TV-Beitrag Factum vom 8. Mai 2019:
Für die anwesenden Vertreter von 38 Tennisclubs muss sich die außerordentliche Generalversammlung des Wiener Tennisverbands (WTV) Anfang April 2019 ein wenig wie ein Wimbledon-Finale angefühlt haben. Es geht um viel in jener kurzfristig einberufenen Sitzung – jedenfalls um viel Geld. Und das Ergebnis der entscheidenden Abstimmung fällt knapper aus als das nervenaufreibendste Tie-Break.
Zweimal wird ausgezählt, dann steht fest: Mit einer hauchdünnen Mehrheit von 35:34 Stimmen ebnen die Mitgliedsvereine, die jeweils über eine unterschiedliche Stimmenanzahl verfügen, dem Ex-WTV-Präsidenten Franz Sterba den Weg aus einem seit fast drei Jahren laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Dem früheren Spitzenfunktionär, der gerne auch privat mit dem Verbands-Porsche durch Österreich kurvte, wird eine Anklage erspart bleiben. Die Vereine stimmen einem sogenannten Tatausgleich zu: Sterba soll rund 73.000 Euro an den WTV bezahlen. Dafür erledigt die ermittelnde Staatsanwältin das Verfahren per Diversion. Zahlt Sterba wie geplant bis Ende Mai, muss er also nicht vor den Strafrichter. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Wien bestätigte auf Anfrage von Addendum, dass die Diversion durchgeführt wird.
Nun wirken 73.000 Euro auf den ersten Blick wie eine stattliche Summe. Zudem konnten sich die Vertreter der Wiener Tennisclubs bei der Generalversammlung nicht sicher sein, ob die Staatsanwältin nicht auch ohne ihre Zustimmung das Verfahren per Diversion beenden würde – dann eben ohne Tatausgleich für den WTV. Allerdings deckt der Betrag lediglich die Gutachterkosten, die der WTV selbst für die interne Aufklärung ausgegeben hat. Und angesichts der bisher im Raum stehenden möglichen Schadenssummen machen sich 73.000 Euro geradezu bescheiden aus.
Was die Vereinsvertreter bei ihrer Abstimmung jedenfalls nicht im Detail kannten, ist das Gutachten, das die Staatsanwaltschaft ihrerseits bei einem Sachverständigen in Auftrag gegeben hat. Dieses liegt Addendum vor. Und es wirft die grundsätzliche Frage auf, wie eine Diversion in einem solchen Fall überhaupt möglich ist.
Der zentrale Aspekt vorneweg: Der Sachverständige Matthias Kopetzky, der in zahlreichen wichtigen Causen als Gutachter tätig ist, kommt auf einen potenziellen Schaden von rund 650.000 Euro – und zwar im für Sterba günstigsten Fall. Rechnet man weitere fragwürdige Punkte dazu, könnten noch einmal gut 100.000 Euro dazukommen.
Diese Größenordnung wirkt keineswegs aus der Luft gegriffen. Schon die WTV-Gutachten, die von der Wirtschaftsprüfungskanzlei BDO erstellt worden waren, sollen intern im Verband zu einer Schadenseinschätzung von möglicherweise rund 600.000 Euro geführt haben. Wie Addendum erfahren hat, kursierte bei der Generalversammlung Anfang April ein potenzieller Schadensbetrag von rund 720.000 Euro. Da Sterba bereits 2017 rund 170.000 Euro zurückbezahlt hat, geht man beim WTV nun von einer offenen Summe von 550.000 Euro aus.
Die Schadenshöhe ist auch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren relevant. Eine Diversion ist nämlich nur bis zu einem Schaden von maximal 300.000 Euro möglich. Bis Ende 2015 belief sich die Wertgrenze gar nur auf 50.000 Euro, dann trat allerdings eine Reform des Untreue-Paragrafen in Kraft. Sterba gehört allem Anschein nach also zu jenen, die von der deutlichen Entschärfung des Wirtschaftsstrafrechts profitieren. Ihm hilft allerdings auch die konkrete Rechtsauslegung der Staatsanwaltschaft in diesem Fall.
Eine Sprecherin erklärt auf Anfragen, dass es zu einzelnen Punkten des Ermittlungsverfahrens Teileinstellungen gebe, da dazu „kein Vorsatz feststellbar“ sei. Dadurch rutscht der – strafrechtlich relevante – Schaden unter die Grenze von 300.000 Euro. Und damit ist eine Diversion möglich. Die Oberstaatsanwaltschaft Wien sei über die Vorgangsweise in Kenntnis.
Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft konnte keine Auskunft geben, welche konkreten Punkte eingestellt wurden. Dem Vernehmen nach sollen darunter jedoch einige besonders strittige Themen sein. Unter anderem die Praxis Sterbas, Leasingautos des WTV privat zu nutzen – etwa einen Audi 6 und einen Porsche 911 Targa.
