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Quo vadis, Glücksspiel?
15. Oktober 2017 Glücksspiel Lesezeit 6 min
Dieser Artikel gehört zum Projekt Glücksspiel und ist Teil 17 einer 23-teiligen Recherche.
Bild: NTRP | Addendum

Wollte man früher am Roulettetisch sein Glück versuchen, musste man sich in elegante Abendkleidung hüllen, womöglich eine längere Fahrt auf sich nehmen, im Casino den Ausweis vorzeigen und Eintritt bezahlen. Spätestens mit der Sperrstunde war der Abend vorbei.

Heute sind die Hürden wesentlich niedriger: In der einfachsten Variante benötigt man nicht mehr als ein Smartphone und eine Internetverbindung, um die Roulettekugel zu jeder Tages- und Nachtzeit rollen zu lassen. Das gilt nicht nur für Roulette, sondern für beinahe jede andere bekannte Art des Glücksspiels. Während sich die einen über das schier unbegrenzte Wachstumspotenzial freuen, warnen die anderen vor der kaum unter Kontrolle zu haltenden Gefahrenquelle. Können Schutz und Vergnügen der Spieler in Einklang gebracht werden? Wohin wird sich dieser noch relativ junge Markt in Zukunft entwickeln? Und wie lauten die Antworten der Politik auf diese Fragen?

Virtuelle Casinowelt

Seit der Jahrtausendwende gewannen Online-Glücksspieldienste zunehmend an Bedeutung und sind mittlerweile das am schnellsten wachsende Segment in der Branche. Laut Erhebungen der Europäischen Kommission betrug ihr EU-Marktanteil im Jahr 2008 etwa 7,5 Prozent, was Jahreseinnahmen von 6,16 Milliarden Euro entspricht. Von den fünf Hauptkategorien waren Sport- und Pferdewetten mit 32 Prozent die umsatzstärksten. Dahinter folgten Casinospiele (23 Prozent), Poker (18 Prozent), staatliche Lotterien (15 Prozent) und Bingo (12 Prozent). Um spielen zu können, muss man erst sein Spielerkonto bei der jeweiligen Online-Plattform mit Geld füllen, die beliebteste Methode ist dabei traditionell die Kreditkarte, wobei alternative Cyberwallet-Dienste wie PayPal immer häufiger verwendet werden. Wer sein Geld bar einzahlen möchte, kann dies mittels Prepaid-Karten tun.

Im eigentlich monopolisierten Glücksspielmarkt Österreichs waren es ausländische Anbieter, die noch vor der teilstaatlichen Casinos Austria AG erstmals Online-Glücksspiele offerierten. Dies ist deshalb möglich, weil das Anbieten von Glücksspielen im europäischen Binnenmarkt als Dienstleistung gilt und als solche im Rahmen der Grundfreiheiten geschützt ist. Das bedeutet vereinfacht: Jeder, der eine Konzession für Online-Glücksspiel in einem Mitgliedstaat besitzt, darf auch in allen anderen Mitgliedstaaten seine Dienstleistung anbieten. Das Finanzministerium nennt diesen Bereich einen „grauen Markt“, in Deutschland spricht man vom „nichtregulierten Markt“. Offiziell gibt es in Österreich nur eine Konzessionärin, die Österreichische Lotterien GmbH, die berechtigt ist, Online-Glücksspiele durchzuführen. Alle anderen Anbieter stehen also in einem Spannungsverhältnis zwischen nationalem und europäischem Recht.

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Kleine Insel, große Bedeutung

Besonders beliebt sind die Online-Glücksspiellizenzen des südeuropäischen Inselstaats Malta. Etwa 500 solcher Lizenzen wurden dort bereits vergeben, die meisten in allen Mitgliedstaaten. Österreichische User können auf das Angebot von mehr als 40 Online-Glücksspielplattformen zurückgreifen, mehr als die Hälfte davon ist auf Malta lizenziert. Schon aufgrund steuerlicher Vorteile haben viele Online-Glücksspieldienstleister ihren Unternehmenssitz auf Malta. Auch Ableger heimischer Unternehmen haben sich dort angesiedelt. Darunter beispielsweise die Greentube Ltd. und die BeetYa Online Ent. Ltd. der Novomatic-Gruppe. Kontrolliert werden sie von der Malta Gaming Authority (MGA), der zuständigen Behörde in Valletta.

Gegen diese machte die Nachrichtenagentur Reuters erst kürzlich schwere Vorwürfe publik. Der ehemalige MGA-Mitarbeiter Valery Atanasov gab an, dass die Aufsichtsbehörde ihre Aufgaben (zumindest) im Zeitraum von 2012 bis 2014 stark vernachlässigt habe. Eigentlich müssen Unternehmen vor der Lizenzierung ihre Hardware versiegeln und registrieren lassen. So sehen es die Regeln der MGA vor. In mehreren Fällen soll die Behörde aber – trotz Hinweisen der Unternehmen selbst – darauf verzichtet haben. Diese unzureichende Aufsicht würde laut Atanasov Bedingungen schaffen, die kriminelle Praktiken bis hin zu Geldwäsche ermöglichen. Der Leiter der Behörde, Joseph Cuschieri, bestritt gegenüber Reuters, dass es zwischen den Mängeln in der Hardware-Kontrolle und möglichen kriminellen Vorgängen einen Zusammenhang gibt. Die MGA würde auch andere Kontrollmechanismen, die auf diese Bereiche abzielten, anwenden. Da die maltesischen Lizenznehmer hauptsächlich im europäischen Ausland aktiv sind, handelt es sich hier nicht um ein Problem Maltas, sondern der gesamten Europäischen Union.

