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Urlaubszeit ist Glücksspielzeit
9. Oktober 2017 Glücksspiel Lesezeit 5 min
Auch in Niederösterreich kam es in der Vergangenheit zu Auffälligkeiten: Zwei Sachbearbeiter bereiteten im Jahr 2005 die Genehmigung für 2.500 Spielapparate an eine Novomatic-Tochter vor. Jetzt sickert durch: Der Beamte, der den Bescheid „wie besprochen“ an den Konzernchef faxte, hatte sich zuvor in einer „Sachverhaltsdarstellung“ noch als vehementer Gegner des kleinen Glücksspiels positioniert.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Glücksspiel und ist Teil 2 einer 23-teiligen Recherche.
Bild: Addendum

Anfang Juni 2005 langte im Landhaus St. Pölten ein Antrag auf Bewilligung von 2.500 Spielapparaten ein. Antragsteller: Die Firma HTM, eine Konzerntochter der Novomatic. 2.500 Apparate sollten eine für die Behörde ungewöhnliche Anzahl darstellen: Niemals zuvor war in einem einzelnen Bescheid grünes Licht für mehr als acht Spielapparate erteilt worden.

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2.500 Automaten. Ein Routinefall?

Was tut Sachbearbeiter A, auf dessen Schreibtisch der Antrag für die 2.500 Maschinen im Juni 2005 landet? Er gibt das Schreiben nicht an seine Abteilungsleiterin weiter, er bespricht sich nicht mit der Vorgesetzten, lässt sich – das werden spätere Ermittlungen der Innenrevision ergeben – lediglich von seinem Bürokollegen B beraten. Auch Bs Rolle wird später in einem schiefen Licht erscheinen. Beide werden gegenüber der Innenrevision argumentieren, es habe sich bei diesem Antrag doch nur um „einen Routinefall“ gehandelt. Ein Routinefall, der erst im Jahr 2016 via Profil breit thematisiert werden sollte.

Es gibt über Wochen keine Information über diesen Antrag an die Abteilungsleiterin, auch keine an die zuständige Landesrätin Christa Kranzl. Erst als Kranzl und die Abteilungschefin im August auf Urlaub weilen, kommt Bewegung ins Automatenspiel: A erstellt, beraten vom Bürokollegen B, einen Bescheid für die Genehmigung von 2.500 Spielapparaten und legt diesen am 8. August seinem laut Revisionsbericht ahnungslosen stellvertretenden Abteilungsleiter zur Unterschrift vor. Kommentarlos. Als handelte es sich bei 2.500 Spielapparaten um einen Routinefall. Mehr noch: As Bürokollege B faxt am 8. August, um 15.20 Uhr, nur zweieinhalb Stunden nach Unterfertigung, den Bescheid an den Novomatic-Anwalt. Auf dem Fax hat B laut Innenrevision folgenden Vermerk angebracht: „Wie telefonisch mit Herrn Dr. Wohlfahrt vereinbart.“

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Diese Kommunikation zwischen dem Beamten B und dem Vorstandsvorsitzenden der Novomatic verwundert. Recherchen von Addendum ergaben nun, dass B sich noch Monate vorher in einer von ihm als „Sachverhaltsdarstellung“ an die Landesrätin Kranzl titulierten Dossier (hier das Faksimile) als erbitterter Gegner des Glücksspiels positioniert hatte. Unter anderem schrieb B damals an seine Landesrätin:

  • „Es gibt keinen Glücksspielautomaten, der die Bedingungen des ,kleinen Glücksspiels‘ erfüllen würde“
  • „Es ist heute unbestritten, dass solche Automaten auf dem Weltmarkt nicht erhältlich sind“
  • Ein „gesetzeskonformer Betrieb“ könne sich auch in Niederösterreich nicht rechnen, schreibt B in seiner Analyse: „Es sei denn, die Überwachungsorgane in Niederösterreich wären nicht in der Lage, manipulierte, umgeschaltete oder sonst getarnte Glücksspielautomaten zu erkennen …“
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Höchstzahl: Acht Apparate

Landesrätin Kranzl und ihre Abteilungsleiterin fallen aus allen Wolken, als sie nach der Rückkehr aus dem Urlaub Ende August 2005 von diesem 2.500-Automaten-Bescheid ihrer Beamten erfahren. Die Innenrevision zerpflückt den vorgeblichen „Routinefall“ und stellt unter anderem fest: „Es konnte sich keinesfalls um eine Routineerledigung handeln, weil in den letzten 20 Jahren, sowohl nach Aussage der Abteilungsleiterin als auch nach Auskunft der Sachbearbeiter B und A nie ein Bewilligungsantrag in dieser Größenordnung (2.500 Spielapparate) gestellt worden war. Die Höchstzahl belief sich laut der Abteilungsleiterin auf 8 Apparate.“

