Was am 28. Mai 2011 beim Landesparteitag der Wiener SPÖ beschlossen wurde, hatte für die Glücksspielbranche weitreichende Folgen. Eine knappe Mehrheit der Roten hatte sich damals für das Aus des kleinen Glücksspiels ausgesprochen. Zwar wurde letztlich kein dezidiertes Verbot im Landesgesetz festgeschrieben, die bestehenden Lizenzen für Glücksspielautomaten in Lokalen und Spielhallen liefen aber aus. Somit sind seit 1. Jänner 2015 nur noch jene Automaten legal in Betrieb, die im Casino in der Kärntner Straße stehen. Alle übrigen Geräte, die in diversen Hinterzimmern aufgestellt sind, sind somit illegal.
Eine gesetzliche Lücke blieb aber offen – und in diese versuchen Glücksspielunternehmen wie beispielsweise die Firma Novomatic offensichtlich einzudringen. Die ersten Bestrebungen in diese Richtung gab es allem Anschein nach schon vor geraumer Zeit – und da spielten auch Ex-SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer und ein gewisser Tal Silberstein eine Rolle.
Vorweg: Die Lücke, um auch in Wien wieder legal Glücksspielautomaten abseits des Casinos aufstellen zu können, ist die Lizenz für so genannte Video Lottery Terminals (VLT). Diese VLT-Geräte funktionieren wie herkömmliche Glücksspielautomaten, fallen jedoch unter die Bundeskonzession, die sich im Besitz der Casinos Austria bzw. ihrer Lotterien-Tochter befindet. Der geschäftliche Spielraum, den die Lotterien damit haben, ist bei Weitem nicht ausgeschöpft. Knapp 700 VLT-Geräte werden unter diesem Titel in sogenannten WINWIN-Hallen bespielt. Erlaubt wären 5.000 bis 2027.
Was hat all das mit Tal Silberstein & Co. zu tun? Im Jahr 2014, also wenige Monate vor dem Auslaufen der Regelung für das kleine Glücksspiel in Wien, startete der Politikberater den Versuch, mit den Casinos Austria ein gemeinsames Projekt auf die Beine zu stellen. Wie es in einem Gerichtsakt aus dem Jahr 2016 laut Profil hieß, ging es „um eine Zusammenarbeit mit dem Ziel, die Glücksspiellizenz (…) soweit sich diese auf den Betrieb so genannter Video Lottery Terminals (VLT) bezieht, gemeinsam zu bewirtschaften.“ Silberstein war demnach überzeugt, mithilfe seiner in Malta sitzenden Fondsgesellschaft namens „Novia“, das „VLT-Gaming höchst gewinnbringend in Österreich organisieren zu können“.
Recherchen ergaben, dass die „Novia“ in den Ausbau der VLT-Standorte investieren und diese auch managen wollte. Die Lotterien sollten dafür rund 15 Prozent Provision vom Netto-Spielertrag bekommen, das sollte – so wurde kalkuliert – rund 176 Millionen Euro Gewinn für die CASAG-Tochter WINWIN bis 2027 bedeuten. Das wirtschaftliche Risiko hätte die „Novia“ getragen. Das heißt, der Gewinn für den Hauptakteur „Novia“ mit seinen 85 Prozent Provisionsanteil hätte laut Hochrechnung an der Milliardengrenze gekratzt. Die Investitionskosten der „Novia“ hätten sich somit in wenigen Jahren amortisieren sollen.
Dass der Geschäftsmann Tal Silberstein diese Idee ganz allein entwickelt hat, scheint eher unwahrscheinlich. Zu diesem Schluss gelangt man jedenfalls, wenn man sich ansieht, wie just nach der Entscheidung für das Ende des kleinen Glücksspiels in Wien sukzessive ein komplexes Firmennetzwerk im Ausland aufgebaut wurde und welche Personen in diesen Prozess involviert waren. Da kommt jetzt Alfred Gusenbauer ins Spiel.
Gusenbauer war in der Vergangenheit immer wieder im Novomatic-Konzern-Umfeld beratend tätig und kennt bekanntermaßen auch Tal Silberstein gut. Laut aktuellen News-Recherchen, die u.a. auf Unterlagen aus den Panama-Papers beruhen, errichtete der Ex-Bundeskanzler im Februar 2013 eine Firma namens „Novia Technologies B.V“ mit Sitz in den Niederlanden. Knapp drei Monate später übertrug Gusenbauer sämtliche Aktien dieser Firma an eine niederländische Stiftung, in der laut Panama Papers auch eine Firma namens BSG auftaucht, die für Beny Steinmetz Group stehen dürfte. Gusenbauer selbst scheint dort als Stiftungsdirektor auf. Die „Novia Technologies BV“, also nunmehr eine Tochter der Gusenbauer-Stiftung in den Niederlanden, war laut News „Mitbegründerin einer Fondsstruktur unter dem Titel ‚Novia Gaming‘ auf Malta“. Das ist jene Silberstein-Firma, die im Jahr darauf mit den Lotterien in Österreich ins Geschäft zu kommen versuchte. Rund um die maltesische Gesellschaft waren aber nicht nur Gusenbauer und Silberstein zu finden. Auch zwei ehemalige Vertraute des Glücksspielriesen Novomatic waren dabei.
