss sich der Feminismus gelegentlich den Vorwurf gefallen lassen, er sei eine Ideologie. Wie andere Ideologien und -ismen, heißt es, verfolgt er nicht nur einzelne Anliegen, er hat die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse im Blick.

Verwendet wurde der Begriff Feminismus erstmals Ende des 18. Jahrhunderts im Prozess gegen Olympe de Gouges. Analog zur Menschenrechtserklärung verfasste die französische Rechtsphilosophin und Schriftstellerin die „Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne“, in der sie die völlige Gleichberechtigung der Geschlechter forderte; sie wurde daraufhin zum Tode verurteilt. Erst etwa hundert Jahre später begann man, der Emanzipation eine sozialistische Interpretation zu geben; die Studentenbewegungen von 1968 prägten den Begriff des Feminismus vor allem im deutschen Sprachraum im Sinne einer radikalen Form der Frauenbewegung. Das mag einer der Gründe dafür sein, dass sich heute junge Frauen oft schwer mit dem Begriff Feminismus identifizieren können.

Seit den 1990er Jahren ist die Frauenpolitik stark institutionalisiert, außerdem gibt es viele unterschiedliche Frauenprojekte. Eine repräsentativ-einheitliche Gruppierung gibt es nicht.

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Simone de Beauvoir
Simone de Beauvoir war französische Philosophin und Schriftstellerin. Sie gilt seit ihrem Buch Das andere Geschlecht als eine der wichtigsten Feministinnen des 20. Jahrhunderts. (Foto: Moshe Milner / CC-BY-SA-3.0 / via Wikimedia Commons)

Die Opfer der Opfer der Opfer

Eines ist vielen feministischen Strömungen über die Jahrhunderte hinweg gemeinsam: der Blick auf die Frau als unterdrücktes Wesen. Simone de Beauvoir, eine der bekanntesten Feministinnen des 20. Jahrhunderts, äußerte sich dazu folgendermaßen:

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Seiner Geschlechtsrolle ganz entgehen? Nein! Warum denn auch. Ich habe den Körper einer Frau – aber es ist klar, dass ich sehr viel Glück gehabt habe. Ich bin so weit wie möglich der Knechtschaft der Frau entgangen, das heißt vor allem der Mutterschaft und den Hausfrauenpflichten.

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Alice Schwarzer
Alice Schwarzer ist Journalistin und Gründerin sowie Herausgeberin der Frauenzeitschrift Emma. Sie ist eine der bekanntesten Vertreterinnen der deutschen Frauenbewegung. (Foto: Bettina Flitner / laif / picturedesk.com)

Betont wird die Opferrolle. Wer sich in Knechtschaft befindet, ist jemandes Opfer. Alice Schwarzer, Ikone des deutschen Feminismus insbesondere der 1970er Jahre, geht noch einen Schritt weiter und schreibt in ihrem Buch Der kleine Unterschied:

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Frauen und Männer sind Opfer ihrer Rollen – aber Frauen sind noch die Opfer der Opfer.
Alice Schwarzer
Elisabeth Badinter
Elisabeth Badinter ist eine französische Philosophin und liberale Feministin. Sie beschäftigt sich in zahlreichen Fachbüchern unter anderem mit der Rolle der Mutter. In Der Konflikt warnt sie davor, dass Frauen die Freiheiten, die sie sich erkämpft haben, wieder verlieren könnten. (Foto: Catherine Gugelmann / AFP / picturedesk.com)

Die Opfer-Optik dominiert – gewollt oder ungewollt – auch den Blick auf die fortgeschrittene Institutionalisierung von Frauenpolitik: Gleichstellungsbeauftragte, Gleichbehandlungsanwälte, staatliche Antidiskriminierungsstellen, Frauenförderpläne und Frauenquoten, Gender Mainstreaming als Handlungsanleitung für den Gesetzgeber, Zentren für Frauenförderung und Frauenforschung an den Universitäten. Den Beigeschmack, dass es etwas grundsätzlich Förderungsbedürftiges sei, eine Frau zu sein, wird das alles nicht los. Nicht alle Feministinnen gehen damit d’accord, wie die französische Philosophin Elisabeth Badinter beweist. Die Tatsache, dass jedes der beiden Geschlechter sich als das Opfer des jeweils anderen sieht, hält sie für fatal: Frauen würden ihre Wut auf die noch immer ungleichen Verhältnisse äußern, Männer würden zu Adressaten widersprüchlicher Erwartungen. So würde das Boot kippen und Frauen immer weniger zögerlich sein, sich wie die Männer von früher zu verhalten, indem sie Männern ihr Gesetz aufzwingen, sagt Badinter.

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Laurie Penny
Laurie Penny ist eine englische Autorin. In ihren feministischen Kolumnen und Büchern übt sie harte Kritik an Patriarchat und Kapitalismus. (Foto: David Baltzer / laif / picturedesk.com)

Neuer Zustrom

Während allerdings die einen die Rhetorik von der Frau als Opfer anzweifeln, findet diese jüngst weiteren Zustrom. Die junge radikale Feministin der Stunde, Laurie Penny, stellt erneut das Opferkollektiv der Frauen in den Mittelpunkt. Sie fokussiert dabei auf den weiblichen Körper: Für sie ist der Körper der Ort, an dem die Schlacht um Repression und Freiheit stattfindet; im Vordergrund steht dabei die Einwirkung auf den Frauenkörper, von Pornografie bis Schlankheitswahn. Am Ende müssten sich, so Penny, die Frauen ihrer gemeinsamen Macht bewusst werden, um das kapitalistische System der Konsumgesellschaft zu durchbrechen.

