Vizedekan des Departments Gesundheit und Medizin an der Donau-Universität Krems
Das Jahr 2005 war ein entscheidendes für die Wiener Gesundheitsversorgung – und, wie sich herausstellen sollte, auch für die Steuerzahler. Damals wurde der Bau eines Krankenhauses in Floridsdorf angekündigt – und damit verbunden die Übersiedlung des Orthopädischen Krankenhauses Gersthof, der Semmelweis-Frauenklinik und des Floridsdorfer Krankenhauses in das neu geplante Gebäude.
Die Frage, welche Krankenhäuser in Wien weiterhin in Betrieb bleiben oder zusperren sollen, wurde aber erst 2011 verbindlich geklärt. Noch länger dauerte es, bis ein Konzept für die Entscheidung darüber vorlag, welche Abteilungen in welchem Krankenhaus untergebracht werden sollen. Dieses Konzept wurde erst 2016 präsentiert, die Bauarbeiten an dem Krankenhaus in Floridsdorf – seither bekannt als Krankenhaus Nord – hatten aber bereits 2012 begonnen. Wie es weiterging, ist bekannt: Weil sich die ursprünglich für 2015 geplante Fertigstellung immer wieder verzögert, warten jetzt in ganz Wien Abteilungen auf ihre Übersiedlung in das zukünftige Spital.
Grundlage für die Planungen ist das Spitalskonzept 2030. Das Dokument ist seit 2011 die verbindliche Grundlage für das Agieren des Wiener Krankenanstaltenverbundes (KAV). Auf seiner Basis werden Krankenhäuser gebaut, umgebaut oder zugesperrt. Die Bedarfsberechnungen, sagt der Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer, stammen aber noch aus dem Jahr 2005: „Damals wurden Investitionsentscheidungen getroffen, die umgesetzt werden und sich dabei immer wieder verzögern. Wenn jetzt etwas geändert wird und beispielsweise die Patientenströme neu berechnet würden, könnte etwas herauskommen, was politisch nicht gewollt ist.“
Der medizinische Masterplan, der das räumliche Konzept mit Abteilungen und Ärzten füllt, wurde erst ab dem Jahr 2013 entwickelt – das bedeutet: zwei Jahre, nachdem man sich entschieden hatte, wo welches Krankenhaus mit wie vielen Betten stehen soll, wurde überlegt, welche Krankheiten in diesen Krankenhäusern behandelt werden sollen.
Das hat mehrere Ursachen: Einerseits kann der KAV nicht alleine entscheiden, was welches Krankenhaus übernehmen soll. Der Bund beschließt alle fünf Jahre einen neuen Gesundheitsstrukturplan, auch die Stadt verabschiedet jeweils darauf basierend einen Regionalen Strukturplan Gesundheit (RSG), in dem die Rahmenbedingungen für die Gesundheitsversorgung der Stadt festgelegt werden. Der KAV kann seine Entscheidungen nur auf Basis dieser Grundlagen treffen. Genau das war laut KAV der Grund dafür, dass der medizinische Masterplan erst 2016 beschlossen wurde. Allerdings führt das, wie ein Rohbericht des Rechnungshofs moniert, zu Planungsunsicherheiten beim neuen Krankenhaus.
Konkret führen die Zeitverzögerungen zu Unklarheiten, welche medizinischen Fächer angeboten werden, da der Medizinische Masterplan des KAV keine Basis für den Regionalen Strukturplan darstellt. Durch die bisherigen Änderungen in der Entscheidung, welche Abteilungen im Krankenhaus Nord angesiedelt werden sollen, wird es laut Rechnungshof wohl auch zu Umbauarbeiten an dem noch nicht einmal fertiggestellten Spital kommen.
