Eigentlich ist die Justiz nicht teuer. Obwohl sich der Aufgabenbereich des zuständigen Ministeriums ein Jahr zuvor um eine Sektion und zwei Gerichte vergrößert hatte, flossen 2019 gerade einmal zwei Prozent des Bundeshaushalts ins Justizbudget. Nur 2,2 Prozent der Bundesbediensteten sind Richter und Staatsanwälte. Außerdem nahmen die ordentlichen Gerichte 2018 rekordverdächtige 130 Prozent ihrer Kosten über Gebühren ein. Trotzdem beklagen Minister, Standesvertreter und Politiker den drohenden Niedergang der österreichischen Justiz. Zu Recht?
In den vergangenen Jahrzehnten wurden im Rahmen von Sparpaketen regelmäßig Aufnahmestopps und Personalreduktionen für die Bundesverwaltung verhängt. Die populären Maßnahmen haben zwar tatsächlich zu Einsparungen geführt, wurden aber nicht durch eine strategische Personalentwicklung ergänzt. Im Grunde wurde einfach nur gespart, mit der Folge, dass die Mitarbeiterstruktur nicht nur in der Justiz, sondern fast überall überaltert ist und niemand ausgebildet wurde, um Abgänge auszugleichen.
Der Bund beschäftigte 2017 – sieht man von ausgegliederten Unternehmen ab – um etwa 8.000 Menschen weniger als noch 1999. Damit wurden 4,8 Prozent des gesamten Personals und mehr Stellen abgebaut, als Freistadt Einwohner hat. Und das, obwohl 2013 und 2014 zusätzlich Mitarbeiter der Post übernommen, zwei Verwaltungsgerichte geschaffen und 2016 und 2017 etwa 3.200 neue Lehrer und Polizisten eingestellt wurden.
Die Aufnahmestopps haben vor allem die allgemeine Verwaltung und damit auch die Justiz schwer getroffen. Der Wahrnehmungsbericht von Justizminister Clemens Jabloner spricht von „zum Teil massiven Personaleinsparungen“.
Tatsächlich wurden zwischen 2009 und 2015 sogar 215 zusätzliche Planstellen für Richter und Staatsanwälte geschaffen. Im gleichen Zeitraum stiegen die Kosten für den Personalaufwand des Ministeriums um 26,8 Prozent. Dafür setzte man in der allgemeinen Verwaltung, bei den Kanzlei- und Sekretariatskräften, den Rotstift an: Von den 5.635 Planstellen des Jahres 2009 wurden in sechs Jahren 186 abgebaut. Allein 2017 und 2018 strich man dann noch einmal 180 Vollzeitstellen, 2019 sollen 94, im nächsten Jahr weitere 169 wegfallen.
Der radikale Sparkurs wurde lange als notwendig angesehen. Der Rechnungshof empfahl dem Ministerium noch vor zwei Jahren „die ab 2017 vorgesehenen Einsparungen auch zu erbringen“. Das Justizressort antwortete aber schon damals, dass „bei verantwortungsvoller Personalplanung weitere, vom Bundesfinanzrahmen vorgezeigte Einsparungen ohne die Gefahr spürbarer Qualitätsverluste nicht zu erbringen“ seien.
Die Arbeitsfähigkeit der Justiz wäre laut Jabloner-Bericht selbst dann gefährdet, wenn die bereits geplanten Einsparungen nicht schlagend würden. Es sei mittlerweile, so das Ressort, „bereits zu gravierenden Qualitätseinbußen“ gekommen. Man benötige jedenfalls eine Personalaufstockung um 100 Planstellen.
Immerhin 30,9 Prozent der Justizwachebeamten sind mittlerweile über 50 Jahre alt. Im Verhältnis zum übrigen Bundesdienst ist die bewaffnete Einheit des Justizministeriums damit sogar noch jugendlich aufgestellt: Waren 1995 noch 22,2 Prozent des Bundespersonals in dieser Altersgruppe, stieg der Anteil an über 50-Jährigen bis 2017 auf durchschnittlich 45,1 Prozent.
