Der hüfthohe Nirosta-Tisch ist einige Meter lang. Sorgfältig breiten mein Kameramann und ich darauf unser Equipment aus. Drei ägyptische Zollbeamte beugen sich über die Geräte und begutachten sie kritisch. Der Raum ist mit Metalldetektoren von den Gepäckbändern getrennt. Milchige Gläser versperren mir die Sicht auf die Ankunftshalle des Kairoer Flughafens. Wir warten auf eine Dame des ägyptischen Pressebüros. „Wenn sie nicht bald kommt, konfiszieren wir die Kameras, bis Sie wieder ausreisen“, droht mir ein Beamter. Endet meine Reise schon kurz nach der Landung?
Nach einer weiteren halben Stunde betritt eine Frau mit Kopftuch den Raum. „Wo ist die Drehgenehmigung?“, fragt sie bestimmt. Eine schriftliche Erlaubnis habe ich jedoch nicht. Über einen Kurznachrichtendienst war ich zuvor mit Madame Azza vom Pressebüro in Kairo in Kontakt. Ihren Nachnamen hat sie mir nie verraten. In einem Telefonat, das wenige Tage vor meiner Reise stattfand, hat sie mir mündlich zugesagt, dass wir in Ägypten drehen dürften.
Also rufe ich Madame Azza wieder an und lasse sie mit der Frau mit dem Kopftuch sprechen. Die Stimmung ist frostig. Nach dem Zoll prüft auch sie unser Equipment. Ich versuche mit ihr zu sprechen, aber mit einer forschen Geste wimmelt sie mich ab und gibt mir zu verstehen, dass ich mich wieder setzen solle. Über drei Stunden und angestrengte Diskussionen später dürfen wir endlich mit unseren Kameras einreisen. Dies war nicht die erste Hürde, die wir für die Entstehung unseres Films über Ägypten als neuen Migrationspartner Europas nehmen mussten.
Es ist Mitte November 2018, als ich für Addendum die ägyptische Botschaft in Wien kontaktiere. Staatspräsident Abdel Fatah El-Sisi soll zum EU-Afrika-Forum kurz vor Weihnachten nach Österreich kommen. Ich möchte ein Interview mit ihm zum Thema Migration führen. Einige Tage vor dem Gipfel bekomme ich eine Absage. Fast zeitgleich wird ein Staatsempfang für El-Sisi mit Bundespräsident Alexander van der Bellen und Bundeskanzler Sebastian Kurz angekündigt. Ein Mitarbeiter des Kanzleramts verrät mir später, dass der Empfang am Roten Teppich sehr kurzfristig anberaumt wurde. Etwas unüblich. In der gemeinsamen Pressekonferenz von Kurz und Sisi lobt man sich dann gegenseitig. Einleitend sprechen beide von der überaus guten Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der illegalen Migration.
Am Rande des Treffens habe ich Gelegenheit, mit einigen Mitgliedern der ägyptischen Delegation über unser Vorhaben zu reden, nach Ägypten zu reisen, um dort Aufnahmen für einen Film zu machen. Das sei alles „kein Problem“, heißt es, wir sollen uns an das ägyptische Pressebüro in Berlin wenden. Man werde alles tun, um mich bei meinem Drehvorhaben zu unterstützen, zeigen sich die Ägypter hilfsbereit.
Ich frage nun also auch offiziell um eine Drehgenehmigung an und ersuche um Interviews mit dem Präsidenten, dem Außenminister und der nationalen Behörde zur Bekämpfung von illegaler Migration (NCCPIM). Außerdem, so gebe ich bekannt, würde ich gerne mit der Küstenwache drehen, die Schlepperboote am Ablegen nach Europa hindert. Vier Wochen soll es laut Vorab-Information dauern, bis wir die Genehmigung bekommen. Zusätzlich schicke dem Pressebüro eine Beschreibung unseres Projekts.
Das ägyptische Pressebüro in Berlin kümmert sich um die Anfragen aus dem deutschsprachigen Raum.
Anfang Jänner – unsere Anfrage läuft bereits – zeigt der US-Fernsehsender CBS ein Interview mit El-Sisi. Der „60 Minutes“-Beitrag sorgt für Aufregung. Denn die ägyptische Regierung versucht die Ausstrahlung des aufgezeichneten Gesprächs zu verhindern. Grund dafür könnte eine Frage nach den geschätzten 60.000 politischen Gefangenen in Ägypten gewesen sein. Der ägyptische Präsident scheint vor der Kamera von dieser Frage überrascht und transpiriert unvorteilhaft. El-Sisi will von keinem einzigen politischen Häftling im Land wissen. Der Auftritt von El-Sisi und die Intervention der Ägypter wird zu einem Image-Desaster. Ich gebe daher die Hoffnung auf, vor Ort ein Interview mit dem Präsidenten zu bekommen.
Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) vermittelt mir in der Zwischenzeit Interviews mit Geflüchteten in Kairo. Es sind Muster-Beispiele für Integration, die alle vom UNHCR unterstützt werden. Ich bin mir bewusst, dass es auch ganz andere Geschichten gibt, höre von Flüchtlingen, die ihre Organe verkaufen, um Schlepper zu bezahlen, oder Opfer von kriminellen Organhändlern werden. Also suche ich Kontakt zu einer Organisation, die sich um diese Menschen kümmert.
Flüchtlinge in Ägypten seien besonders gefährdet, sagt mir dort eine Frau, die aus den USA stammt. Ob ich mit Opfern sprechen könne? Ja, aber sie müssten alle anonym bleiben, auch die Organisation und ihre Mitarbeiter, denn man habe große Angst vor dem Regime. Später reagiert man nicht mehr auf meine Anrufe und E-Mails. Ich versuche es bei einer weiteren Hilfsorganisation. Es bleibt bei einem kurzen Telefonat. Um die Mitarbeiter vor Ort zu schützen, könne man kein Hintergrundgespräch führen – auch nicht off the record. Die Angst der Helfer begründet sich vermutlich in einem Gesetz der ägyptischen Administration. Besonders ausländische Organisationen stehen unter ständiger Beobachtung durch den Staat.
Inzwischen werde ich unruhig. Es ist schon Ende Jänner, und wir warten noch immer auf die Drehgenehmigung. Unsere Reise ist eigentlich für das zweite Februarwochenende geplant. Täglich rufe ich nun das Pressebüro der Ägypter in Berlin an und frage nach. Eine Woche vor dem geplanten Abflug telefoniere ich schließlich das erste Mal mit Madame Azza. „Es fehlen nur noch ein paar Zustimmungen“, sagt sie mir, und ich solle doch in einigen Tagen wieder anrufen. Drei Tage vor unserem Flug meint sie entspannt, wir sollen unsere Reise lieber verschieben.
Eine Woche später. Madame Azza hat eine Drehgenehmigung für uns. Doch unsere Interviewanfragen wurden allesamt abgelehnt. Auch die Küstenwache können wir nicht bei ihrer Arbeit filmen. „Es ist verboten“, heißt es. Verboten sei es auch, auf eigene Faust ein Boot zu mieten und die Küstenregion vom Wasser aus zu filmen. Im Gespräch mit der ägyptischen Delegation („Alles kein Problem“) im Dezember klang das noch ganz anders.
Das ägyptische Pressebüro in Berlin kümmert sich gleichzeitig um die Journalistenvisa von meinem Kameramann und mir. Am Freitag, einen Tag vor Abreise, sollen wir diese an der ägyptischen Botschaft in Wien bekommen. Die Kollegen dort wüssten Bescheid, heißt es.
Um kurz nach neun Uhr am Morgen stehen wir schließlich in Wien-Döbling vor der weißen Botschaftsvilla. Im Vorgarten stehen imposante Obelisken. Das Personal gibt uns Antragsformulare, die wir ausfüllen. Ein älterer Mann mit Gebetsfleck auf der Stirn nimmt unsere Formulare entgegen. Was dann passiert, halte ich in einem Video fest:
Man werde uns also „begleiten“. Klingt nach Überwachung. Aber es kommt anders. In Ägypten erscheint keine „Begleitung“, trotzdem werde ich während des gesamten Verlaufs den Eindruck nicht los, dass die ägyptischen Behörden unser Drehvorhaben behindern. Denn: Kurzfristig sagt mir auch noch die nationale Migrationsbehörde (NCCPIM) ein bereits vereinbartes Interview ab. Die Botschafterin der Behörde müsse überraschend verreisen, ins Ausland, für einen Monat. Vertreten könne sie niemand, und damit bekommen wir letztlich kein einziges offizielles Statement der ägyptischen Administration.
Das „Vorzeigeland im Kampf gegen illegale Migration“, wie Bundeskanzler Sebastian Kurz Ägypten nennt, hat offenbar wenig Interesse an Transparenz. Unsere Dreharbeiten gestalteten sich aber nicht nur wegen der ägyptischen Behörden schwierig. Vor Ort herrscht ein Klima der Angst, ausländischen Journalisten wie mir begegnen die Ägypter mit viel Skepsis und Misstrauen. Rückblickend betrachtet hätte alles auch ganz anders ausgehen können, denn einen Tag vor meiner Abreise wird dem New York Times-Korrespondenten David D. Kirkpatrick die Einreise nach Kairo untersagt und er postwendend mit dem nächsten Flieger nach London zurückgeschickt.