Die Dreharbeiten zur Stimmungslage kurz vor der Kärntner Landtagswahl beginnen im Wiener Augarten. Um allzu langweiligem tagespolitischem Hickhack zu entgehen, porträtieren wir Kärntnerinnen und Kärntner, die im Exil leben oder aus ebendiesem zurückgekehrt sind.
Den Park mit den markanten Flakturm-Kriegsrelikten hat Stefan Petzner selbst vorgeschlagen. Er wohnt in der Nähe und geht hier öfters joggen. Bei einem kurzen Spaziergang – heute ist es kalt und windig, und wir frieren beide schnell – erzählt der ehemalige Vertraute Jörg Haiders halb scherzhaft, dass er hier in Wien im politischen Exil sei. Einerseits wegen der derzeitigen rot-grünen Mehrheit im Landtag, andererseits weil er die Haider-Zeit endlich hinter sich lassen wolle.
Auch ich habe den Ausdruck „politisches Exil“ verwendet, bezogen auf meine Studienzeit in Berlin. Ich erinnere mich wieder, wie lästig es war, ständig auf Jörg Haider und mein „braunes Bundesland“ angesprochen zu werden. Viele Jahre später bin ich aus beruflichen Gründen nach Wien gezogen. In die Heimat nie mehr.
„Das ist irgendwie seltsam“, sage ich zu Stefan Petzner, „Sie fühlen sich im politischen Exil, sind aber umgekehrt mit Ihrer Politik mitschuld am Exil vieler anderer.“
Der PR-Profi gesteht freimütig, dass seine Partei zur Stimmenmaximierung oft aggressiv die Interessen der Deutsch-Kärntner bedient habe und derjenigen, die Volkskultur mögen. Das sei der „Mainstream“. Wer nicht dazugehöre, fühle sich eben oft nicht wohl in Kärnten.
Die Propaganda der Haider-Zeit vom besonderen Patriotismus und der „Bluts-Grenze“ hat jedenfalls bis heute das Image des ganzen Bundeslands extrem geprägt. Ebenso die geschickt in Szene gesetzten Streitigkeiten mit Kärntner Slowenen oder Intellektuellen.
Jedes Mal, wenn ich in die Heimat komme, bin ich überrascht von der konträren Realität: Der Alltag der durchschnittlichen Kärntnerinnen und Kärntner streift diese Themen nämlich nicht einmal. Bei einem Dreh in Spittal an der Drau befrage ich Passanten, welche Probleme die Politik angehen soll. Alle nennen Arbeit, Ausbildung und sterbende Dörfer. Ausländer, Ortstafeln oder Volkskultur tauchen kein einziges Mal auf.
Die von den Menschen benannten Probleme kann ich überall im Land wahrnehmen, und sie haben sich seit meinem Weggang aus Kärnten noch verschärft. Als ich an einem Sonntagabend gegen 22 Uhr in St. Veit ankomme, ist der Ort wie ausgestorben.
„Schön ist es ja in Kärnten, aber es ist nichts los“, sagt der einzige Einheimische, der mir auf dem Weg zum Hotel entgegenkommt. Diesen Satz habe ich auch schon oft gesagt und werde ihn im Lauf des Drehs zigfach so oder in abgewandelter Form hören. Mit „nichts los“ ist meist gemeint: Es gibt kein Gasthaus oder es hat nicht offen oder es gibt dort gerade keine warme Küche, viele Geschäfte stehen leer, man bekommt keinen Job oder zumindest keinen guten.
Der St. Veiter weist mir schließlich den Weg zu einem Fast-Food-Lokal, es sei um die Uhrzeit die einzige Option. Was sehr schade ist, denn die Kärntner Küche und Gasthauskultur wären allein schon jede Anreise wert.
Das menschenleere Zentrum St. Veits erinnert mich an die Jugendzeit im kleinen Dorf in der Nähe von Villach. Wo es, neben der zweifellos wunderbaren Natur, für mich wenig Reizvolles zu entdecken gab. „Du hättest ja zur Landjugend gehen können“, sagten meine Eltern später dazu, „aber das wolltest du ja nie.“ Inzwischen hat auch noch das einzige Gasthaus zugesperrt, die kleinen Bauern gibt es alle längst nicht mehr, dafür seit einigen Jahren immerhin eine Billa-Filiale.
Der nahe Ossiacher See war schon damals ein Lichtblick und Ausblick in die Welt. Im Sommer kamen durch Touristen aus Deutschland und Holland verhältnismäßig interessante Gesprächs- und Flirtpartner. Es ist zwar nicht besonders schade um Treffpunkte wie das „Café Krokodil“. Aber heute gibt es nicht einmal mehr das.
Egal aus welchen Gründen die Menschen aus der Heimat weggehen – jeder hat auch Gründe, warum er an ihr hängt. Die Schauspielerin Jutta Fastian erzählt, ihr seien die Tränen gekommen, als sie in L.A. ein Kärntnerlied gehört habe. Die Kärntner Seele sei etwas Besonderes, eine Mischung aus Empfindsamkeit und Schwermut.
Und alle lieben die Berge, die Seen und die großartigen Spezialitäten wie Kasnudeln. Mir gefällt besonders die Nähe zu Italien und Slowenien. Und dass die Kärntner doch schon eine recht südländische Lebensauffassung teilen: nicht alles so genau zu nehmen und das Leben auch einmal etwas gemütlicher anzugehen. Das sind natürlich Klischees, die aber doch etwas für sich haben. Bei Dreharbeiten äußert sich das etwa so, dass Menschen einem auf Termin- oder andere Wünsche antworten: „Mochma schon.“ Großteils werden solche eher unverbindlichen Zusagen aber eingelöst.
Fast jeder Kärntner habe eine Kärnten-Fahne zu Hause, meint Stefan Petzner, als er seine in seinem Wiener Keller auspackt.
Der aktuelle Landeshauptmann Kaiser sei ja nett, aber irgendwie zu ,mädchenhaft‘, um wirklich etwas für Kärnten zu bewegen, sagt ein Kärntner in einem Gasthaus.
Am letzten Drehtag in Villach interviewe ich zwei junge Musiker. Daneben stehen weibliche Band-Mitglieder, die in der Reportage keine Rolle haben. Eine Frau aus dem Publikum, vielleicht eine pensionierte Lehrerin, mischt sich vehement ein: Ich müsse unbedingt auch die Mädchen befragen. Ich erkläre, dass ich selbstverständlich Frauen zu Wort kommen lasse, allerdings nur, wenn es für die Geschichte sinnvoll ist.
Ein junger Mann kommentiert die Szene:
Am gleichen Tag höre ich Sätze wie: Der aktuelle Landeshauptmann Kaiser sei ja nett, aber irgendwie zu „mädchenhaft“, um wirklich etwas für Kärnten zu bewegen.
Wäre ich hiergeblieben, würde ich wohl ähnliche verzweifelte Ansprachen wie die mutmaßliche Lehrerin halten. Und was das Sterben traditioneller Gasthäuser betrifft: Das mag zwar schade für die Esskultur sein. Für die Frauen, die dort tagaus, tagein in der Küche gestanden sind und dann noch Fremdenzimmer vermietet haben, ist das mittelfristig kein Verlust. Und vielleicht sind inzwischen auch einige der sexistischen Sprüche gegen Kellnerinnen oder weibliche Gäste gleich mitverschwunden. Allerdings wäre das schon wieder die nächste Geschichte.
Im Gegensatz zu früher bleibe ich gelassen und versuche es mit ein paar freundlichen Sätzen. Ich weiß ja, morgen fährt wieder mein Zug – weg aus der alten Heimat.