59 Prozent der Bundesbediensteten waren 2017 über 45 Jahre alt. Selbst wenn man davon ausginge, dass diese erst mit Erreichen des gesetzlichen Antrittsalters in Pension gehen werden, bedeutet das, dass beim Bund und seinen Ausgliederungen in den nächsten 18 Jahren fast 80.000 und damit weit über die Hälfte der Mitarbeiter in Ruhestand treten. Eine Strategie für die dadurch notwendige massive Personalaufnahme gibt es nicht.
Das allgemeine Verwaltungspersonal ist mit einem Durchschnittsalter von 47,6 Jahren im Vergleich zum Exekutivdienst – einem der wenigen Bereiche, in denen in den letzten Jahren substanzielle Neuaufnahmen erfolgten – im Schnitt um fünf Jahre älter. Die Richter und Staatsanwälte liegen mit 46,6 nur ein Jahr darunter.
Der Rechnungshof empfahl 2017 „die alterslastige demografische Verteilung des Bundespersonals bei künftigen Konsolidierungsvorgaben betreffend den Personalstand zu berücksichtigen“.
Die asymmetrische Personalpolitik des Bundes hat weitreichende Folgen. Während bei der Polizei nach Jahren des Stellenabbaus große Kontingente an Bewerbern aufgenommen wurden, entwickelte sich die Situation in der Justiz nicht entsprechend. Obwohl die Staatsanwälte mit der Reform der Strafprozessordnung 2005 wesentlich mehr Aufgaben erhielten, wurde das Personal nur langsam aufgestockt.
Auf die Einführung neuer Straftatbestände und immer komplexere Großverfahren wurde nicht entsprechend reagiert. Während immer mehr Polizisten immer mehr Anzeigen schreiben, fehlen die Staatsanwälte und Richter, um sie abzuarbeiten.
Immer mehr Verfahren werden durch Diversionen und ohne Hauptverhandlung erledigt. Allein 2016 nahm der Bund 7,8 Millionen Euro aus solchen Strafverfahren ein, in denen nie jemand verurteilt wurde. Das Geld fließt allerdings, wie die insgesamt 1,2 Milliarden Euro, die 2018 an Gerichtsgebühren eingenommen wurden, ins allgemeine Budget des Finanzministers.
Selbst wenn die Justiz zusätzliches Budget für mehr Personal bekommen würde, hieße das noch nicht, dass sie dieses auch findet. Allein bei der Justizwache werden in den nächsten zehn Jahren über 500 Beamte in Ruhestand gehen, das Justizministerium tut sich allerdings bereits jetzt schwer, die freiwerdenden Stellen nachzubesetzen.
Die Deckung des aktuellen Personalbedarfs hält das Ressort „aufgrund der Schwierigkeiten bei der Rekrutierung trotz gestarteter Initiativen“ für „eher unwahrscheinlich“. Von 3.422 Planstellen bei der Justizwache waren 2019 immerhin 6,2 Prozent unbesetzt. Der Personalmangel birgt „hohe Sicherheitsrisiken“, so das Ministerium.
In diesem Bereich konkurriert der Staat vor allem mit sich selbst. Die Polizei ist, wie Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein in einem Standard-Interview einräumte, bei potenziellen Bewerbern für die Justizwache beliebter. Die Republik hat damit zu rechnen, dass sie, wenn sie aufgrund der anstehenden Pensionierungswelle Personal aufnehmen muss, vielerorts vor ähnlichen Problem stehen wird.
Konsequenz des jahrzehntelangen Personalabbaus ist eine zunehmend angespannte Arbeitssituation. Die Zahl der Krankenstände steigt. Schon mehrere Bezirksgerichte befinden sich in einem Notfallmodus. Einige Beispiele zeigen, wie angespannt die Finanzsituation im Justizbereich ist:
Um Kosten und Personaleinsatz zu reduzieren, hat man sich im Justizbereich bereits in der Vergangenheit kreativ gezeigt. Per Budgetbegleitgesetz wurde 2009 etwa der schwere Raub aus der Zuständigkeit der teuren und aufwendigen Geschworenengerichte herausgelöst und den Schöffengerichten übertragen. Der ein Jahr später eingeführte elektronisch überwachte Hausarrest kostet beinahe nur ein Zehntel der regulären Haft.
