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Ein Feldzug gegen die Geldwäscher
6. März 2019 Geldwäsche Lesezeit 6 min
Einst war die Fondsfirma Hermitage Capital der größte ausländische Investor in Russland. Seit dem Tod des Steuerjuristen Sergej Magnitsky in U-Haft in Moskau wurde Schritt für Schritt ein Netzwerk aufgedeckt, das bis nach Österreich führt. Addendum hat darüber mit Hermitage-Chef William Browder gesprochen.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Geldwäsche und ist Teil 5 einer 7-teiligen Recherche.
Bild: Addendum

Am 24. Dezember 2007 sorgten zwei Finanzämter in Moskau für das größte Weihnachtsgeschenk, das eine kriminelle Gruppierung je erhalten hat: Sie genehmigten Steuerrückzahlungen von insgesamt umgerechnet 230 Millionen US-Dollar, wobei diese überhaupt erst einen Tag vorher beantragt worden waren. Teilweise stammten die Anträge sogar vom Tag der Genehmigung. Es wurde die vermutlich größte Steuerrückzahlung in der Geschichte Russlands – und war die Folge eines raffinierten Betrugs. Daraufhin wurde eine Spirale von Ereignissen in Gang gesetzt, die sich bis heute dreht – und zwar immer schneller und schneller.

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Addendum hat mit William Browder gesprochen, er ist der Gründer und Chef der in London ansässigen Fondsfirma Hermitage Capital. Er führt seit zehn Jahren einen Feldzug gegen ein internationales Geldwäsche-Netzwerk an. Eine Anzeige der Fondsfirma in Österreich, über die Addendum exklusiv berichtete, sorgte in den vergangenen Tagen international für Schlagzeilen.

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Überraschende Hausdurchsuchung

Hermitage war zu Beginn der 2000er Jahre größter ausländischer Investor in Russland. Im November 2005 wurde Browder plötzlich die Einreise verweigert. Heute geht der Investor davon aus, dass seine Tätigkeit letztlich den Interessen des russischen Präsidenten Wladimir Putin entgegengelaufen wäre. Damals entschloss sich Browder, den Fonds zu schließen, die Investments zu verkaufen und seine Mitarbeiter in Sicherheit zu bringen. Sein kompletter Rückzug aus Russland ist auch gelungen. Doch dann geschah Eigenartiges.

Browder erzählt, wie er 18 Monate später einen Anruf aus Moskau erhielt: Das Hermitage-Büro, das noch aufrechterhalten worden war, sei gerade von der Polizei durchsucht worden. Ebenso die für Hermitage tätige Anwaltskanzlei. Dabei wurden auch Stempel und Dokumente von – mittlerweile leeren – Subfirmen mitgenommen. Später habe Hermitage überraschenderweise erfahren, dass die Fondsgesellschaft nicht länger Eigentümer dieser drei Firmen sei, berichtet Browder. Durch die missbräuchliche Verwendung der Dokumente seien die Firmen neu registriert worden. Einer der neuen Besitzer: ein Mitarbeiter eines Sägewerks, der zuvor wegen Totschlags verurteilt im Gefängnis gesessen sei.

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In der Folge seien – ohne dass Hermitage davon erfahren hätte – von Scheinfirmen Klagen gegen die leeren Ex-Tochterfirmen eingebracht worden, erzählt Browder. Die Scheinfirmen hätten unberechtigterweise rund eine Milliarde Dollar eingefordert. Da die inaktiven Ex-Hermitage-Firmen unter ihren neuen Eigentümern die Forderungen vor Gericht anerkannten, wurden diese rechtskräftig.

