Die Anklagebehörden unterstehen in Österreich den Weisungen des Justizministers. Das garantiert eine einheitliche Leitung, zumal es neben dem Ressortchef und dem ihm unterstellten Sektionschef keine eigenständige staatsanwaltliche Führung, keinen Generalstaatsanwalt gibt. Es fördert aber auch den Anschein politischer Einflussnahme auf die Justiz.
Das Justizressort übt sein Weisungsrecht unmittelbar gegenüber den vier Oberstaatsanwaltschaften aus. Diese kontrollieren wiederum die 16 Staatsanwaltschaften und die besondere Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft.
Das Justizministerium behält durch Berichte den Überblick über alle wesentlichen Strafverfahren. Das Ausmaß dieses Berichtswesens ist nicht unerheblich. Im Jahr 2013 rapportierten die Oberstaatsanwaltschaften dem Justizressort beispielsweise 4.752 Mal. Sollen Ermittlungen ausgedehnt oder eingestellt werden, kann das Ministerium entsprechende Weisungen erlassen.
Die Verantwortung dafür trägt der Leiter der Sektion IV im Justizministerium, Christian Pilnacek. Der ihm unterstehende Leiter der sogenannten Weisungsabteilung, Robert Jirovsky, schilderte den Umgang mit solchen Berichten 2008 vor einem Untersuchungsausschuss:
„Das Eingangsstück, also der Bericht der Oberstaatsanwaltschaft, der Staatsanwaltschaft oder auch sonstige Schriftstücke gelangen in die Kanzlei, werden dort elektronisch erfasst, wenn es eben keine Verschlusssachen sind, werden dann mir vorgelegt beziehungsweise zugeleitet. Ich teile dann das dem Referenten zu oder mache auch selber was, je nachdem, je nach Kapazität. Dann wird das von mir, wenn es der Mitarbeiter macht, genehmigt beziehungsweise approbiert. In wichtigen Fällen sieht es natürlich der Sektionsleiter beziehungsweise dann das Minister-Kabinett.“
Diese Weisungen sind immer wieder Gegenstand von Kritik, die sich gegen eine mögliche politische Einflussnahme auf Verfahren richtet. Deshalb wurde die parlamentarische Kontrolle in diesem Bereich verschärft. Der Justizminister, so bestimmt es das Staatsanwaltschaftsgesetz, „hat dem Nationalrat und dem Bundesrat jährlich über die von ihm erteilten Weisungen zu berichten“. Allerdings wurden dem Parlament in den vergangenen Jahren offenbar keine solchen Berichte vorgelegt. Die jüngste Veröffentlichung stammt aus dem Jahr 2010.
Ein klarer Gesetzesbruch. „Der Bericht über die letzten Jahre steht noch in Bearbeitung“, heißt es dazu aus dem Ressort. Der Grund für die Verzögerung erkläre sich „aus der Notwendigkeit, die Tätigkeit des Weisungsrates umfassend darzustellen“. Tatsächlich muss der Minister seit 2016 auch berichten, wann und warum er von den Vorschlägen dieses Gremiums abweicht.
Der Beirat für den ministeriellen Weisungsbereich wurde 2016 gesetzlich verankert und bildet gewissermaßen einen Puffer zwischen Ressort und Staatsanwaltschaften. Er überprüft geplante Weisungen des Ministers und erstattet dazu Vorschläge. Insgesamt empfahl der Weisungsrat in seinem ersten Jahr, fünf intendierte Weisungen nicht zu geben.
Der Einfluss des Justizministeriums auf Ermittlungen der Staatsanwaltschaften beschränkt sich aber nicht nur auf Weisungen. Informelle Kontakte und Besprechungen können die Vorgehensweise beeinflussen, ohne dass formal eine Weisung erteilt werden muss.
Unklar ist die Protokollierungspraxis solcher Kontakte, die nicht nur Ermittlungsschritte, sondern auch personelle Fragen betreffen können. Mangels Veraktung, statistischer Erfassung und Veröffentlichung können sie nur im Einzelfall angenommen oder rekonstruiert werden.
Beispielhaft für das informelle Vorgehen in heiklen Berichtsfällen ist die sogenannte Inseratenaffäre rund um Werner Faymann und Josef Ostermayer. Laut Wiener Zeitung fand in dieser Angelegenheit eine Besprechung im Justizministerium statt, bei der „neben der Wiener Staatsanwaltschefin und der Anklägerin auch Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek, die Weisungsgeber der Oberstaatsanwaltschaft, Werner Pleischl und Harald Salzmann, sowie der Leitende Staatsanwalt Robert Jirovsky und Staatsanwalt Gregor Adamovic“ anwesend waren.
Weisungen sind auch deshalb nicht immer notwendig, weil der Akt auch mit Ergänzungswünschen an die zuständige Oberstaatsanwaltschaft zurückgeleitet werden kann, wie Jirovsky ausführt: „Also wenn wir der Meinung sind, etwas fehlt in dem Bericht, es ist nicht zur Gänze abgearbeitet, juristisch aufgearbeitet, dann kann es auch sein, dass wir das der Oberstaatsanwaltschaft nochmals zuleiten, dass sie auch zu diesem von uns vermissten Punkt Stellung nimmt.“
Was da passiert, unterliegt dem Amtsgeheimnis und damit der Spekulation. Welcher Staatsanwalt wird auf welchen Fall angesetzt? Bekommt er die Ressourcen, die er braucht? Gibt es eine direkte oder indirekte Erwartungshaltung des Ministeriums? Fragen, deren Beantwortung auch aufgrund der mangelnden Transparenz des Systems fehlt.