Die Kammern gelten vielen als Inbegriff staatlicher Zwangs- und Regulierungswut, dabei steht am Beginn ihrer Geschichte der Freiheitsdrang der bürgerlichen Revolution. Die Gründung der ersten Kammern ist das Ergebnis der Forderungen nach Demokratie und Selbstverwaltung.
Das Handelsministerium verfügt am 15. Dezember 1848 die Errichtung von Handelskammern, die erste wird in Wien gegründet. Die neuen Kammern sind noch vorwiegend Beratungseinrichtungen der Regierung. Sie sollen wirtschaftliche Entwicklungen „den Behörden zur Kenntnis“ bringen.
Mit der Rechtsanwaltskammer entsteht im selben Jahr ein weiterer beruflicher Selbstverwaltungskörper. Für die Berufsgruppe ist es ein großer Schritt in Richtung Autonomie, bis dahin sind die Rechtsanwälte der Disziplinargewalt der Gerichte unterstellt.
Den franzisko-josephinischen Neoabsolutismus überleben die Kammern als einer der wenigen Horte demokratischer Selbstbestimmung. Diese Eigenschaft teilen sie mit den wichtigsten anderen Selbstverwaltungskörpern: den Gemeinden. Während diese ausschließlich territorial organisiert sind – zur Gemeinde gehört, wer in der Gemeinde Heimatrecht hat –, richten sich die Kammern an einen Personenkreis.
Aus dem Selbstverständnis der autonomen Selbstverwaltung heraus resultiert die immer wieder kritisierte Pflichtmitgliedschaft. Die Gemeinden dienen hier als beliebter Referenzpunkt, so beispielsweise 1991 für den Verfassungsjuristen und ÖVP-Vertreter Herbert Schambeck bei einer Debatte im Bundesrat:
„Genauso wie es wirtschaftliche und soziale Selbstverwaltungskörper gibt, gibt es territoriale Selbstverwaltungskörper. Wenn einer in Zipfelzell gewählt ist, dann ist er automatisch Bürger von Zipfelzell. Da kann man nicht sagen, das ist eine Pflichtmitgliedschaft, und ich bin gezwungen, am Leben zu sein in Zipfelzell.“
Aus der Sicht des Systems ist man Mitglied einer Kammer, wie man Bürger einer Gemeinde ist, man zahlt Beiträge und Umlagen, wie man Gemeindeabgaben bezahlt, und man ist nicht mehr Pflichtmitglied, als man Bürger des Ortes ist, in dem man wohnt.
Pflichtmitgliedschaft und Selbstverwaltung bedingen einander, auch weil die Europäische Menschenrechtskonvention Zwangsmitgliedschaften in Verbänden ohne Mitbestimmung untersagt. Insbesondere die Standesvertretungen wie Ärzte- und Rechtsanwaltskammern sind Teil der Hoheitsverwaltung. Sie entscheiden in Disziplinarverfahren, wer Arzt und Rechtsanwalt bleiben kann; Aufgaben, die ohne Pflichtmitgliedschaft ihre Grundlage verlieren würden.
Auch wenn sie zum Teil aus Vereinsstrukturen entstehen, sind die Kammern von Beginn an keine privaten, sondern gesetzliche Interessenvertretungen und damit Teil der Hoheitsverwaltung. 1868 wird ein eigenes Handelskammergesetz geschaffen. Für die Monarchie bedeutet die Gründung von Kammern aller Art zudem eine innere Reorganisation, die überkommene feudale und zünftische Strukturen beseitigt. Der ständische Charakter bleibt in der Kammerstruktur aber nicht zuletzt wegen des gesamtstaatlichen Demokratiedefizits erhalten. Die Handelskammern entsenden ab 1873 Vertreter in den noch nicht demokratisch gewählten Reichsrat.
Ab 1891 werden in ganz Österreich Ärztekammern als Standesvertretungen gegründet, auch ihnen wird – ähnlich den Rechtsanwaltskammern – die Selbstverwaltung gewährt und die Disziplinargewalt über ihre Mitglieder übertragen. In den Kronländern entstehen mit den Landeskulturräten die Vorgänger der Landwirtschaftskammern. Sie sind noch heute, wie die Landarbeiterkammern und anders als die übrigen Kammern, durch Landesgesetz eingerichtet.
Die zunehmende demokratische Selbstorganisation der Berufsgruppen innerhalb des immer noch wenig demokratischen Habsburgerreichs führt zu Forderungen einer erstarkenden Bevölkerungsgruppe: der Arbeiter. Ab den 1870er Jahren verlangen die noch in Vereinen organisierten Werktätigen die Gründung von Arbeiterkammern und die Schaffung eines Sozialministeriums. Entsprechende Vorbringen der Gewerkschaftsbewegung versanden jedoch im parlamentarischen Getriebe oder werden von der k.k. Regierung abgelehnt.
