In seinem früheren Leben war Harald Leopold Soldat. Offizier im Generalsrang. Aus der Spitzenposition im Verteidigungsministerium wechselte er in den Ruhestand als Beamter – und begann gleich im Anschluss sein zweites Berufsleben als Bürgermeister von Langenlois, der größten Weinbaustadt Österreichs.
Seit bald zwei Jahren ist er nun der Chef im historischen, holzvertäfelten Amtszimmer des Rathauses. Auch uns empfängt er dort am massiven Konferenztisch und sagt: „Die größten Schwierigkeiten in diesem Beruf hat man bei Umwidmungen und Bauvorhaben.“ Und weiter: „So etwas wird es bei mir nicht mehr geben.“ So etwas?
Was Leopold anspricht, ist ein Fall, der seit einigen Jahren Rathaus, Gerichte, das Land Niederösterreich, einen Großwinzer und Anrainer beschäftigt und den der 66-Jährige von seinem Amtsvorgänger geerbt hat. Dessen Wirken, das ist Leopold wichtig, werde er öffentlich „sicher nicht“ beurteilen. Und trotzdem sagt er: „Ich habe mir bei Dienstbeginn eine Maxime zurechtgelegt: Verfahren, in denen wir erst später schauen, welche Widmung wir brauchen, um dieses oder jenes bauen zu dürfen, will ich nicht.“
Das widerspricht jedoch der Idee der Flächenwidmung und ist eigentlich nicht erlaubt. Strenger formuliert: Illegal. Das sagte uns Arthur Kanonier , Professor des Instituts für Raumplanung der Technischen Universität Wien:
Kanonier sagt jedoch auch dazu, dass man sich mit Beurteilungen vom Lehrstuhl aus natürlich leichter tue als als Bürgermeister. „Vor Ort bestehen zahlreiche persönliche und gesellschaftliche Beziehungen und Machtverhältnisse. All das muss man bei solchen Entscheidungen auch berücksichtigen, die Beteiligten müssen damit leben.“
Wie wenig das theoretische Ideal von Gesetzen, Verordnungen und dem Flächenwidmungsplan mit dem komplizierten Beziehungsgeflecht vor Ort zu tun hat, darüber weiß in Langenlois vor allem der zu erzählen, der während des gesamten Prozederes Chef im Ort war: Harald Leopolds Vorgänger als Bürgermeister, Hubert Meisl, ÖVP.
Der 65-Jährige ist in der Region eine Institution. Im Archiv der Lokalausgaben des Bezirksblatts und der Niederösterreichischen Nachrichten findet man unzählige Geschichten über ihn. Mehr als 20 Jahre war er für Stadt und Partei tätig, zehn davon als Bürgermeister. Noch länger diente er einer weiteren, vor allem am Land typisch niederösterreichischen Macht: Raiffeisen. 35 Jahre arbeitete Meisl als Banker unter dem Giebelkreuz-Logo des Konzerns, 30 davon als Geschäftsleiter in Langenlois.
Diese Verbindung zwischen Bank und Politik und Verwaltung erscheint bis heute eng. So darf sich die Filiale auch 2020, also nach Meisls Pensionierung, auf der Website der Stadtgemeinde präsentieren und beschreiben. Dort steht unter anderem, dass „unser Unternehmen sogar über einen eigenen Weinbaubetreuer verfügt“, was beweise, „welch hohen Stellenwert der Weinbau in unserer Bank einnimmt“.
Diesen Stellenwert kennt auch die „immer schon hier wohnende Bevölkerung“, erzählt uns der heutige Pensionist und Hobbypilot Meisl. „Aufgeregt über das Wachstum erfolgreicher Winzer haben sich nämlich nur Zugereiste, die dachten, dass sie hier täglich und in Ruhe bis 9 oder 10 Uhr schlafen können.“
Hinter den spitzen Worten des ehemaligen Ortschefs steht eine Entwicklung, die ihn (und seinen Nachfolger) tatsächlich unter Druck setzt. Aufgrund der attraktiven Lage zwischen Hügeln und Weingärten ist Langenlois ein gefragter Wohnort für Menschen aus – zum Beispiel – Krems oder Wien. Gleichzeitig wuchsen die Winzer-Stars der Stadt (Bründlmayer, Loimer, Jurtschitsch, Rabl etc.) in den vergangenen Jahren zu echten Großbetrieben. Das führte zu Platznot und Konflikten.