Gibraltar

Aber auch aus Gibraltar wird der österreichische Markt mit Sportwetten und Online-Games geflutet. Die Firma bwin.party services GmbH mit Sitz in Wien erwirtschaftete 2016 über die Gibraltar-Lizenz ihrer Muttergesellschaft 62 Millionen Euro Umsatz. Das österreichische Unternehmen wurde erst im vergangenen Jahr von der britischen 888 Holdings PLC um 1,5 Milliarden Euro erworben. Hannes Androsch hielt zu diesem Zeitpunkt vier Prozent der Firmenanteile.

Im Jahr 2011 lagen die europaweiten Einnahmen aus dem Online-Glücksspiel bei 9,3 Milliarden Euro. Bis 2015 stiegen sie auf 16,3 Milliarden Euro, was einem Wachstum von mehr als 70 Prozent innerhalb von vier Jahren entspricht. Europa ist damit für etwa die Hälfte des weltweiten Umsatzes im Online-Glücksspielsektor verantwortlich. Doch wie geht die Politik mit dieser wachsenden Herausforderung um? Die bisherigen Versuche der EU, sich dieses Themas anzunehmen, waren eher symbolisch. 2012 wurde von der Kommission ein Aktionsplan präsentiert, der unter anderem die Harmonisierung von einzelstaatlichen und EU-rechtlichen Vorschriften, verbesserten Konsumentenschutz und Betrugsbekämpfung zum Ziel hatte. Für 2013 wurden die ersten Initiativen angekündigt. Außer einem unverbindlichen „Cooperation Arrangement“ zwischen den Glücksspielbehörden der Mitgliedstaaten im Jahr 2015 und verschiedenen Empfehlungen folgte bisher jedoch wenig.

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Spielsucht 2.0

Schon im traditionellen Offline-Spiel waren pathologische Spieler eine besonders lukrative Einnahmequelle für Automaten- und Casinobetreiber. Doch auch die Online-Industrie erhält ihr Stück vom Kuchen. In Österreich haben laut einer Studie der Wiener Spielsuchthilfe im Jahr 2005 lediglich acht Prozent der behandelten Spielerinnen und Spieler angegeben, online zu spielen. 2016 waren es bereits 67 Prozent. Zum einen unterliegt natürlich auch diese Gruppe dem allgemeinen Trend hin zum Online-Spiel, zum anderen ist das Verbot des „kleinen Glücksspiels“ (Automatenspiels) in Wien mitverantwortlich. Da Spielautomaten die häufigste Wahl von Süchtigen sind, wechselten sie vermehrt auf neue Online-Angebote – von österreichischen und europäischen Anbietern. Mangels einer gesamteuropäischen Strategie gibt es also de facto kaum Spielerschutz im Online-Bereich.

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Niemand beißt die Hand, die einen füttert

Natürlich profitieren neben den Betreibern auch die Staaten von der neuen Entwicklung: Sie lukrieren Staaten aus der Vergabe von Online-Glücksspielkonzessionen Einnahmen. Der breiten Öffentlichkeit jedoch kaum bekannte Nutznießer sind die Betreiber von Informationsplattformen, wie das dänische Start-up Better Collective A/S (BC). Das Geschäftsmodell ist relativ einfach: BC bietet auf etwa 1.500 Websites gratis Informationen für Spieler an. Es werden dort beispielsweise Roulette-Strategien oder Infos zu Sportwetten präsentiert. Direkt auf diesen vermeintlich neutralen Portalen werden Links zu Glücksspielanbietern platziert. Natürlich werden Links nur gegen Bezahlung platziert. Zu den Kunden von BC zählen unter anderem die Wettanbieter William Hill, bet365 und bwin.

Und das Geschäftsmodell scheint zu funktionieren: Das 2004 als Hobby-Projekt gegründete Unternehmen beschäftigt mittlerweile mehr als 100 Angestellte und erhielt sechsmal in Folge den dänischen Unternehmenspreis „The Gazelle“ für starkes Umsatzwachstum. Ziel der Gründer ist es, das beste und größte soziale Netzwerk für Sportwetten-User zu etablieren. Derzeit nutzen etwa eine halbe Million Menschen ihre Angebote.

Vor kurzem haben die Dänen ihr Angebot im deutschsprachigen Raum erweitert. Sie kauften die Wiener Sportfreunde Informationsdienste GmbH, die mittlerweile auch unter „Better Collective GmbH“ firmiert. Diese hat sich seit 2008 darauf spezialisiert, Informationen zu Sportwetten aufzubereiten, und betreibt unter anderem die Seiten wettfreunde.net, sportwettentest.net und fussballportal.de.
Es gibt verschiedenste Anbieter solcher Plattformen, das Prinzip ist aber immer dasselbe. Durch die Weitergabe scheinbar unabhängiger Informationen wird das Vertrauen von Spielern gewonnen. Den Menschen wird suggeriert, dass sie nun über besonderes Wissen verfügten und sich so im Vorteil gegenüber den Buchmachern und anderen Anbietern wähnen dürften. Dass es sich dabei um ein bezahltes Marketinginstrument der Glücksspielindustrie handelt, ist wohl den wenigsten bewusst. 

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