Die wichtigsten Erkenntnisse:
Anfang August 2017 machte der Oberste Gerichtshof (OGH) ein bemerkenswertes Urteil öffentlich: Eine Firma des Novomatic-Konzerns in Wien habe über Jahre das Gesetz zum kleinen Automaten-Glücksspiel „umschifft“; zwei simple Tasten am Gerät haben gereicht, so der OGH, die Einsatz- und Gewinnmöglichkeit deutlich und im Ergebnis rechtswidrig zu erhöhen, weshalb mehr als 100.000 Euro an Verlusten eines Spielers zurückgezahlt werden mussten. Waren die in der Unternehmensgruppe hergestellten Automaten über Jahre illegal?
Novomatic konterte mit einer für den neutralen Beobachter überraschend scharfen öffentlichen Reaktion: Die Geräte seien immer behördlich genehmigt gewesen. Novomatic könnte sich an der Stadt Wien schadlos halten.
Diese Aussage verwundert. Was hat die zuständige Magistratsabteilung 36 der Unternehmensgruppe getan? Oder: Was hat die MA 36 nicht getan?
Ein Rückblick in den Oktober 1999: Nach einer emotional geführten Diskussion in der Sitzung des Wiener Landtages wurde dem Magistrat ein sogenannter Spielapparatebeirat zur Seite gestellt. Dieses Gremium sollte fortan die Automatenspiele auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen, hatte es damit allerdings offensichtlich nicht sehr eilig. Der OGH notiert in seinem aktuellen Urteil dazu: „Der Spielapparatebeirat hat zwar bereits mit 23.2.2001 seine Geschäftsordnung beschlossen, er tagte aber nicht regelmäßig, weil kein Raum und auch keine sonstige Infrastruktur vorhanden waren. Erst am 1.1.2007 wurde die Geschäftsstelle des Beirats bei der MA 36 angesiedelt, sodass ab diesem Zeitpunkt eine Kanzleikraft die Büroangelegenheiten des Beirats erledigte. Die erste Sitzung, in der auch tatsächlich Spielapparate überprüft wurden, fand noch später, nämlich am 20.9.2007, also auch nach Erteilung von zwei der drei gegenständlichen Konzessionen statt.“ Das bedeutet: Hunderte Automaten für den Standort Prater, auf die sich die Höchstrichter im Urteil beziehen, waren zu diesem Zeitpunkt genehmigt, obwohl der Beirat noch gar nicht inhaltlich tätig geworden war.
Zur Verdeutlichung: Der Wiener Landtag schafft und bestellt einen Beirat zur Überprüfung der Einhaltung des Gesetzes bei Automaten für das kleine Glücks- bzw. Automatenspiel, und obwohl dieser von 2001 bis 2007 nicht inhaltlich tätig wird, vergibt die zuständige Magistratsabteilung 36 Konzessionen für hunderte Automaten an Novomatic bzw. ihre Töchter, im konkreten Fall an das Admiral-Casino im Wiener Prater.
Die Zivilrichterin des durch den OGH in letzter Instanz entschiedenen Prozesses hat die Automaten des Novomatic-Konzerns jedenfalls im Detail untersucht und für illegal befunden. Offensichtlich hat sich das Gericht mit den technischen Details der Spielgeräte intensiver befasst als die MA 36 und ihr Spielapparatebeirat. Vorsichtig ausgedrückt. Darauf deutet zumindest eine weitere Feststellung der Höchstrichter hin, die die operative Tätigkeit des Gremiums ab 2007 konkret beschreibt: „Ab dem Zeitpunkt, da Begutachtungen durchgeführt wurden, ging der Spielapparatebeirat grundsätzlich so vor, dass er sich von den Antragstellern Gutachten vorlegen ließ, in die jedes Mitglied des Beirats Einsicht nehmen konnte, falls es sich im Vorfeld informieren wollte. Die eingereichten Unterlagen waren immer sehr umfangreich (20–30 cm stark). Die Geschäftsstelle kopierte diese umfangreichen Unterlagen nicht für jedes Mitglied, sondern verständigte die Mitglieder, dass die Unterlagen in der Geschäftsstelle zur Einsichtnahme aufliegen. Im Zuge der Beiratssitzung, die etwa zwei Stunden dauerte, wurden die Automaten und die Spiele durch die Antragsteller vorgeführt und häufig von den Gutachtern, die die Gutachten erstellt hatten, erläutert.“ Der OGH erklärt dazu kurz, aber deutlich: „Der Spielapparatebeirat hat keine zusätzlichen Gutachten eingeholt.“
Das Bild des Feigenblatts für Politik und Verwaltung, als das der Beirat ganz offensichtlich diente, drängt sich beim Studium des OGH-Urteils geradezu auf.
