Ein Erdäpfel-Acker im niederösterreichischen Waldviertel, Mitte Juni. Gentechnik-Pflanzen wachsen hier zwar keine, genauso wenig wie im Rest Österreichs. Dafür nähert sich an diesem Tag ein Traktor, um am Feldrand ein bizarr wirkendes Stahl-Gestänge auseinanderzuklappen und wenige Augenblicke später über eine Breite von 15 Metern dicht über die Reihen aus Erdäpfeln legen.
Sobald das Gefährt losrollt, benetzt schwermetallhaltiger Sprühnebel die Pflanzen. Das Pestizid enthält Kupfer und bewahrt die Erdäpfel vor der Zerstörung durch die sogenannte Kraut- und Knollenfäule.
Kupfer stellt zwar in geringen Dosen ein lebenswichtiges Spurenelement dar, bleibt aber dennoch ein Schwermetall, das von den Zulassungs-Behörden grundsätzlich als „sehr giftig für Regenwürmer“ und „sehr giftig für Wasserorganismen“ eingestuft ist. Unter Beteiligung der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) und weiterer Beteiligter aus dem Bereich Landwirtschaft hat man vor vier Jahren gar die Einrichtung einer eigenen „Task Force Kupfer“ beschlossen. Sie soll unter anderem Möglichkeiten der Kupferreduktion und Alternativen zu diesem Gift erkunden.
Generell wird die Forderung nach einer giftfreien Landwirtschaft von Politikern und Umweltschutzorganisationen in regelmäßigen Abständen erhoben. Erreicht werden soll das Ganze, so die Vorstellung, indem irgendwann möglichst 100 Prozent der in Österreich zur Verfügung stehenden landwirtschaftlichen Nutzfläche – die täglich schrumpft – biologisch bewirtschaftet werden. Dabei wird eine Tatsache gerne übersehen, die sich auf dem Erdäpfelfeld im Waldviertel zeigt: Wilhelm Schwarzinger, der Landwirt, der das kupferhaltige Pestizid auf seine Erdäpfel sprüht, ist nämlich schon seit 2002 Biobauer. Seither achtet er verstärkt auf Fruchtfolgen und einen gesunden Boden. Trotzdem hat er, ganz genau wie in seiner Zeit als konventionell ackernder Landwirt, mit Schädlingen und Krankheiten zu kämpfen, die er mit Pestiziden in Schach zu halten versucht.
„Ohne Spritze geht es auch in der Biolandwirtschaft nicht mehr“, gesteht er ganz offen. „Chemisch-synthetische“ Wirkstoffe sind zwar nicht erlaubt, wohl aber solche, die den Bio-Richtlinien nach als „natürlich“ gelten. Das macht sie allerdings nicht automatisch unbedenklich. Neben dem Schwermetall Kupfer sind in der Biolandwirtschaft unter anderem der für Bienen gefährliche Wirkstoff „Spinosad“ oder die für alle Insekten giftigen und stark fischgiftigen „Phyretrine“ erlaubt. Und dennoch: Durch die Selbstbeschränkung der Ökolandwirtschaft auf „natürliche“ Wirkstoffe ist die Palette der zur Verfügung stehenden Pestizide weit geringer als in der konventionellen Landwirtschaft.
Kupferhaltige Pestizide sind für Biolandwirte die einzige Möglichkeit, Erdäpfel bis zur Ernte am Leben zu halten. So gesund ihr Boden auch sein mag, so natürlich der Dünger und so vielfältig die Fruchtfolge; die krankheitsbringenden Pilzsporen kommen mit dem Regen aus der Luft und lassen sich durch nichts aufhalten. Konventionelle Bauern können auch auf systemisch wirkende Spritzmittel zurückgreifen, die die Pflanze von innen heraus schützen. Biobauer Schwarzinger nicht. Er kann deshalb von der gleich großen Fläche weniger Erdäpfel ernten.
Womit man beim zugrunde liegenden Dilemma angekommen wäre, das Wissenschaftler der Universität Göttingen in einer aktuellen Arbeit so zusammenfassen: „In Sachen Umwelt- und Klimaeffekten wirkt die Biolandwirtschaft weniger verschmutzend als die konventionelle, gemessen pro Einheit Land, aber nicht gemessen pro Einheit Produkt.“ Mit anderen Worten: Ein Hektar Bio-Acker ist zwar besser für die Umwelt als ein Hektar konventioneller Acker. Der Kauf eines Kilos Bio-Erdäpfel ist aber nicht besser für die Umwelt als der Griff zu einem Kilo herkömmlicher Erdäpfel.
