Können wir es uns leisten, jede Technologie, die uns heute von der Wissenschaft angeboten wird, blind in die Produktion zu übernehmen?“, fragt Peter Pilz 1988 im Nationalrat. Zu diesem Zeitpunkt geht das neue Angstthema Gentechnik schon seit einigen Jahren in Österreich um.
Man habe „ganz schlechte Erfahrungen mit dieser Art der Übernahme von Technologieangeboten in die Wirtschaft gemacht“, mahnt Pilz, damals noch bei den Grünen. Er warnt auch davor, dass „im Bereich der Gentechnologie und der Biotechnologie möglicherweise ein ähnliches Schicksal droht wie bei der AKW-Technologie“.
Die neue Technologie wird umgehend mit einer bereits bekannten verglichen, die man als ebenso mysteriös wie bedrohlich empfindet. Der Politik wird bald klar, dass die Gentechnik in der Bevölkerung auf Skepsis stößt und begegnet ihr daher mit ebensolcher.
Pilz bleibt nicht der Einzige, der Parallelen zur in Österreich verfemten Atomenergie zieht. Herbert Haupt von der FPÖ spannt denselben Bogen: „Die Nutzung der Atomenergie hat durchaus ihre guten Seiten, hat aber auch, wie wir heute leider wissen, einen erheblichen Nachteil. Ähnlich scheint es auch im Bereiche der Gentechnologie zu sein, und das hat sich in manchen Fällen schon bewahrheitet.“
Die Gentechnikdebatte, die in Österreich Ende der 80er, Anfang der 90er so richtig ausbricht, beinhaltet viel Grundsätzliches und gleitet dabei immer wieder ins Diffuse ab. Beinahe beispielhaft für andere politische Diskurse wechseln sich düstere und helle Zukunftsvisionen ab, werden verschiedene Probleme zutreffend oder unzutreffend miteinander vermengt und in den Kampf um die Gunst der Öffentlichkeit geworfen.
Das Wissen über die DNS (kurz für Desoxyribonukleinsäure, Träger der Erbinformation) und ihre Veränderungen ist nicht allgemein verbreitet. So bezieht sich der FPÖ-Abgeordnete Gerulf Stix im Zusammenhang mit einer Gentechnikdebatte 1984 auf „die berühmt gewordene ,Schafziege‘ oder das ,Ziegenschaf‘“, eine Anfang der 80er ohne Genmanipulation erzeugte Chimäre.
Die Gentechnikdebatte entspinnt sich in Österreich, lange bevor ab 1996 die erste gentechnisch veränderte Sojasorte kommerziell angebaut wurde.
Am Beginn der internationalen Gentechnikdebatte, die später nach Österreich getragen wird, steht das 1980 erstmals beantragte Patent auf einen gentechnisch veränderten Organismus in den USA. 1988 sorgt schließlich die sogenannte Krebsmaus für Aufsehen. Das Tier, das für Laborzwecke leichter an Krebs erkrankt, wird ebenfalls zum Patent zugelassen.
Auch wenn sich die parteipolitischen Fronten beim Thema Gentechnik früh abzeichnen – die Grünen mobilisieren von Anfang an massiv gegen den Einsatz der Forschungsmethode – besteht längst nicht in allen Parlamentsklubs von Anfang an Konsens.
Insbesondere in der ÖVP gehen die Wogen hoch. Ihr Wirtschaftsflügel sieht vor allem das ökonomische Potenzial, während einigen katholisch geprägten Abgeordneten vor menschlichen Allmachtsfantasien graut. Für den Juristen und ÖVP-Mandatar Felix Ermacora ist die Gentechnik „ein gefährlicher Wissenschaftszweig und die Anwendung besorgniserregend“.
Neben der Debatte über den Einsatz und die Kontrolle der Gentechnik läuft eine weitere über die Fortpflanzungsmedizin. Obwohl die Wissenschaft auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein wird, genmanipulierte Embryonen zu erzeugen, werden beide Diskussionen immer wieder miteinander verknüpft.
Vincenz Liechtenstein, der für die Volkspartei im Bundesrat sitzt, fordert die Politik etwa auf, über das nachzudenken, „was man heute überall liest und hört im Bereich der Genmanipulation, im Bereich der Leihmütter, im Bereich all dieser Dinge, der eingefrorenen Embryonen“. Man müsse schließlich „diesen Mißbrauch menschlichen Lebens von Österreich fernhalten“.