Doch der KAV muss nicht nur die aktuellen politischen Vorgaben berücksichtigen, betont Marion Rauner von der Universität Wien, auch die Geschichte Wiens verkompliziert die Gesundheitsplanung. Wien wuchs im 19. Jahrhundert aufgrund der Industrialisierung rasant, die zusätzlichen Bewohner mussten versorgt werden. Unter Kaiser Franz Joseph und mit Hilfe privater Financiers kam es deshalb zu vielen Krankenhausneugründungen, in ganz Wien gibt es insgesamt 97 Krankenhäuser. Viele davon stehen unter Denkmalschutz und sind in Pavillonbauweise errichtet worden, was besondere Herausforderungen bedeutet. Mittlerweile sind viele Krankenhäuser obsolet und geschlossen, einige werden privat geführt, einige werden auch im neuen Spitalskonzept berücksichtigt.
Solche Schließungen führen zu Unmut, erzählt der Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer. Denn für Bürger wirkt es oftmals so, als ob die nahe gelegene Versorgung weggenommen würde. Wenn es genügend niedergelassene Ärzte gibt, die Erstuntersuchungen vornehmen, sollte das allerdings kein Problem sein. Denn dem KAV geht es im neuen Konzept um eine Schwerpunktsetzung, Ressourcenverlagerung und damit effizientere Versorgung. Alles gut also?
Die Pavillonbauweise war früher ein Hilfsmittel, um das Seuchenrisiko in Krankenhäuser einzudämmen. So konnten Patienten nach Krankheiten getrennt untergebracht werden und das Ansteckungsrisiko reduziert werden. Heute führt es dazu, dass Patienten zwischen unterschiedlichen Abteilungen, die in verschiedenen Pavillons untergebracht sind, verschoben werden müssen.
Marion Rauner, Ernest Pichlbauer und Gottfried Haber, ein weiterer Gesundheitsexperte, bewerten das Spitalskonzept 2030 einhellig positiv. Dennoch haben Ärzte momentan Probleme damit. Nicht unbedingt wegen der inhaltlichen Ausrichtung – auch wenn die Reduktion von Abteilungen zu einem härteren Konkurrenzdruck um Primarposten führt –, problematisch finden sie vor allem die räumlichen Konsequenzen. Vor zehn Jahren gab es noch vierzehn Krankenhäuser des KAV, nach der Umsetzung des Spitalskonzepts bleiben nur noch sechs KAV-Häuser – und das AKH als geteilte Unternehmung – übrig. Jeweils zwei dieser sechs Krankenhäuser decken eine Region ab: West, Süd und Nord/Ost.
Vizedekan des Departments Gesundheit und Medizin an der Donau-Universität Krems
Fakultät für Wirtschaftswissenschaften Universität Wien
Gesundheitsökonom
Einzelne Krankenhäuser wurden mittlerweile aufgelassen, so beispielsweise das Sophienspital, das Elisabeth-Spital und das Preyer’sche Kinderspital. Das bedeutete Übersiedlungen in andere Krankenhäuser und Zusammenlegungen. In den Spitälern, die aus der Zeit um die Jahrhundertwende stammen und aus mehreren Pavillons bestehen, ist das kein Problem. In anderen Krankenhäusern aber warten Abteilungen auf ihre Übersiedelung in das Krankenhaus Nord.
Schwerpunktkrankenhäuser bedeuten prinzipiell keine Verknappung der Gesundheitsversorgung, nur eine Verschiebung. In allen Krankenhäusern sind zentrale Notaufnahmen und eine erweiterte Grundversorgung vorgesehen. Wer sich beispielsweise den Arm bricht, kann weiterhin in jedem Krankenhaus die nötige Behandlung erwarten. Bei der Diagnose unterstützen auch Konsiliarärzte aus anderen Disziplinen, die von den Schwerpunktkrankenhäusern aus beraten. Erst wenn es sich um komplizierte Krankheitsbilder handelt und beispielsweise Operationstermine nötig sind, müssen Patienten je nach Disziplin das Krankenhaus wechseln.