Auch eine Studie mehrerer Ökoforscher, unter anderem des Instituts für Soziale Ökologie in Wien und des Forschungsinstituts für Biologischen Landbau (FiBL) kommt zu diesem Schluss. „Biologische Systeme produzieren geringere Erträge und beanspruchen dadurch für dieselbe Produktmenge größere Landflächen als konventionelle Produktionssysteme“, heißt es da. „Der Umweltnutzen der Biolandwirtschaft ist dadurch weniger ausgeprägt oder verschwindet sogar gänzlich, wenn man ihn an der Produkteinheit statt an der Flächeneinheit misst.“
Die Reduktion des Fleischkonsums (ein großer Teil der Ackerflächen wird zum Anbau von Tierfutter genutzt) sowie Anstrengungen bei der Vermeidung von Lebensmittelabfällen könnten das Dilemma zwar deutlich entschärfen. Weltweit betrachtet steht aber eher das Gegenteil in Aussicht: Die Weltbevölkerung wächst, und der Wohlstand steigt. Beides führt zu mehr Fleischkonsum und einem allgemein höheren Bedarf an Lebensmitteln. Die Göttinger Forscher dazu: „Es wird geschätzt, dass die globale landwirtschaftliche Produktion bis zum Jahr 2050 um mindestens 60 Prozent steigen muss, vielleicht sogar um bis zu 100 Prozent.“
Derzeit wird weltweit gerade mal ein Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche biologisch bewirtschaftet. „Eine großflächige Ausweitung der Biolandwirtschaft würde den zusätzlichen Verlust natürlicher Lebensräume verursachen und zudem Produktpreis-Steigerungen nach sich ziehen, die Essen für arme Konsumenten in Entwicklungsländern weniger leistbar machen würden“, prophezeien die Wissenschaftler vom Göttinger Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung in ihrer Studie vom Frühjahr 2018. Sie schlagen deshalb vor, Methoden der Biolandwirtschaft mit konventionellen zu kombinieren. So sollen die Erträge auf nachhaltige Weise gesteigert werden, ohne noch mehr Natur zu Acker machen zu müssen.
Sebastian Theissing-Matei, Landwirtschafts-Sprecher von Greenpeace Österreich, zu Problemen der Welternährung
Ein Forscherehepaar aus Kalifornien hat in einem gemeinsamen Buch schon vor zehn Jahren eine für manche Bio-Enthusiasten kaum verdauliche Forderung aufgestellt. Pamela Ronald ist Professorin für Pflanzengenetik und arbeitet an der Universität von Kalifornien (Davis) mit Methoden der Gentechnik an der Verbesserung von Nutzpflanzen. Ihr Ehemann, Raoul Adamchak, ist Ökoforscher. Er leitet an derselben Uni den Versuchsgarten für biologische Landwirtschaft. In ihrem 2008 erschienenen und gerade neu aufgelegten gemeinsamen Buch „Tomorrow’s Table“ fordern sie die Öffnung der Biolandwirtschaft für die Gentechnik. Zwar brauche es daneben weitere Maßnahmen, inklusive politischer, aber:
„Es führt kein Weg an der Einsicht vorbei, dass Biolandwirtschaft und Gentechnik beide eine zunehmend wichtigere Rolle spielen werden und dass sie irgendwie unnötigerweise gegeneinander ausgespielt wurden.“
Die weitreichende Ablehnung der Gentechnik in der Landwirtschaft hat bewirkt, dass gentechnisch veränderte Pflanzen, bis auf eine einzige auf der iberischen Halbinsel angebaute Maissorte, von Europas Feldern verbannt bleiben – ganz egal, welche Eigenschaften diese Veränderungen jeweils mit sich bringen. An der niederländischen Universität Wageningen wurden etwa Erdäpfel entwickelt, die eine natürliche Resistenz gegen die Kraut- und Knollenfäule in sich tragen. Sie beruht auf zwei Genen, die aus einer südamerikanischen Wildkartoffel mit gentechnischen Methoden in eine moderne Sorte übertragen wurden.
Eine solche Kartoffelsorte könnte, in Theorie, auch Biobauer Wilhelm Schwarzinger zu besserem Ertrag und damit einer effizienteren Nutzung seiner Ackerfläche verhelfen. Würde er sie anpflanzen? „Wenn es in der Biolandwirtschaft erlaubt wird und wenn die Gene nicht von einer anderen Spezies kommen, sondern von Kartoffeln, von Ur-Sorten, dann wäre das eine denkbare Möglichkeit“, findet Schwarzinger.
