Update 11. Mai 2020
Die Machbarkeitsstudie, die dem Innenministerium seit Dezember 2018 vorliegt und von Addendum am 4. Mai veröffentlicht wurde, löste bei den Betroffenen große Aufregung aus. Weder dem Bürgermeister von Langenstein noch den aktuellen Eigentümern der Gründe, die die Republik erwerben will, war die die Studie bis dahin zugänglich gemacht worden.
Nach der Veröffentlichung der Studie ging dann alles sehr schnell: Wenige Tage später, am 8. Mai, verkündete Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP): „Der Ankauf der noch vorhandenen Teile des Außenlagers Gusen ist gerade heuer, 75 Jahre nach der Befreiung, ein wichtiger Schritt, um unserer historischen Verantwortung auch konkrete Taten folgen zu lassen.“
Man wolle mit dem Schritt ein würdiges Gedenken an die Opfer sicherstellen, hieß es seitens der Bundesregierung. Bei der Realisierung des Projekts sei „auf ortsübliche, angemessene Liegenschaftspreise zu achten“, betonte das Innenministerium. Wann mit einem Abschluss zu rechnen sei, hänge vom Fortschritt der Verhandlungen ab und könne daher noch nicht abgeschätzt werden.
Bitte keine anonyme, von oben verordnete Gedenkstätte.“ Das ist der Wunsch des lokalen Bürgermeisters Christian Aufreiter (SPÖ), der in der zurückgehaltenen Machbarkeitsstudie gleich zu Beginn zu finden ist. Es ist ein Satz mit Symbolwirkung. Denn das Verhältnis dieses Ortes zu seiner Vergangenheit ist noch immer ein schwieriges. Dass diese lange kaum aufgearbeitet wurde, holt den Ort und seine Einwohner heute wieder ein .
In Gusen soll ein neuer Gedenkort entstehen – als Erinnerung an das ehemalige Lager, von dem heute kaum noch etwas übrig ist. Die Studie, die das Innenministerium nicht veröffentlichen wollte, soll eine Entscheidungsgrundlage dafür liefern. Darin werden konkrete Grundstücke genannt, die von der Republik „für die geplante Nutzung einer Gedenkstätte sinnvollerweise angekauft werden sollen”. Diese Liegenschaften werden heute als Wohn- und Firmenfläche genutzt.
In der Studie werden vier – vage gehaltene – Szenarien skizziert: „Archäologiepark“, „Erinnerungspark“, „Begegnungspark“ und „Fünf Orte der Erinnerung“. Sie alle umfassen das gleiche Areal von knapp 60.000 Quadratmetern. Das dafür vorgesehene Gebiet liegt direkt zwischen lokaler Wohnsiedlung und angrenzendem Industriegebiet. Für die Realisierung der Gedenkstätte wird der Ankauf der folgenden Gebäude vorgeschlagen: Jourhaus, Häftlingsblocks, Steinbrecher, SS-Baracken, Appellplatz.
Das sogenannte Jourhaus, das ehemalige Lager-Eingangsgebäude, wird heute privat bewohnt. 2016 wurde es unter Denkmalschutz gestellt. Im Keller befand sich noch 1945 das Lagergefängnis, der sogenannte Bunker. Häftlinge wurden dort misshandelt und getötet.
In den früheren Häftlingsblocks 6 und 7 waren jene Facharbeiter untergebracht, die für die Rüstungsbetriebe Messerschmitt und Steyr-Daimler-Puch arbeiten mussten. In diesen Gebäuden befinden heute sich Firmenräumlichkeiten und Wohneinheiten.
Der Steinbrecher war ein zentraler Ort des Terrors. Unzählige KZ-Häftlinge wurden hier ermordet. Zur Zeit des Nationalsozialismus war er der größte seinesgleichen im gesamten Großdeutschen Reich. Große Mengen an Steinen wurden hier zerkleinert, verarbeitet und abtransportiert.
Die Baracken dienten der Verwaltung und Versorgung der SS-Mannschaften. Die Gebäude waren bis Anfang der 2000er Jahre bewohnt. Der Machbarkeitsstudie zufolge gab es hier immer wieder neo-nationalsozialistische Tätigkeiten direkt vor den Baracken.
Der Appellplatz war ein zentraler Sammelpunkt für die KZ-Häftlinge. Nach dem Krieg wurde er verschüttet. 2016 wird er auf private Initiative teilweise wieder ausgegraben und steht seither unter Denkmalschutz.
Diese Liegenschaften sind für alle vier Szenarien einer neuen Gedenkstätte vorgesehen.
Unter dem Motto „Abgraben, Untersuchen, Sichtbarmachen und Konservieren“ wäre im „Archäologiepark“ ein zeitgeschichtlicher Park angedacht, mit dem Jourhaus als fixem Ein- und Ausgang. Die noch bestehenden KZ-Gebäude am ausgewählten Areal sollen in den Zustand von 1945 rückgebaut werden. Die Suche nach Überresten soll archäologisch/historisch begleitet werden. Auch die lokale Bevölkerung wäre laut Studie ein wichtiger Teil des Parks.
