Mit der Ibiza-Affäre und Heinz-Christian Straches Sager „Novomatic zahlt alle“ rückten die Verbindungen zwischen Glücksspiel und Politik nicht nur in den Fokus der öffentlichen Debatte, sondern auch in jenen der Justiz und der ermittelnden Behörden.
Doch nicht nur aktuelle Ermittlungen, die durch den ehemaligen Vizekanzler und dessen Aussage ausgelöst wurden, sind eine genauere Betrachtung wert. Ins Licht der Öffentlichkeit rückt damit auch erneut die von den Medien so titulierte „Glücksspielcausa“ aus den Jahren 2010 bis 2017.
Mit 11. April 2017 hatten der ehemalige Finanzminister Karl-Heinz Grasser, Novomatic-CEO Franz Wohlfahrt und der Lobbyist Walter Meischberger sowie dessen Strafverteidiger wohl eine große Sorge weniger. An diesem Tag stellte Österreichs Justiz nämlich genau dieses Ermittlungsverfahren ein. Seit 2010 waren die Ankläger der Staatsanwaltschaft Wien und der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) dem Verdacht nachgegangen, ob der damalige Finanzminister Karl-Heinz Grasser vom Glücksspielkonzern Novomatic 100.000 Euro als Gegenleistung für die Unterstützung einer – letztlich gescheiterten – Liberalisierung des Glücksspielmonopols 2006 bekommen haben könnte. Das Argument der WKStA lautet damals wie heute: Es konnte kein strafbares Verhalten nachgewiesen werden.
Eine konkrete Einstellungsbegründung aber blieben die WKStA und die Oberstaatsanwaltschaft Wien (OStA Wien) bis heute schuldig. Dabei gibt es wohl kaum einen Fall, der – nicht erst seit Heinz-Christian Straches Aussagen – von größerem öffentlichen Interesse sein könnte.
Straches mittlerweile allseits bekannten Aussagen auf Ibiza, die Mitte Mai 2019 via Süddeutsche und Spiegel öffentlich wurden, dürften jedenfalls bei der OStA Wien zu einem Meinungsumschwung geführt haben. Zur Publikation einer Einstellungsbegründung muss sie eine Weisung an die WKStA geben. Auf Addendum-Anfrage Anfang September heißt es nun: Die Einstellungsbegründung, also jenes Dokument, das die Entscheidung zur Einstellung und deren Gründe näher erläutert, werde nachgereicht, es habe sich einiges geändert. Und man arbeite an der Einstellungsbegründung im Fall Grasser. Ende September soll sie erscheinen.
Warum eine Veröffentlichung zunächst nicht erfolgte und jetzt nachgeholt wird, beantwortet Thomas Haslwanter, Sprecher der OStA Wien, mit dem nun vorliegenden besonderen öffentlichen Interesse:
Warum das öffentliche Interesse neu bewertet wurde, darauf geht die OStA Wien nicht näher ein. Damit bleibt auch die Frage unbeantwortet, ob die Nennung Beteiligter – etwa der Novomatic – im Ibiza-Video dazu geführt hätten, oder ob damit Hintergründe des derzeit seitens der WKStA laufenden Ermittlungsverfahren gemeint sein könnten.
Zur Erinnerung: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt seit Anfang August den Verdacht der Bestechung und Bestechlichkeit rund um die Bestellung des FPÖ-Bezirksrats Peter Sidlo zum Finanzvorstand der Casinos Austria AG als mögliche Gegenleistung für ein in Aussicht gestelltes Entgegenkommen bei etwaigen Gesetzesänderungen beim Kleinen Glücksspiel in Wien. Im Zuge dieser Ermittlungen gab es bisher Hausdurchsuchungen bei Novomatic-Chef und Casinos-Aufsichtsrat Harald Neumann, Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, Ex-FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus und bei Peter Sidlo– sowohl zu Hause als auch in seinem Vorstandsbüro. Zudem wurde eine freiwillige Einschau im Finanzministerium unternommen, wo sich die Korruptionsstaatsanwaltschaft vor allem für Unterlagen des früheren Staatssekretärs Hubert Fuchs interessierte, wie der Standard und APA berichteten. Unter den Beschuldigten findet sich auch Novomatic-Eigentümer Johann Graf. Auch Casinos-Aufsichtsratspräsident Walter Rothensteiner war dem Standard zufolge von den Hausdurchsuchungen betroffen. Novomatic-Sprecher Bernhard Krumpel nannte die Vorwürfe haltlos und sagte, das Unternehmen werde dennoch vollumfänglich kooperieren. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.
