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Spielsucht (Bild: Philipp Horak)
Spielsucht macht nicht nur Gambler zu Verlierern
10. Oktober 2017 Glücksspiel Lesezeit 5 min
Dieser Artikel gehört zum Projekt Glücksspiel und ist Teil 5 einer 23-teiligen Recherche.
Bild: Philipp Horak | Addendum

Er spiele, mit einigen Unterbrechungen, seit etwa sechs Jahren. Anfangs habe er 20, 30 Euro verloren, mittlerweile seien es 500 bis 3.000 Euro pro Nacht. Zuletzt habe er binnen drei Monaten 40.000 Euro Schulden angehäuft. „Es tut mir einfach weh. Jeden Tag, wenn ich aufstehe und zu Bett gehe, frage ich mich, warum ich das getan habe.“

Mit dieser Schilderung wandte sich ein 24-jähriger Mann an die Wiener Spielsuchthilfe, die größte ambulante Behandlungseinrichtung für Spielsüchtige in Ostösterreich. Der junge Arbeiter ist ein Prototyp. Verschuldet zu sein, ist die häufigste Folge von krankhaftem Spielverhalten. Zwischen 80 und 90 Prozent der Klienten, die die Wiener Spielsuchthilfe betreut, sind verschuldet (2016: 84 Prozent). An zweiter Stelle stehen Beziehungsprobleme bzw. Trennungen (58 Prozent). 27 Prozent der Personen, die sich im Vorjahr an die Spielsuchthilfe gewandt haben, sind straffällig geworden, jeder Vierte hat seinen Job verloren.

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Eine vergleichbare österreichweite Studie über die sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen der Spielsucht gebe es nicht, sagt Izabela Horodecki, die Leiterin der Wiener Spielsuchthilfe. „Wer ist an Untersuchungen über die Folgen der Spielsucht für die Betroffenen interessiert?“, fragt die Klinische Psychologin und Psychotherapeutin – und meint damit, dass die Politik ja nichts unternehmen müsse, wenn ein Problem nicht er- bzw. bekannt sei. „Wenn ich es nicht erfahre, muss ich nichts entscheiden.“

Zumindest über die Zahl der Spielsüchtigen und ihre bevorzugten Spiele gab es 2011 erstmals eine Status-quo-Erhebung. Die „Österreichische Studie zur Prävention der Glücksspielsucht“ wurde vom Hamburger Zentrum für interdisziplinäre Suchtforschung im Auftrag der ARGE Suchtvorbeugung (finanziert durch die Österreichischen Lotterien) erarbeitet.

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2015 wurde die Studie wiederholt – und kam in beiden Fällen zu dem Schluss, dass in Österreich rund 1,1 Prozent der Bevölkerung (64.000 Personen) glücksspielsüchtig sind. Andere Experten, wie der Suchtforscher Reinhard Haller , gehen davon aus, dass die Zahl wesentlich größer ist und der Anteil der Spielsüchtigen an der Gesamtbevölkerung bei etwa drei Prozent liegt.

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Wie viel die Spielsüchtigen beitragen

Des einen Leid, des anderen Freud – die Glücksspielkonzerne profitieren naturgemäß von den Verlusten der Spieler, vor allem der Spielsüchtigen. „Aus Studien geht hervor, dass der Umsatzanteil durch Spielsüchtige über alle Spielformen gerechnet (Lotto, Wetten, Poker, Automaten etc.) 30 bis 40 Prozent beträgt. Bei einzelnen Spielformen, wie etwa dem Automatenspiel, ist der Anteil aber noch wesentlich höher. Da beträgt er im Schnitt 60 bis 80 Prozent“, erklärt der deutsche Glücksspielforscher.

Sind diese Zahlen auch auf Österreich übertragbar? Fiedler: „Ich gehe ganz stark davon aus, bislang fehlen mir aber die Daten, um das nachzuweisen.“

Wie hoch der Umsatz-Anteil genau sei, den Spielsüchtige den Glücksspielunternehmen bringen, hängt im Wesentlichen von den gesetzlichen Vorgaben für das Automatenglücksspiel ab. In Frankreich sei etwa das Automatenspiel nur in Casinos erlaubt. Dort habe eine Studie (aus dem Jahr 2015) gezeigt, dass krankhafte Spieler 41 Prozent des Umsatzes beisteuern. In der kanadischen Provinz Québec (Studie aus dem Jahr 2011), wo auch außerhalb von Casinos an Automaten gezockt werden darf, würden Spielsüchtige 76,3 Prozent des Umsatzes liefern.

