Im Laufe des Projekts Justiz haben wir anhand konkreter Fälle aufgezeigt, wie komplex die Arbeit von Korruptionsermittlern sein kann, welche Hürden sie zu überwinden haben und wo ihnen, gerade bei internationalen Geldwäsche-Ermittlungen, Grenzen gesetzt sind. Ganz anders gelagert, aber ebenso von öffentlichem Interesse und deshalb bis ins Ministerium berichtspflichtig, ist der Fall rund um die Finanzaffäre des Wiener Burgtheaters. Anfang 2014 begannen die Ermittlungen der Wiener Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, und obwohl neben einem Geständnis auf Raten durch die hauptbeschuldigte ehemalige Finanzdirektorin ein verhältnismäßig simpler Sachverhalt auf dem Tisch liegt, ist bis heute keine Entscheidung darüber gefallen, ob – und wenn ja gegen wen der drei Beschuldigten – Anklage erhoben wird.
Silvia Stantejsky hatte sich schon als Wirtschaftsstudentin in ihrer Diplomarbeit mit dem Burgtheater beschäftigt und arbeitete zeit ihres Berufslebens an dem Theater. Schon früh als Leiterin des Betriebsbüros, ab 2000 als Stellvertreterin und Prokuristin des kaufmännischen Geschäftsführers Thomas Drozda, der die Burg bis Sommer 2008 an der Seite des künstlerischen Direktors Nikolaus Bachler führte. Nach Drozdas Wechsel zu den Vereinigten Bühnen Wien empfahl er Stantejsky als Finanzdirektorin, Bachlers Nachfolge als künstlerischer Direktor trat – offiziell ab 2009 – der Deutsche Matthias Hartmann an, der zuvor das Schauspielhaus Zürich geleitet hatte.
Ende 2013 wurde Stantejsky aufgrund von Ungereimtheiten in Bilanzierung und Buchführung erst als Finanzdirektorin abgesetzt, dann entlassen. Einer der Hauptvorwürfe lautet, sie habe bereits vernichtete Bühnenbilder nach wie vor als Werte in den Bilanzen aktiviert, wodurch das Burgtheater – vereinfacht gesagt – reich gerechnet wurde. Tatsächlich hatte das Burgtheater insgeheim Millionenschulden. Dazu kamen Barauszahlungen in Millionenhöhe und zweifelhafte Verträge mit Werkvertragsnehmern und Künstlern. Im März 2014 musste auch Hartmann, dem bei seinem Antritt von Bundestheater-Holding-Chef Georg Springer ein schuldenfreies Haus zugesichert worden war, gehen. Kurz danach war auch Springer seinen Job als Langzeitchef der Bundestheater los. Hartmann und Springer wird vorgeworfen, Stantejsky nicht ausreichend kontrolliert zu haben.
Presse und Profil berichteten am 1. Juni 2017, dass die Ermittlungen beendet wären; am 7. November wurde angedeutet, dass Silvia Stantejsky, die langjährige Finanzmanagerin der wichtigsten Bühne im deutschen Sprachraum, zur Verantwortung gezogen werden könnte. Dazwischen lagen ein Wahlkampf und eine Nationalratswahl. Schon im Dezember 2016 hatte die Presse übrigens die langen Ermittlungen kritisiert und darauf verwiesen, die ehemaligen Verantwortlichen würden dadurch auch in ihrem beruflichen Fortkommen behindert.
Auf Addendum-Anfrage Mitte September hieß es seitens des Ministeriums: Man könne „bestätigen, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in dieser Angelegenheit einen Vorhabensbericht erstattet und der Oberstaatsanwaltschaft Wien weitergeleitet hat, welche den Akt wiederum der für Strafrecht zuständigen Sektion im Bundesministerium für Justiz vorgelegt hat, wo dieser derzeit geprüft wird. Eine Information an die Medien kann jedenfalls erst nach Abschluss der Prüfung und Verständigung der Verfahrensbeteiligten erfolgen.“
Zur Erledigungsdauer könne man „leider keine Prognosen abgeben“. Eine neuerliche Anfrage vor wenigen Tagen beantwortet die Sprecherin des Justizministeriums so: Die Prüfung im Justizministerium sei mittlerweile abgeschlossen, „der Akt im Dienstweg also über die Oberstaatsanwaltschaft am Weg retour“ zur Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Eine Information könne erst nach Prüfung und Verständigung der Verfahrensbeteiligten erfolgen.