Das Hauptanliegen der Ursprünge des Feminismus war an sich nicht der Sozialstaat, sondern die Durchsetzung grundlegender Rechte, wie zum Beispiel des Wahlrechts, für Frauen. Dass es in erster Linie Sozialisten waren, die diese Rechte durchsetzten, prägte spätestens seit dem 20. Jahrhundert das generelle Verständnis von Feminismus als linkes Projekt.

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Rebecca Solnit
Rebecca Solnit ist US-amerikanische Schriftstellerin und Journalistin. Ihr Essay Men Explain Things To Me. Facts Didn’t Get in Their Way. hat den Begriff Mansplaining inspiriert. (Foto: David Levene / Eyevine / picturedesk.com)

Feindinnenschaft

Im gegenwärtigen Feminismusdiskurs wird häufig ein Feind identifiziert: der Kapitalismus oder sein kleiner, ungeliebter Bruder, der Neoliberalismus. Rebecca Solnit beispielsweise kommt nicht umhin, ihr Buch „Wenn Männer mir die Welt erklären“ mit der Aufforderung zu schließen, dass man sich grundsätzlich vom System, nämlich vom System des krassen Individualismus, der Konkurrenz, des grenzenlosen Konsums und der Umweltzerstörung, kurz: des Kapitalismus befreien muss. Geht es also um Auseinandersetzungen und Verteilungskämpfe zwischen Männern und Frauen oder um den Kampf zwischen oben und unten?

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Am Ende laufen viele Feminismus-Debatten auf die Frage hinaus, ob Feminismus links, also sozialistisch sein muss. Diese Idee hat sich im Lauf der Zeit als fixe Vorstellung etabliert; neu ist diese Feststellung also nicht. Man muss sich deshalb auch über das folgende Zitat von Simone de Beauvoir aus einem Gespräch mit Alice Schwarzer nicht wundern:

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„Ich erinnere mich, dass ich am Ende des Anderen Geschlechts sagte, ich sei Anti-Feministin, denn ich dachte, dass die Probleme der Frauen sich in einer Entwicklung zum Sozialismus von selbst lösen würden. (…) In diesem Sinne bin ich heute Feministin. Denn ich habe eingesehen, dass der Kampf auf der politischen Ebene nicht so schnell zum Ziel führt. Wir müssen also für die konkrete Situation der Frau kämpfen, bevor der erträumte Sozialismus kommt.“

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Thea Dorn
Thea Dorn ist eine deutsche Schriftstellerin, Moderatorin und Dramaturgin. In ihrem Buch Die neue F-Klasse präsentiert sie weibliche Role Models, die ihrer Ansicht nach ein erfolgreiches und emanzipiertes Leben führen. Sie plädiert für eine neue Frauenbewegung. (Foto: Superbass / CC-BY-SA-3.0 / via Wikimedia Commons)

Zurück in die Zukunft

Das neue Frauenvolksbegehren , das in Bälde zum Unterschriftensammeln antreten wird, ist, obwohl deutlich gemacht wird, dass es parteiunabhängig und als breite Bürgerinnenbewegung angelegt ist, deutlich an linken Forderungen orientiert. Es hat immer Debatten darüber gegeben, ob ein feministisches Konzept, das mit Sanktionen und Repressionen arbeitet, der Sache im Grunde dienlich ist. In der aktuellen politischen Situation wird diese Debatte dadurch verschärft, dass sich das Frauenvolksbegehren über seinen offiziellen Twitteraccount relativ frontal und kämpferisch gegen die neue Regierung und ihre Absichten positioniert. Das wird da oder dort die Frage aufkommen lassen, ob tatsächlich alle Frauen, also auch jene, die Herrn Kurz oder Herrn Strache gewählt haben, mitgemeint sind. Die Tatsache, dass das aktuelle Frauenvolksbegehren dezidiert nach politischer Gesinnung aussortiert, nimmt, davon muss man wohl ausgehen, zumindest billigend in Kauf, dass viele Frauen mit dieser Art von Feminismus nicht mehr viel anfangen können. Es ist in einem gesellschaftlichen Umfeld, das auf so vielen Ebenen von Fragmentierung geprägt ist, schwierig geworden, das „Kollektiv Frau“ anzusprechen, Forderungen zu stellen, die jede Frau mitunterzeichnen kann und repräsentativ für die gesamte weibliche Bevölkerung zu stehen.

Einen vielversprechenden Versuch, Frauenrechte und Klassenkampf nicht zu vermengen, unternimmt die Schriftstellerin Thea Dorn. Für sie muss die vielbeklagte Stagnation des Feminismus dadurch überwunden werden, dass nicht der strukturelle Weg, sondern das Individuum im Vordergrund steht. Anstelle weiterer Frauenförderpläne und Quotenregelungen plädiert sie dafür, Frauen zu ermutigen, ihre individuellen Potenziale zu verwirklichen.

Vielleicht ist der Feind nicht das System. 

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