Auffällig ist, dass im Wiener Spielapparatebeirat in seinen ersten Jahren der Untätigkeit auch ein damaliger Wiener Polizeigeneral namens Roland Horngacher saß, der wegen zu intensiver Nähe zum Glücksspiel Job und Beamtenstatus verlieren sollte. Horngacher waren von einem Geschäftspartner der Novomatic-Gruppe Autos zur Verfügung gestellt worden, die auf eine Gesellschaft zugelassen waren, die im Casino Admiral Prater den Gastrobereich führte. Erstaunlich ist, dass der Spielapparatebeirat auch nach seinem Tätigwerden im Herbst 2007 – höflich formuliert – eher nicht mit ausgewiesenen Automatenspielspezialisten besetzt war. Auch auf dieses Faktum sollten die Höchstrichter schließlich im Jahr 2017 verweisen: „Die Mitglieder des Spielapparatebeirats waren keine Spezialisten auf dem Gebiet der Glücksspielautomaten. Es gab lediglich ein fachkundiges Mitglied. Der Vorsitzende selbst hinterfragte die Darstellungen in den von den Antragstellern beigestellten Gutachten in keiner Weise und setzte sich mit den angebotenen Spielen auch nicht im Detail auseinander.“
Der Vorsitzende stand, wie der OGH festhält, darüber hinaus mit dem Novomatic-Konzern „auch insoweit in Geschäftsbeziehung, als er ihr über zwei seiner Firmen Flächen in Niederösterreich vermietete, auf denen auch Glücksspielautomaten betrieben wurden.“ In dem Addendum vorliegenden Protokoll der ersten Sitzung des Spielapparatebeirats (das Dokument in voller Länge) zeigt sich, wie mit kritischen Beiratsmitgliedern, die sich näher mit den „einzelnen vorhandenen Gutachten“ der Antragsteller beschäftigen und „noch Rechtsmeinungen Dritter“ einholen wollten, verfahren wurde: Sie wurden überstimmt. Der Vorsitzende, ebenjener Geschäftspartner des Novomatic-Konzerns, hielt fest, dass „keiner der Anwesenden“ letztlich „in der Lage“ sei, „die in Details gehenden Gutachten gerichtlich beeideter Sachverständiger zu entkräften oder auch nur glaubwürdig zu hinterfragen“. Auffällig bleibt jedenfalls die Besetzung: Es waren zwar laut OGH keine Spieleexperten im Beirat, dafür immer wieder Personen, die eine Nähe zum Novomatic-Konzern hatten, etwa der Geschäftsführer einer Tochterfirma, später dessen Tochter, die ebenfalls in der Geschäftsleitung einer konzernverbundenen Firma saß.
