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Die vielen Baustellen des KH Nord
29. März 2018 Krankenhaus Nord Lesezeit 7 min
Warum sind die Kosten beim Krankenhaus Nord explodiert? Auf diese Frage gibt es keine einfache und eindeutige Antwort. Es gibt aber viele Teilantworten, die von fehlender Koordination über mangelndes Verantwortungsbewusstsein bis hin zu lückenhaften Kontrollen reichen.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Krankenhaus Nord und ist Teil 4 einer 7-teiligen Recherche.
Bild: Christian Lendl | Addendum

Der Bau eines Krankenhauses unterscheidet sich grundlegend vom Bau eines Einfamilienhauses. Dennoch sind beim Bau des KH Nord Fehler passiert, die einem privaten Häuslbauer nicht passieren würden. Wir listen hier einige der Kardinalfehler auf, die zu den explodierten Projektkosten und der beträchtlichen Verzögerung geführt haben. Zur Erinnerung: das Krankenhaus Nord wird nicht nur rund eine Milliarde Euro mehr kosten als geplant , sondern auch mehrere Jahre später als erhofft in Betrieb gehen.

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1.    Die Zinsen legt die Bank fest

Wer Fremdmittel für sein Bauprojekt benötigt, holt in der Regel Vergleichsangebote bei verschiedenen Banken ein, ein wichtiges Kriterium für die Auswahl des Kreditgebers ist der Zinssatz.

Die Stadt Wien verhielt sich beim KH Nord anders.

Schriftliche Vergleichsangebote konnte die Stadt Wien dem Rechnungshof nicht vorlegen, ein mündliches Vergleichsangebot der Österreichischen Bundesfinanzierungsagentur basierte auf einer anderen Rückzahlungsvariante.

Die Stadt Wien hat, vertreten durch den Generaldirektor des KAV, einen Kreditvertrag mit der Europäischen Investitionsbank über 300 Millionen Euro abgeschlossen. In diesem Vertrag war weder geregelt, ob der Zinssatz fix oder variabel ist, noch welcher Basiszinssatz mit welchem Aufschlag der Berechnung zugrunde lag.

Die Stadt Wien hat den gesamten Kreditbetrag im Dezember 2010 frühzeitig abgerufen und hat dies mit der Verbesserung der eigenen Bonität argumentiert. Zu diesem Zeitpunkt war aber bereits bekannt, dass für die Maastrichtverschuldung auch die früher abgerufenen Kredite berücksichtigt werden. Der vorzeitige Abruf des Kredits zu einem ungünstigen Zinszeitpunkt hat dann noch einmal mehrere Millionen gekostet. Der Kurier  berichtet von rund 30 Millionen Euro, der Rechnungshof hat bei alternativer Berechnungsvariante sogar knapp 45 Millionen Euro kalkuliert. Die Stadt Wien hätte sich diese zusätzlichen Finanzierungskosten also tatsächlich sparen können.

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2.    Ein schiefes Krankenhaus in Wien droht

Erst im Zuge der Fassadenarbeiten erkannten Statiker bei der Rohbauvermessung, dass Stützen nicht richtig positioniert waren. Neun Stützen mussten daher nachträglich abgerissen und neu errichtet werden. Auch Betonwände passten nicht – Planungsfehler der statischen Konstruktion haben einen teilweisen Abbruch erfordert. Das haben weder die mit der Qualitätssicherung beauftragen Prüfstatiker und Prüfingenieure noch die örtliche Bauaufsicht rechtzeitig erkannt.

Ob alles hält, ist im Übrigen noch ungewiss. Fest steht, dass Ziviltechniker mit Setzungen von zwei bis drei Zentimetern gerechnet haben, tatsächlich wurden bis dato nur Setzungen von unter einem Zentimeter gemessen. Der KAV selbst führt an, dass ohne getroffene stabilisierende Maßnahmen sogar Setzungen von sechs bis acht Zentimetern möglich gewesen wären. Eine abschließende Messung soll erst bei Vollbelastung nach Fertigstellung erfolgen. Es bleibt zu hoffen, dass dann alles im zulässigen Rahmen bleibt.