Welchen Einblick so eine Begründung liefern kann, sieht man etwa an der Einstellungsbegründung im Fall René Benko, in dem es um Zahlungen an die Gemeinde Lech geht. Gegen den Tiroler Immobilieninvestor wurde wegen des Verdachts ermittelt, er habe der Gemeinde für die zeitlich beschleunigte Abwicklung der Genehmigung für den Bau eines neuen Hotels in Oberlech 250.000 Euro in Aussicht gestellt. Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt. Die Einstellungsbegründung legt ausführlich dar, warum die weisende Instanz, in diesem Fall die OStA Wien, kein strafbares Verhalten sah. Sie erteilte die Weisung basierend auf einer umfassenden Stellungnahme samt Beweismittel, die der Beschuldigte nachträglich bei ihr einbrachte.
Zurück zur Glücksspielcausa. Die Behörden haben jahrelang Ermittlungsarbeit inklusive Befragung sämtlicher Spitzenpolitiker – von Michael Häupl bis Wolfgang Schüssel – geleistet. In der öffentlichen Wahrnehmung hat das bisher eine untergeordnete Rolle gespielt, was auch an der medialen Dominanz des BUWOG-Verfahrens gelegen haben könnte. Bis dato unbekannt war jedenfalls, dass es in diesem Verfahren bei Novomatic-Gründer Johann Graf zu einer Hausdurchsuchung samt Beschlagnahmung eines Computers in Gumpoldskirchen gekommen ist.
Bei einem berichtspflichtigen Verfahren mit überregionalem Bezug, wie die Glücksspielcausa eines war, fertigt die ermittelnde Staatsanwaltschaft, also die WKStA, am Ende ihrer Ermittlungen einen Vorhabensbericht samt Empfehlung zum weiteren Vorgehen (Anklage erheben, Einstellung, Klärung mittels Diversion) an. Dieser geht an die OStA Wien, die ihn wiederum an das Ministerium überstellt. Zusätzlich gibt es den Weisungsrat: Ein beratendes Organ, dessen Einrichtung 2015 unter dem damaligen Justizminister Wolfgang Brandstetter beschlossen wurde, und das 2016 seine Arbeit aufgenommen hat. Der Weisungsrat wird insbesondere in Fällen einer möglichen Befangenheit des Justizministers, oder bei außergewöhnlichem Interesse der Öffentlichkeit aktiv. Der Minister ist allerdings an die Empfehlungen des Weisungsrates nicht gebunden. Per Erlass entscheidet das Justizministerium in letzter Instanz, ob es der Empfehlung der OStA Wien zustimmt oder per Weisung ein anderes Vorgehen anordnet.
Auf Nachfrage teilt die Pressestelle des Justizministeriums mit, dass es in der Glücksspielcausa weder von der OStA Wien noch vom Weisungsrat – der in dieser Sache hinzugezogen wurde – eine Weisung gab. Die WKStA hat die Einstellung des Verfahrens in ihrem Vorhabensbericht empfohlen, die übergeordneten Instanzen, also die OStA Wien und das Justizministerium sowie der Weisungsrat, sind dieser Empfehlung per Erlass gefolgt.
Was bleibt, ist die Frage warum damals kein besonderes öffentliches Interesse an der Einstellungsbegründung dieses Verfahrens seitens der OStA Wien gesehen wurde. Denn auch bevor das Thema Glücksspiel vermehrt in der öffentlichen Debatte stand, stellt sich beim zu dieser Zeit amtierenden Justizminister Wolfgang Brandstetter die Frage, ob es einen Interessenkonflikt geben hätte können – und ob dieser offengelegt wurde. Vor seiner Berufung zum Minister im Jahr 2013 war Wolfgang Brandstetter als Strafverteidiger tätig. Neben Ex-Kanzler Werner Faymann und dem ehemaligen kasachischen Botschafter Rachat Alijew zählte auch Novomatic-CEO Franz Wohlfahrt zu seinen Klienten. Brandstetter vertrat Wohlfahrt also als Strafverteidiger genau in jener Glücksspielcausa, für deren Einstellung er, respektive der von ihm eingesetzte Weisungsrat später in letzter Instanz zuständig war.
Das Justizministerium lässt auf Anfrage wissen, dass Brandstetters Tätigkeit als Strafverteidiger bekannt war und dass der Weisungsrat geschaffen und mit der Glücksspielcausa betraut wurde, „um auch nur den Anschein einer Befangenheit zu vermeiden“. Zu den genauen internen Abläufen, so die Medienstelle des Justizministeriums weiter, könne man keine Angaben machen.
