* Der Titel dieser Geschichte lautete: „Was machen die Kammern eigentlich den ganzen Tag?“ Mehrere User haben uns darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Titel zu tendenziös sei. Wir haben uns dieser Einschätzung angeschlossen und den Titel nachträglich geändert.
Die Kammern fördern und vertreten, sie bilden, begutachten und bestimmen, nehmen Einfluss und fällen Entscheidungen über berufliche Existenzen. Während beispielsweise die Wirtschaftskammern für die „Vertretung der gemeinsamen Interessen ihrer Mitglieder“ zuständig sind, sind die Arbeiterkammern „berufen, die sozialen, wirtschaftlichen, beruflichen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu vertreten und zu fördern“. Darunter lässt sich viel verstehen, und entsprechend umfassend legen es die Kammern auch aus.
Arbeits- und sozialrechtliche Beratungen machen den Großteil der Tätigkeit der Arbeiterkammern aus. Sie tragen Verfahrenskosten und nehmen so die Rolle einer Rechtsschutzversicherung für ihre Pflichtmitglieder ein.
Das Ergebnis der Beratungen und Verfahren ist durchaus substanziell. So sicherte alleine die burgenländische AK ihren Mitgliedern im Jahr 2015 im Rahmen von Interventionen bei Arbeitgebern und Klagen fast 15,9 Millionen Euro, mehr als eineinhalbmal so viel wie die Beiträge der Arbeitnehmer für das Landeskammerbudget in diesem Jahr.
Auch die Wirtschaftskammern zeigen sich umtriebig: 6.545 Veranstaltungen und fast 49.000 Gründungsberatungen führten sie 2016 durch. Mit dem Kernauftrag lässt sich aber auch Geld verdienen. Die WKO legt die Kollektivverträge der einzelnen Branchen als Broschüren auf – kostenpflichtig. Über 63.000 davon wurden allein 2016 verkauft.
Daneben betreiben die Kammern Interessenvertretung im großen Stil und mit Auswirkung auf Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit. Abgesehen von den personellen und parteipolitischen Verflechtungen mit SPÖ und ÖVP verfügen Wirtschafts- und Arbeiterkammern über eigene Lobbying-Apparate. An interministeriellen Sitzungen nehmen sie wie selbstverständlich teil und bestimmen so die österreichischen Positionen in der EU mit.
Auf das Gesetzgebungsverfahren nehmen sie einerseits durch Begutachtungen Einfluss, andererseits durch ihre Funktionäre, die in National- und Bundesrat, aber auch in den Landtagen sitzen. Durch Gesetze werden den Kammern hunderte zusätzliche Aufgaben übertragen, von Ausbildungsmaßnahmen über den Rundfunk bis hin zum Nichtraucherschutz. Zudem dominieren sie den Sozialversicherungsbereich durch die Beschickung der Gremien von Versicherungsträgern.
Die Kammern nominieren Laienrichter, sind über die Parteien mit Funktionären im Parlament vertreten und entsenden Mitglieder in zahllose Beiräte und Aufsichtsräte.
Es gibt kaum einen staatlichen Beirat, in dem zumindest Arbeiter- und Wirtschaftskammer nicht vertreten wären. Sie entsenden je drei Mitglieder in den Fiskalrat, ihre Vertreter finden sich auch im ORF-Publikumsrat, im Beirat für die Dienstleistungsfreiheit im Binnenmarkt, im Aufsichtsrat des Filminstituts, im Integrationsbeirat, im Klimaschutzkomitee, in den Beiräten für Stärkeförderung und Metrologie sowie in der Blutkommission, in der natürlich auch die Ärztekammer vertreten ist.
Die Wirtschaftskammer entsendet zudem nichtständige Mitglieder in den Denkmalbeirat und sitzt im Aufsichtsrat der Finanzmarktaufsicht ebenso wie im Beirat für historische Fahrzeuge.
Zusätzlich haben die Kammern in vielen Verfahren von Gesetz wegen Parteienstellung, müssen vor einer Entscheidung gehört werden oder haben Informationsrechte. Besteht beispielsweise ein erhöhter Bedarf an Medikamenten, muss die Arbeiterkammer gehört werden, bevor der Bezirkshauptmann längere Öffnungszeiten der Apotheken verordnen darf.
Die zentrale Bevorratungsstelle für Erdöl wiederum muss der Wirtschaftskammer ihre Bilanz vorlegen. Die Kammer muss auch angehört werden, wenn eine Konzession zum Bau einer Rohrleitung nach dem Rohrleitungsgesetz erteilt werden soll.
Außerdem erstatten die Kammern Vorschläge für die Bestellung von fachkundigen Laienrichtern. Ihr Einfluss ist besonders im Kartellverfahren und in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit vorherrschend.
