Update 11. Dezember:
Bis dato wurde der hausgemachte Personalmangel im Krankenhaus Nord von den Verantwortlichen negiert. Nun hat der Wiener Krankenanstaltenverbund die Prüfung der Personalsituation in den Abteilungen Notfallambulanz, Terminambulanzen und Operationsräumen abgeschlossen. Für diese Bereiche werden 70 zusätzliche Dienstposten geschaffen. Ob das Personal in den anderen Stationen in den kommenden Monaten auch aufgestockt wird, werden die weiteren Evaluierungen zeigen.
Dass die Personaldecke in der Klinik Floridsdorf, wie das Krankenhaus Nord ab Jänner heißen wird, für einen Vollbetrieb zu dünn sein würde, war offensichtlich. Die Ärztekammer warnte, Wiener Oppositionspolitiker äußerten Bedenken. Doch die Führung des Wiener Krankenanstaltenverbunds (KAV) beharrte über Jahre auf ihrer Position, dass bis zur Eröffnung ausreichend Personal vorhanden sein werde. Ein Blick in einige zentrale Klinikbereiche zeigt, wie akut der Personalmangel noch immer ist und welche Ursachen er hat.
Die Traumatologie und Orthopädie (Anm: Dieses Fach beinhaltet auch die Unfallchirurgie) bereitete dem Krankenhaus Nord von Anfang Probleme. Es mangelte nicht nur an Personal, unklar war und ist auch, welche Behandlungen durchgeführt werden können. Die Bezirkszeitung schrieb noch im März 2019, dass nicht klar sei, in welchem Krankenhaus das Ortho-Trauma-Zentrum sein werde. Basis dafür ist das Spitalskonzept 2030 , das seit 2011 vorsieht, wo es in Zukunft Krankenhäuser gibt und welche Behandlungen in welchem Krankenhaus vorgenommen werden können. Darin vorgesehen ist ein Ortho-Trauma-Zentrum im Krankenhaus Nord. Tatsächlich gibt es nun zwei Unfallabteilungen in der Versorgungsregion Nord: die vollwertige Unfallabteilung im SMZ Ost und die Traumatologie im Krankenhaus Nord. Dort können allerdings keine Schädelverletzungen behandelt werden, da es keine Neurologie gibt. Dafür ist nun Personal für zwei Stationen nötig.
Ohne die Bauverzögerungen, die dem Krankenhaus mehr Zeit verschaffte, wäre selbst ein eingeschränkter Betrieb kaum möglich gewesen. Das gab die ehemalige ärztliche Leiterin des Krankenhaus Nord, Sylvia Schwarz, im Untersuchungsausschuss zu Protokoll: „Wenn das Krankenhaus frühzeitig fertig geworden wäre, hätte uns die Zusammenlegung der Fächer Orthopädie/Traumatologie überrollt. Denn die Orthopäden sind keine Unfallchirurgen, und die Unfallchirurgen sind keine Orthopäden. Das hätte uns ein großes Problem gemacht und ist auch jetzt nicht hundertprozentig gelöst.“
Vier Monate später sprach Evelyn Kölldorfer-Leitgeb, die Generaldirektorin des KAV, von mehr Bewerbern als freien Dienstposten in der Unfallchirurgie. Zu Unrecht, wie sich herausstellte – Ende August musste relativiert werden: „Im ÄrztInnen-Bereich werden bis zur Aufnahme des Vollbetriebs in der Unfallchirurgie und in der Kinder- und Jugendpsychiatrie die letzten Dienstposten besetzt.“
Der Personalmangel in der Orthopädie und Traumatologie kann bei Terminbehandlungen in der Planung berücksichtigt werden. Schwierig wird es, wenn Notfallpatienten kommen, die rasch operiert werden müssen. Aktuell gibt es laut Krankenanstaltenverbund zwar ausreichend Chirurgen, doch die Traumatologie kann nicht alle Notfälle annehmen.