Für die Zukunft erhofft man sich eine Entlastung durch Vernehmungen per Videoschaltung, weil der Justizwache das Personal ausgeht, um die Häftlinge zu den Prozessen zu bringen.
An anderer Stelle hat der Kostendruck indes zugenommen. Durch die steigende Zahl an Einweisungen geistig abnormer Rechtsbrecher entstehen dem Ministerium zusätzliche Kosten. In den letzten zehn Jahren stieg die Zahl der Untergebrachten um etwa 80 Prozent. Als eine der Ursachen wird der Brunnenmarkt-Mord 2016 gesehen. Allein zwischen 2014 und 2017 nahmen die Neueinweisungen von zurechnungsunfähigen Tätern in den Maßnahmenvollzug von 67 auf 154 pro Jahr zu.
Der Maßnahmenvollzug ist aber besonders teuer. Während ein Strafhäftling jährlich einen finanziellen Aufwand von etwa 47.370 Euro verursacht, kommen die Kosten für eine interne Unterbringung im Maßnahmenvollzug auf 91.250 Euro und für eine externe psychiatrische Unterbringung auf 200.750 Euro pro Jahr. Geld, das trotz jahrelanger Bemühungen weiterhin nicht vom Sozial- sondern aus dem Justizressort kommt.
Trotz der hohen Kosten ist die psychologische Betreuung der Maßnahmenhäftlinge chronisch unterfinanziert. Für den psychologischen Dienst in den Justizanstalten standen 2019 nur 62,75 Planstellen zur Verfügung, von denen nur 55,78 besetzt waren. Hinzu kamen 3,38 mit Psychiatern und 3,9 mit Ärzten besetzte Planstellen. Weitere Kapazitäten mussten über freie Dienstverträge zugekauft werden.
Die Medizinkosten für die konstant etwa 9.000 Haftinsassen stiegen von etwa 29 Millionen Euro im Jahr 2000 auf 94 Millionen im Jahr 2018. Eine Vereinbarung zur Kostendeckelung zwischen Bund und Ländern lief 2013 aus. Aber bereits bis 2010 hatten sich die Kosten mehr als verdoppelt. Ein weiterer Grund für die im Vergleich zur Gesamtbevölkerung hohen Gesundheitsausgaben sind einerseits die zunehmenden Einweisungen, andererseits alternde und suchtkranke Häftlinge. Für die Behandlungskosten muss jedoch weiterhin das Justizressort aufkommen, da Häftlinge nicht sozialversichert sind.
Bleibt eine zusätzliche Finanzierung aus, so ist laut Justizministerium der gesetzliche Auftrag im Bereich des Maßnahmenvollzugs „nicht mehr zu erfüllen“.
Um die verordnete Personalreduktion zumindest teilweise umgehen zu können, wurde 2008 die Justizbetreuungsagentur (JBA) als ausgegliederte Anstalt gegründet. Dagegen wurden erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken erhoben. Es ist fraglich, ob die Häftlingsbetreuung nicht ausgliederungsfest ist und daher nur hoheitlich durch die Verwaltung besorgt werden dürfte.
Als Rechnungshofpräsident hatte Josef Moser die Ausgliederung der Justizbetreuung noch kritisiert. Diese habe, so ein Bericht aus dem Jahr 2014, weder zu einer Flexibilisierung des Strafvollzugs noch zu einer Einsparung von Planstellen geführt. Der Rechnungshof empfahl „auf alternative Möglichkeiten zur Personalbereitstellung hinzuwirken“.
Die Ausgliederung sei ein Blankoscheck, um den Personalplan des Bundes zu unterlaufen, so Moser damals im Rechnungshofausschuss des Nationalrats. In seiner Amtszeit als Justizminister blieb die Konstruktion dennoch unverändert. Das mag im Zusammenhang mit den Sparzwängen des Ressorts stehen. Da in der Verwaltung keine weiteren Planstellen genehmigt wurden, konnte man über die Ausgliederung Personal aufnehmen und im Haushalt als Sachkosten verbuchen. Mosers Vorgänger Wolfgang Brandstetter gab bereits 2014 zu bedenken, dass ohne die JBA „ein Normalbetrieb gar nicht mehr möglich“ wäre.
