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Hört auf die Wissenschaft! – Aber nur, wenn es uns passt
11. März 2020 Gentechnik Lesezeit 4 min
Das Beispiel Gentechnik und Klimawandel zeigt, wie selektiv gesicherte Fakten in der politmedialen Welt anerkannt und bei Entscheidungen berücksichtigt werden. Die Verhätschelung der eigenen Anhänger- und Leserschaft scheint stets wichtiger als die Aufklärung über wirksamen Klimaschutz.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Gentechnik und ist Teil 9 einer 9-teiligen Recherche.
Bild: Andreas Solaro | AFP

Niemand hört auf die Wissenschaft. Weite Teile der Politik, der Medien und der in öffentlichen Debatten oft tonangebenden Umwelt-NGOs haben kein wirklich ehrliches Interesse an echten und wirksamen Maßnahmen zum Klimaschutz. Das gilt auch für die vor kurzem noch so laute Jugendbewegung Fridays for Future mit ihrem Schlachtruf Listen to the Scientists!.

Dieser Eindruck kann sich jedenfalls verfestigen, wenn man die Selektivität betrachtet, mit der Appelle und Statements aus der Wissenschaft aufgegriffen werden. Kurzgefasst: Wenn Institution XY eine eindringliche Warnung vor den Folgen des Klimawandels veröffentlicht, aus der sich alarmierende Schlagzeilen texten lassen, dann wird sie bereitwillig verbreitet. Veröffentlicht genau dieselbe Institution allerdings dringliche Lösungsvorschläge zur Eindämmung des Klimawandels und zur Bewältigung seiner Folgen, dann werden diese schlicht totgeschwiegen, wenn sie dem gelernten Österreicher und seinen Einsagern in Politik und Medien unzumutbar oder unbequem erscheinen. Oder wenn deren Tragweite schlicht nicht verstanden wird.

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Hört auf die Wissenschaft (bzw. Wissenschaftler)!

Der Fall EASAC

Am 3. Juni 2019 veröffentlichte der Wissenschaftsbeirat der Europäischen Akademien, EASAC, ein Zusammenschluss sämtlicher nationaler Akademien der Wissenschaften der EU, Norwegens und der Schweiz, ein Statement (policy report) zum Thema Klimawandel. Darin warnten die Wissenschaftler vor den schlimmer werdenden globalen Folgen des Klimawandels für die menschliche Gesundheit und bemängelten, dass die EU-Politik diese Gesundheitsfolgen bislang eher vernachlässigt habe. Zudem mahnten sie „schnelles und entschiedenes Handeln“ zur Minderung des Ausstoßes von Treibhausgasen an.

Noch am selben Tag titelte ORF.at: Klimakrise: Risiken für Gesundheit steigen. Die Online-Schlagzeile der Wiener Zeitung: Klimawandel bedroht Gesundheit. Auch die Tiroler Tageszeitung, die Kleine Zeitung, die deutsche FAZ und die TAZ griffen das Statement der Wissenschaftsakademien auf. Die Schlagzeile der Berliner TAZ lässt dem gemeinen Leser dabei nicht mal einen Rest Hoffnung. Sie stellt in unvergleichlich absolutistischer Weise fest: Klimawandel macht krank. Schrecken verkauft sich eben.

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European Academies Science Advisory Council

Selber Sender – taube Empfänger

Ganz anders war dagegen die mediale Reaktion auf ein nicht minder vehement formuliertes Statement desselben Absenders. Vergangene Woche, am 4. März, veröffentlichte der EASAC einen Kommentar, der sich mit der völlig veralteten EU-gesetzlichen Regulierung von Gentechnik in der Landwirtschaft befasst. Konkret geht es um Techniken der Genomeditierung wie die Genschere CRISPR . Mit ihrer Hilfe könnten sogar auch mittelständische Saatzuchtunternehmen regional angepasste Pflanzensorten züchten, die dem Klimawandel dadurch begegnen, dass sie auf gleicher Fläche (mit weniger Pflanzenschutzmitteln) mehr Ertrag bringen. So ließen sich dann freiwerdende Flächen durch Aufforstung zur Kohlenstoffsenke umfunktionieren, die als Nebeneffekt auch noch dem Artenschutz dienen könnten. Die derzeitigen gesetzlichen Regelungen gleichen in der Praxis allerdings einem Totalverbot, weil sie selbst minimale und naturidentische Veränderungen in Pflanzen bei Forschung und Anbau genauso restriktiv behandelt wie klassische Gentechnik. Auch deren pauschaler gesellschaftlicher Ächtung fehlt bereits jede wissenschaftliche Grundlage. Eine ausführlichere Erklärung finden Sie hier.

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Die Gesellschaft zahlt einen Preis dafür, wenn neue Genomeditier­techniken nicht genutzt werden.

Wissenschaft fordert Radikal-Reform

Die EASAC-Wissenschaftler fordern in Ihrem Aufruf eine „radikale Reform“ der EU-Gesetzgebung und ihre Anpassung an den Stand der Wissenschaft. Auf diese Weise soll den akuten Herausforderungen des Klimawandels, bei der globalen Ernährungssicherheit, des Bevölkerungswachstums und des Rückgangs der Artenvielfalt Rechnung getragen werden.

„Die Gesellschaft zahlt einen Preis dafür, wenn neue Genomeditiertechniken nicht genutzt werden oder die Einführung zu langsam erfolgt“, sagt Robin Fears, Direktor des EASAC-Programms für Biowissenschaften. „Wir haben keine Zeit zu verlieren, wenn es darum geht, unsere gemeinsamen Probleme für die Nahrungsmittel- und Ernährungssicherheit zu lösen.“

Keines der oben genannten Medien, die das EASAC-Statement zu den Gesundheitsrisiken des Klimawandels aufgegriffen hatten, zeigt bis heute, eine Woche nach Veröffentlichung des Gentechnik-Appells, Interesse an der Meinung der Wissenschaftler. Eine Suche via Google News ergibt null Treffer. Eine Ausnahme machen die beiden landwirtschaftlichen Fachpublikationen Agrarzeitung und Top Agrar.

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Anscheinend gilt Listen to the Scientists nicht grundsätzlich. Oder das Problem Klimawandel ist immer dann nicht mehr ganz so dringlich, wenn die Wissenschaft lieb gewonnene Haltungen in Frage stellt.  

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