Hat die zuständige MA 36 selbst jemals geprüft, ob die Automaten dem damals geltenden Gesetz zum kleinen Glücksspiel – Höchsteinsatz 50 Cent, Höchstgewinn 20 Euro – entsprechen? Einmal, im August 2007, kurz vor der ersten tatsächlichen Sitzung des Spielapparatebeirats, wurde in einer Anzeige an die Staatsanwaltschaft Wien der Verdacht auf Übertretung der Gesetze geäußert. Doch nichts passierte. Die Stadt Wien vertraute weiter einem Beirat, dem „keine Spezialisten“ angehörten, der aber die Spiele auf eine Empfehlungsliste setzte, ohne „zusätzliche Gutachten“ einzuholen. Der Schlüsselsatz der Höchstrichter lautet: „Die MA 36 war weder in die Begutachtung noch in die Entscheidung noch in die Information darüber eingebunden.“
Was auch immer die Novomatic-Gruppe der MA 36 vorwirft – Tatsache ist, dass der Sprecher des Obersten Gerichtshofs auf Nachfrage erklärt: „Der Oberste Gerichtshof ist zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Geräte nicht entsprechend der Bewilligung und nicht entsprechend dem Gesetz betrieben wurden und daher rechtswidrig waren.“
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Folgt man den Darstellungen und Schlüssen der OGH-Richter, die sich mit den Automaten im Detail beschäftigten, hat der Novomatic-Konzern Automaten betrieben, mit denen sich die Einsatz- und Gewinngrenzen des kleinen Glücksspiels um ein Vielfaches verschieben ließen. „Umschiffen“ des Glücksspielgesetzes, so steht das im höchstgerichtlichen Urteil. Spieler konnten große Scheine in die Automaten schieben, verlockend schien die Aussicht auf den Gewinn mehrerer tausend Euro, wie der OGH vermerkt. Und die Stadt Wien, deren Politik stets auch von Personen mitbestimmt wurde, die dem Glücksspiel auffällig nahestanden, fiel durch oberflächliche Betrachtung auf. 2008 war es der MA 36 nicht einmal möglich, dem Kontrollamt „eine Gesamtaufstellung der konzessionierten Münzgewinnspielautomaten“ zu übermitteln. In der Stellungnahme der Magistratsabteilung hieß es: „Die Erfassungsarbeiten werden Ende 2009 abgeschlossen sein.“
Auffällig ist in dem Zusammenhang, dass der Magistrat offensichtlich auch Geräteanmeldungen nicht näher kontrollierte. Wie sonst wäre es zu erklären, dass Dutzende vorliegende Anmeldungen in Wien über Jahre mit ein und derselben Unterschrift gezeichnet sind, obwohl die Firmen offiziell gar nicht zusammenhängen dürften? Stand dieses Vorgehen im Einklang mit dem Wiener Veranstaltungsgesetz (siehe Faksimile)?
Addendum legte dem Magistrat Anmeldungen vor. Der Magistrat teilt dazu mit, dass die „Glücksspielapparate ordnungsgemäß gemeldet und die Steuer dafür entrichtet“ worden seien. „Eine genauere Überprüfung der Mitunternehmerverhältnisse (Lokalinhaber, Eigentümer und Aufsteller) war somit nicht erforderlich. Auf die zwischen den Mitunternehmern erfolgte interne Verrechnung der Erträge aus dem Betreiben von Glücksspielapparaten, die für die Steuerpflicht nicht von Relevanz ist, hat die Abgabenbehörde keinen Einfluss“, heißt es.
Der Novomatic-Sprecher hält dazu fest: „Wir haben die einschlägigen Gesetze stets beachtet und in Abstimmung mit den Behörden agiert.“ Einen möglichen Verstoß gegen das Wiener Veranstaltungsgesetz weise man entschieden zurück: „Sämtliche Geschäfts- und Abrechnungsmodalitäten wurden freilich von Behörden und Wirtschaftsprüfern geprüft.“
Zum OGH-Urteil erklärt der Pressesprecher: Man werde „in anhängigen Verfahren neues Vorbringen erstatten“ und damit „unseren Rechtsstandpunkt untermauern“.
Der Rechtsanwalt Peter Ozlberger, der das OGH-Urteil für einen Spieler erstritten hat, sagt: „Für mich ist eigentlich Folgendes das Erstaunlichste: Wie kann es passieren, dass ein großes Unternehmen zum Schaden vieler Personen die Gesetze verletzen kann, ohne dass die Staatsanwaltschaft oder andere Behörden dies verhindern?“
Novomatic-Anwalt Peter Zöchbauer nennt dieses Statement „pauschal und untergriffig“. Die jeweiligen Angebote „stehen allesamt im Einklang mit den jeweiligen gesetzlichen Vorgaben.“ In Bezug auf das nach der alten Rechtslage in einigen Bundesländern angebotene „kleine Glücksspiel“ gelte nichts anderes. Das sei für die Steiermark und Niederösterreich höchstgerichtlich geklärt. Für Wien gelte nichts anderes: „Der zuständige Magistrat […] war in Kenntnis der Abläufe der Ausspielungen, hat diese – auch unter Inanspruchnahme des landesgesetzlich vorgesehenen Wiener Spielapparatebeirats – behördlich geprüft und sodann freigegeben.“