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Zwischen Glauben und Wissenschaft
30. Januar 2020 Homöopathie Lesezeit 4 min
In kaum einem Land ist die Nachfrage nach homöopathischen Mitteln so hoch wie bei uns. Mehr als zwei Drittel aller Österreicher setzen auf Globuli und Co. – obwohl die Wirksamkeit abgesehen vom Placebo-Effekt bis heute nicht nachweisbar ist.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Homöopathie und ist Teil 5 einer 5-teiligen Recherche.
Bild: Valentin Weinhäupl | Addendum

Österreich gilt als Homöopathie-Paradies: große Nachfrage seitens der Patienten, hohe Akzeptanz bei der Ärzteschaft und kaum politischer Gegenwind. Die Folge: Der Absatz der hochverdünnten Mittel boomt. 2017 lag der Umsatz mit homöopathischen Präparaten bei 43 Millionen Euro, Tendenz: steigend.

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Seit 1983 sind homöopathische Präparate in Österreich als Arzneimittel klassifiziert. Das bedeutet, homöopathische Mittel haben von Gesetzes wegen den gleichen Status wie herkömmliche Medikamente, müssen aber nicht die gleichen aufwendigen Verfahren und Prüfungen durchlaufen. Wenn ein Hersteller eines homöopathischen Präparats behauptet, sein Produkt helfe gegen ein bestimmtes Leiden wie Asthma, braucht dieses zwar eine Zulassung. Die Wirksamkeit wird allerdings nach dem Prinzip des Binnenkonsens nachgewiesen: Homöopathen bescheinigen die Wirksamkeit also selbst – ohne klinische Studien. In vielen anderen Staaten, darunter die USA, Kanada, Australien und Großbritannien, genießen sie diesen Status nicht. Dort gibt es bereits eine Kennzeichnungspflicht, sogar Warnhinweise ähnlich wie bei Tabakwaren werden diskutiert.

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Universität streicht Wahlfach Homöopathie

Obwohl es auch 200 Jahre nach der Entwicklung der Therapiemethode durch Samuel Hahnemann keinen wissenschaftlichen Nachweis über die Wirksamkeit der Homöopathie abgesehen vom Placebo-Effekt gibt, erfreut sich die sogenannte sanfte Medizin großer Beliebtheit. Einer aktuellen Studie zufolge haben mehr als zwei Drittel aller Österreicher schon einmal homöopathische Mittel verwendet. Gemeinsam mit Deutschland und Frankreich gehört die Alpenrepublik damit zu den weltweiten Spitzenreitern in Sachen Homöopathie.

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Doch auch hierzulande gerät die Homöopathie zuletzt immer stärker unter Druck. Ende 2018 verkündete der Rektor der Medizinischen Universität Wien, das Wahlfach Homöopathie aus dem Lehrplan zu streichen. Vorangegangen waren Beschwerden von Studenten. Die Lehrveranstaltung sei als kritische Auseinandersetzung mit Homöopathie beworben, in der Realität sei es aber eine Werbeveranstaltung für die umstrittene Heilmethode gewesen, so schildert es die Vizerektorin der Meduni Anita Rieder:

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„Studierende haben sich beklagt, dass keine kritische Diskussion möglich gewesen sei. Nachfragen wurden damit abgetan, man müsse an die Wirksamkeit einfach glauben. Ich bin aber überzeugt, dass man in der Wissenschaft nicht glauben, sondern nach evidenzbasierten Methoden vorgehen muss.“

Dr. Michael Frass
geb. 1954 in Wien, Facharzt für Innere Medizin
Michael Frass ist Facharzt für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin. Er gehört zu den bekanntesten Homöopathen im deutschsprachigen Raum. 2004 gründete er am Allgemeinen Krankenhaus Wien die „Spezialambulanz Homöopathie bei malignen Erkrankungen“. Hier wurden Krebspatienten komplementär zur schulmedizinischen Therapie homöopathisch behandelt. Mit Oktober 2019 ging Michael Frass in Pension. Die Ambulanz wurde mit seinem Abschied in den Ruhestand geschlossen.

