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Flüchtlingspoker mit Ägypten: Gefährliches Spiel mit einem Diktator?
Was ist das für ein Partner, den sich die Europäische Union da anlacht? Ist es angemessen, aus eigenem Nutzen in der Flüchtlingsfrage über die massiven Menschenrechtsverletzungen hinwegzusehen, die von internationalen Organisationen gut belegt sind?
Das Projekt Grenzschutz ist eine 4-teilige Recherche.

Die Zyniker unter den Beobachtern der geopolitischen Entwicklung merken gelegentlich an, dass der größte Mangel, den es derzeit zu beklagen gebe, derjenige an zuverlässigen Diktatoren sei. Es ist ein Zynismus, der in erster Linie mit den Folgen des Arabischen Frühling zu tun hatte: Was 2011 als große Hoffnung auf demokratische Entwicklungen in Nordafrika begann, endete im Chaos, vor allem in Libyen, wo nach dem Tod des Revolutionsführers Muammar al-Gaddafi die Clans und Warlords das Kommando übernahmen und aus dem Land einen failed state machten.

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Gewiss, der bizarre Revolutionsführer war ein Despot gewesen, aber verglichen mit der heutigen Lage hatten es die Libyer zu seiner Zeit ganz gut getroffen gehabt. Und auch die Europäer, die oft genug unter der Sprunghaftigkeit und den Eskapaden des Wüstensohnes gelitten hatten, wussten, woran sie waren. Gaddafi erpresste sie regelmäßig mit der Drohung, die Flüchtlingsschleusen zu öffnen, aber er tat es nie. Nach seinem Sturz wurde Libyen zum Ausgangspunkt der tausenden Versuche von zu vielen Menschen, auf zu kleinen Booten das Mittelmeer zu überqueren. Der Menschenhandel und das Schleppertum lösten den im Zuge des Bürgerkriegs und durch die Sanktionen zum Erliegen gekommenen Ölhandel ab, erst nach und nach gelang es vor allem dem italienischen Innenministerium, auch mit den einzelnen Warlords ähnliche Vereinbarungen zu treffen wie seinerzeit mit Gaddafis Zentralregierung.

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Ägypten hat, zynisch formuliert, die Rückkehr zur stabilen Diktatur geschafft. Nach dem Sturz des langjährigen Diktators Hosni Mubarak hatten die Muslimbrüder die Macht und Mohammed Mursi das Präsidentenamt übernommen. Das Militär putschte, und sein Chef Abdel Fatah El-Sisi übernahm das Präsidentenamt. Sisi ist sehr daran interessiert, mit den Europäern in der Flüchtlingsfrage einen ähnlichen Deal einzugehen wie ihn ein anderer der – noch? – verlässlichen Diktatoren abgeschlossen hat, nämlich sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdoğan, der sich in einem Agreement mit den Europäern bereit erklärte, die Grenzen Richtung Griechenland dichtzumachen und illegale Migranten zurückzunehmen, um im Gegenzug syrische Kriegsflüchtlinge direkt nach Europa weiterschicken zu können.

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Einen ähnlichen Deal stellt sich nun auch der ägyptische Machthaber vor. Die österreichische Regierung unter Sebastian Kurz, der mit Sisi bereits viermal zusammengetroffen ist, gehört innerhalb Europas zu den großen Unterstützern dieses Plans. Auch die Größenordnung des Türkei-Deals dürfte den Ägyptern vor Augen schweben: sechs Milliarden Euro. Dass sie dazu in der Lage wären, ihren Teil der Verpflichtung einzuhalten, nämlich das Verhindern illegaler Migration über das Mittelmeer in Richtung Europa zu verhindern, haben die Ägypter schon 2018 gezeigt: Die Zahl der Abfahrten von den ägyptischen Küsten betrug null.

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Unsere Kollegin Simone Egarter, die infolge eines früheren Aufenthalts in Kairo fließend Arabisch spricht und das Land kennt, hat sich auf ihrer Recherchereise vor allem einer Frage angenommen: Was ist das für ein Partner, den sich die Europäische Union da anlacht? Ist es angemessen, aus eigenem Nutzen in der Flüchtlingsfrage über die massiven Menschenrechtsverletzungen hinwegzusehen, die von internationalen Organisationen gut belegt sind? Diese Abwägung kann der Politik niemand abnehmen, und es war naturgemäß nicht Teil der Recherchen, sich unsererseits auf eine letztlich moralische Position zu stellen. Die Gespräche, die unsere Kollegin geführt hat, und die Informationen, die sie vor Ort gesammelt hat, sollen helfen, sich ein Bild von den Chancen und Risiken zu machen, die eine engere Kooperation mit dem Partner Ägypten in der Flüchtlingsfrage beinhaltet. 

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