Eine weitere Baustelle betrifft die Familien- und Jugendgerichtshilfe, die einst ebenfalls in die Justizbetreuungsagentur ausgegliedert wurde. Das Unionsrecht schreibt in naher Zukunft flächendeckende Jugenderhebungen vor. Dabei wird das Lebensumfeld eines jugendlichen Straftäters beleuchtet, um Maßnahmen zur Resozialisierung setzen zu können. Das Personal dafür fehlt allerdings. Jabloners Bericht warnt, dass so ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich „sehr wahrscheinlich“ werde. Er hinterfragt gleichzeitig, ob die Besorgung der Gerichtshilfe durch die JBA wirklich die kostengünstigste Variante darstellt.
Ein besonders absurdes Ergebnis der jahrelangen Sparpolitik sind die dadurch entstehenden Mehrkosten. Nicht nur, dass die Justizbetreuungsagentur wohl mehr finanziellen Aufwand verursacht als eine justizinterne Abwicklung: Auch bei den DNS-Untersuchungen fallen durch Sparzwänge und unterschiedliche Zuständigkeiten Mehrkosten an.
Das Innenministerium hat Rahmenverträge geschlossen, um DNS-Untersuchungen nicht einzeln abrechnen zu müssen. Dadurch stehen der Kriminalpolizei Kontingente zur Verfügung, die allerdings begrenzt sind.
Der tatsächliche Bedarf an Genanalysen ist um ein Vielfaches höher und kann nur gedeckt werden, indem die Staatsanwaltschaften im Einzelfall die Untersuchungskosten übernehmen. Anstatt ein paar hundert Euro kostet die Auswertung einer DNS-Spur so etwa 2.000 Euro. Kosten, die aus dem Justizbudget getragen werden müssen und durch einen großzügigeren Rahmenvertrag reduziert werden könnten.
Darüber hinaus bestehen im Vollzugsbereich des Justizministeriums weitere Baustellen, von denen einige das Ausmaß der Verfassungswidrigkeit annehmen könnten:
Die Mangelwirtschaft in der Verwaltung betrifft nicht nur die Justiz, sondern reicht bereits weit über sie hinaus. Dass sie gerade in diesem Bereich offenbar wird, liegt an mehreren Faktoren. Einerseits hat das Ressort relativ wenig Personal und Budget, wodurch es Engpässe schlechter durch Umschichtungen ausgleichen kann. Gleichzeitig sind die Mitarbeiter im Justizbereich hochspezialisiert und können nicht in jedem Fall einfach durch Hilfskräfte ersetzt werden. Mit der Justizbetreuungsagentur wurde die rechtliche Möglichkeit, Flexibilität durch Ausgliederungen zu schaffen, bereits ausgeschöpft, ohne dass eine tatsächliche Flexibilisierung stattgefunden hätte.
Die Fassade bröckelt allerorten: Das Justizministerium hat es jahrelang gesetzwidrig verabsäumt, dem Parlament seine Weisungsberichte vorzulegen. Bis Ende 2019 haben es Innen- und Justizministerium nicht geschafft, den Sicherheitsbericht für das Jahr 2018 vorzulegen.
Beim Verwaltungspersonal macht sich wiederum ein genereller Trend bemerkbar: Positionen für Nichtakademiker mit hohen Anforderungen sind nur noch schwer nachzubesetzen. Gleichzeitig ist der Bund als Arbeitgeber nicht immer konkurrenzfähig, befördert nicht immer Bestqualifizierte und verlangt ein Ausmaß an Überstunden, das in der Privatwirtschaft empfindliche Strafen durch das Arbeitsinspektorat zur Folge hätte. Der Mangel führt zu wechselseitigen Beschränkungen. Eine schnelle Entwicklung im IT-Bereich ist für die Justiz schon deshalb nicht möglich, weil das Finanzministerium im Bundesrechenzentrum Schlüsselpositionen eingespart hat.
Addendum: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es fälschlicherweise, die externe psychiatrische Unterbringung im Maßnahmenvollzug koste pro Untergebrachtem und Jahr 195.800 Euro, tatsächlich sind es 200.750 Euro. Der Fehler basierte auf einem Zahlendreher bei der Berechnung.