Das hat mehrere Gründe: Zwei Operationssäle des Krankenhaus Nord sind nicht in Betrieb. Das liegt zum einen am fehlenden OP-Personal und zum anderen daran, dass viele OP-Mitarbeiter für die neuen Abläufe der Klinik noch nicht ausreichend geschult wurden. Das hätte eigentlich schon während der Übersiedlung geschehen sollen, wurde aber verabsäumt.
Zweitens gibt es nicht genügend Pflegepersonal, was den Betrieb der zentralen Notaufnahme stark einschränkt. Inoffiziell wird auch von einem Pflegemangel auf den Intensivstationen gesprochen: Patienten, die nach einer Operation auf der Intensivstation aufgenommen werden müssen, können vom Krankenhaus nicht betreut werden und müssen in andere Spitäler verlegt werden.
Zusätzlich scheint bei der Wiener Rettung immer wieder Verwirrung zu herrschen, welche Patienten in welches Krankenhaus gebracht werden können. Viele Stationen wurden verschoben, und noch immer dürfte teilweise unklar sein, für welche Unfälle und Verletzungen das Krankenhaus Nord personell und strukturell adäquat ausgestattet ist. Die Berufsrettung hat ihre Mitarbeiter deshalb erneut über die Verteilung der Stationen aufgeklärt.
Auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie können nicht so viele Patienten wie vorgesehen behandelt werden. Doch vor der Untersuchungskommission im Frühjahr zeigte sich die Generaldirektorin des KAV auch in diesem Zusammenhang optimistisch. „Im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie […] sind wir gerade beim Recruiten. Da fehlen uns noch drei Personen, also drei Fachärzte – Ausbildungsärzte haben wir genug –, die werden wir auch noch bis zum Vollbetrieb haben.“ Entgegen ihrer Erwartungen fehlten diese allerdings auch noch im Oktober. Mittlerweile melden sich Kinder- und Jugendpsychiater aus anderen Krankenhäusern bei der KAV-Führung wegen des Mangels bei der Führung des Krankenanstaltenverbundes. Durch den Wechsel von einigen Kollegen ins KH Nord sei auch die Versorgungssituation in den anderen Häusern äußerst grenzwertig. Von einer „State of the Art“-Versorgung sei man weit entfernt.
Durch die Eröffnung der neuen Station im Krankenhaus Nord hat sich der Personalmangel bei den Kinder- und Jugendpsychiatern noch einmal verschärft. Es gibt nun mehr Stationen, aber nicht mehr Ärzte. Dabei wollte der KAV durch zusätzliche Ausbildungsplätze diesen Mangel verhindern. Laut Herwig Wetzlinger, der seit 2017 auch im Vorstand des KAV ist, bildete das AKH ab 2014 drei Kinder- und Jugendpsychiater auf Kosten des KAV aus. Unklar ist, ob genau diese Ärzte nun auch im Krankenhaus Nord arbeiten.
Wilhelm Marhold, bis 2014 Generaldirektor des KAV, bestätigte diese Praxis in der Untersuchungskommission: Der KAV bezahlte Ausbildungsplätze am AKH, damit bis zur Eröffnung des Krankenhaus Nord genügend Kinder- und Jugendpsychiater ausgebildet sind. Günter Koderhold, selbst Arzt beim KAV und Mitglied der Untersuchungskommission für die FPÖ, ortete dagegen Selbstverschulden des KAV: „2016 gab es eine schwerwiegende Entscheidung der Generaldirektion mit Billigung der damaligen Gesundheitsstadträtin, dass 52 Ausbildungsstellen, auch im Bereich Neonatologie (Anm: Also Kinderheilkunde mit Fokus auf Neugeborene) und Kinderpsychiatrie, eingespart worden.“ Besonders fragwürdig wirkt diese Entscheidung unter dem Aspekt, dass es bereits 2011 einen Ärztemangel in dieser Fachrichtung gab und damals nicht einmal die Hälfte der vorgegebenen Krankenhausbetten zur Verfügung stand. Ein Missstand, der unter anderem durch die neue Station im Krankenhaus Nord behoben werden sollte. Stattdessen ist die Situation nun noch schlimmer, der Fachkräftemangel noch größer. Genau vor dieser Entwicklung wurde in der Untersuchungskommission gewarnt.