Dabei geht es um eine ordentliche Summe Geld: Laut Sachverständigengutachten beläuft sich das Schadenspotenzial – „abhängig von der Würdigung durch das Gericht“ – auf insgesamt 160.000 Euro. Sind hier tatsächlich ohne Vorsatz beträchtliche Mehrausgaben passiert? Das Kopetzky-Gutachten liefert Hinweise, die zur Beantwortung dieser Frage hilfreich sein können. Der Sachverständige schreibt:
Der Sachverständige verweist darauf, dass es günstiger gewesen wäre, wenn nur der bereits im Fuhrpark befindliche Audi 6 nach 2011 weitergenutzt worden wäre. Der war nämlich schon abbezahlt. Stattdessen leaste der WTV und Sterba einen VW Golf und den erwähnten Porsche:
Sterba hat in der Vergangenheit betont, „immer Privatanteile“ für die private Nutzung von WTV-Autos bezahlt zu haben, in der letzten Phase seiner Amtszeit 1400 Euro pro Monat. Der Sachverständige der Staatsanwaltschaft stellt allerdings fest:
Sterba hat immer betont, die private Autonutzung sei durch Vorstandsbeschlüsse gedeckt gewesen. Der Gutachter sieht das anders:
Die Mehrkosten des WTV für Porsche & Co rechnet der Sachverständige jedenfalls Sterba zu:
Ein weiterer Punkt, der angeblich von der Staatsanwaltschaft eingestellt wurde, ist der Verdacht, Sterba hätte jahrelang – ohne entsprechende Beschlüsse – auf Verbandskosten bzw. auf Kosten einer Tochter-GmbH des WTV eine teure VIP-Loge bei der Tennis-Trophy in der Wiener Stadthalle gemietet. Gutachter Kopetzky ortete diesbezüglich – „abhängig von möglichen weiterführenden Informationen durch involvierte Personen und von der richterlichen Würdigung“ – ein mögliches Schadenspotenzial von insgesamt 64.294,06 Euro.
Angaben Sterbas, es habe sich bei der VIP-Loge um ein Gesamtpaket, das auch einen Informationsstand für den WTV beinhaltet habe, gehandelt, kann der Sachverständige anhand der vorliegenden Rechnungen nicht nachvollziehen. Auch finde die Präsentation des WTV im Rahmen einer VIP-Loge in den Vorstandsprotokollen und den Protokollen der Generalversammlung (GV) keinen Niederschlag. Kopetzky schreibt:
Ein weiterer Aspekt, der angeblich strafrechtlich nun doch nicht zum Tragen kommen soll, bezieht sich auf die jährliche Teilnahme an einer sogenannten Sportgala. „Abhängig von neu hervorkommenden Unterlagen bzw. der Würdigung durch das Gericht“ sieht der Sachverständige der Staatsanwaltschaft hierbei ein mögliches Schadenspotenzial von bis zu 20.800 Euro.
Im Detail verweist der Gutachter auf „keine ordnungsgemäße“ Dokumentation der Zahlungen, die augenscheinlich für Tischmieten, Tickets bzw. einen Sponsorbeitrag getätigt und über den WTV abgerechnet wurden. Ein Jahr sticht Kopetzky dabei besonders ins Auge. 2014 habe Veranstalter Edi Finger angeblich versucht, die „Gala“ statt in der Hofburg in einer Pizzeria in Laxenburg „abzuführen“:
Der Sport- und Radiomoderator Edi Finger kommt noch an anderer Stelle im Sachverständigengutachten der Causa Sterba vor. Demnach bezahlte der WTV Edi Finger einen „Showanzug“ um 750 Euro. Sterba begründete das gegenüber den vom WTV einst beauftragten BDO-Gutachtern folgendermaßen:
„Für die Moderation von Edi Finger bei der Tennisgala 2010 wurde der (aufgrund der Größe sonst nicht mehr verwendbare Showanzug, daher zur Rückgabe als Leihanzug nicht verwendbar) angekauft bei P. Teuschler, siehe Rechnung.“
Der Sachverständige der Staatsanwaltschaft gibt sich damit jedoch nicht zufrieden. Er meint, die Vorgehensweise sei „erstaunlich“:
Doch das ist nicht das einzige Problem mit der Anzug-Zahlung für Edi Finger. Dieser war ein Posten im Rahmen der Verrechnung Sterbas für eine der jährlichen Tennis-Galas, die der WTV für seine Mitglieder veranstaltet. Laut früheren BDO-Gutachten seien die Einnahmen und Ausgaben in Zusammenhang mit den Abendveranstaltungen als „Nebenbuch“ geführt und nur die Differenz per Eigenbeleg erfasst worden. Kopetzky schreibt: „Intransparenter lässt sich eine Gebarung im ‚Saldierungsverfahren‘ eigentlich nicht mehr organisieren.“
