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Von der deutschen Heilkunde zur Komplementärmedizin
8. März 2018 Homöopathie Lesezeit 7 min
Die Homöopathie galt lange als aufstrebende Wissenschaftsmethode. Mit konkurrenzierenden Schwestertheorien buhlte sie um Aufmerksamkeit. Ausbleibende wissenschaftlich belastbare Ergebnisse beendeten schließlich das Engagement seriöser Forscher.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Homöopathie und ist Teil 3 einer 5-teiligen Recherche.
Bild: Eva Gau | fraugau.de

Verhältnismäßig spät stellt sich der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte seiner Geschichte. Aus Anlass seiner 163. Jahrestagung wird 2013 die Weimarer Erklärung verfasst. Darin wird „tiefstes Bedauern darüber, dass im Namen der Homöopathie Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurden“ bekundet und der Opfer gedacht. Was war passiert?

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Von Goethe bis zum Kaiserhaus

Die an der Wende zum 19. Jahrhundert vom deutschen Arzt Samuel Hahnemann entwickelte Homöopathie erfreut sich von Beginn an einer gesellschaftlich hochstehenden Anhängerschaft. Die Behandlungsphilosophie passt gut in die romantisch verklärte, naturverbundene Aufbruchstimmung der Sturm-und-Drang-Zeit. Doch schon Johann Wolfgang von Goethe 1820 vergleicht die Homöopathie in einem Brief sarkastisch mit einem gelungenen Schmuckstück. Er glaube „eifriger denn je an die Lehre des wundersamen Arztes“, seit er „die Wirkung einer allerkleinsten Gabe so lebhaft gefühlt“ habe. Goethe wünscht weiters, dem österreichischen General Karl Philipp Fürst zu Schwarzenberg, der sich zu diesem Zeitpunkt in Leipzig von Hahnemann behandeln lässt, möge die Kur bekommen.

Hahnemann stirbt 1843 im Alter von 88 Jahren in Paris, vermutlich an einer Lungenentzündung. Zu seinen Patienten gehörte die bessere Gesellschaft der französischen Hauptstadt, darunter der Geiger Niccolò Paganini. In den Jahren davor war er mehrere Male umgezogen, oft aufgrund von Anfeindungen gegen seine Heilmethode oder wegen Misserfolgs. So bleibt auch die Behandlung Schwarzenbergs erfolglos.

Nach dem Tod ihres Begründers bleibt die Homöopathie populär, auch wenn sie mit einer gewissen Zurückdrängung durch die immer erfolgreichere Schulmedizin zu kämpfen hat. Zu ihren größten Anhängern zählen das Bürgertum und der Adel bis hin zu Mitgliedern des Habsburgerhofes, und das, obwohl sie in Österreich 1819 zunächst verboten wurde.

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Die Homöopathie findet vor allem bei der Oberschicht Anklang.

Kaum Interesse im Krieg

Der Erste Weltkrieg hingegen erweist sich für die Lehre Hahnemanns als Zäsur. Das Interesse an der Homöopathie geht drastisch zurück. Zeitungen und Zeitschriften erwähnen sie immer seltener, obwohl die Publikationsdichte in Österreich bis 1916 ansteigt. War die Hahnemann’sche Heilkunde 1913 noch 32-mal Gegenstand von Zeitungsartikeln gewesen, sind es 1919 nur noch vier Berichte. Als eine Art Wohlstandsphänomen hat sie in einer Zeit der Not vorübergehend ausgedient.

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Nachdem die ökonomische Situation besser wird, erhält die Homöopathie wieder mehr öffentliche Aufmerksamkeit, unterbrochen nur von der Weltwirtschaftskrise. Die Neue Freie Presse preist Hahnemann 1933 als „neuen Paracelsus“. Die Frauenzeitschrift Die Unzufriedene attestiert homöopathischen Mitteln „ganz neue überraschende Heilmöglichkeiten“.