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Fakten

Die Spiel- und Wettumsätze wuchsen 2016 im Vergleich zum Vorjahr um knapp zehn Prozent.

Weitere Fakten zum Glücksspielmarkt 

„Verfügbarkeit einschränken“

Die Schlussfolgerung des deutschen Wissenschaftlers: „Glücksspielautomaten wurden über Jahrzehnte entwickelt, um das Ertragspotenzial und damit auch das Suchtpotenzial zu maximieren. Außerhalb von Casinos, etwa in Spielhallen oder Gaststätten, haben diese Maschinen daher nichts verloren. Die Verfügbarkeit der Automaten sollte stark eingeschränkt werden.“ Als Vorbildländer nennt er die Schweiz und Norwegen.

Das Automatenglücksspiel komplett zu verbieten, hält Fiedler nicht für sinnvoll, weil das zu mehr illegalen Spiellokalen führen würde, und die Leute auch vermehrt online spielen würden. „Alle würden aber nicht abwandern, und es kämen auch weniger neue Spieler nach, wenn das Automatenglücksspiel nicht überall verfügbar ist. Man erzielt also mit einer strikten Beschränkung der Automaten auf wenige Standorte nicht sofort einen großartigen Effekt, aber auf Dauer würde sich die Situation deutlich bessern.“

In Österreich gibt es laut Finanzministerium derzeit 6.998 legale Spielautomaten – 4.262 davon werden aufgrund einer Landeslizenz („kleines Glücksspiel“) betrieben, der Rest ist aufgrund einer Bundeslizenz aufgestellt und steht in Spielbanken (Casinos: 2.062) bzw. in sogenannten WINWIN-Hallen (674). Einzelaufstellungen (bis zu drei Geräte in Lokalen) gibt es noch in drei Bundesländern (Kärnten, Burgenland, Oberösterreich). In vier Bundesländern ist das „kleine Glücksspiel“ verboten (Wien, Salzburg, Tirol, Vorarlberg). In Niederösterreich und der Steiermark gibt es sogenannte Automatensalons (10 bis 50 Geräte).

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Was Österreich verdient und verliert

Bund und Länder profitieren naturgemäß von den Steuern, die die Glücksspielbetreiber dem Fiskus zukommen lassen müssen. Laut Statistik Austria konnte der Staat 2016 beispielsweise rund 253 Millionen Euro an Konzessionsabgabe und 68 Millionen Euro an Spielbankenabgabe lukrieren. Dazu addiert werden müssen auch etwa noch Erträge aus dem Glücksspielmonopol (248 Millionen Euro), Abgaben aus Landeskonzessionen oder Ertragssteuern von Konzernen. Das größte heimische Glücksspiel-Unternehmen, die Novomatic AG, zahlte unter diesem Titel im Vorjahr 75 Millionen Euro.

Demgegenüber haben die Österreicher 2016 laut Branchenradar (Kreutzer, Fischer & Partner) 1,6 Milliarden Euro verspielt. Ein Großteil davon dürfte – wie geschildert – von Spielsüchtigen stammen, die in der Folge meist Schulden nicht tilgen bzw. Kredite nicht bedienen können, weniger Leistung am Arbeitsplatz erbringen, ihre Jobs verlieren, teils kriminell werden, ärztlich behandelt werden müssen etc. Alles in allem betrachtet, macht Glücksspiel und im Speziellen das Automatenspiel damit nicht nur krankhafte Gambler, sondern auch das Umfeld und die gesamte Gesellschaft zu Verlierern – und nur wenige zu Gewinnern. 

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Wie weit reicht der Arm des Glücksspiels? 

Die wichtigsten Erkenntnisse: 

  • In Wien standen laut OGH hunderte Automaten, die nicht dem Gesetz entsprachen
  • In Niederösterreich wurden auf einen Schlag 2.500 Automaten genehmigt
  • Bei der Kontrolle des Glücksspiels gibt es bis heute Ungereimtheiten
  • Die illegale Glücksspiel-Branche setzt auf Reizgas und Firmen im Ausland
  • Das legale Glücksspiel kommt nicht ohne Politik aus
  • Das Firmengeflecht des Novomatic-Konzerns spannt sich um die halbe Welt
  • Werden die Casinos in der nächsten Regierung entstaatlicht?
  • Im Zukunftssektor „Online-Gaming“ greifen staatliche Regeln zu kurz
  • Mehrere hunderttausend Österreicher sind direkt oder indirekt von Spielsucht betroffen

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