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Der Trick mit der Steuerrückzahlung

Warum das alles? Browder sagt: „Als wir die Firmen 2006 liquidierten, machten wir eine Milliarde Dollar Gewinn und zahlten daraus 230 Millionen Dollar Steuern. Ein Jahr später gingen die Leute, die unsere Firmen gestohlen hatten, zu den Steuerbehörden und sagten: Es gab einen Fehler in der Steuererklärung des Vorjahres. Diese Firmen haben nicht eine Milliarde Dollar eingenommen. Sie präsentierten die falschen Gerichtsurteile über eine Milliarde Dollar, die auf gefälschten Verträgen beruhten. Und sie sagten: Eine Milliarde minus eine Milliarde ergibt null. Deshalb – behaupteten sie – wären die 230 Millionen Dollar an Steuern im Vorjahr aus einem Fehler heraus bezahlt worden.“

Hermitage-Chef Browder verweist auf die dubiosen Umstände der dann erfolgten Rückzahlung:

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Die Rolle von Sergej Magnitsky

Nachdem Hermitage von der Neu-Registrierung der Firmen erfahren hatte, wollte die Fondsfirma der Sache auf den Grund gehen. Federführend dabei war ein Steuerexperte der für Hermitage tätigen Anwaltskanzlei, ein Mann namens Sergej Magnitsky. Browder sagt: „Er hat herausgefunden, dass es Ziel der Hausdurchsuchungen gewesen war, dass Regierungsbeamte, Polizeibeamte und organisierte Verbrecher gemeinsam 230 Millionen Dollar an Steuern stehlen konnten, die meine Firma ein Jahr zuvor an den russischen Staat bezahlt hatte.“

Magnitsky habe das vor den russischen Ermittlungsbehörden ausgesagt, sei aber letztlich selbst verhaftet worden. Er sei gefoltert worden, damit er seine Zeugenaussage widerrufe:

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Start einer Kampagne

Zu den Umständen von Magnitskys Tod gibt es einerseits die offizielle russische Version, in der – nach anderen Erstinformationen – letztlich von einem „Herzanfall“ die Rede war. Und andererseits gibt es die inoffizielle Version, die ein gänzlich anderes Bild zeichnet:

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Browder startete daraufhin eine Kampagne, die ihresgleichen sucht. Ein Element davon ist es, das gestohlene Geld nachzuverfolgen. Was Hermitage dabei nützt, ist, dass die russische Justiz, nachdem die Geschehnisse öffentlich geworden waren, den ehemaligen Sägewerksmitarbeiter verurteilte, der ganz unten in der Betrugsmaschinerie stand. Seither ist offiziell bestätigt, dass es den 230-Millionen-Dollar-Betrug gab. Und seither ist klar, dass die Geldflüsse daraus Geldwäsche darstellen:

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Browder beschreibt die Strategie hinter der Nachverfolgung der Zahlungen:

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Ein eigenes Gesetz in den USA

Die zweite Säule der Kampagne von Hermitage ist es, Staaten davon zu überzeugen, Visa-Restriktionen gegen Beteiligte am Tod Magnitskys einzuführen. 2012 gelang dies auf besonders spektakuläre Weise: Browder konnte den US-Kongress dazu bringen, ein diesbezügliches Gesetz zu verabschieden – den sogenannten Magnitsky Act. Seine Ziele beschreibt Browder folgendermaßen:

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Angriffe gegen Browder

Wie stichhaltig ist die Geschichte, die Browder erzählt? Fest steht, dass er selbst 2013 in Russland der Steuerhinterziehung schuldig befunden wurde – gemeinsam mit dem toten Sergej Magnitsky. Das Verfahren fand in Abwesenheit Browders statt. Dabei ging es um Vorwürfe, die weit zurück reichten – zum Beginn der 2000er Jahre. Zum Zeitpunkt der Verurteilung war Browder längst mit seiner Kampagne, die sich letztlich gegen die russische Führung richtet, aktiv. Interpol hält das Urteil für politisch motiviert und weigert sich, Browder auf die Fahndungsliste zu setzen. Browder selbst bestreitet alle Vorwürfe.

Ein regelrechter Lackmustest fand allerdings in den USA statt, vor einem Gericht in New York. Und den hat Browder bestanden – auch, was die Qualität der Daten anbelangt, mit denen Hermitage schmutzige Geldflüsse quer durch verschiedene Länder verfolgt.