In der Praxis lief das folgendermaßen ab: Sterba ließ sich noch im Rahmen der Veranstaltung die Einnahmen aus der Tombola übergeben. Damit – und augenscheinlich auch mit weiteren Mitteln – bezahlte er dann gleich vor Ort bestimmte Aufwendungen. Oft ohne dass dafür Rechnungsbelege vorliegen würden. Kopetzky äußert gravierende Bedenken:
Exemplarisch in Bezug auf das Jahr 2013 führt der Gutachter an, dass die Ausgaben möglicherweise einem überaus „großzügigen“ Auftreten Sterbas geschuldet sein könnten:
Der „Showanzug“ für Edi Finger scheint wiederum in einer Zahlungsaufstellung Sterbas für die Tennisgala 2011 auf. Der Sachverständige vermutet, dass der Anzug vom WTV letztlich sogar zweimal bezahlt wurde:
Kopetzky fasst zusammen:
Was allgemein die Kassaführung Sterbas betrifft, äußert der Sachverständige der Staatsanwaltschaft herbe Kritik:
Kopetzky beschreibt, dass es sich bei zahlreichen Belegen um Ausdrucke von Überweisungen des privaten Bankkontos Sterbas gehandelt habe: „Auftraggeber ist im wesentlichen Dr. Franz Sterba und nicht der WTV. Teilweise dürfte ‚WTV‘ am Beleg – möglicherweise nachträglich – hinzugefügt worden bzw. nicht auf allen Belegteilen erkenntlich sein.“
Das bringt laut dem Sachverständigen folgendes Problem mit sich:
Ein weiteres Beispiel für eine hinterfragenswerte Abrechnung: In der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung des WTV findet sich eine Auszahlung, die mit „Dressen für Kader“ betitelt ist. Der zugehörige Lieferschein über 230,70 Euro wurde im Rahmen der Kassa Sterba abgerechnet. Laut Lieferschein handelt es sich bei den „Dressen für Kader“ um je ein Paar Schuhe, ein Paar Socken, eine Hose und ein Polo-Shirt. Kopetzky schreibt:
Sterbas Rechtsanwalt Thomas Kralik teilte auf eine Anfrage von Addendum mit: „Bitte um Ihr Verständnis, dass wir inhaltlich dazu keine Stellung nehmen werden, denn die Richtigstellung dieser Halbwahrheiten und Sachverhaltsverdrehungen würden wohl den Rahmen sprengen.“ In einer schriftlichen Stellungnahme an die Mitgliedsvereine im Jahr 2017 schrieb Sterba allgemein: „Ich habe keine einzige Ausgabe in die Buchhaltung aufgenommen, die nicht zum Nutzen des WTV erfolgte.“
Anerkannt hat Sterba einen Fehlbetrag von insgesamt 192.000 Euro für in Rechnungsabschlüssen des WTV erfasste Ausgaben, für welche laut BDO-Gutachten jegliche Verwendungsnachweise fehlen, und für Auszahlungen aus der Tochter-GmbH, zu welchen keine korrespondierenden Einzahlungen im WTV festgestellt werden konnten. Abzüglich eigener Forderungen zahlte Sterba im März 2017 knapp 170.000 Euro zurück.
Diesen Betrag können sich jene im WTV auf die Fahnen heften, die zunächst im Mai 2016 Anzeige erstatteten, und jene, die intern die Aufklärung vorantrieben. Möglicherweise kommen noch weitere Beträge herein: Der Anwalt des WTV, Gerhard Jöchl, kündigte im Gespräch mit Addendum an, nun eine Zivilklage gegen Sterba vorzubereiten. Entsprechende Schritte wurden bei der außerordentlichen Generalversammlung Anfang April mit großer Mehrheit beschlossen. In der Klage seien auch jene Punkte enthalten, die für die Staatsanwältin aus strafrechtlicher Sicht nicht relevant gewesen seien. Zivilrechtlich geht es nun demnach um die verbliebenen rund 550.000 Euro.
Zunächst wandert die Klage zu einem Schiedsgericht. Die vorliegenden Gutachten dürften dem WTV dabei durchaus nützlich sein – etwa wenn Kopetzky schreibt: „Es ist nicht nachvollziehbar, wenn der WTV die Zahlungen tragen soll, dass ihm die Originalrechnungsbelege vorenthalten werden, aus welchen Leistungserbringer, erbrachte Leistung, Zweck und Zahlungsbetrag zu erkennen sind.“
Für folgende Passagen dürften sich die Schiedsgericht ebenso brennend interessieren, wie die Schiedsrichter für den Matchball im Wimbledon-Finale:
Das Match um das Geld des Wiener Tennisverbands ist noch nicht zu Ende.