Als sich die Arbeiterbewegung, die an Stärke gewinnt und immer weitere Forderungen formuliert, nicht mehr ignorieren lässt, bietet man ihr schließlich die Schaffung von Arbeiterkammern als Alternative zum allgemeinen Wahlrecht an – was diese jedoch ablehnt. Erst nach dem Untergang der Monarchie gelingt der Sozialdemokratie mit dem Arbeiterkammergesetz vom 26. Februar 1920 die Umsetzung ihres Plans, der mittlerweile auch von den christlichsozialen Gewerkschaften unterstützt wird.
Handels- und Arbeiterkammern sind nun zwar gleichberechtigt befugt, Gesetze zu begutachten und die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Eine Sozialpartnerschaft nach dem Muster der Zweiten Republik besteht angesichts der parteipolitischen Gegensätze zwischen den sozialdemokratischen Arbeitnehmer- und den christlichsozialen Arbeitgebervertretern jedoch nicht einmal ansatzweise.
Die immer autoritärer auftretenden Konservativen verlangen zudem die institutionelle Integration, besonders der Wirtschaftsvertreter, in den Gesetzgebungsprozess. Die Forderungen zulasten der parlamentarischen Demokratie kondensieren in einem Begriff: Ständestaat.
Die eskalierende politische Situation der späten 20er Jahre bringt die Arbeiterbewegung politisch immer weiter unter Druck. Heimwehren und Heimatschutzverbände erklären dem demokratischen Parlamentarismus offen den Krieg, die Gefahr eines konservativen Putsches steht im Raum.
Unter diesem Eindruck stimmt die Sozialdemokratie 1929 einer Verfassungsänderung zu, die unter anderem den Bundesrat in einen Länder- und Ständerat umwandeln soll. In der Zweiten Kammer sollen neben den Bundesländern nun auch Delegierte der Berufsgruppen, der sogenannten Stände, vertreten sein. Doch der Plan wird von radikaleren Entwicklungen überholt und nicht mehr umgesetzt.
Die konservative Bundesregierung schlägt einen autoritären Kurs ein, verschiebt die Arbeiterkammerwahlen und senkt die Bezüge der Kammermitarbeiter.
Nach der Ausschaltung des Parlaments stellt das Kabinett Dollfuß die Arbeiterkammern mit 1. Jänner 1934 unter Zwangsverwaltung. Sie werden mit der endgültigen Errichtung der Diktatur durch die sogenannte Maiverfassung gleichgeschaltet. Die Wirtschaftsvertreter entsenden von nun an Delegierte in das ständische Pseudoparlament. Die Kammern, ursprünglich ein Kernstück der österreichischen Demokratieentwicklung, werden zum Fundament der ständischen Diktatur.
1937 beschließt das Regime die Schaffung einer Bundeshandelskammer als Dachorganisation für die bis dahin bestehenden Landeskammern. Der Beschluss wird allerdings nicht mehr umgesetzt. Der Anschluss bringt 1938 das endgültige Ende der Berufsvertretungen, das Vermögen der Arbeiterkammern geht auf die „Deutsche Arbeitsfront“ über. Die Handelskammern werden gleichgeschaltet und zum Instrument der Kriegswirtschaft umfunktioniert.
Der Nationalsozialismus wütet in den Reihen der Kämmerer, finden sich unter ihnen doch hauptsächlich bürgerliche und sozialdemokratische Proponenten. Etliche werden inhaftiert und ermordet. Die Verfolgung aus politischen und rassistischen Motiven trifft vor allem die Rechtsanwaltskammern massiv. Aus der Mitgliederliste der Wiener Kammer streichen die Nazis 1.755 von 2.541 Mitgliedern.
Nach 1945 tragen die wiedererrichteten Arbeiter- und Handelskammern unmittelbar zur Überwindung der Gräben zwischen dem christlichsozialen und dem sozialdemokratischen Lager bei. Mit der Institutionalisierung der Sozialpartnerschaft gelingt es, einige der größten Streitpunkte zwischen ÖVP und SPÖ einer geregelten Konfliktlösung zuzuführen.
Diese Dialogfähigkeit erweist sich angesichts der Kriegszerstörungen und der alliierten Besatzung als überlebensnotwendig. Mit dem ersten Lohn-und-Preisabkommen wird eine Inflationsbremse und damit die Voraussetzung für die Marschallplanhilfe geschaffen. 1949 finden die ersten Arbeiter- 1950 die ersten Handelskammerwahlen seit der Wiedererrichtung der Demokratie statt.
