Zu Beginn des 19. Jahrhunderts steht die Welt vor einer Epoche der wissenschaftlichen Revolutionen, die auch die Medizin erfassen werden. Doch noch genießt die Heilkunde einen durchwachsenen Ruf. Ärzte eilen von Leichensektionen in den Kreißsaal, ohne sich die Hände zu waschen. Mikroorganismen sind zwar bereits seit 200 Jahren bekannt, doch die Bakteriologie steckt noch in den Kinderschuhen. Mütter sterben häufig am Kindbettfieber.
Die Naturwissenschaft ringt noch um anerkannte Methoden. In der Medizin zählt vor allem die Erfahrung. Die Therapieansätze der Ärzte basieren auf persönlichen Beobachtungen oder Überlieferungen. Einige tragen Einzelfälle zusammen, analysieren Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Den Ansprüchen moderner Studien genügen diese Berichte jedoch bei weitem nicht.
In den medizinischen Abhandlungen spiegeln sich mitunter die persönlichen Einstellungen des Verfassers wider, auch weil die Ursachen vieler Krankheiten und die Wirkungen von gängigen Medikamenten noch nicht erforscht sind.
Die Medizin ist zu diesem Zeitpunkt, wie viele andere Fachgebiete, weit davon entfernt, eine exakte Wissenschaft zu sein. Diesen Umstand kritisiert unter anderen der deutsche Arzt Samuel Hahnemann. Man beschäftige sich mit „Arzneien, die man nur nach vermutheten Tugenden und vagen Lebsprüchen, das ist, im Grunde gar nicht kennt“.
Er selbst veröffentlicht 1803 eine Schrift über den Kaffee. Für ihn ist das damals schon beliebte Getränk kein Genuss-, sondern ein Arzneimittel. Über vage Vermutungen gehen seine Postulate aber ebenfalls nicht hinaus. Er schreibt dem Kaffee alle möglichen schädlichen Wirkungen zu: Knochenfraß, Zahnausfall, Unfruchtbarkeit, „schlaffes Fleisch und welke Brüste“. Besonders verderblich sei die Wirkung des Gebräus auf Heranwachsende: „Das Scheusal der Natur, das hohläugige Gespenst Onanie, versteckt sich hauptsächlich hinter dem Kaffeetisch.“
Es ist weniger wissenschaftliche Beobachtung als zeitgeistige Biederkeit, die aus dem Pamphlet spricht. Der Wirkstoff Koffein wird erst 1819 entdeckt. Für Hahnemann steht schon sechzehn Jahre vorher „nach einer vieljährigen Beobachtung und Erfahrung“ fest, dass durch Kaffee „der Beischlaf schmerzhaft“ wird.
In Europa kursieren zu dieser Zeit verschiedenste medizinische Theorien. Manche davon sind revolutionär, andere Quacksalberei. Während der Arzt Xavier Bichat die Grundlage für unser heutiges Verständnis von der menschlichen Zelle legt, postuliert sein Kollege Franz Anton Mesmer den „animalischen Magnetismus“, wonach der Mensch von einem „Lebensfeuer“ durchdrungen sei und man Krankheiten durch bloße Handauflegung heilen könne.
Der schottische Arzt James Brown wiederum glaubt, Krankheiten entstünden durch Gemütsschwankungen. Er empfiehlt, die Erregbarkeit des Patienten durch aufputschende oder betäubende Mittel ins Gleichgewicht zu bringen und so jedes Leiden zu heilen. Hahnemann beschäftigt sich mit Browns Lehre und entwickelt bald seine eigene: die Homöopathie.
Die Weiterentwicklung in der Wissenschaft ermöglicht es, Theorien immer genauer auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Nach und nach werden viele Behandlungsmethoden als unwirksam widerlegt. An Hahnemanns Theorien bestehen von Anfang an große Zweifel in der Ärzteschaft. Vor allem seine Behauptung, der Mensch könne nur in Ausnahmefällen gleichzeitig zwei Krankheiten haben, reizt viele Kollegen zum Widerspruch. Auch die Vorstellung, hoch verdünnte Giftstoffe könnten eine Heilwirkung entfalten, weisen etliche zurück. Hahnemann selbst tut wenig, um die Skepsis zu beseitigen. Er glaubt eisern an die Alleingültigkeit seiner Methode und verlangt dies auch von seinen Anhängern. Die Bitte, „Beispiele von … Heilungen vorzulegen“, sei jedoch „schwierig zu erfüllen, und ihre Erfüllung von keinem großen Nutzen.“
Der historische Zweifel seiner Zeitgenossen hat sich mittlerweile zur Gewissheit verdichtet. In Doppelblindstudien konnte keine über den Placebo-Effekt hinausgehende Wirkung homöopathischer Mittel festgestellt werden. Von Homöopathen immer wieder zitierte Forschungsergebnisse lassen sich unter unabhängigen Voraussetzungen nicht wiederholen. Die Annahme, dass homöopathische Tropfen oder Globuli eine eigenständige Wirkkraft haben, gilt als wissenschaftlich widerlegt.
Trotzdem erfreut sich die Homöopathie weiterhin einer großen Anhängerschaft. Sie profitiert unter anderem von der Zuschreibung verschiedener Effekte. Ein eingenommenes Mittel wird neben dem Placebo-Effekt auch für körperliche Selbstheilungskräfte verantwortlich gemacht. Das Ende eines grippalen Infekts nach einer Woche wird beispielsweise als Heilung durch gängige Grippemittel oder Homöopathika interpretiert, auch wenn körpereigene Abwehrkräfte dafür ursächlich waren.
Zusätzlich haben Homöopathika, da sie eben im Gegensatz zu anderen Mitteln überhaupt keine Eigenwirkung entfalten, auch keine Nebenwirkungen – sieht man einmal von möglichen Nocebo-Effekten ab. Für die anhaltende Popularität gibt es außerdem rechtliche und historische Gründe .
Für die Anwender wird Homöopathie nur gefährlich, wenn sie Patienten von einer medizinisch indizierten Behandlung abhält oder falsch zubereitet wurde. Das österreichische Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen führt bei allen Homöopathieproduzenten laufend Untersuchungen durch. In den USA hingegen war das Gewerbe lange unreguliert. Dort starben 2016 zehn Kinder an Globuli aus zu gering verdünntem Tollkirschensaft.
Bei Doppelblindstudien wissen weder Tester noch Probanden, wer zur Placebogruppe gehört, die nicht den Wirkstoff, sondern eine wirkneutrale Substanz erhält. So kann ein suggestiver Einfluss der Versuchsleiter auf das Ergebnis ausgeschlossen werden.
Beim Nocebo-Effekt verschlechtert sich der Gesundheitszustand des Patienten, weil er eine – objektiv nicht vorhandene – schädliche Wirkung des eingenommenen Präparates befürchtet.