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Ein Spital, auf Sand gebaut
27. März 2018 Krankenhaus Nord Lesezeit 6 min
Ein Fehlstart mit Folgen: Viele der Probleme bei der Errichtung des KH Nord gehen auf die Zeit vor der Bauphase zurück, auf Ausschreibung und Auswahl des Grundstücks. Wie es dazu kam, dass der KAV ein Grundstück ausgewählt hat, das von Bahnstrecken umgeben ist – und welche versteckten Herausforderungen allein diese Tatsache mit sich bringt.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Krankenhaus Nord und ist Teil 3 einer 7-teiligen Recherche.
Bild: Christian Lendl | Addendum

Das KH Nord hat ein Problem mit Energien. Und zwar eines, das kein Energetiker lösen kann. Für die Lösung dieses Problems braucht es einen echten Schutzring, den man nicht mit dem berühmt gewordenen 95.000-Euro-Esoterik-Schutzring verwechseln sollte. Gefordert ist ein Kupferring rund um das Spital, armdick, der ein elektromagnetisches Feld in die Erde ableitet. Mit Kupferspießen im Abstand von 2,5 Metern, die 15 Meter tief in die Erde reichen. Die Presse hat darüber berichtet – allerdings war zwischenzeitlich wieder nicht sicher, ob er überhaupt notwendig ist, und so wurde sein Einbau während der laufenden Arbeiten unterbrochen.

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Es ist eine Episode, die exemplarisch zeigt, wie das Projekt KH Nord läuft: Bereits im Jahr 2007 beauftragte der KAV ein Gutachten beim AIT (Austrian Institute of Technology) zur „Bewertung des Grundstücks, in Bezug auf Erschütterungen, Lärm und elektromagnetische Felder“. Das AIT beurteilte das Grundstück hinsichtlich der elektromagnetischen Felder als „nicht kritisch“ und schlug Maßnahmen vor, um die Auswirkungen der Erschütterungen zu begrenzen.

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Das Ergebnis dieses Gutachtens stellte auch den Rechnungshof bei seiner Prüfung vor ein Rätsel. Die Papierversion wies das Grundstück als „nicht geeignet“ aus. Mit geeigneten Maßnahmen könnte jedoch die Eignung hergestellt werden. In der elektronischen Version vom selben Datum fand sich die Formulierung „nicht geeignet“ nicht. Stattdessen wies das AIT auf das Erfordernis einer Reduktion des auf die Fassade auftreffenden Schalls und entsprechende Problemlösungsansätze hin. Die unterschiedlichen Versionen konnten vom KAV nicht erklärt werden.

Die Suche nach dem besten Bieter

Wie viele der Probleme des Krankenhauses hat auch dieses seine Wurzel in der eigentümlichen Wahl des Grundstücks für das Spital. Gehen wir also an den Anfang der Ausschreibungen und Bautätigkeiten zurück. Der Rechnungshof beschäftigt sich in seinem Rohbericht, der Addendum vorliegt, mit der Grundstückssuche. Demzufolge schrieb der KAV als Bedarf ein geeignetes, mindestens 50.000 Quadratmeter großes Baugrundstück im 21. Wiener Gemeindebezirk aus. Bis Juni 2006 langten drei Angebote mit insgesamt vier Grundstücken ein.

Die Besonderheit: Der KAV suchte nicht einfach nur ein Grundstück, sondern er entschied sich zu einer international unüblichen Koppelung von Grundstücksbereitstellung und darauf zu erfolgender Bauausführung. Ein paar Einsprüche und eine zurückgezogene Bewerbung im Vergabeverfahren später blieb ein einziger Bieter übrig. Mit diesem Bieter-Konsortium aus PORR, Siemens und VAMED wurde zunächst auch weiterverhandelt.

Im Jahr 2008 wurde ein Architekt für die Planung auf diesem Grundstück EU-weit gesucht und schließlich in Wien gefunden. Doch dann überschlugen sich die Ereignisse. Im März 2010 kaufte der KAV das jetzige Grundstück an der Brünner Straße von der ÖBB. Im April widerrief er die EU-weite Ausschreibung „Bereitstellung des Krankenhauses Wien-Nord“.

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Der KAV gab als Widerrufsgründe langwierige Verhandlungen mit dem verbliebenen Bieter und die Forderung der Europäischen Investitionsbank nach einer EU-weiten Ausschreibung des Generalunternehmers an.

Ein Garten um 13,7 Millionen Euro

Vier Jahre nach der ersten Ausschreibung hatte der KAV nun also ein Grundstück und einen Plan, aber noch keinen Bauunternehmer. In Anbetracht der Einsprüche, widerrufenen Ausschreibung und geänderten Grundlagen wäre auch die Überlegung, doch an einem anderen – vielleicht sogar besser geeigneten – Standort zu bauen, möglich gewesen.

Man könnte die Geschichte nämlich auch so erzählen: Der KAV schränkte sich bei der Grundstücksauswahl durch Vorgaben, die er später selbst geändert hat, dermaßen ein, dass letztlich ein einziges Grundstück infrage kam. Ein ziemlich großes Grundstück.

Während für das Spital zu Beginn ein 50.000-Quadratmeter-Areal gesucht wurde, standen nun 122.000 Quadratmeter – also deutlich mehr als das Doppelte – zur Verfügung. Wer vermutet, dass beim überschießenden Teil eine Weiterveräußerung für andere Nutzungszwecke erfolgen würde, irrt. Die Stadt Wien präsentierte noch im Juni 2010 im Rahmen der Nachhaltigkeits-Charta die künftige Verwendung für einen großen Teil der erworbenen Fläche: Der Garten wird 46.000 Quadratmeter groß sein. Der KAV gab gegenüber Addendum 47.000 Quadratmeter für „Park und die Therapiegärten“ an. Was nicht erwähnt wurde: Die dafür nötige Fläche kostete 13,7 Millionen Euro.