Hahnemanns Plan war es, mit der Homöopathie alle übrigen Behandlungsmethoden zu ersetzen. Seine Anhänger forderte er zur Abkehr von der von ihm geschmähten Schulmedizin auf. Doch in der Zwischenkriegszeit ist seine eigene Lehre in vielen Bereichen längst von der Alternativ- zur Komplementärmedizin geworden. Auch wenn radikale Anhänger noch immer versuchen, allen Krankheiten mit Globuli und Tropfen zu Leibe zu rücken, behandelt das Gros der Homöopathen nur noch leichte Krankheitsfälle. Klinische Anwendungsversuche bleiben die Ausnahme, nur in wenigen deutschen Spitälern gibt es entsprechende Abteilungen.

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Die Popularität der Homöopathie führt auch zu satirischen Angriffen

Aufstieg unterm Hakenkreuz

Mit dem Untergang Österreichs beginnt ein neuer Aufstieg der Homöopathie. Sie profitiert davon, dass die Nazis wegen des Erfolgs jüdischer Ärzte Vorbehalte gegen die Schulmedizin hegen. Außerdem interessieren sich etliche prominente Nazis für germanische Mystik, Esoterik und alternative Heilmethoden. Die Homöopathen werden daher nicht müde, ihre Schule als „deutsche Heilkunde“ anzupreisen.

1939 wird das Heilpraktikergesetz beschlossen, das auch für Österreich gilt und die medizinische Laienarbeit auf neue Füße stellt. Für die Homöopathen ist es ein wichtiger Erfolg. In Deutschland haben sich nur etwa 500 Ärzte der Behandlungsmethode zugewandt, dafür gibt es um die 400 homöopathischen Laienvereine. Nun ist deren Tätigkeit gesetzlich abgesichert.

Der Historiker Florian Mildenberger bezeichnet die Personaldecke der homöopathischen Ärzteschaft während der 30er Jahre als „extrem dünn“. Obwohl sich NS-Größen wie Rudolf Heß, Heinrich Himmler und Julius Streicher für die Lehre einsetzen und Ersterer 1937 sogar einen „Internationalen Homöopathischen Ärztekongress“ in Berlin veranstalten lässt, bleiben die Erfolge aus. Die alternativmedizinische Bewegung ist heillos zerstritten. Man ist sich nicht darüber einig, womit oder wie hoch Mittel verdünnt werden dürfen.

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Streit unter den Wunderheilern

Längst haben sich andere pseudomedizinische Theorien etabliert. Sogenannte biochemische Schüsslersalze und spagyrische Arzneimittel – die nach alchemistischen Grundsätzen hergestellt werden – sind zwar ebenfalls homöopathisch verdünnt, werden aber vom Zentralverein, der die klassische Homöopathie nach Hahnemann vertritt, nicht als solche anerkannt. Gleiches gilt für sogenannte Komplexmittel, die mehrere homöopathische Ursubstanzen enthalten.

Allen ist gemein, dass sie um die Aufmerksamkeit des Regimes buhlen. So veranstalten die Wiener Homöopathen bereits 1938 einen Vortrag zum Thema „persönliche Rassenhygiene“, während Anhänger konkurrenzierender Ideologien versuchen, den Begründer der Homöopathie, Samuel Hahnemann, als Juden zu diskreditieren.

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Versuche im KZ

Die Möglichkeiten, die die neuen Machthaber bieten, verleihen den extremeren alternativmedizinischen Strömungen neuen Auftrieb. Nun endlich will man die Wirksamkeit der eigenen Theorien klinisch beweisen: am lebenden Objekt.

Bei den Menschenversuchen, die mit Erlaubnis Himmlers in Konzentrationslagern durchgeführt werden, kommen nur Mittel homöopathischer Schwesterdisziplinen zur Anwendung. Auch deshalb wird die Weimarer Erklärung später nur von Verbrechen sprechen, die „im Namen der Homöopathie“ verübt wurden.

Am Leid der Opfer ändert das nichts. Der Heilpraktiker Karl Hann von Weyhern, der auch Himmler behandelt, darf seine Theorien ebenso an Häftlingen testen wie der biochemische Arzt Rudolf Kießwetter. Letzterer glaubt Infektionskrankheiten mit dem Schüsslersalz „ferrum phosphoricum“ heilen zu können.