Aktualisierung: Am 1. Dezember 2017 wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft alle Vorwürfe zu den Vorsatzdelikten (Bilanzfälschung, Untreue, Steuerhinterziehung) gegenüber dem ehemaligen künstlerischen Direktor Matthias Hartmann fallengelassen hat. Auch Ex-Aufsichtsratschef Georg Springer und Ex-Burgtheater-Finanzdirektorin Silvia Stantejsky erhielten teilweise Einstellungen. Untersuchungen gibt es noch zum Vorwurf der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen.
Tatsächlich erscheinen in dieser Causa sowohl die zeitliche Tangente als auch der politische Hintergrund interessant: Anfang 2014 flogen die von Finanzdirektorin Silvia Stantejsky orchestrierten Bilanz- und Abschreibungstricks auf, mit denen über viele Jahre gearbeitet worden sein soll – eigenartige Werkverträge, Barauszahlungen und Geld-Depots für Künstler inklusive. Anfang März 2014 teilte der damalige Kunstminister Josef Ostermayer (SPÖ) dem künstlerischen Direktor Matthias Hartmann dessen fristlose Entlassung mit und begründete diese mit „Geschäftsführerverantwortung“. Hartmann konterte, er habe die Hinweise auf die Bilanzfälschungen durch Beiziehung eines externen deutschen Experten überhaupt erst ans Licht und somit die Affäre ins Rollen gebracht. Bald darauf musste auch Georg Springer, als Bundestheater-Chef gleichzeitig an der Spitze des Burgtheater-Aufsichtsrats, seinen Hut nehmen. Die Vorwürfe an Springer und Hartmann: Sie seien ihrer Aufsichtspflicht nur bedingt nachgekommen.
Seit damals liefen auch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen Stantejsky, Hartmann und Springer. Seit Ende 2015 liegen Geständnisse von Stantejsky vor. Seit Februar 2016 existiert ein von der Staatsanwaltschaft beauftragtes Gutachten, das Stantejsky be- und Hartmann entlastet. Seit Anfang Mai 2016 steht in einem Beschuldigtenprotokoll Stantejskys, ihr ehemaliger Vorgesetzter Thomas Drozda, bis 2008 Finanzdirektor des Burgtheaters, habe in seiner Zeit an der Burg über etliche Vorgänge im kaufmännischen Bereich Bescheid gewusst – was Drozda, seit Ende Mai 2016 Kulturminister, vehement in Abrede stellt.
Tatsächlich erscheinen in dieser Causa zwei Punkte bemerkenswert: Zum einen der Umstand, dass seit eineinhalb Jahren ein umfassendes Gutachten vorliegt, aber nach wie vor keine Entscheidung darüber gefallen ist, ob bzw. wer angeklagt wird. Das ist in der Regel nicht österreichischer Standard, liegt aber wohl auch an dem Umstand, dass der Akt berichtspflichtig ist; erst recht, seit Thomas Drozda im Mai 2016 zu Christian Kerns Kultur- und Kanzleramtsminister aufstieg. Auch deshalb dürfte der Akt zuletzt sogar durch die Hände des Justizministers gegangen sein. Zum anderen fällt bei der Aufarbeitung der Affäre durch öffentliche Stellen wie dem Rechnungshof auf, dass im Auftrag der Politik stets der Zeitraum ab dem Jahr 2008 geprüft wurde – als hätte es zuvor in dem Haus am Ring keine strukturellen Missstände gegeben.