Verschärft wurde die inkompatible Interessenlage von Großbetrieben und Ruhesuchenden dadurch, dass Umwidmungen von Grün- in neues Bauland in Langenlois theoretisch nur schwer möglich sind: Das Grünland um die Stadt – auch das Gebiet, in das sich das Weingut Rabl ausbreitete – ist besonders geschützt. Es handelt sich um sogenannte „erhaltenswerte Landschafteile“. Diese dürfen gemäß Vorgabe des Landes von den Gemeinden eigentlich nur dann umgewidmet werden, wenn im Ort keine anderen entsprechenden Flächen zur Verfügung stehen. Eigentlich.
In Langenlois ist das trotzdem geschehen. Weil der von der Gemeinde regelmäßig beauftragte Ziviltechniker ein passendes Gutachten schrieb. Demnach war die Umwidmung trotz übergeordneter Regeln kein Problem. Und weil auch die Aufsichtsbehörde – darauf weist heute vor allem Meisl hin –, das Land, alles für gut befand. Oder sich einfach nicht für die selbst verordnete Schutzzone interessierte?
Das offizielle Protokoll der damaligen Gemeinderatssitzung zeigt nämlich, dass es erstens nicht nur eine Reihe von Zweiflern gab, sondern dass der ganze Prozess der nachträglichen Zurechtwidmung ausschließlich von der Bürgermeisterpartei ÖVP getragen wurde. Alle anderen Fraktionen (SPÖ, FPÖ, Grüne) stimmten entweder dagegen oder enthielten sich der Stimme.
Mitverantwortlich für die Zweifel der anderen Gemeinderäte ist Andrea Niedermayer. Sie ist selbst Bürgerin der Weinbaustadt und war bis zu ihrer Pensionierung Amtssachverständige für Bau- und Raumordnung beim Land Niederösterreich. Zwei der kritischen und zugereisten Anrainer, Margit Lehrach und Christian Göldenboog, unterstützten sie bei ihrer Kritik an der nachträglichen Zurechtwidmung.
Also schrieb sie ein Gutachten, das sie auch dem Gemeinderat vorlegte. Ihr Fazit:
Der große Lagerplatz, die Betriebshalle, ein Wohngebäude und Weintanks mit einer Kapazität von einer halben Million Liter hätten im Grünland nicht errichtet werden dürfen. Genauso wenig wie die Wohnhäuser für – u.a. – Erntehelfer aus dem Ausland. „Dabei schreibt sogar der Gutachter der Gemeinde, dass die Umwidmung in Bauland der ,Absicherung‘ längst bestehender Gebäude dient. Dieses Vorgehen ist frech.“
Während sie die Dinge beim Namen nennt, sitzt Niedermayer am Esstisch ihres kleines Häuschens, das keine drei Kilometer vom Betrieb der Rabls entfernt in der Katastrale Gobelsburg steht. Sichtlich stolz zeigt sie Fotos aus ihrer Karriere beim Land, die sie mit den oberen Zehntausend des weltlichen und geistlichen Niederösterreich zeigen: Alt-Landeshauptmann Erwin Pröll, Alt-Abt Maximilian Fürnsinn (Stift Herzogenburg) und jede Menge Bürgermeister aus allen Himmelsrichtungen. Fast so, als wolle sie damit sagen, dass sie alles andere als eine undifferenzierte Fundamentalkritikerin des Landadels sei; sondern Unrecht nur als solches benenne, helfen wolle, die Angelegenheit durchzustreiten. In nämlicher Sache sogar bis zum Verfassungsgerichtshof.
