Es ist ein kleines architektonisches Juwel unweit vom Wiener Stephansdom: Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das fünfgeschoßige Gebäude nach Plänen der berühmten Ringstraßen-Architekten Ludwig Förster und Theophil Hansen errichtet. Nach einer umfassenden Sanierung vor einigen Jahren beherbergt das Haus in bester Lage nun Luxusapartments. Manche der Wohnungseigentümer haben klingende Namen. Eines haben sie zwangsläufig alle: viel Geld. Zumindest in einem Fall stellt sich jedoch die Frage, woher dieses stammt.
Die Geschichte beginnt Ende Oktober 2007 in einer Rechtsanwaltskanzlei im ersten Wiener Gemeindebezirk. Es geht darum, eine Firma zu gründen. Eine ältere Frau aus Wien soll 60 Prozent der Anteile übernehmen. Ein anwesender Treuhänder vertritt zwei russische Staatsbürger, die jeweils 20 Prozent halten werden. Ein paar Wochen später wird die Mehrheitseigentümerin allerdings aus dem Firmenbuch gestrichen. Die beiden Russen – ein Mann und eine Frau – teilen sich nun jeweils die Hälfte an der GmbH. Noch im Jahr 2007 gründet diese Firma ihrerseits eine Tochtergesellschaft. Und mit dieser haben die Russen Großes vor.
Wenige Tage nach der Gründung der Tochtergesellschaft unterzeichnet ihr Geschäftsführer – einer der beiden russischen Staatsbürger – einen Kaufvertrag für eine der Luxuswohnungen im erwähnten Gebäude nahe des Stephansdoms. Das Apartment ist 344 Quadratmeter groß. Dazu gibt es ein Kellerabteil und einen eigenen Weinkeller. Der Kaufpreis beläuft sich auf 3.336.500 Euro. Nicht enthalten sind Steuern, Gebühren und sonstige Nebenkosten. Detail am Rande: Der Geschäftsführer erklärt im Vertrag eidesstattlich, dass an der Firma, die als Käuferin auftritt, keine Ausländer beteiligt sind. Da die Muttergesellschaft ebenfalls eine GmbH in Wien ist, mag das auf dem Papier stimmen. Tatsächlich gehört das gesamte Firmenkonstrukt jedoch ihm und seiner Geschäftspartnerin, also zwei Russen.
Die wirklich großen Ungereimtheiten zeigen sich jedoch in Bezug auf die Finanzierungsfrage. Nach außen hin sieht alles ganz normal aus: Die Vorarlberger Landes- und Hypothekenbank – kurz: Hypo Vorarlberg – gewährt der Käuferfirma einen Kredit. Zur Besicherung erhält die Bank ein Pfandrecht von bis zu 3.380.000 Euro.
Auffällig ist jedoch, dass dieses Pfandrecht bereits Mitte 2009 wieder gelöscht wird. Die Firma, der die Wohnung gehört, reduziert laut Jahresabschluss im Geschäftsjahr 2010 ihre Schulden um mehr als vier Millionen Euro und weist auf einmal eine Kapitalrücklage von rund 3,9 Millionen Euro auf. Das entspricht in etwa dem Wert der Wohnung samt der im September 2009 um weitere 120.000 Euro plus Kosten für die erworbene Garage. Zusammengefasst heißt das: Nach überraschend kurzer Zeit konnten Verbindlichkeiten in Millionenhöhe aus dem Wohnungskauf zurückbezahlt werden. Die Immobilie ist nun – soweit im Grundbuch ersichtlich – unbelastet.
Wie konnte es den beiden Russen bzw. ihrer GmbH gelingen, Millionen an Verbindlichkeiten zu beseitigen? Die Antwort findet sich allem Anschein nach in Daten zu Banktransaktionen, die Addendum vorliegen. Diese beschäftigen nun im Rahmen einer Geldwäsche-Anzeige die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft.
Den Transaktionsdaten zufolge erhielt der russische Geschäftsführer Zahlungen von knapp 2,8 Millionen Euro auf zwei Bankkonten in Österreich. Mit rund 2,6 Millionen Euro ging der weitaus größere Teil davon auf ein Konto bei der Hypo Vorarlberg, die ja nach außen hin per Kredit den Wohnungskauf finanziert hatte. Dabei handelte es sich um 13 Einzelüberweisungen in einem Zeitraum von Dezember 2007 bis Oktober 2008. Es ist möglich, dass es weitere Zahlungen gab, die im vorliegenden Datenmaterial nicht enthalten sind. Der Überweisungstext spricht jedenfalls dafür, dass das Geld tatsächlich für die Refinanzierung des Wohnungskaufs verwendet worden sein dürfte. Der Text lautet in allen 13 Fällen „payment for real estate“ – „Zahlung für Immobilie“.
