Wenn sich 37 Millionen Euro in Luft auflösen, muss dahinter keine kriminelle Energie stecken. So sah das jedenfalls am 1. Februar 2018 ein Schöffensenat am Landesgericht Klagenfurt. Er sprach die früheren Chefs der Hypo Alpe Adria, Wolfgang Kulterer und Günter Striedinger, in der sogenannten Causa „Hilltop“ frei. Die Richterin ging noch einen beachtenswerten Schritt weiter: Sie entschuldigte sich bei den Ex-Vorständen, die im Zusammenhang mit anderen Hypo-Vorwürfen jeweils mehrere Jahre Haft hinter sich haben, für das Vorgehen der Staatsanwaltschaft – und äußerte harsche Kritik.
Es sei unergründlich, warum die Angeklagten sich so viele Jahre als Beschuldigte hätten verantworten müssen, sagte die Richterin laut Austria Presse Agentur. Sie habe den Objektivitätsgrundsatz durch eine Anklagebehörde noch nie so verletzt gesehen wie in diesem Fall. Die einstige Kreditvergabe sei wirtschaftlich vertretbar gewesen. Es seien dabei auch Expertisen von anerkannten Gutachtern eingeholt worden, auf die sich die Angeklagten selbstverständlich hätten verlassen dürfen, ebenso wie auf die von untergeordneten Bankmitarbeitern lege artis aufbereiteten Unterlagen.
Vor dem Hintergrund üblicher Rechtsprechungspraxis kann man das wohl nur als schallende Ohrfeige interpretieren. Seit 2010 – knapp nach der Verstaatlichung der Hypo – ermittelt die Staatsanwaltschaft Klagenfurt zu einer Vielzahl an Vorwürfen gegen frühere Manager und Geschäftspartner der Bank. Es gibt nicht rechtskräftige Urteile, die zeigen, dass es bei der Vergabe von Millionenkrediten wiederholt zu schweren Verfehlungen gekommen war. Und jetzt soll – zumindest in Bezug auf den Hilltop-Deal, der unter dem Stichwort „Ziegenacker“ bereits im Hypo-U-Ausschuss des österreichischen Nationalrats ein großes Thema gewesen ist – alles seriös abgelaufen sein? Mit den ungewöhnlichen Worten der Klagenfurter Richterin haben jedenfalls all jene Ex-Banker Oberwasser, die sich von Beginn als Opfer einer „Hexenjagd“ darstellen wollten.
Wir haben recherchiert, was hinter der Causa „Hilltop“ steckt – und warum die Kritik des Gerichts an den Anklägern viele Kenner der Materie doch sehr überrascht hat.
Worum geht es in der Causa „Hilltop“? Simpel gesagt: Um die Frage, wie der angebliche Wert eines Grundstücks innerhalb von fünf Tagen von 4,36 Millionen Euro auf 37,2 Millionen Euro steigen konnte – um später auf einen Bruchteil dieses Werts zu sinken. Und um die Frage, wo die Differenz geblieben ist, für die letztlich die österreichischen Steuerzahler aufkommen mussten.
Den Schlüssel zur Antwort findet man in der ersten Oktoberwoche 2003. Am 3. Oktober 2003 genehmigt die Hypo-Tochter in Liechtenstein einer Firma namens Piper d.o.o. einen Kredit über 4,5 Millionen Euro. Damit soll die Piper ein 1.431.978 Quadratmeter großes Grundstück auf der kroatischen Insel Pag erwerben. Dass der Kredit nur über vier Monate laufen soll, könnte die Vermutung aufkommen lassen, dass die involvierten Personen bereits wussten, dass bald ein Weiterverkauf stattfinden würde.
Tatsächlich: Am 6. Oktober 2003, also nur drei Tage später, beantragt eine zur Hypo gehörende Beteiligungsfirma bei der Hypo-Konzernmutter in Klagenfurt einen Kredit über 37,23 Millionen Euro. Damit soll die Liechtensteinische Firma Hilltop gekauft werden. Der Hilltop gehören damals bereits 62 Prozent der Grundstückseigentümerin Piper. Ein paar Tage später übernimmt sie den Rest der Anteile – und somit das Eigentum am Grundstück in Kroatien.
Auffällig ist nicht nur, dass eine österreichische Bank mit eigener Kroatien-Tochter die erste Phase eines Grundstücksdeals in diesem Land zunächst über Liechtenstein finanziert. Auffällig ist auch, dass die Hypo Liechtenstein 4,5 Millionen Euro für den Ankauf vergibt, die Hypo-Konzernmutter ein paar Tage später dann das Achtfache.
Tatsächlich genehmigen unter anderem Generaldirektor Kulterer und sein Vize Striedinger am 7. Oktober 2003 den Kredit über 37,23 Millionen Euro, mit dem der eigene Bankkonzern in der Folge die Firma Hilltop und damit die Liegenschaft erwirbt. Dass keinem der Beteiligten aus der vorangegangenen Liechtenstein-Finanzierung bekannt ist, dass das Grundstück soeben um lediglich 4,36 Millionen Euro den Besitzer gewechselt hat, erstaunt. Striedinger sitzt zum damaligen Zeitpunkt auch im Verwaltungsrat der Hypo-Tochter im Fürstentum.
Irgendjemand muss da also einen riesigen Schnitt gemacht haben – es war allerdings nicht die Hypo. Die musste nämlich den Buchwert im Laufe der Jahre um 36,5 Millionen Euro abschreiben. Warum, zeigt das Foto- und Videomaterial, das Addendum vorliegt.
Dieses Grundstück erreichte innerhalb weniger Tage eine Wertsteigerung von 4,3 auf 37 Millionen Euro, ohne dass dazwischen etwas passierte. Die Hypo-Manager wussten dies und finanzierten trotzdem beide Beträge. Nun ist es wegen Rechtsstreitigkeiten unverkäuflich.