Und noch etwas fiel der Innenrevision auf: Der Sachbearbeiter A hatte den Rechtsanwalt der Novomatic bereits am 21. Juni um Nachreichung eines Gutachtens zu den Apparaten ersucht. „Dies“, notieren die internen Ermittler, „kann im Normalfall zwar nicht als außergewöhnlich eingestuft werden, jedoch in dieser Angelegenheit schon: Das besagte Gutachten wurde erst am 8.8.2005 um 14.15 Uhr, also am Tag der Unterfertigung des Bescheides, und zwar 2 Stunden nach dessen Unterfertigung eingescannt. Dieses Gutachten trägt keinen Eingangsstempel.“ Es stehe lediglich fest, dass der Novomatic-Anwalt das Begleitschreiben für die Vorlage des Gutachtens mit 22. Juni 2005 datiert habe. „Die wiederholten Aussagen: ‚Es handelte sich um einen Routinefall‘ erscheinen somit weiters unglaubwürdig.“ (Den gesamten Revisionsbericht finden Sie hier.)

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Vergebliche Versuche

Landesrätin Kranzl lässt seinerzeit nichts unversucht, die 2.500 Spielapparate nachträglich noch zu verhindern und die Bewilligung zu revidieren. Sie berät sich mit dem Bundeskanzleramt, versucht, den Bescheid aufzuheben, obwohl er durch die prompte Zustellung, das B-Fax am 8. August, nur zweieinhalb Stunden nach Unterfertigung, rechtswirksam ist. Der damalige Novomatic-Chef Franz Wohlfahrt drängt Kranzl laut ihrer Aussage, sie möge es „dabei belassen“. Kranzl geht weiter gegen ihrer Ansicht nach illegale Novomatic-Geräte vor, lässt einige versiegeln, wird mit Klagen eingedeckt. Schadenersatzforderungen in Höhe von zwei Millionen Euro stehen im Raum; vom Land würde man sich, so droht Novomatic, zwanzig Millionen holen wollen. Jährlich. 2006 führt Niederösterreich offiziell das „kleine Glücksspiel“ ein.

2016 berichtete das Nachrichtenmagazin Profil, Kranzl habe 2015 – an einem juristischen Nebenschauplatz – vor dem Handelsgericht Wien als Zeugin unter Wahrheitspflicht noch einmal zu dieser dubiosen Bescheiderstellung aussagen müssen. Laut Protokoll sagte Kranzl: „Über Befragen, ob ich persönliche Wahrnehmungen über Bestechungsgelder habe seitens der Novomatic für die Entscheidungsfindung der Behörde, gebe ich an, dass Anfang September 2005 ein Telefonat zwischen Dr. Wohlfahrt und mir stattgefunden hat. Dr. Wohlfahrt hat mich angerufen und mich auch auf diesen Bescheid angesprochen und hat im Zuge des Telefonats gemeint, dass das Unternehmen Wert darauf legt, dass alles so bleibt, und dass er Wert darauf legt, dass so wie der Bescheid ist, so alles bleibt. Er hat gemeint, dass das für mich nicht mein Nachteil sein würde. Ich habe allerdings nichts erhalten und auch nichts genommen und auch nichts bekommen von ihm. Über Befragen, ob mir von ihm etwas in Aussicht gestellt wurde, gebe ich an, dass er wörtlich gesagt hat: ,Es möge auch nicht mein Nachteil sein.‘ Ich habe diesen Satz auch nicht so ernst genommen. Ich habe jedenfalls nie etwas erhalten und habe auch nichts genommen und würde auch nie etwas nehmen. Ich habe auch keine persönlichen Wahrnehmungen darüber, ob andere Entscheidungsträger von Behörden Zuwendungen erhalten oder genommen haben. […] Wenn ich ,ja‘ gesagt hätte auf diese Behauptung von Dr. Wohlfahrt, dann hätte ich möglicherweise den einen oder anderen Vorteil gehabt.“

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Apropos. Wie ging es mit B, dem Sachbearbeiter, der den Bescheid an den Novomatic-Chef faxte, weiter? Er ging kurz nach Fertigstellung des für ihn kritischen Revisionsberichtes in die Frühpension. Heute wirkt er als gerichtlich beeideter Sachverständiger. Fachgebiet: Glücksspiel.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Umsatz und Gewinn der Novomatic-Tochter HTM in den Folgejahren deutlich gestiegen sind. Wie wie viel davon auf die außergewöhnliche Bescheiderteilung in Niederösterreich zurückzuführen ist, lässt sich allerdings nicht beziffern. 

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