In einem Verfahren, dessen Öffentlichkeitswirksamkeit nicht abzustreiten ist, ließe sich wohl auch über die Definition des öffentlichen Interesses trefflich streiten. Die Berichtspflichtigkeit bedingte außerdem einen Instanzenweg bis zum Justizminister. Vielleicht wäre eine proaktive Veröffentlichung der Einstellungsbegründung zeitgleich mit der Verfahrenseinstellung doch im Sinne des öffentlichen Interesses gewesen.
Anfang 2017 ermittelten die Behörden gegen den ehemaligen Novomatic-CEO Franz Wohlfahrt und den ehemaligen BZÖ Chef Peter Westenthaler zu den Vorwürfen der Untreue, Vorteilsannahme bzw. Vorteilszuwendung und falscher Zeugenaussage. Im Mai 2019 wurde das Verfahren zur Gänze eingestellt.
2006 erstattete die niederösterreichische Landespolitikerin Christa Kranzl Strafanzeige – wegen Amtsmissbrauchs – gegen Beamte des Landes. 2.500 Automaten haben sie mittels eines einzigen Bescheids im Jahr 2005 zugelassen. Kranzl, damals Landesrätin, nahm die Zulassung zurück, der Verwaltungsgerichtshof folgte dann aber 2007 einem Einspruch der Novomatic, die Zulassung war demnach wieder aufrecht. Rund ein Jahr nach Anzeige wurde das Verfahren eingestellt.
Bei vielen Verfahren war die Auslegung des österreichischen Glücksspielgesetzes von zentraler Bedeutung. Ein im renommierten Manz-Verlag erschienener Gesetzeskommentar wurde dabei zur gern verwendeten Hilfestellung, auf die sich die Judikatur berief. Einer der Autoren ist Walter Schwartz, damals bereits über Jahre hinweg auch Anwalt der Novomatic. Der andere ist Franz Wohlfahrt, deren damaliger Geschäftsführer. Auf das juristische Standardwerk der beiden legte etwa die Staatsanwaltschaft St. Pölten wert, als sie 2012 ein Verfahren mit mehr als 300 Anzeigen gegen die Novomatic auf einen Schlag einstellte. Es ging, wie so oft, um den Vorwurf des verbotenen Glücksspiels, sowohl Behörden als auch ehemalige Spieler wollten die Novomatic klagen. Der Vorwurf, die Automaten würden höhere Einsätze als auch Gewinne ermöglichen, wurde zu diesem Zeitpunkt von der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen. Denn Glücksspielexperte Schwartz habe die Novomatic-Automaten als gesetzeskonform beurteilt. Seiner Expertise käme daher „erhebliche Bedeutung zu, zumal es sich bei diesem um einen Rechtsexperten des Glücksspielrechts in Österreich handelt”, hieß es in der Begründung. Explizit wurde auf Schwartz’ Mitherausgeberschaft des Standardwerks verwiesen. „Hinweise auf ein Gefälligkeitsgutachten“ hätte es hingegen keine gegeben. Der zutage tretende Interessenkonflikt sei zwar „ungewöhnlich“, aber „rechtlich nicht zu beanstanden“, meinte damals ein hoher Staatsanwalt gegenüber der Wiener Stadtzeitung Falter.
Lange stritten Spieler mit dem Glücksspielunternehmen darüber, ob Einsatz- und Gewinngrenzen von Automaten nun legal oder illegal waren, um Spielverluste zurückzubekommen. 2017 urteilte der Oberste Gerichtshof (OGH), dass die gesetzlich erlaubten Einsatz- und Gewinngrenzen umgangen wurden. Eine Firma des Novomatic-Konzerns in Wien habe über Jahre das Gesetz zum kleinen Automaten-Glücksspiel „umschifft“; zwei simple Tasten am Gerät haben gereicht, so der OGH, die Einsatz- und Gewinnmöglichkeit deutlich und im Ergebnis rechtswidrig zu erhöhen. Novomatic konterte mit einer für den neutralen Beobachter überraschend scharfen öffentlichen Reaktion: Die Geräte seien immer behördlich genehmigt gewesen. Novomatic könnte sich an der Stadt Wien schadlos halten. Mittlerweile aber ist diese als Nebenintervenient in einem Spielerprozess – aufseiten des Klägers – aufgetreten.
Der Artikel wurde am 25. September um 10:40 Uhr aktualisiert.