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Grasser und die Medien: Das 506-Seiten-Gutachten der Verteidigung
1. Dezember 2017 Justiz Lesezeit 3 min
Mit dem umfangreichen Papier eines deutschen Anwalts, das eine mediale Vorverurteilung belegen soll, versuchen die BUWOG-Angeklagten Karl-Heinz Grasser, Walter Meischberger und Ernst Karl Plech aufzuzeigen, dass sie kein faires Verfahren zu erwarten hätten. Addendum liegt das Privat-Gutachten vor. Das Gericht sieht darin „Litigation PR“.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Justiz und ist Teil 15 einer 27-teiligen Recherche.
Bild: Roland Schlager | APA

Am 12. Dezember soll der BUWOG-Prozess starten. Soll deshalb, weil der Oberste Gerichtshof (OGH) erst am Tag zuvor entscheiden wird, ob Richterin Marion Hohenecker den Prozess leiten darf.  Manfred Ainedter, Anwalt des im BUWOG-Verfahren angeklagten Karl-Heinz Grasser, hat im Auftrag seines Mandanten sowie der Mitangeklagten Walter Meischberger und Ernst Karl Plech die Medienberichterstattung über die genannten Personen untersuchen lassen. Das 506 Seiten umfassende Gutachten (Pdf als Download), das der deutsche Anwalt Ralf Höcker gemeinsam mit seiner Kollegin Anja Wilkat verfasst hat, soll die Vorverurteilung der genannten Personen belegen. Ainedter hat die Erkenntnisse aus dem Papier, in dem auf den ersten 43 Seiten das heimische Polit- und Mediensystem analysiert wird, am 29. November in einer Pressekonferenz referiert. Er bezweifelt, dass ein faires Verfahren möglich ist.

Aktualisierung, 8. Dezember 2017: In einem Addendum-Video-Interview bezieht Karl-Heinz Grasser zum Thema mediale Vorverurteilung kurz Stellung: 

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Die Generalprokuratur hat eine „Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes“ eingebracht. Auslöser war der so genannte Villa-Esmara-Prozess. In dieser Causa war Ex-Immofinanz-Chef Karl Petrikovics angeklagt, der auch im BUWOG-Verfahren einer der Beschuldigten ist. Richterin im Fall Villa Esmara war Marion Hohenecker. Über Petrikovics konnte sie aber nicht urteilen, weil er verhandlungsunfähig war. Der mitangeklagte und verurteilte Ronald Leitgeb berief, das Urteil wurde aufgehoben und an die erste Instanz und eine andere Richterin zurückverwiesen. Wer nun für Petrikovics zuständig ist, muss der OGH klären. Sollte der OGH befinden, dass Hohenecker die Sache verhandeln muss, kann der BUWOG-Prozess am 12. Dezember starten. Andernfalls muss sich ein neuer Richter in den Fall einarbeiten, der Verhandlungsbeginn müsste verschoben werden.

Expertise von Ex-Kachelmann-Anwalt

Grasser, Meischberger und Plech gehen laut dem Gutachten davon aus, „dass (…) rund 25.000 Berichterstattungen veröffentlicht worden sein dürften, in denen abträglich über sie berichtet wurde.“ Rechtsanwalt Höcker, der in Deutschland Wetter-Moderator Jörg Kachelmann vertreten hatte, nahm rund 1.000 Artikel, Ausschnitte aus TV- und Radiosendungen, Bücher, Mitschnitte von Veranstaltungen sowie Online-Berichte unter die Lupe. Viele Artikel aus nahezu allen wesentlichen österreichischen Medien sind auszugsweise zitiert, um die aus Sicht der Auftraggeber degradierende Berichterstattung zu untermauern.

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Von der „BUWOG-Bombe“ bis zum „Buwockl“

Da geht es beispielsweise um Geschichten, die unter den Titeln „BUWOG-Bombe“, „Der Minister will“ oder auch „Grassers BUWOG-Drama“ erschienen sind. Auch durch kabarettistische Aufarbeitungen der BUWOG-Causa fühlen sich Grasser & Co. denunziert. Ebenso durch ein Kinderbuch namens „Buwockl – der Kobold mit zu schönem Haar“ (Seite 405 im Höcker-Gutachten).

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Thematisiert wird in dem Gutachten auch die „permanente Wiederholung“ von Walter Meischbergers Aussspruch „Wo woar mei Leistung“, die noch dazu meist fälschlicherweise als „Wos woar mei Leistung?“ wiedergegeben worden sei, wie hervorgestrichen wird (u.a. Seiten 222 ff).

„Höherer Grad an Vorverurteilung kaum denkbar“

Conclusio der Höcker-Prüfung (Seite 506): Aufgrund der Berichterstattung „gelten (…) Grasser, Meischberger und Plech in den Köpfen der österreichischen Bevölkerung unwiderruflich als diejenigen, die sich im Zusammenhang mit staatlichen Privatisierungen auf Kosten der Republik Österreich in ganz massivem Umfang zu Unrecht persönlich bereichert haben. (…) Ein höherer Grad an Vorverurteilung erscheint uns kaum denkbar.“

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Gutachten im Strafprozess

Gutachten werden im Gerichtsprozess vom Richter beauftragt und im Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft. Auch Privatpersonen steht die Möglichkeit offen, ein Gutachten zu beauftragen. Ob der Richter solche Privat-Gutachten in seine Entscheidung einbezieht unterliegt seiner freien Beweiswürdigung.

Eine Sprecherin des Landesgerichts Wien sagte zur Pressekonferenz der Grasser-Verteidiger laut APA, diese sei das Recht der Anwälte und gehöre wohl zu „Litigation PR“. Es sollte aber auch zur Kenntnis genommen werden, dass beispielsweise Walter Meischberger in einem Verfahren freigesprochen worden sei.

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Ähnlich argumentierte Falter-Chefredakteur Florian Klenk beim Talk im Hangar 7:

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„Das was jetzt passiert, das ist Litigation PR (…) Das, was Herr Höcker macht, ist ein privates Gutachten im Auftrag des Herrn Grasser, das erweiterte Anwaltsarbeit darstellt. Letztlich muss er zu dem Ergebnis kommen: ‚Der Mandant ist vorverurteilt‘. Es stimmt nur nicht.“  

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