Die Unternehmer finden in der sozialdemokratischen Gewerkschaft einen Alliierten im Kampf gegen die Kommunisten, die gegen das vierte Lohn-und-Preisabkommen 1950 zum Streik aufrufen und in Linz das Arbeiterkammergebäude belagern.
Die Arbeiterkammern und die 1993 in Wirtschaftskammern umbenannten Vertretungen von Handel und Gewerbe gewinnen nach 1945 durch die Sozialpartnerschaft an politischer Bedeutung, aber nicht unbedingt an Selbstständigkeit. Sie verfügen über Strukturen und Ressourcen, derer sich der als Verein gegründete ÖGB und die ÖVP-Teilorganisation Wirtschaftsbund bedienen.
Das Abhängigkeitsverhältnis spiegelt sich auch in den Personalstrukturen wider: Während der Präsident der Wirtschaftskammer in der Regel auch Obmann des Wirtschaftsbundes ist, fungiert in der Wiener Arbeiterkammer, die die Geschäfte der Bundesarbeitskammer führt, ein sozialdemokratischer Gewerkschafter als Präsident. Die dominierende Persönlichkeit auf Arbeitnehmerseite bleibt jedoch der ÖGB-Präsident.
Das Junktim zwischen Arbeiter- und Unternehmensvertretern trägt maßgeblich zur Stabilisierung der jungen Zweiten Republik bei. Gleichzeitig helfen Wirtschafts- und Arbeiterkammern als verlängerte Arme von SPÖ und ÖVP bei der Etablierung des Proporzsystems. Sie gießen damit in mehrerlei Hinsicht das Fundament, auf dem die Zweiten Republik steht.
Dieser hält so stark, dass er selbst das Ende der großen Koalition 1964 und die darauffolgenden Alleinregierungen von ÖVP und SPÖ bis 1983 und die Koalitionen mit der FPÖ überlebt. Die Sozialpartnerschaft bildet lange Zeit den kleinsten gemeinsamen Nenner der beiden Großparteien und kann dadurch auch ihre eigenen Interessen zur Geltung bringen. Zeitweise spricht man ihr sogar die Eigenschaft einer Parallelregierung zu.
Heute besteht eine ganze Reihe an beruflichen Selbstvertretungen, die im Allgemeinen nicht zur Sozialpartnerschaft gezählt werden. Neben den neun Arbeiter- und Wirtschaftskammern auf Landesebene sowie Bundeswirtschafts- und Bundesarbeitskammer bestehen noch Kammern für Apotheker, Architekten und Ingenieurkonsulenten, Ärzte, Landwirte, Landarbeiter, Notare, Patentanwälte, Rechtsanwälte, Tierärzte, Wirtschaftstreuhänder und Zahnärzte. Insgesamt gibt es, Bundes- und Landesvertretungen zusammengerechnet, 81 Kammern, hinzu kommen noch einmal 16 Landesgeschäftsstellen von bundeseinheitlichen Kammern und Bezirksorganisationen der Landwirtschaftskammern. Sie alle eint die Tatsache, dass sie, anders als die anderen Sozialpartner ÖGB und Industriellenvereinigung, Interessenvertretungen mit Pflichtmitgliedschaft sind.
Die Kammern sind jedoch eher Teil als Ursprung der ihnen oft angelasteten sozialpartnerschaftlichen Machtstrukturen. Sie gehören als Bereich der Staatsverwaltung zum Instrumentarium der Sozialpartner, mit dem diese sich jenen Einfluss auf Regierung und Gesetzgebung sichern, an dem sich immer wieder Kritik regt.
Den Kammern wird dabei mangelnde Transparenz und Demokratie vorgeworfen. Darüber, ob ihr Einfluss geändert oder beendet werden soll, herrscht jedoch Uneinigkeit. Die Vorschläge der Kammerkritiker sind jedoch nicht immer demokratischer als die Kammern selbst. So fordert Helfried Pfeifer, Abgeordneter des WdU, der Vorgängerpartei der FPÖ, und ehemaliger NS-Jurist 1957 die Reaktivierung des Länder- und Ständerats, der 1945 schubladisiert worden war.
Dies brächte „den großen Vorteil, daß dadurch die außerparlamentarische Einflußnahme der wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper … beseitigt und diese Organisationen in verfassungsmäßiger Weise an der Gesetzgebung beteiligt würden“. Dadurch würde, so Pfeifer, der „Kritik am ,Kammerstaat‘ Rechnung getragen“.