Noch scheinen derartige Szenarien undenkbar. Und dennoch gibt es Entwicklungen, die aufhorchen lassen. Unter dem Überbegriff „Genome Editing“ arbeiten Wissenschaftler in aller Welt seit einigen Jahren mit radikal neuen Werkzeugen der Pflanzenzüchtung . Mit ihnen lassen sich die Eigenschaften von Nutzpflanzen so einfach und präzise ändern, wie ein Textprogramm Worte und Sätze umschreiben kann. Dazu ist es nicht mehr zwangsläufig notwendig, die Gene fremder Organismen in das Erbgut einzuschleusen. Die neuen Methoden erlauben es beispielsweise, Gene auszuschalten, die die Pflanzen für bestimmte Krankheiten erst empfänglich machen. Unter den neuen Werkzeugen sorgt die sogenannte Genschere CRISPR/Cas9 für die meisten Schlagzeilen. Sie könnte, so glauben manche, die Gentechnik mit der Biolandwirtschaft versöhnen.
Einen ersten Hinweis darauf lieferte einer der renommiertesten Ökoforscher Europas, der Schweitzer Urs Niggli. Der gelernte Gentechnik-Gegner und Leiter des Forschungsinstituts für Biologischen Landbau (FiBL) beging in einem Interview mit der deutschen Zeitung TAZ im Frühjahr 2016 einen Tabubruch. Er betonte darin das Potenzial der Genschere CRISPR/Cas, Pflanzen robuster zu machen und dadurch Pestizide einzusparen. Er sprach sich dafür aus, mit ihr gezüchtete Sorten zwar zu kennzeichnen, sie aber in Zulassungs- und Prüfverfahren weniger strengen Anforderungen zu unterwerfen, als sie für Produkte der klassischen Gentechnik gelten – solange keine artfremden Gene eingeführt wurden. Zwar glaubte er damals nicht an eine Öffnung der Biobranche für die neuen Methoden, meinte aber: „Es wäre unschön, wenn der konventionelle Bauer eine Kartoffelsorte hätte, die ohne Pestizide auskommt – und der Biobauer eine Kartoffelsorte, die er mit Kupfer spritzen muss.“
Auf die Frage des TAZ-Journalisten Jost Maurin, ob Niggli durch seine Aussagen nicht Verrat begehe, entgegnete Niggli: „Ich habe bereits vor 25 Jahren an vorderster Front gegen Gentechnik gekämpft (…). CRISPR/Cas unterscheidet sich stark von der damaligen Gentechnik und berücksichtigt zahlreiche Kritikpunkte von damals. Mit einer differenzierteren Betrachtung gebe ich meine Ideale also nicht auf.“
Mancher in der Bio-Szene sah es anders. Es gab Empörung und Rücktrittsforderungen. Heute möchte Niggli keine Interviews mehr dazu geben.
Update 25.7.2018: Der EuGH hat entschieden, dass auch die neuen Gentechnik-Verfahren der GVO-Richtlinie unterliegen.
Am 25. Juli will der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine Entscheidung zur rechtlichen Einordnung der neuen Züchtungstechniken bekannt geben. Sind daraus entstehende Pflanzensorten in jedem Fall als „gentechnisch veränderte Organismen“ (GVO) zu behandeln oder muss von Fall zu Fall entschieden werden? Also abhängig davon, ob in der neuen Sorte nur kleinste, punktuelle Veränderungen gemacht oder ob artfremde Gene eingeführt wurden?
Bio Austria, Greenpeace und viele andere Verfechter der biologischen Landwirtschaft wollen die neuen Verfahren mit Verweis auf das Vorsorgeprinzip den strengen Regeln für Gentechnik unterwerfen. Sebastian Theissing-Matei, Landwirtschafts-Sprecher von Greenpeace, sagt dazu: „Es ist keine natürliche Kreuzung, sondern es wurde ein gentechnisches Verfahren eingesetzt. Damit ist es einmal per Definition für uns ein gentechnisch veränderter Organismus.“
Viele Wissenschaftler und Züchter fordern einen pragmatischeren Zugang. Johann Birschitzky etwa, Geschäftsführer des 45-Mitarbeiter-Betriebs Saatzucht Donau, sieht in CRISPR eine Chance für kleine Züchter.
„Wenn der Zugang zu diesen neuen Techniken einfacher wäre, niederschwelliger, ohne riesige bürokratische Hürden und ohne große Kosten, dann würden viele Züchter damit arbeiten und es würden viel mehr Kulturarten bearbeitet, nicht nur die ganz großen Kulturarten, wie Mais, Soja, oder Raps, die alle großen multinationalen Konzerne bearbeiten, sondern auch kleinere Kulturarten, wie Mohn, wie Erbse, wie Gerste, die in Österreich auch entsprechende Bedeutung haben.“
Sollte CRISPR mit dem „Gentechnik-Stempel“ versehen werden, dann dürfte die Technologie aufgrund millionenteurer Zulassungsverfahren ein Werkzeug für finanzkräftige Großkonzerne bleiben. Für österreichische Züchter bliebe sie uninteressant. Egal wie der EuGH entscheidet, die Diskussion wird darüber hinaus weitergehen, denn die Option für eigene, nationale Restriktionen dürften jedem EU-Staat erhalten bleiben.