Der „Erinnerungspark” verfolgt die Idee, das ausgewählte Areal des ehemaligen Lagers aufzukaufen und letztendlich verwildern zu lassen. Die Überreste sollen gesichert und dann dem „natürlichen Erosionsprozess übergeben“ werden. Die Natur soll sich hier entfalten können. Programmatische Bespielung gäbe es keine. Der Naturraum soll gleichzeitig offen sein für alle – also etwa Nachbarn und Besucher.
Im „Begegnungspark” soll der dunklen Vergangenheit des Ortes „ein optimistischer Ausblick in die Zukunft entgegengestellt“ werden. Das „Friedliche, Tolerante und Gemeinsame“ soll zum Vorschein kommen. Wesentliche Gebäude aus der NS-Zeit würden saniert und „funktionstüchtig instand gesetzt“ werden.
„Fünf Orte der Erinnerung” – Begegnen, Erforschen, Erinnern, Begreifen und Gedenken – entstehen am ehemaligen Areal des Lagers. Die Ideen der Szenarien 1 bis 3 sollen in einem Gesamtkonzept vereint werden. Dabei soll auch die bereits bestehende Gedenkstätte in der Wohnsiedlung einbezogen werden. Die fünf Orte sollen sich am Narrativ „Täter-Opfer-Umfeld“ des ehemaligen KZ orientieren. Das Jourhaus würde in diesem Szenario wieder in den Originalzustand von 1945 rückgebaut werden.
Zusätzlich werden auch die Möglichkeiten der Mobilität vor Ort aufgegriffen. Neben der Errichtung eines 2.000 Quadratmeter großen Parkplatzes und einer Haltestelle für Shuttledienste wird vor allem auf den befahrenen Donauradweg Passau – Wien hingewiesen. Fahrradtouristen könnten „eine Zielgruppe für den Besuch der Gedenkstätte darstellen“.
Da es in Gusen für Mehrtagesaufenthalte aktuell keine Beherbergungsmöglichkeit für größere Gruppen gibt, werden auch neue Unterkünfte angedacht. Dabei soll entweder eine Unterkunft für 80 Personen am Areal der ehemaligen SS-Baracken errichtet werden oder bestehende, leerstehende Siedlungshäuser für die Unterbringung von Besuchern genutzt werden.
Wesentlich für die mögliche neue Gedenkstätte sind freilich jene Häuser, die vom ehemaligen Lager heute noch übrig sind. Aber wollen die aktuellen Eigentümer überhaupt verkaufen? Immerhin wird hier gewohnt, gearbeitet, gelebt. Auf Nachfrage erzählt uns der aktuelle Besitzer von Appellplatz, SS-Baracken und Steinbrecher: „Wir werden uns einigen, davon bin ich fest überzeugt. Wenn ein wirkliches Interesse da ist, werden wir uns einigen.“ Anton Helbich-Poschacher, Geschäftsführer der lokalen Natursteinwerke, hat bereits seine Verkaufsbereitschaft gegenüber der Republik signalisiert.
Skeptischer sind da die Besitzer des Jourhauses und der Häftlingsblöcke. Sie fordern ein rasches Handeln vonseiten der Regierung. Grundsätzlich wären aber auch sie bereit, die Gründe zu verkaufen. Nachsatz: wenn der Preis passt. Denn die Familie habe in den letzten Jahren einiges in die Renovierung des Hauses gesteckt. In einem Verkehrswertgutachten ließ die Republik den Wert der besagten Liegenschaften bereits schätzen. Dieses soll als Grundlage für die Verhandlungen mit den Eigentümern dienen.
Und wie steht die offizielle Stelle zur aktuellen Verkaufs-Debatte? Optimistischer. Die Leiterin der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, Barbara Glück, sieht ein Zugeständnis durch die Republik, das es so „noch nie gegeben hat.“ Durch Corona sind die nächsten Schritte in dieser Angelegenheit aber jetzt „einmal hintangestellt worden“. Auch Bürgermeister Christian Aufreiter spricht von „guten Gesprächen”. Ihm ist dabei vor allem wichtig, dass die lokale Bevölkerung in die Überlegungen miteinbezogen wird.
Folgt man den Aussagen der Anrainer, wird in Gusen so bald eher keine neue Gedenkstätte entstehen. Denn viele stehen einem geplanten Ausbau des Gedenkorts offen skeptisch gegenüber. Jedenfalls wird es wohl noch ein längerer Weg bis dorthin. Mit der Veröffentlichung der Machbarkeitsstudie kommt nun zumindest ein wenig mehr Transparenz in das Regierungsvorhaben.