Auf dem Grundstück wurde nie etwas gebaut. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass es Streitigkeiten um die ursprüngliche Eigentümerschaft gab. Dieser überaus relevante Vermerk war ausgerechnet in jener Oktoberwoche, in der die Millionen-Entscheidungen getroffen wurden, nicht ins Grundbuch eingetragen. Knapp vorher und auch nachher schon.
Wahrscheinlich spielt aber auch die Tatsache eine Rolle, dass von den 37 Millionen Euro nichts in die Projektentwicklung investiert wurde. Laut Anklageschrift „wurde der Kaufpreis am 11. Dezember 2003 an die drei Gesellschaften überwiesen“, die in Liechtenstein domiziliert waren und hinter denen drei kroatische Geschäftsleute standen. Dabei hatten diese ihrerseits erst nach Genehmigung des Kredits die Firma Hilltop übernommen – als der Deal praktisch schon in trockenen Tüchern war.
Wie ein Teil des Geldes von den Firmen der kroatischen Geschäftsleute weitergeflossen ist, zeigen Abrechnungen, die Addendum vorliegen. Unter anderem legte ein Berater im September und Oktober 2004 Rechnungen über mehr als 300.000 Euro an eine der Liechtensteinischen Verkäuferfirmen, bei der er gleichzeitig der wirtschaftliche Berechtigte war. Als Rechnungszweck waren lediglich „diverse Marktforschungen“, einmal auch „Gebühren und Spesen“ angeführt.
Das alles hat eine problematische Optik, ist aber nicht zwingend strafbar. Zumindest nicht, wenn man – wie die Klagenfurter Richterin – davon ausgeht, dass die Kreditvergabe über 37,2 Millionen Euro ohne Bereitstellung von Eigenkapital und ohne Tilgungsträger wirtschaftlich vertretbar gewesen ist, obwohl vorneweg andere damit den großen Schnitt gemacht haben. Tatsächlich ist eine Konstellation denkbar, bei der das völlig in Ordnung wäre: Wenn Kulterer und Striedinger davon ausgehen konnten, dass die Kreditmittel samt Zinsen wieder zurückfließen würden und – idealerweise – die Hypo-Beteiligungstochter mit der Verwertung des Grundstücks auch einen Gewinn einfahren würde.
Die Richterin in Klagenfurt war offensichtlich der Meinung, dass die ehemaligen Hypo-Chefs das damals zu Recht annehmen durften. Besonders verwies sie in ihrer Staatsanwalts-Schelte darauf, dass das Bankmanagement doch Expertisen von anerkannten Gutachtern eingeholt habe. Wie professionell diese Expertise für einen Deal in zweistelliger Millionenhöhe tatsächlich ausfiel, zeigt allerdings ein Dokument, das Addendum vorliegt.
Das Wertgutachten des Roko M. ist. – ohne Fotobeilagen – gerade einmal fünf sehr spärlich betextete Seiten kurz. Es ist datiert mit 7. Oktober 2003 – dem Tag der Kreditgenehmigung. Kernstück ist die Multiplikation der Grundstücksfläche mit einem Quadratmeterpreis von 28 Euro. Wie der Gutachter auf diesen Wert kommt, bleibt ein Rätsel. Dabei hätte das Hypo-Management an dieser Frage besonders interessiert sein müssen. Schließlich war der ursprüngliche Ankauf mit Liechtensteinfinanzierung fünf Tage vorher zu einem Quadratmeterpreis von 3,05 Euro erfolgt.
Sehr wohl im Gutachten enthalten ist der Hinweis, dass die Hypo keine Unterlagen zur Eigentümerschaft des Grundstücks bereit gestellt hatte. Am Ende ergab sich ein Wert von 44,1 Millionen Euro – auf dem Papier. Ein paar Jahre später war es in der Praxis ein Bruchteil.
Ist das alles wirklich „lege artis“? Die Klagenfurter Richterin meint offenbar, ja. Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Freispruch Rechtsmittel angemeldet. Alle Beschuldigten haben sämtliche Vorwürfe immer bestritten.
Die erstinstanzlichen Freisprüche in der Causa „Hilltop“ kommen zu einer Zeit, in der sich die Aufklärungsarbeit rund um die Hypo-Pleite, welche die österreichischen Steuerzahler bis zu 15 Milliarden Euro gekostet hat, dem Ende nähert. Die sogenannte Soko Hypo, eine spezielle Ermittlungseinheit der Kriminalpolizei, wurde mit Ende des Jahres 2017 aufgelöst. Soko-Chef Bernhard Gaber geht zurück ins Innenministerium. Der Rest der Truppe ist in das Landeskriminalamt Kärnten übersiedelt. Neue Ermittlungen rund um die Hypo Alpe Adria gelten als unwahrscheinlich. Auch die Staatsanwaltschaft hat ihre Ressourcen bereits reduziert.
Wolfgang Kulterer, viele Jahre lang Vorstands- und später Aufsichtsratschef der Krisenbank, wurde Anfang Februar 2018 vorerst aus der Haft entlassen.
Die Hypo bzw. ihre Nachfolgegesellschaft Heta sitzt im Zusammenhang mit dem Ziegenacker in Kroatien jedenfalls immer noch auf einem veritablen Problem. Auf Anfrage von Addendum heißt es: „Die Liegenschaft der PIPER d.o.o. steht derzeit nicht zum Verkauf. Aktuell sind Rechtsverfahren anhängig, deren Abschluss abzuwarten sind bevor an eine weitere Disposition über das Grundstück zu denken ist.“
Und das, obwohl der ursprüngliche Deal bereits 15 Jahre her ist.