In eben dieser sprach die Generaldirektorin des KAV, Evelyn Kölldorfer-Leitgeb, Anfang April von gesicherten Personalzahlen: „Wir haben jetzt bei der Pflege bereits Wartezeiten, weil wir einfach einen so großen Andrang von BewerberInnen haben. Erfreulicherweise haben wir auch bei den Ärzten 96 Prozent der Dienstposten besetzt.“ Ähnlich positiv äußerte sich eine KAV-Sprecherin hinsichtlich der Personalplanung im Dezember 2018. Und auch der stellvertretende Generaldirektor des KAV, Herwig Wetzlinger, sprach im Juli 2018 in der Untersuchungskommission von einem plangemäßen Personalaufbau: „Von den circa 2.100 Vollzeitäquivalenten, die im Plan für den Betrieb des Krankenhauses benötigt werden, gibt es jetzt schon 1.700 bis 1.800 Vollzeitäquivalente. […] Und es ist eigentlich ein beruhigender Status, wenn man ein Jahr vor der tatsächlichen Inbetriebnahme sagen kann, dass man einen Großteil des Personals schon in die Verantwortung der Übersiedelung mit hineingenommen hat.“ Rund 85 Prozent des Personals seien also gesichert. Wetzlinger betonte zwar, dass er für die Personalangelegenheiten grundsätzlich nicht zuständig sei, seine Conclusio gegenüber der Kommission war aber eindeutig: „Beim Thema Personal bin ich zuversichtlich, dass wir die Lücke noch schließen können.“
Der KAV ist eine Unternehmung der Stadt Wien und hat damit keine Personalhoheit. Nur in bestimmten Bereichen hat der KAV die gänzliche Entscheidungsfreiheit über Budgets. Der KAV kann also nicht darüber entscheiden, wie viele Angestellte ein Krankenhaus hat. Egal ob bei Ärzten, Pflegepersonal, Haustechnikern oder Reinigungskräften – alle Stellen hängen davon ab, ob die Stadt Wien dafür Geld bereitstellt. Über eine neue Organisationsform wird seit vielen Jahren diskutiert. Tatsächlich geändert hat sich seither nichts. Die ehemalige Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely entwickelte ein neues Konzept, und auch ihre Nachfolgerin Sandra Frauenberger präsentierte eins kurz nach ihrem Amtsantritt. Allerdings wurde es nicht akzeptiert. Der aktuelle Gesundheitsstadtrat Peter Hacker verpasst dem KAV als Wiener Gesundheitsverbund ein neues Image, an der Unternehmensform wird abseits der Öffentlichkeit gearbeitet. Wann ein Konzept präsentiert wird, will man entgegen früheren Ankündigungen nicht fixieren.
Diese Lücke bezog sich aber nur auf Neuanstellungen. Viele Mitarbeiter waren ja schon zuvor in KAV-Häusern tätig. der Kommission befürchtete man Engpässe, weil das neue Krankenhaus Personal aus anderen Häusern abziehen würde. KAV-Generaldirektorin Kölldorfer-Leitgeb sprach in diesem Zusammenhang von einem Andrang, doch man bemühe sich, auch die anderen Bereiche für Mitarbeiter attraktiv zu halten – sprich: Mitarbeiter aus bisherigen Krankenhäusern sollten in diesen zufrieden bleiben und nicht neidvoll auf das neue, moderne Spital blicken.
Während die KAV-Führungsriege vom Andrang auf das Krankenhaus Nord erzählte und einen Personalmangel in den eigentlichen Stammhäusern ausschloss, zeichnen die Schilderungen einiger KAV-Mitarbeiter ein anderes Bild. Ihnen zufolge wurde gezielt versucht, Pflegekräfte für das neue Krankenhaus zu gewinnen. Im Donauspital gab es angeblich Angebote, dass Krankenschwestern bei einem Wechsel ins Krankenhaus Nord keine Nachtdienste mehr machen müssten. Aktuell sind auf der Seite des KAV zwar keine Pflegestellen für das Krankenhaus Nord ausgeschrieben, doch alleine im September verließen sechs der 90 Diplompflegekräfte das neue Haus.
