Aly El Ghoubashy war von 1998 bis 2009 islamischer Religionslehrer an einem Gymnasium in Feldkirch und Mitglied im Schura-Rat der Islamischen Glaubensgemeinschaft. Nach kritischen Äußerungen über die inhaltliche Ausrichtung des Religionsunterrichts wurde er suspendiert: Die IGGÖ entzog ihm die Lehrbefugnis. Seither arbeitet er ausschließlich als Lehrer für Bildnerische Erziehung und Werken.
Die Islamische Glaubensgemeinschaft bezeichnet den Islamunterricht in der jetzigen Form als „modellhaft“ und sieht positive Effekte für die Integration. Entspricht das Ihren Erfahrungen?
Aly El Ghoubashy: Der Islamunterricht in der jetzigen Form ist realitätsfern. Er befasst sich nicht mit den gesellschaftlichen, politischen und sozialen Herausforderungen, mit denen die Schüler konfrontiert sind. Es gibt kaum Lehrer, die dieser Aufgabe gewachsen sind. Es gibt sicher gute Lehrkräfte, jedoch nicht in den Schulen. Der Grund dafür ist: Sie wollen mit der Glaubensgemeinschaft nichts zu tun haben, weil sie mit den Verantwortlichen dort Schwierigkeiten haben.
Welchen Einfluss hat der Unterricht auf die Integration der Schüler?
Der jetzige Islamunterricht in den Schulen isoliert die Schüler, statt sie in die Gesellschaft zu integrieren. In den Augen vieler Lehrer ist man nur ein guter und frommer Muslim, wenn man betet und im Ramadan fastet. Die Lehrer sind nicht in der Lage, den Kindern zu vermitteln, dass der Islam aus viel mehr besteht als einigen religiösen Ritualen. Viele Lehrer unterrichten meist so, als ob sie ihre Heimatländer nicht verlassen hätten. Es ist kein Widerspruch, ein guter Muslim und gleichzeitig Österreicher zu sein. Doch genau dieses Bild vermittelt der Unterricht. Kaum ein Lehrer ist in der Lage, den Schülern dabei zu helfen, ein Mitglied dieser Gesellschaft zu sein. Wir verspielen hier eine große Chance. Würden die Kinder mit relevanten Themen, die das Zusammenleben und das Miteinander in Österreich betreffen, nach Hause kommen und mit ihren Eltern darüber diskutieren, dann würden nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern von diesem Unterricht profitieren.
Wie wichtig ist eine religiöse Erziehung für die Kinder im Islamunterricht?
Der Islamunterricht darf sich nicht nur mit den fünf Säulen des Islam (Glaubensbekenntnis, Gebet, Armensteuer, Fasten, Pilgerreise) beschäftigen. Wir müssen mehr leisten, als den Schülern religiöse Riten beizubringen. Der Islam verlangt eine tiefe Auseinandersetzung mit dem Leben und seinen vielfältigen Erscheinungsbildern.
Zur Auseinandersetzung mit dem Leben gehört wohl auch, Themen kritisch und selbstständig zu hinterfragen. Findet das im Islamunterricht statt?
Nein. Das ist ja genau das Problem. Die Schüler werden viel zu selten ermutigt, Dinge kritisch infrage zu stellen.
Dabei betont die Islamische Glaubensgemeinschaft genau diesen Punkt immer wieder. Sehen Sie hier positive Tendenzen?
Nein, die Situation ist schlimmer als früher. Wir haben so viel Zeit vergeudet. Die pädagogische und auch die theologische Qualität im Islamunterricht ist leider noch immer sehr schlecht. Das, was zur Verbesserung unternommen wird, ist bei weitem nicht zielführend.
Ein oft geäußerter Vorwurf lautet, im Islamunterricht würden die Schüler indoktriniert. Was haben Sie erlebt?
Die Lehrer müssen sehr vorsichtig sein, sie müssen brav sein. Von außen betrachtet muss das Bild gewahrt bleiben. Die Fassade wird poliert.
Was heißt, die Fassade wird poliert? Das klingt, als ob hier doch mehr Einfluss genommen wird, als von außen sichtbar ist?
Innerhalb der IGGÖ und den Vereinen gibt es intensive Machtkämpfe, finanzielle Angelegenheiten werden nicht offengelegt. Es herrscht eine erschreckende Intransparenz, auch gegenüber den eigenen Mitgliedern. Ich habe vor Jahren zu diesem Thema 33 Fragen an den Schura-Rat der Glaubensgemeinschaft geschickt. Bis heute wurden diese nicht beantwortet.
Gibt es innerhalb der Glaubensgemeinschaft denn überhaupt Kritik am Religionsunterricht?
Es gibt viele Lehrer, die mit der inhaltlichen, pädagogischen und strukturellen Ausrichtung der Glaubensgemeinschaft nicht einverstanden sind. Aber sie schweigen, aus Angst vor negativen Konsequenzen. Was sollen sie auch tun? Sie müssen ihre Familie ernähren, die Rechnungen bezahlen. Man kann es sich nicht leisten, Kritik zu üben. Wer kritisch ist, darf nicht mehr unterrichten. Ich war einige Zeit im Schura-Rat der IGGÖ. Was ich dort erlebt habe, hat nichts mit demokratischen Prinzipien, Transparenz oder Dialogbereitschaft zu tun. Angefangen vom Führungsstil bis zum Verhalten der Verantwortlichen und dem Nichtbeantworten von Fragen. Manche im Schura-Rat sprachen damals kein Deutsch und haben meist nicht verstanden, worüber überhaupt gesprochen wurde. Bei Abstimmungen hatte ich das Gefühl, dass viele gar nicht wussten, worüber abgestimmt wurde, man orientierte sich einfach am Vorsitzenden.
Welche Inhalte des Unterrichts sind aus Ihrer Sicht fragwürdig?
Die Islamische Glaubensgemeinschaft kontrolliert alles, von der Auswahl und Einteilung der Lehrer bis hin zu den Inhalten im Unterricht. Und die Politik schaut zu. Niemand kontrolliert, welche Sprache während des Islamunterrichts gesprochen wird. Niemand kontrolliert die Inhalte, die gelehrt werden. So wie bei allen anderen Religionsgemeinschaften auch, kommen die einzigen Kontrolleure aus den eigenen Reihen. Diese Fachinspektoren decken alle Probleme zu. Sie verdanken ihren gut bezahlten Posten einer Freunderlwirtschaft. Also halten sie still und tragen dieses System mit. Der Lehrplan existiert nur auf dem Papier. Was im Klassenzimmer gemacht wird, ist meist spontan. Viele wollen die Stunde einfach nur hinter sich bringen.
Der Schura-Rat ist das Legislativorgan der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. Er legt die Grundsätze und Leitlinien für die Wahrnehmung sämtlicher Aufgaben der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich fest.