Der Grund, dass die Erweiterungen des Weinguts Rabl überhaupt umstritten sind, ist dessen Erfolg am Markt. „Echte“ Bauern, die verkaufen, was sie selbst anbauen, dürfen in einem engen Rahmen nämlich auch im Grünland bauen. Die Bezirkshauptmannschaft Krems hat inzwischen jedoch festgestellt, dass bei hunderten Tonnen Zukauf von Fremdtrauben, dem Verkauf von mehreren Millionen Flaschen Wein im Jahr und im Rahmen einer Betriebsführung durch eine GmbH ein Gewerbe vorliege, für das auch entsprechende Regeln gelten. Aber sind diese Regeln auch alltagstauglich?
Hört man dem zu, auf dessen Grund und Boden das ganze Stück spielt, lernt man zumindest zu verstehen, warum es in Langenlois überhaupt soweit kam. Rudolf Rabl junior ist einer, der anpackt. Der im Schaffen physischer Produkte das Rückgrat jeder Volkswirtschaft sieht. Der, außer zwischen Weihnachten und Neujahr, sich nie wirklich frei nimmt. „Das habe ich auch meinen Kindern so mitgegeben“, erzählt er uns zwischen genau jenen Gebäuden und Anlagen seines Betriebes, denen die Gemeinde nachträglich die passende Flächenwidmung verschaffte.
Gemeinsam mit Vater Rudolf Rabl senior hat er aus einer fast 300 Jahre alten, einst größenmäßig überschaubaren Landwirtschaft eine bedeutende Nummer auf dem österreichischen (und internationalen) Weinmarkt gemacht. An vielen Orten des Betriebes erinnern gerahmte Auszeichnungen daran.
Drinnen, im Büro, fragen wir Rabl, ob wir den komplizierten Sachverhalt, in den mehrere Behörden verwickelt sind, vollständig recherchiert und richtig interpretiert haben. Dass nämlich seine Betriebserweiterung in Grünland und Kellergasse zwar von der Gemeinde genehmigt war, aber mit der Flächenwidmung kollidierte. „Ja, das stimmt so“, sagt Rabl. Dass er das als Gewerbebetrieb eigentlich nicht durfte, das habe im Nachhinein sogar einen Landesrat überrascht. Der, erinnert sich Rabl, habe ihm einst zugesagt, die Angelegenheit in den niederösterreichischen Landtag zu bringen.
Die Gemeinde kam dem dann zuvor, löste das Problem 2017 mit der nachträglichen Widmung.
Ein zweites Mal fragen wir Rabl, ob unser durch die Recherchen gewonnener Eindruck korrekt ist. Dass nämlich letzten Endes zwei Positionen übrig bleiben, die durch das bestehende Regelwerk einfach nicht unter einen Hut zu bekommen sind: Hier das legitime Interesse eines wachsenden Unternehmens, das – nachvollziehbarerweise – lieber am historischen Standort erweitert, als den Betrieb umsiedelt. Dort das Anliegen der Nachbarn, die vorhandenen Spielregeln einzuhalten. Und dass sich die Gemeinde eben für eine Seite entschieden habe. Rabl: „Das kann man so sehen.“
Seine Mitbewerber dürfen – zumindest in Langenlois – vermutlich nicht mehr mit nachträglichen Zurechtwidmungen rechnen. Ein Ziviltechniker hat im Auftrag der Stadt in der Zwischenzeit festgestellt, dass in der Region wenigstens 40 Weinhersteller zu groß geworden sind, sich daher nicht mehr als Bauern ins eigene Grünland erweitern dürften. Daher entsteht derzeit am Stadtrand ein Betriebsgebiet, das exklusiv für Ansiedlungen aus der Branche reserviert ist. Erste Interessenten gibt es bereits.
Eben diese Umsiedlung des Betriebs ist zumindest für Rabl wegen der nachträglichen Umwidmung vom Tisch. Und dennoch erscheint die Geschichte für ihn wie ein Pyrrhussieg. Erstens: Im Zuge der Auseinandersetzung bemerkte die Bezirkshauptmannschaft Krems, dass Rabl auch die Genehmigung für seine Betriebsanlagen fehlt. Um diese kämpft er derzeit beim Landesverwaltungsgericht. Zweitens: „Die ganze niederösterreichische Weinbranche ist inzwischen beleidigt auf mich.“ Warum? „Weil künftig niemand mehr wird so bauen dürfen, wie es vorher möglich war.“