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Um die Wirksamkeit zu testen, injiziert Kießwetter „vorrangig inhaftierten polnischen Priestern Eiter in den Oberschenkel“ und behandelt sie danach mit dem Mittel. Einem Pfleger gelingt es, einigen der Opfer heimlich echte Medikamente zu verabreichen, die übrigen sterben einen qualvollen Tod. 56 Menschen kommen noch während der Versuche um, weitere 30 an den Folgen. Resigniert meldet ein SS-Arzt an Himmler, „dass der ungünstige Verlauf bei kaum einer der schweren Erkrankungen durch die biochemischen Mittel aufgehalten werden konnte.“

Kießwetter hingegen lässt sich nicht beirren und schwärmt trotz des gescheiterten Versuchs weiterhin über die heilsame Wirkung seines Mittels.

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Autor des Buches „Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte im Nationalsozialismus“ (Wallstein Verlag 2016)

Homöopathische Organisationen stellen sich wie viele andere bald nach dem Anschluss willig in den Dienst der Nazis.

Kinderversuche, Bestechung und Täuschung

Auch außerhalb der KZs werden Menschenversuche durchgeführt. Der „Verein für Deutsche Volksheilkunde“ bemüht sich etwa um die homöopathische Krebsforschung. Von 1938 an darf der Arzt Benno Schilsky zwei Jahre lang an Keuchhusten leidende Kinder in einem Kinderkrankenhaus in Hamburg mit homöopathischen Mitteln behandeln. Der Versuch wird durchgeführt, obwohl die Krankheit tödlich enden kann.

Der Zentralverein der Homöopathen führt selbst weitere Studien durch, die aber ebenso erfolglos bleiben. Das flächendeckende Scheitern führt jedoch nicht zur Resignation. Der Vorsitzende des Zentralvereins, Hanns Rabe, denkt nach Aussagen eines Kollegen, der von einem „Fiasko“ spricht, daran, Ergebnisse zu fälschen. Ein Hersteller bietet Homöopathen Bestechungen an, sollte die Wirksamkeit seines Mittels bestätigt werden.

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Kein dauerhafter Vorteil

Der Konformismus mit den nationalsozialistischen Machthabern bringt der Homöopathie keinen nachhaltigen Auftrieb, was sowohl an der inneren Zerstrittenheit als auch an den ausbleibenden medizinischen Erfolgen liegt. Während des Kriegs bricht die öffentliche und staatliche Aufmerksamkeit erneut ein. Zeitungen finden andere Themen drängender, medizinische Ressourcen werden auf vielversprechendere Heilmethoden verteilt. Einer der führenden homöopathischen Ärzte sieht die Vertreter seiner Zunft gegen Ende der NS-Zeit als „völlige Außenseiter“.

Nach 1945 wird sich das Ansehen der Homöopathie erholen, dazu tragen auch prominente Fürsprecher von Gandhi bis zum sowjetischen Arzt Tschaikowski bei. Der Neffe des Komponisten besucht 1946 Wien und berichtet von seinen angeblich erfolgreichen Tuberkulosebehandlungen.

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Die Glanzzeit, als sich die Homöopathie als Konkurrenzwissenschaft zur Schulmedizin gerieren konnte, ist aber vorbei. Die 1929 errichtete homöopathische Poliklinik in Berlin wird nicht wiedereröffnet, Krankenhausabteilungen werden eingestellt, Lehrstühle abgeschafft. In Österreich wird das Heilpraktikergesetz aufgehoben und die Behandlung durch Laien erneut als Kurpfuscherei unter Strafe gestellt.

Was bleibt, ist das Privatengagement der Homöopathen, die Popularität in der Bevölkerung und ein letzter Erfolg zum Ende des Krieges: Vor allem bei Kindern und Jugendlichen sind Homöopathika damals beliebt. Immerhin sind Globuli eine der wenigen Möglichkeiten, an Zucker zu kommen. 

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