Im September 2013 brachte der United States Attorney for the Southern District of New York – eine Art Oberstaatsanwalt – eine Klage bei Gericht ein. In dem Zivilverfahren ging es um den Vorwurf der Geldwäsche. Betroffen waren Firmen des Sohnes des früheren Transportministers der Region Moskau, bei denen Geld gelandet sein soll, das ursprünglich aus dem 230-Millionen-Betrug stammte. Die Klage war von Browder angeregt worden.

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Russe schloss teuren Deal mit der Justiz

Das Verfahren dauerte mehrere Jahre. Im Verlauf erhielt die US-Staatsanwaltschaft immer mehr Daten, was Geldflüsse anbelangte. Diese bestätigten nicht nur die ursprüngliche Klage, die weitgehend auf Angaben Browders beruhte. Ein Geldwäschesachverständiger konnte sogar weitere verdächtige Geldflüsse entdecken.

Gleichzeitig wurde Browder zum Ziel massiver Angriffe der Verteidiger aufseiten des russischen Ministersohnes. Diese versuchten jahrelang seine Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Letztlich war die Faktenlage jedoch so dicht, dass der russische Geschäftsmann hinter den beklagten Firmen einem Deal zustimmte – wenige Tage, bevor die Causa 2017 vor Geschworenen verhandelt worden wäre. Auffällig dabei: Laut Letztversion der Klage hätten die Firmen des Russen mindestens 1,97 Millionen Dollar an Erlösen aus dem 230-Millionen-Dollar-Betrug erhalten. Der Russe stimmte aber einem Vergleich zu, bei dem er rund 5,9 Millionen Dollar bezahlen musste.

Die Kreml-Verbindung

Mit welchen Bandagen hier gekämpft wurde, zeigt folgender Vorgang: Im Zuge des Verfahrens schickte der US-Staatsanwalt ein Amtshilfeersuchen nach Russland. Retour kam ein Schreiben, das nicht nur massiv entlastend für den Sohn des Ex-Ministers war. Es wurde auch in den Raum gestellt, Browder und Magnitsky hätten den 230-Millionen-Dollar-Betrug selbst begangen.

Die US-Staatsanwaltschaft gelangte später an E-Mails, die zeigten, dass die russische Anwältin des Ministersohnes in die Erstellung des Antwortschreibens involviert war. Einer im Jänner 2019 in den USA eingebrachten Anklageschrift zufolge schickte die Anwältin – mit Änderungen versehene – Entwürfe an das Büro des Generalstaatsanwalts. Die Änderungen betrafen Darstellungen in Bezug auf Browder, Magnitsky und Geldflüsse durch Scheinfirmen. Laut Anklageschrift wurden viele der Änderungsvorschläge in das offizielle Dokument übernommen. Dass die Anwältin das Schreiben dann vor einem US-Gericht als unabhängiges Papier einer staatlichen Behörde präsentierte, wertet der US-Staatsanwalt nun als Behinderung der Justiz.

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Browder sieht in den russischen Angriffen gegen seine Person eine verzweifelte und emotionale Reaktion von Wladimir Putin:

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Der Bestechungsverdacht

Der Geldwäsche-Fall in New York war der wichtigste Erfolg der Hermitage-Kampagne aus rechtlicher Sicht – aber nicht der einzige. Browder zufolge laufen derzeit in 16 Staaten Ermittlungen wegen des 230-Millionen-Dollar-Betrugs. Rund 45 Millionen Dollar seien von Behörden eingefroren worden.

Darunter sind – Browder zufolge – auch Konten in Zürich. Auf diese Konten seien 11,7 Millionen Dollar aus dem Betrug geflossen. Gehören würden sie dem ehemaligen Ehemann einer gewissen Olga S. aus Russland. Olga S. war zufälligerweise Leiterin des Finanzamts Nummer 28 in Moskau. In dieser Funktion hatte sie einem Teil der illegalen Steuerrückzahlungen zugestimmt. Am 24. Dezember 2007. 

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