Entscheidend ist die Frage, wer diese Zahlungen leistete. Den vorliegenden Unterlagen zufolge kam das Geld von vier Firmenvehikeln mit Konten bei der estnischen Tochter der dänischen Danske Bank. Seit geraumer Zeit besteht der Verdacht, dass genau dieses Finanzinstitut benutzt wurde, um Gelder zweifelhaften Ursprungs aus Russland zu waschen.
Im konkreten Fall stammten die Zahlungen von Danske-Bank-Konten der Firmen Megacom Transit Limited, Unitronic LLP, Jackwell LLP und Everfront Sales LLP. Genau diese vier Vehikel finden sich in der grafischen Darstellung eines mutmaßlichen Geldwäsche-Netzwerks, die ein Experte 2015 im Auftrag der US-Staatsanwaltschaft erstellt hat. Verwendet wurde diese Analyse in einem Zivilverfahren wegen Geldwäscheverdachts in New York gegen Firmen des Sohnes eines früheren russischen Ministers. Der Sachverständige verfolgte Geld aus einem 230-Millionen-Dollar-Betrug Ende 2007 in Russland nach. Dabei tauchten – unter anderem – diese vier Firmen auf.
Angestoßen hatte das Verfahren in den USA die Fondsfirma Hermitage Capital Management. Sie folgt seit nunmehr zehn Jahren der Spur des Geldes aus dem erwähnten Betrugsfall, bei dem sich Verbrecher eine unberechtigte Steuerrückzahlung von 230 Millionen Dollar erschlichen hatten. Hermitage brachte vor kurzem in Österreich eine Anzeige ein, derzufolge fast eine Milliarde US-Dollar aus dem Geldwäsche-Netzwerk auf Konten bei österreichischen Banken gelandet sein soll. Dem dahinter liegenden Verständnis zufolge stellt das Netzwerk aus Firmen und Bankkonten, durch die die Gelder fließen, eine Art Pipeline dar, um schmutziges Geld aus verschiedenen Verbrechen in Russland weißzuwaschen.
In der Anzeige geht es auch um die erwähnten Zahlungen, die auf dem Konto bei der Hypo Vorarlberg landeten. Und es wird auf ein brisantes zusätzliches Detail hingewiesen: Laut Anzeige soll es sich bei der Russin, der die Hälfte des – hinter der Luxuswohnung stehenden – österreichischen Firmenkonstrukts gehört, um eine frühere Moskauer Regierungsbeamtin handeln. Die Frau soll laut Anzeige im relevanten Zeitraum als Generaldirektorin eines russischen Staatsunternehmens für den Moskauer Immobilienmarkt zuständig gewesen sein. Der Mann, mit dem sie gemeinsam die Firma in Österreich hat, wird in der Anzeige als „Verwandter“ bezeichnet. Tatsächlich haben die beiden laut Firmenbuch dieselbe Adresse in Moskau. Addendum-Recherchen zufolge sind beide auch in der Wiener Luxuswohnung hauptgemeldet und dürften tatsächlich regelmäßig darin wohnen.
Addendum hat sowohl an die Adresse in Wien als auch an jene in Moskau einen detaillierten Fragenkatalog gesandt. Darin war unter anderem die Frage enthalten, ob die Überweisungen der vier dubiosen Firmen Teile von Kick-back- bzw. Bestechungszahlungen zur Beeinflussung der Beamtin gewesen seien. Das Schreiben blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Für alle gilt in vollem Umfang die Unschuldsvermutung.
Doch auch die Rolle der Hypo Vorarlberg – immerhin mehrheitlich in Landesbesitz – wirft Fragen auf: Das Vorgehen, dass jemand Schulden aufnimmt, diese aber von anderen zurückzahlen lässt, wäre eine klassische Verschleierungsstrategie und aus Geldwäsche-Sicht durchaus bedenklich. Umso mehr, wenn es sich bei den Rückzahlern – sei es direkt oder indirekt – um Firmenvehikel mit Konten in Estland handelt.
Die Hypo Vorarlberg verweist in einer Stellungnahme grundsätzlich auf das Bankgeheimnis und erklärt: „Der von Ihnen angeführte Sachverhalt war uns bis dato nicht bekannt. Wir nehmen Ihren Hinweis aber sehr ernst und haben daher eine interne Prüfung angestoßen, um zu klären, ob und in welcher Weise die Hypo Vorarlberg von diesem Sachverhalt betroffen war. Wir sind überzeugt davon, dass wir die gesetzlichen Vorgaben zu jeder Zeit eingehalten haben.“
In anderen Staaten haben von Hermitage angestoßene Ermittlungen übrigens dazu geführt, dass verdächtige Gelder und Vermögenswerte in Millionenausmaß eingefroren wurden. In Wien prüft die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft derzeit, ob ein Anfangsverdacht vorliegt.