Der Bauernbündler Johann Penz, damals ebenfalls im Bundesrat, zeigt sich hingegen vorsichtig optimistisch, dass „diese Gentechnologie im Bereich der Pflanzenproduktion Anwendung finden könnte“. „Eine Optimierung der pflanzlichen Inhaltsstoffe, insbesondere in der Pharmaindustrie, wäre ein positiver Ansatz.“
Der FPÖ-Abgeordnete John Gudenus wiederum zweifelt daran, „ob es rechtens, ob es moralisch und ethisch vertretbar ist, daß der Mensch den Schöpfer spielt.“ Die „Biomediziner und Gentechniker brauchen sich über ihren schlechten Ruf in der Öffentlichkeit nicht zu beklagen, wenn sie diesen Schöpfungsakt, der anderen vorbehalten war, vornehmen wollen.“
Nach längeren Debatten soll 1994 vom Nationalrat endlich ein eigenes Gentechnikgesetz beschlossen werden. Die Grünen aber kochen vor Wut.
Johannes Voggenhuber tritt den ganzen Sitzungsverlauf hindurch mit Zwischenrufen hervor. In seiner eigenen Rede spricht er kaum zur Sache, sondern darüber, wie die Ergebnisse einer vorangegangenen parlamentarischen Enquete missachtet worden seien.
Die Grünen fahren zu diesem Zeitpunkt eine erfolgreiche Kampagne gegen den Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft und stellen sich auch gegen die Vergabe von Forschungsmitteln. Madeleine Petrovic kritisiert im Nationalrat, dass im „gefährlichsten aller Bereiche eine unglaubliche Zunahme an Förderungen, beispielsweise im Bereich der wirtschaftsbezogenen Forschung, darunter insbesondere Gentechnik und Biotechnologie“ stattgefunden habe.
Sie berichtet außerdem, es habe „im Bereich der Gentechnologie mittlerweile tödlich endende Unfälle gegeben“. Petrovic bezieht sich dabei auf den Tryptophan-Skandal, bei dem japanische Unternehmen ohne Genehmigung die Bakterien zur Herstellung eines Arzneistoffes für Dialysepatienten genetisch verändert hatten. Trotzdem tritt die Abgeordnete nicht dafür ein, „daß man Forschung, auch gentechnische Forschung verbieten, unterdrücken, untersagen kann oder soll“. Das sei auch die Meinung ihres Klubs.
Die Befürworter der Gentechnik finden sich sowohl in der Wirtschaft als auch bei den Ärzten und Bauern. Der spätere Nationalbankgouverneur Ewald Nowotny erklärt: „Gerade Forschungsverbote führen zu unkontrollierter Forschung.“
Der ÖVP-Abgeordnete und Primararzt Günther Leiner ist wie die Grünen nur halb glücklich mit dem Gesetz. Es geht ihm allerdings nicht weit genug: „Wenn Sie mich heute fragen, ob ich mit diesem Gesetz leben kann, so muß ich sagen: Nein.“
Für Leiner steht den „Diffusen und oft berechtigten Ängsten vieler Menschen […] das ganz reale Leid Schwerkranker gegenüber“. Er pocht auf die Heilungschancen durch Genmanipulationen.
Harald Fischl von der FPÖ erwartet sich gar „die großen möglichen Antworten auf Volkskrankheiten wie Krebs, Seuchen, Aids und so weiter“.
Die Grünen kritisieren in der Debatte um das Gentechnikgesetz immer wieder dessen Wirtschaftsfreundlichkeit. Tatsächlich aber ist die Industriellenvereinigung zunächst mit dem sehr restriktiven Vorschlag alles andere als zufrieden.
In ihrer Stellungnahme zum Begutachtungswurf spricht sie von dessen „grundsätzlich negativen Einstellung zur Gentechnik“. Ziel sei die „Reglementierung von Forschungsarbeiten durch Verwaltungsbeamte“.
Ihre Kritikpunkte müssten „Anlaß zu einer grundsätzlichen Überarbeitung des vorliegenden Gentechnikgesetzentwurfes“ sein.
Der Gesetzesentwurf – er hätte unter anderem Bakterien eine schützenswerte „Eigenbedeutung“ eingeräumt – wird schließlich noch einmal geändert und entschärft.
Es ist besonders dieser Umstand, der die Grünen aufregt. Voggenhuber fasst die Genese des Gesetzes aus seiner Sicht zusammen: „Dann aber hat uns die Industrie dieses Landes mitgeteilt, daß sich das Parlament – punkti, punkti, punkti würde man im Text sagen, wenn man nicht vulgär werden will – ,über die Häuser hauen‘ soll mit seinem Entwurf.“
Die Regierungsmehrheit versucht die Einwände gegen die Änderungen hingegen zu zerstreuen. ÖVP-Mandatar Walter Schimmer wirft der Opposition vor, sie verbreite „Horrorvisionen von Dingen, die dieses Gesetz ausdrücklich untersagt“.