Auf der anderen Seite dürfte das Krankenhaus Nord für Gesundheitsbedienstete ein attraktiver Arbeitsplatz sein. Herwig Wetzlinger, stellvertretender KAV-Generaldirektor, hat in seinem Stammhaus, dem Allgemeinen Krankenhaus, nun einen Pflegepersonalmangel auf der Neonatologie, da Mitarbeiter in das Krankenhaus Nord wechselten und nun im AKH fehlen. Werdende Mütter, bei denen Risikogeburten erwartet werden, müssen teilweise abgewiesen werden. Der Leiter der Abteilung für Frauenheilkunde sieht die Schuld bei der Stadt Wien. Hätte der Krankenanstaltenverbund und nicht die Stadt Wien die Personalhoheit, dann wären rechtzeitig zusätzliche Personalkapazitäten geschaffen worden.
Eben diese Verhandlungen mit der Stadt Wien führte für das Krankenhaus Nord ab 2015 die jetzige Generaldirektorin Evelyn Kölldorfer-Leitgeb. 2016 einigten sich KAV und die Stadt Wien auf den ersten Dienstpostenplan mit 2.049 Stellen.
Gleichzeitig verhandelte Kölldorfer-Leitgeb mit Ärztekammer, Gewerkschaft und Personalvertretung, die mehr Personal wollten. 2017 sollte genau festgelegt werden, welche Mitarbeiter im Krankenhaus Floridsdorf arbeiten werden.
Doch mit der Gewerkschaft konnte lange kein Kompromiss erzielt werden. 2017 lehnte die Gewerkschaft den Dienstpostenplan ab. Im Jahr darauf einigte man sich schließlich auf 2.148 Mitarbeiter für das neue Krankenhaus. Allerdings mit der Bedingung, dass bei Eröffnung des Krankenhauses sofort mit der Neuevaluierung des Stellenplans begonnen werde. Der KAV selbst konnte den Dienstpostenplan auf Anfrage im Dezember 2018 noch immer nicht bekannt geben, da er noch von der zuständigen Gewerkschaftsvertretung freigegeben werden musste. Laut KAV war das eine reine Formsache, da der überwiegende Teil des Personals sowieso aus bestehenden KAV-Häusern kommen werde.
Das stimmt nur bedingt. Das Krankenhaus Nord wurde mit verschiedenen Abteilungen aus den Krankenhäusern Floridsdorf, Gersthof, Semmelweis, Hietzing und dem Otto-Wagner-Spital besiedelt. Zusätzlich wurden auch neun neue Abteilungen gegründet. Darunter: die Abteilungen Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Orthopädie und Traumatologie. Also die, in denen es nun Probleme gibt.
Das Krankenhaus Nord ist offiziell in Vollbetrieb. Mit Ende Oktober waren fast alle Posten besetzt. Die Rede ist dabei allerdings nur von Posten, die in der früheren Planung – insgesamt 2.148 Mitarbeiter – bereits vorgesehen waren.
Ob diese für den Betrieb überhaupt ausreichen, wird momentan überprüft. Begonnen wurde mit jenen Abteilungen, in denen die Personalnot besonders deutlich geworden ist: der Notfallambulanz, den Terminambulanzen und den OPs. Die Gewerkschaft hat schon einen Monat nach Beginn des Vollbetriebes 22 neue Dienstposten bei der Generaldirektion eingefordert. Wie groß der Unterschied zwischen geplantem und tatsächlich benötigtem Personal am Ende sein wird, bleibt abzuwarten. Interessant ist, dass das Personalkonzept ausgerechnet von jener Firma geprüft wird, die einst den Personalplan für das Krankenhaus Nord entwickelt hat.