Diesen Vorwurf weist der damalige Koordinator des Studiengangs und Österreichs bekanntester Homöopath, Professor Michael Frass, bis heute zurück:

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„Das Wahlfach wurde abgeschafft, ohne mit mir darüber gesprochen zu haben. Soweit es mir bekannt ist, haben sich drei Studierende beschwert. Ich hatte noch nicht einmal eine Gelegenheit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Der einzige Fehler, den ich gemacht habe, war die Vortragenden nicht dem Rektorat zu melden. Das war aber ein rein bürokratisches Versäumnis.“

Frass ortet die Einstellung des Wahlfachs als „medizinpolitische Maßnahme“ mit hoher Öffentlichkeitswirkung und ohne sachliche Grundlage: „Ich finde den Vorgang schon etwas merkwürdig, zumal es sich ja um ein Wahlfach gehandelt hat. Kein Studierender muss sich das anhören, wenn er nicht will.“

Das Wahlfach Homöopathie ist inzwischen durch eine neue Lehrveranstaltung mit dem Titel „Esoterik und Evidenz“ ersetzt worden. Deren Inhalt ist die kritische Auseinandersetzung mit Methoden der Alternativmedizin.

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Ich weiß auch nicht, wie die Homöopathie wirkt, ich weiß aber, dass sie wirksam ist.
Professor Michael Frass

Internist Frass machte sich nicht nur als Homöopath einen Namen, er gehörte zu den führenden Medizinern des Landes im Bereich der Intensivmedizin. 2004 richtete er am AKH Wien eine homöopathische Ambulanz für maligne Erkrankungen ein und leitete diese bis zu seiner Pensionierung im September 2019. Mit seiner Verabschiedung in den Ruhestand wurde die Ambulanz allerdings geschlossen. Frass’ Forschungsschwerpunkt galt der Wirksamkeit der Homöopathie. Trotz intensiver Studien räumt er ein: „Ich weiß auch nicht, wie die Homöopathie wirkt, ich weiß aber, dass sie wirkt. Das ist das Entscheidende. Denn am Ende muss es in der Medizin allein um das Wohl des Patienten gehen.“

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Diesem Anliegen widmet sich auch die Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz. Sie gehört allerdings zu den vehementesten Kritikern der Homöopathie und fordert sogar ein Verkaufsverbot für homöopathische Mittel in Apotheken und eine Kennzeichnungspflicht. Für sie ist die Homöopathie nichts als Scharlatanerie: „Die Apotheken sind voll von fragwürdigen Produkten. Das erinnert schon ein bisschen an Voodoo-Zauber. Ich habe den Eindruck, dass man Patientinnen zur Homöopathie verführt und damit auch das Vertrauen in die Medizin untergräbt.“

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Ärztekammer sieht keinen Handlungsbedarf

Trotz der deutlichen Kritik der Patientenanwältin und seitens des medizinischen Nachwuchses sieht die Österreichische Ärztekammer keinerlei Anlass für eine Neubewertung der Homöopathie: „Auch die konventionelle Medizin beruht nicht zu hundert Prozent auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern zu einem großen Teil einfach auf Erfahrung. Erfahrungen, die dann einfach im Lauf der Zeit mit Studien belegt worden sind“, meint Doris Schöpf. Die Tirolerin ist Referentin der Österreichischen Ärztekammer für den Bereich Homöopathie und zählt zu den rund 750 Allgemeinmedizinern mit homöopathischem Zusatzdiplom. Das entspricht in etwa einem Anteil von 5 Prozent aller Allgemeinmediziner in Österreich.

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„Bei der Homöopathie ist das Problem, zumindest im Moment noch, dass die Art der Wirkung nicht wissenschaftlich bewiesen ist, obwohl es viele interessante Ansätze in der Grundlagenforschung gibt. Aber die Wirkung ist nicht biologisch, chemisch oder physikalisch nachweisbar. Trotzdem geht die Wirkung weit über den Placebo-Effekt hinaus.“ Die Referentin der Ärztekammer verweist auf die hohe Nachfrage durch Patienten als Beleg für die Wirksamkeit. Sie bedauert daher die Einstellung des Wahlfachs Homöopathie genauso wie das Ende der Homöopathie-Ambulanz sehr. Eine Weiterführung wäre „im Sinne der Patienten und der Patientensicherheit“ gewesen. Auch hier wird ein Nachweis schwer erbracht werden können.

Die Auseinandersetzung um die Homöopathie ist auch Inhalt der Reportage, die heute Abend um 21.15 Uhr bei Servus TV läuft: „Streit um Homöopathie: Zwischen Glauben und Wissenschaft“. 

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