Man tue geradezu so, als wenn das Ziel des Gesetzes die „Schaffung von Monstern wäre“, so Schwimmer. Das sei absoluter Unsinn und gehöre „in die Kategorie der ,Blutschokolade‘ bei der EU-Diskussion und der Haider-Plakate betreffend die ,Abschaffung‘ des Schillings“.
Petrovic wiederum warnt davor, „die Dritte Welt gentechnisch in Abhängigkeit zu bringen“.
Der Großteil der Anbauflächen gentechnisch veränderter Pflanzen befindet sich in Nord- und Südamerika.
Die Kritik konzentriert sich allerdings auf die Frage, ob das Gentechnikgesetz die Möglichkeiten von Wissenschaft und Forschung zu wenig einschränkt.
Das Gentechnikgesetz enthält einige Verbote, so zum Beispiel von „Eingriffen in das Erbmaterial der menschlichen Keimbahn“. Es ist damit ein europäischer Vorreiter, regelt Österreich doch bereits zukünftige Anwendungsgebiete gentechnischer Verfahren.
Das Gesetz wird schließlich beschlossen und in den Folgejahren mehrfach novelliert, um es unter anderem dem EU-Recht anzupassen. Es stellt sich außerdem als teilweise zu restriktiv heraus. Harmlose Analyseverfahren werden umfassenden Genehmigungsprozessen unterworfen. Spätere Novellen sorgen in diesem Bereich für Verbesserungen. Gleichzeitig wird die Frage der Patentierung von gentechnisch veränderten Organismen zunehmend problematisiert.
Die öffentliche Stimmung in Österreich ist da allerdings schon gekippt, die Gentechnik im Lebensmittelbereich untrennbar mit anderen „unnatürlichen“ Anbaumethoden verknüpft.
1997 unterschreiben mehr als 23 Prozent der Wahlberechtigten das Gentechnik-Volksbegehren, das ein Anbau- und Verkaufsverbot gentechnisch veränderter Lebensmittel verlangt. Dieser grundsätzlich ablehnenden Haltung steht heute keine rationale Beweislage gegenüber. Manche genmanipulativen Eingriffe sind mittlerweile von natürlichen Mutationen durch Züchtung nicht mehr zu unterscheiden.
Die Kritik konzentriert sich daher mittlerweile vor allem auf die mittelbaren Folgen der Gentechnik, wie die in Nutzpflanzen eingebauten Resistenzen gegen Unkrautvernichter (Herbizide) und die daraus resultierenden Folgen für die Umwelt. 47 Prozent der derzeit vertriebenen gentechnisch veränderten Pflanzen sind herbizidresistent.
Abseits davon bleibt die Gentechnik ein Betätigungsfeld im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit; ein Umstand, den die Politik gerne nutzt. So stellen Abgeordnete eine Anfrage über „gentechnikverseuchte Schokolade“, andere kritisierten die Förderung des Vereins dialog <> gentechnik und den Plan, gentechnisch veränderte Biomasse zum Schutz des Klimas einzusetzen.
Die aus dem allgemeinen Unwohlsein resultierende österreichische Rechtslage in Sachen Gentechnik ist im internationalen Vergleich weiterhin restriktiv. In der Landwirtschaft ist der heimische Fundamentalwiderstand global gesehen jedoch völlig bedeutungslos. Die gentechnische Revolution findet weitgehend außerhalb Europas statt.
Gleichzeitig ist die Gentechnik aus der Humanmedizin nicht mehr wegzudenken. Etliche Erfolge haben ihr hier zu einer breiteren Akzeptanz verholfen.
„Das Thema wird in der Regel nicht auf der Ebene der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse diskutiert.“ – Eva Stöger, BOKU-Professorin für Genetik und Zellbiologie zur Rolle von Politik und Medien bei der Debatte um die Gentechnik.
Als die Gentechnik im Sommer 1981 erstmals das Plenum des Nationalrates erreicht, ist all das noch nicht absehbar. Der sozialdemokratische Abgeordnete Josef Wille geht damals auf die „gesellschaftlichen Ängste der Gegenwart vor Arbeitslosigkeit, vor dem Fortschritt, vor der Technik, vor der Kernenergie, vor der Elektronik, vor der Informatik und dem Datenschutz, vor der Rüstungsindustrie und der Gentechnik“ ein.
Diese seien „zweifellos verständlich“, so Wille. Dann schiebt der gelernte Werkmeister den bemerkenswerten Satz nach: „Es kann keinen Umbruch ohne Ängste geben.“