Gleichzeitig deckt der KAV mit diesen Schwerpunkten regional den Bedarf ab, beispielsweise mit einem onkologischen Schwerpunkt pro Region. Im Bereich der Dermatologie oder Augenmedizin finden allerdings sehr viele Eingriffe ambulant statt, Patienten müssen nur selten über Nacht oder länger im Krankenhaus behandelt werden. Auch die Ärztekammer sieht in einigen Bereichen – wie etwa der Urologie mit momentan fünf Abteilungen – ein Überangebot. Deshalb gibt es theoretisch nur ein Schwerpunktzentrum, an dem die Versorgung für ganz Wien angeboten wird.
Auch in älteren Spitälern werden Baumaßnahmen zum Erhalt und zur Verbesserung der Krankenhäuser durchgeführt. Im Wilhelminenspital beispielsweise wird ein Zentralgebäude errichtet, im Donauspital wird eine HNO-Abteilung gebaut. Die Liste der Baumaßnahmen dominiert die öffentliche Kommunikation des KAV – sofern die zugehörigen Pressemeldungen tatsächlich noch abrufbar sind. Sie verschwinden aus gutem Grund: Die Bauarbeiten am Wilhelminenspital sollten 2024 abgeschlossen werden, mittlerweile geht man, inoffiziellen Informationen zufolge, von 2030 aus. Auch in der Rudolfstiftung führten Statik- und Bauprobleme zu groben Verzögerungen, ursprünglich hätten die Augenabteilung und die Dermatologie dort schon 2016 erweitert werden sollen.
Doch nicht nur Bauarbeiten sorgen für Probleme bei der Umsetzung des Konzepts. Durch die Schwerpunktsetzung werden in einzelnen Krankenhäusern Abteilungen zugesperrt. So soll es laut Konzept nur noch in der Rudolfstiftung eine Abteilung für Dermatologie und ein Augenzentrum geben. Diese Schwerpunktsetzung ist auch für Gottfried Haber nachvollziehbar: „In Wien sind Krankenhäuser teilweise nur ein paar hundert Meter auseinander. Da ist es leicht, einen inhaltlichen Fokus zu setzen.“
Die Bevölkerung allerdings sieht das nicht unbedingt so. Bürgerproteste und eine Intervention des Bezirksvorstehers führten dazu, dass die Abteilung in einer verschlankten Form im Donauspital erhalten bleibt. Die veröffentlichte Version des Konzepts ist damit nicht mehr aktuell. Dennoch wurde sie weder vom KAV noch der Stadt Wien aktualisiert.
Momentan ist nicht klar, welche Teile des Konzepts weiterhin entlang der ursprünglichen Planung umgesetzt werden sollen. In Hintergrundgesprächen wird von unterschiedlichen Planungsständen erzählt, es soll beim KAV unterschiedliche Light-Versionen des Konzepts geben. Kurzzeitig gab es auch Medienberichte, die nahelegten, dass statt der Schwerpunkte auf eine Netzwerk-Gesundheitsversorgung gesetzt werden soll.
Offiziell und damit verbindlich steht das Spitalskonzept 2030, das sagt auch der KAV. Dort heißt es, dass beispielsweise die Augenabteilungen der Krankenhäuser Hietzing, Rudolfstiftung und Donauspital „ein Zentrum bilden können, bevor die räumliche Zusammenführung der Abteilungen abgeschlossen ist. Der Zentrumsgedanke kann damit schon früher als geplant gelebt werden – die räumliche Zusammenlegung der einzelnen Abteilungen folgt erst in einem nächsten Schritt. Sie zwingend möglichst bald umzusetzen, ist nicht das Ziel – entscheidend ist die frühe Etablierung jener Abläufe, die eine enge Zusammenarbeit zulassen und garantieren.“
Zumindest inhaltlich bekommt das Konzept für die Schwerpunktsetzung trotz diverser Verzögerungen und veralteter Planungsgrundlagen von Experten gute Bewertungen, auch wenn die Planungsgrundlagen mittlerweile veraltet sind. In der Umsetzung hakt es aber an mehreren Stellen. Für einige der betroffenen Abteilungen ist der Grund immerhin klar: Alles wartet auf das Krankenhaus Nord.