Alfred Gusenbauer sagte auf Anfrage, soweit er wisse, habe es keine Vereinbarung zwischen der Novomatic-Gruppe und der Novia-Gruppe im Zusammenhang mit der Errichtung und dem Betrieb von Video Lottery Terminals in Wien gegeben. Soweit er wisse, spielte auch die Gruppe um Benny Steinmetz keine Rolle in dem Geschäftsfall.
Auch Novomatic betont: „Es gab keine Vereinbarung mit uns zu dem genannten ‚Geschäftsfall‘.“
Woher Tal Silberstein jedoch das Know-how hatte und woher auch die Geräte für einen Ausbau der VLTs in Österreich kommen hätten sollen, bleibt offen. Interessant ist jedenfalls, dass eine Finanzberatungsfirma, die für die Steinmetz-Gruppe tätig war, in einem internen Schriftverkehr einen „Joint Venture“ mit der Novomatic-Gruppe angedacht hatte.
Silberstein wollte den Sachverhalt vorerst nicht kommentieren.
All diese Bemühungen blieben letztlich aber ohnedies unbelohnt. Der langjährige Casinos-General Karl Stoss ließ das Vorhaben im April 2015 platzen – sehr zum Missfallen von Silberstein. Er klagte die Casinos/Lotterien. Und soll im Zuge eines Vergleichs 250.000 Euro erhalten haben.
Am 11. August gab die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) bekannt, dass die tschechische Sazka-Gruppe rund um die Milliardäre Karel Komarek und Jiri Smejc „beabsichtigt, die alleinige Kontrolle über die Casinos Austria zu erwerben“.
Die Sazka-Group, die laut Eigendefinition „zu den größten Lotterie- und Glücksspielkonzernen Europas“ gehört, war bisher (indirekt) mit rund 11 Prozent an der CASAG beteiligt. Am 11. September hat die BWB publik gemacht, dass die Tschechen die Casino-Anteile des Mühlenkonzerns Leipnik-Lundenburger (LLI) und der UNIQA – zusammen rund 23 Prozent – übernehmen dürfen. Somit kommt Sazka nun auf 34 Prozent.
Ursprünglich wollten LLI und UNIQA ihre Anteile an Novomatic verkaufen. Das wurde von den Wettbewerbshütern aber untersagt – unter anderem deshalb, weil es im Bereich der Spielautomaten in Ostösterreich zu einer marktbeherrschenden Stellung des Glücksspielkonzerns aus Gumpoldskirchen gekommen wäre. So kamen eben die Tschechen zum Zug und sind somit größter CASAG-Aktionär.
Wie könnte die Sazka-Group die absolute Mehrheit bei der CASAG erreichen? Derzeit gehören 33 Prozent der Casinos der staatlichen ÖBIB, 17 Prozent hält die Novomatic AG, der Rest teilt sich auf kleinere Aktionäre auf. Novomatic will die Anteile nicht veräußern. Somit muss die Sazka-Group auf zumindest einen Teil der ÖBIB-Aktien abzielen, denn mit den Kleinaktionären allein kommt sie nicht auf 50 Prozent plus. Dass Interesse an den staatlichen Anteilen besteht, will das Unternehmen nicht bestätigen. Das ist nicht überraschend, weil dafür in Österreich ein Regierungsbeschluss nötig wäre. Den kann nur eine neue Koalition nach der Nationalratswahl liefern.
Die Sazka-Group kann aber künftig ohnedies schon maßgeblichen Einfluss auf das große Glücksspiel in Österreich nehmen, denn gemeinsam mit Novomatic kommt sie auf 51 Prozent. Die beiden Glücksspiel-Unternehmen sind keine Konkurrenten, sondern geschäftlich über eine gemeinsame Tochterfirma namens LTB Beteiligungs GmbH mit Sitz in Wien (zwei Drittel gehören den Tschechen, ein Drittel der Novomatic) verbunden. Insofern bleibt auch Novomatic gut im Spiel.
Dass die privaten Glücksspiel-Unternehmen ein derart großes Interesse an den Casinos Austria haben, ist naheliegend. Die CASAG ist nicht nur insgesamt ein erfolgreiches Unternehmen, sie verfügt über ihre Lotterien-Tochter auch über eine Lizenz für bis zu 5.000 Video Lottery Terminals (VLT), deren Rahmen derzeit bei Weitem nicht ausgeschöpft ist. Nur rund 600 solcher VLT-Geräte, die mit herkömmlichen Spielautomaten vergleichbar sind und im gesamten Bundesgebiet in Hallen aufgestellt werden können, sind in Betrieb. Das eröffnet große Expansionsmöglichkeiten – und damit die Gelegenheit, auch in jenen Bundesländern Spielautomaten zu installieren, wo das kleine Glücksspiel gesetzlich untersagt ist, etwa in Wien. In der Bundeshauptstadt dürfen die landläufig als einarmige Banditen bezeichneten Spielapparate seit 2015 nur noch im Casino betrieben werden.