Im Konzentrationslager von Gusen – bestehend aus drei Lagerteilen – sind in den Jahren 1940 bis 1945 insgesamt über 35.000 Häftlinge umgekommen. Der Lagerkomplex war für die Insassen die „Hölle aller Höllen“. Systematische Tötungen waren nicht Ausnahme, sondern Alltag. 75 Jahre später befindet sich hier eine Wohnsiedlung.
Im Juli 1945 kommt Gusen unter sowjetische Besatzung. Während Mauthausen unter der Auflage, eine Gedenkstätte zu errichten, an die Republik übergeben wird, war dies in Gusen aus wirtschaftlichem Interesse der Besatzer nicht der Fall. Denn die Gusener Steinbrüche wurden in den Jahren nach Kriegsende zur Goldgrube für die sowjetischen Besatzer. Der ertragreiche Granit wurde von dort über die Donau Richtung Osten in die Länder hinter dem Eisernen Vorhang verschifft. Hier in Gusen florierte die sowjetische Industrie, von einem Gedenkort an die über 35.000 Opfer war zu dieser Zeit keine Rede. 1955 zieht die sowjetische Besatzungsmacht dann aber ab. Das Areal ist wieder im Besitz der Republik. Ein Jahr später wird der Massenfriedhof auf Antrag von Frankreich aufgelassen. Die identifizierten Toten werden in ihre Heimat überstellt, der Rest nach Mauthausen transferiert.
1956 startet die Gemeinde die Parzellierung des ehemaligen KZ-Areals. Die Ausrichtung der Grundstücke richtet sich nach der originalen Struktur des Lagers. Aus einer Häftlingsbaracke werden jeweils drei Bauparzellen für Einfamilienhäuser. Der Grundstein für die Wohnsiedlung ist gelegt. Danach beginnt die Gemeinde mit dem Verkauf der Grundstücke von Gusen I und II. Die Grundstückpreise sind im regionalen Vergleich sehr niedrig.
Wie auch ersichtlich, verändert sich das ehemalige KZ-Areal zwischen 1957 und 1960 erheblich. Einfamilienhäuser und Wohnhäuser entstehen. Ehemalige KZ-Gebäude werden eingestampft. Die Grundzüge des Lagers sind nach wie vor klar erkennbar. Auch das Gebäude des Krematoriumsofens wird abgerissen, der Ofen selbst bleibt vorerst bestehen.
Im Lauf der Jahre sollte dann aber auch der Krematoriumsofen, in dem mehrere tausend Häftlinge verbrannt wurden, abgerissen werden. Das zieht große Aufregung nach sich. Das Internationale Mauthausen-Komitee reagiert empört:
Währenddessen starten die Gemeinde Langenstein und die oberösterreichische Landesregierung den (erfolglosen) Versuch, den Ofen „im Stillschweigen“ nach Mauthausen zu verlegen.
Der damalige Landeshauptmann-Stellvertreter Ludwig Bernaschek (SPÖ) schreibt 1958 an Innenminister Oskar Helmer (SPÖ):
„Die gegenständlichen Baulichkeiten (Anmerkung: der Krematoriumsofen) stellen beim Siedlungsgrundabverkauf ein Hindernis dar. […] Ich bitte Dich, lieber Freund, diese Angelegenheit möglichst unauffällig, überprüfen zu lassen, denn ich glaube, wenn die Sache möglichst mit Stillschweigen durchgeführt wird, sie am ehesten positiv werden könnte. […] “
Der damalige Innenminister Helmer antwortet:
„Ich bin mit Dir einer Meinung, […] , die gegenständliche Angelegenheit in der von Dir vorgeschlagenen unauffälligen Weise zu lösen. Leider aber lässt sich das praktisch nicht durchführen. In der Angelegenheit haben sich […] auch französische und polnische Regierungsstellen bzw. Organisationen nachdrücklich eingeschaltet.“
Nach dem gescheiterten Versuch reagieren ehemalige Häftlinge und kaufen das Grundstück mit den Resten des Krematoriums an. Nach anfänglichem Widerstand der Gemeinde kommt es zu einer Vereinbarung, die eine Errichtung einer Gedenkstätte ermöglichte. Bedingung: Häftlingsverbände kommen für die Kosten auf.
Das Memorial wird gebaut und am 8. Mai 1965 eingeweiht – 20 Jahre nach der Befreiung. Parallel dazu schreitet die Bebauung der Wohnsiedlung Jahr für Jahr voran. Wie man auf den Bildern erkennen kann, hat sich ein Großteil des ehemaligen KZ-Areals schon bis zum Jahr 1975 in eine Wohnsiedlung verwandelt. Die Häuser wurden teilweise auf den Fundamenten der Baracken erbaut, Granitsteine des Lagers wiederverwendet.
Im Jahr 1997 übernimmt die Republik erstmals die Verantwortung für die Erhaltung und Betreuung des Memorials Gusen. Bis dahin wurden sämtliche Kosten des Memorials von Opferverbänden getragen. 2004 wird dort auch ein Besucherzentrum eröffnet.
2016 kommt es zu einer einschneidenden Veränderung. Noch bestehende Bauten des ehemaligen Lagers werden unter Denkmalschutz gestellt. Dazu zählt unter anderem das sogenannte Jourhaus, also das Eingangsgebäude des ehemaligen KZ.
Selbiges gilt für den Steinbrecher, die Bordell-Baracke und die gemauerten Häftlingsbaracken. Auch diese Gebäude stehen nach wie vor fast originalgetreu in der Siedlung von Gusen und werden für private Wohn- und wirtschaftliche Zwecke genutzt.
2020 kündigt die neue türkis-grüne Regierung an, das ehemalige Areal des KZ Gusen aufzukaufen. Im Regierungsprogramm ist zu lesen: „Ankauf und Weiterentwicklung der Gedenkstätte KZ Mauthausen-Gusen“.
Die 2016 unter Denkmalschutz gesetzten Häuser sollen aufgekauft werden. Eine größere Gedenkstätte ist geplant.
Auf dem Gelände der früheren Gusener Lager leben heute etwa 800 Menschen. Der anfängliche Versuch der Besatzungsmacht – die Erinnerungen an das Lager Gusen auszulöschen – zeigt bis heute seine Wirkung. Entscheidungen von Seiten der Republik und der Gemeinde haben dazu beigetragen. Der geschichtsträchtige Ort kämpft bis in das Jahr 2020 – 75 Jahre nach der Befreiung – mit dem Vergessen.