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Qualität hat ihren Preis

Der KAV erwarb das gesamte Grundstück für das Krankenhaus Nord um 35 Millionen Euro (292 Euro pro Quadratmeter). Die zuständige Magistratsabteilung für Liegenschaftsmanagement (MA 69) hatte die mögliche Bandbreite mit 228 bis 295 Euro angegeben, der Preis lag also am obersten Ende. Eine Top-Immobilie in Top-Lage wäre somit zu erwarten. Tatsächlich machten aber sowohl der Standort als auch die Qualität des Grundstücks und angrenzende Altlasten seither Probleme.

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Ein Krankenhaus auf einem ÖBB-Gelände

Auf dem Areal des künftigen Spitals befand sich zuvor die ehemalige Hauptwerkstätte der ÖBB. Es waren also umfassende Abbruch- und Erdarbeiten nötig. Ob diese in Form von Gewährleistungen oder zugesicherter Bodenqualität – beziehungsweise dem Freisein von Altlasten – im Kaufvertrag berücksichtigt wurden, ist ungewiss. Der KAV ist unserem Ersuchen nach Übermittlung des Kaufvertrags nicht nachgekommen.

Der Rechnungshof fand in seinem Rohbericht anhand relevanter Verfahren Hinweise, dass das Grundstück die eine oder andere Überraschung enthielt.

Demnach verteuerten sich diverse Bauarbeiten unter anderem aus folgenden Gründen:

  • Erst nach der Ausschreibung entdeckte Einbauten
  • Änderung des ausgeschriebenen Voraushubniveaus
  • Unterschiede in der Zusammensetzung des Aushubmaterials zwischen angetroffenem und ausgeschriebenem Material oder
  • Antreffen von nicht ausgeschriebenem, kontaminiertem Aushubmaterial
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Kein Regress

Regressforderungen gegen die ÖBB sind laut KAV dennoch nicht geplant: „Es war dem KAV von Projektbeginn an bekannt, dass es Kontaminationen am Gelände geben wird. Im Zuge des Baugrubenaushubes wurde das Grundstück von sämtlichen Kontaminationen befreit. Die Kosten dafür sind Teil der von Beginn an budgetierten Gesamterrichtungskosten.“ Der KAV hat also offensichtlich das Krankenhaus auf einem ehemaligen Werksgelände geplant und gebaut und für das Grundstück einen Preis am oberen Ende der möglichen Bandbreite gezahlt. Während der Rechnungshof in seinem Rohbericht damit verbundene Mehrkosten bei den Bauarbeiten geortet hat, waren diese für den KAV von Anfang an mitbudgetiert.

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Ein Brunnen, der nie in Betrieb gehen wird

Dem KAV war die Nachhaltigkeit im Betrieb des Krankenhauses ein Anliegen. So war geplant, Grundwasser zum Zwecke der thermischen Nutzung für die Heizung und Kühlung und auch für die Bewässerung der Außenanlagen zu entnehmen.

Die für Wasserrecht zuständige Magistratsabteilung (MA 58) bewilligte dieses Vorhaben. Die MA 45 (zuständig für Wiener Gewässer) hatte keine Bedenken hinsichtlich allfälliger Beeinträchtigungen fremder Rechte.

Der KAV investierte also gutgläubig 600.000 Euro unter anderem für Anlagen (Rohrleitungen, Wärmetauscher in den Kellergeschoßen, Stromversorgung und Steuerungsanlagen). Dann kam die bis dato nicht eingebundene Wiener Gewässer Management GmbH – eine hundertprozentige Tochter der Stadt Wien – ins Spiel. Sie stellte gemeinsam mit der MA 45 in den Jahren 2014 und 2015 fest, dass diese Grundwassernutzung eine Gefährdung einer Altlastensicherung in der nahe gelegenen Pilzgasse verursachen würde. Die Grundwassernutzung wurde also nicht weiterverfolgt. Mehr als eine halbe Million Euro war umsonst ausgegeben – aufgrund von mangelnder Kommunikation innerhalb der Stadt Wien.

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Sie hielt es für erwiesen, dass nachgewiesen worden sei, dass durch die Entnahme verursachte Absenkungen und Aufhöhungen des Grundwasserspiegels auf das unmittelbare Nahfeld beschränkt blieben und eine negative hydraulische Auswirkung auf benachbarte Wasserrechte ausgeschlossen werden könne.

Tierschutz als Nachhaltigkeitsziel

Ebenso unbekannt ist, ob die Stadt die grundstücksbezogenen Nachhaltigkeitsziele erreicht hat. Die im Jahr 2010 präsentierte Nachhaltigkeits-Charta erwähnte die dort lebende Wiener Schnirkelschnecke und den streng geschützten Nachtfalter „Spanische Flagge“. Ziel war es damals, mit den umfangreichen Freiflächen auch die Funktion als Lebensraum zu erhalten. In den letzten acht Jahren Bauzeit entstand für Passanten der Eindruck, dass das gesamte Baustellengelände bereits mehrfach umgegraben wurde. Es ist derzeit nicht bekannt, welche Auswirkungen das auf Schnecken und Falter hatte.

Der Rechnungshof-Rohbericht enthält aber auch eine gute Nachricht zu dem Grundstück: Ein Gutachten zur Beurteilung der elektromagnetischen Verträglichkeit kam zu der Erkenntnis, dass „der KAV sämtliche sinnvoll möglichen und dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen“ zur Beherrschung der elektromagnetischen Verträglichkeit ergriffen hatte. Die Errichtung des Kupferrings samt Tiefenerdern zählte jedenfalls dazu.  

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