In der öffentlichen Wahrnehmung beginnt die Affäre mit dem Jahr 2008, mit Beginn der Ära Hartmann/Stantejsky. Dabei lohnt ein Blick zurück: ins Jahr 1999, als die Politik den Bundestheatern einen modernen Anstrich verpassen wollte. Als Architekt der Ausgliederung gilt Thomas Drozda, der danach aus dem Ministerbüro in die Geschäftsführung der Burgtheater GmbH wechseln sollte. Seine Stellvertreterin ab dem Jahr 2000: Silvia Stantejsky. Doch hat sich damit auch an den verstaubten Strukturen Elementares verändert? Am Beispiel Burgtheater zeigt sich: Es gab weiterhin kein funktionierendes internes Kontrollsystem. Während die Personalkosten in dem Staatsbetrieb jährlich stiegen, stagnierten die öffentlichen Subventionen, weil auf eine Valorisierung im Rahmen der Ausgliederung verzichtet worden war. Sollte dieser Umstand – gleichbleibende Zuwendungen bei steigenden Kosten – durch die kreative Buchführung an der Burg vertuscht werden?
Fest steht mittlerweile, dass zumindest ab 2003/2004 keine Bilanz der Burgtheater GmbH die wahren wirtschaftlichen Werte abbildete. Fest steht weiters, dass mehrere (ehemalige) kaufmännische und künstlerische Geschäftsführer der Burgtheater GmbH auch für die Jahre vor 2008 eine Selbstanzeige an die Finanz übermittelten. Und aktenkundig ist überdies, dass es bereits im Jahr 2002 zu zumindest auffälligen Gebarungen gekommen war.
Addendum liegt die Zeugenaussage von Michael Maertens vor dem Bundesamt für Korruptionsbekämpfung (BAK) vor, der im Jahr 2004 rund 100.000 Euro an Gehalt im Burgtheater – und nicht auf einem Bankkonto – liegen hatte (siehe Faksimile). Der bekannte Schauspieler sollte dies vor den Ermittlern folgendermaßen begründen: „Dieser Vorgang war für mich in keinster Weise ungewöhnlich, weil ich dieses Prozedere bereits bei einem früheren Engagement bei den Salzburger Festspielen in der ganz genau gleichen Art und Weise erlebt hatte.“
Im Burgtheater, erklärte Maertens unter Wahrheitspflicht, „war der Vorgang des Anhäufens meiner Gage kein Geheimnis und auch öffentlich bekannt. Jeder in der Geschäftsführungsetage wusste darüber Bescheid. Ich konnte jederzeit auf mein angehäuftes Guthaben zugreifen, indem ich in das Büro von Frau Stantejsky ging und nach Auskunft wie hoch [ich] im Plus sei, eine Verfügung über die von mir gewünschte Summe traf.“ Seine Gage sei vom Burgtheater versteuert, alles völlig rechtens gewesen (siehe Faksimile).
Hat auch der damalige kaufmännische Direktor Thomas Drozda gewusst, dass Künstler im Burgtheater Bargeld bunkern?
Thomas Drozda ließ dazu über seinen Sprecher ausrichten: „Dass sich Künstlerinnen und Künstler ihre Gage auch in bar auszahlen ließen, war der Direktion selbstverständlich bekannt. Dies war im Burgtheater, aber auch in anderen künstlerischen Institutionen üblich. Allerdings waren weder die Direktoren noch der Aufsichtsrat mit den Details der Gagenabrechnungen und Gagenauszahlungen befasst.“ Für die Durchführung der Entlohnung der Künstler seien die Lohnverrechnung und die auszahlenden Stellen (Kassa, Bank) zuständig gewesen. Drozda: „Die Lohnverrechnung sowie die Barauszahlung von Gagen über Kassa lagen zum Zeitpunkt der Direktion Bachler/Drozda im Zuständigkeitsbereich der Prokuristin Stantejsky.“
Weit schwerer wiegt freilich der Vorwurf der fehlerhaften Bilanzierung. Womit wir wieder bei der Geschäftsführerverantwortung wären. Aber dieser Begriff lässt in der Causa Burgtheater viel Raum für Interpretation.
Hinweis: Matthias Hartmann arbeitet als Creative Director im Red Bull Media House. Eigentümer dort ist Dietrich Mateschitz. Dietrich Mateschitz hat die Quo Vadis Veritas Stiftung ins Leben gerufen. Addendum ist ein Produkt der Quo Vadis Veritas Privatstiftung.