Die von Bundesarbeitskammer und WKO nominierten Laienrichter konnten ursprünglich die Berufsrichter überstimmen und taten dies auch immer wieder, bis das Gesetz geändert wurde. Allerdings dürfen die Arbeiter-, Wirtschafts- und Landwirtschaftskammern in allen kartellgerichtlichen Verfahren Stellungnahmen abgeben.
Der Kammereinfluss auf die Gerichtsbarkeit reicht bis hin zu Beschwerden nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz, auch hier nominieren die beiden Kammern die Laienrichter für den zuständigen Senat am Bundesverwaltungsgericht.
Ihr Einflussradius geht aber über Österreich hinaus. Während die AK in Brüssel ein Büro mit sechs Mitarbeitern unterhält, betreibt die WKO mit 110 Außenwirtschaftscentern und Büros eines der größten Handelsdelegationsnetze weltweit. Deren leitende Mitarbeiter sind über die Botschaften akkreditiert und genießen Diplomatenstatus.
Standesvertretungen wie die Ärzte- oder die Rechtsanwaltskammern betreiben Sozial- und Pensionssicherungssysteme für ihre Mitglieder, während Arbeiter- und Wirtschaftskammern sich vorwiegend um die Pensionen ihrer eigenen Mitarbeiter kümmern.
„Über Disziplinarvergehen erkennt der Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer.“ – § 140 Ärztegesetz
Anders als Arbeiter- und Wirtschaftskammern erfüllen die sogenannten Standesvertretungen eine zusätzliche Aufgabe: Sie üben die Disziplinargewalt über ihre Mitglieder aus. So führt etwa die Ärztekammer die Ärzteliste, in die sie entsprechend qualifizierte Humanmediziner einträgt, aus der sie andere aber auch austrägt. Der Grund hierfür ist meist die Pensionierung und damit verbundene Aufgabe der ärztlichen Tätigkeit, manchmal aber auch eine disziplinarrechtliche Verfehlung.
Dass in den Kammern Ärzte, Rechtsanwälte, Wirtschaftstreuhänder und Notare über problematische Fälle in den eigenen Reihen entscheiden, wird von einigen als Teil der demokratischen Selbstverwaltung gepriesen, andere üben an der Selbstaufsicht Kritik. Für Aufsehen sorgte etwa der Fall einer Wiener Gynäkologin, über die von der Aufsichtsbehörde der Stadt ein vorübergehendes Berufsverbot verhängt wurde. Im Fall einer weiteren Gynäkologin, die Patientinnen falsch behandelt haben soll, wurde Kritik an der Kammer laut, nicht rechtzeitig reagiert zu haben.
Im Fall der Rechtsanwaltskammer gibt es wiederum Kritik an der Dauer der Disziplinarverfahren. Zudem sind – wie im Inquisitionsprozess – Ankläger und Richter in der Person des Kammeranwalts vereint.
Das Angebot der Kammern geht insgesamt weit über die klassische Beratung und Interessenvertretung hinaus. So sind die Arbeiterkammern zunehmend zu Konsumentenschutzorganisationen geworden. Dieser Auftrag hat auch gesetzlichen Niederschlag gefunden.
Das Land Vorarlberg gewährt der dortigen Arbeiterkammer sogar zusätzliche Mittel, damit diese ihr Konsumentenschutzangebot auch Nichtmitgliedern zur Verfügung stellt. Das stößt nicht auf uneingeschränkte Gegenliebe – so kritisierte der NEOS-Abgeordnete Gerald Loacker die Produkt- und Dienstleistungstests der AK gegenüber den Vorarlberger Nachrichten:
„Da sind tolle Sachen dabei, wie Sport-BHs, Pickelmittel, vegane Würste, Reiswaffeln und Partnervermittlungen. Die AK Vorarlberg testet zum Beispiel Schlankheitsmittel. Wahrscheinlich hält man das in der AK in Feldkirch für ein zentrales Arbeitnehmeranliegen.“
Die Kammern fördern vieles, auch Kurse zur „Farb- und Stilberatung für Frauen“.
Für ihre Aufgaben erhalten die Kammern noch weitere Förderungen. Insbesondere die Landwirtschaftskammern hängen an Finanzspritzen der Länder. Das zog in der Vergangenheit die Kritik des Rechnungshofs auf sich.
Das Land Burgenland förderte die burgenländische Landwirtschaftskammer dafür, dass sie die Bauern bei Anträgen auf Förderungen an das Land Burgenland betreute. Der Vertrag wurde nicht evaluiert, außerdem wurden mehr Arbeitsstunden bezahlt als abgerechnet.
Nicht zuletzt beteiligen sich die Kammern rege am staatlichen Förderwesen. Die WKO unterstützt ihre Unternehmen beispielsweise bei der Digitalisierung, und die AK Wien fördert neben Computer-, Sprach- und Rechtskursen auch solche wie „Sicheres Auftreten durch perfektes Styling – Farb- und Stilberatung für Frauen“ oder „Dumme Argumente im Job – und wie man sich dagegen wehrt“.