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Setzungen entstehen etwa, wenn der Boden ungleichmäßig nachgibt. Berühmtestes Beispiel für Setzungen ist der Schiefe Turm von Pisa.

3.    Ein Baustopp hätte geholfen

In der Chronologie der Vielzahl an Einzelfällen sticht ein Moment besonders hervor. Als eines der mit dem Fassadenbau beauftragten Unternehmen pleiteging, gab es im Frühjahr 2014 Überlegungen zu einem Baustopp. So wäre es möglich gewesen, die Qualität der Planung zu verbessern und den zeitlichen Verzug aufzuholen. Der KAV hat die monatlichen Kosten für eine Bauunterbrechung auf Basis einer groben Abschätzung mit drei Millionen Euro kalkuliert. Der Rechnungshof hat die Mehrkosten, die aufgrund der Fortführung trotz vorliegender Probleme entstanden sind, mit über 73 Millionen Euro berechnet. Um diesen Betrag hätte die Baustelle also rund zwei Jahre stillstehen können, um Fehler der Vergangenheit auszumerzen. Rückblickend betrachtet wäre also ein Baustopp die bessere Option gewesen.

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4.    Zahlungsmoral des KAV

Skontovereinbarungen bei prompter Bezahlung sind auch für den KAV eine Selbstverständlichkeit. Der KAV gewährt seinen Kunden Skonti und ist selbst auch bestrebt, entsprechende Prozente zu nutzen. Bei einem gesamten Rechnungsvolumen des KH Nord (bis zur Überprüfung durch den Rechnungshof) in Höhe von 702 Millionen Euro hätte sich der KAV also über 20 Millionen Euro (3 Prozent) einbehalten können. Tatsächlich hat sich der KAV insgesamt nur 6.300 Euro als Skonto – also 0,001 Prozent – einbehalten. Umgekehrt hat der KAV wegen Zahlungsverzug an einen einzigen Auftragnehmer 48.000 Euro Verzugszinsen gezahlt.

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5.    Viele Planer verderben den Bau

Neben einem Generalunternehmer gibt es auf Großbaustellen oft auch einen Generalplaner. Auch hier hat sich der KAV für einen anderen Weg entschieden. Beim KH Nord gab es einen Architekten, einen statisch-konstruktiven Planer und einen Planer für die Technische Gebäudeausrüstung. Für den KAV ergab das eine Notwendigkeit der Koordination zusätzlicher Schnittstellen.

Darüber hinaus hat der KAV versucht, den Unternehmen die Koordination der Werks- und Montageplanung selbst zu übertragen. Er erwartete also von den Unternehmen auf seiner Baustelle, dass diese selbst wissen, wann was zu tun wäre. Dieser Versuch war nach Einschätzung des Rechnungshofs nicht nur unüblich, sondern er scheiterte auch.

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6.    Direktvergaben als großer Zankapfel

Das Vergaberecht hat vielerlei Funktionen. Vor allem soll es auch die Auswahl des besten beziehungsweise billigsten Anbieters gewährleisten. Ausnahmen von einer Ausschreibungspflicht bestehen für Ausschreibungen mit einem Volumen unter 100.000 Euro. Dennoch ist es auch in diesen Fällen der Direktvergabe üblich, Vergleichsangebote einzuholen. Beim Krankenhaus Nord gab es laut Rohbericht des Rechnungshofs keine internen Vorgaben für Direktvergaben – etwa zu der Anzahl zusätzlicher Kostenvoranschläge zur Verbesserung des Wettbewerbs – und das, obwohl insgesamt 430 von 550 Vergaben direkt erfolgten.

Es ist daher eine Sache, Regressansprüche aufgrund solcher Direktvergaben im Nachhinein zu prüfen, wie Stadträtin Sandra Frauenberger im Standard ankündigte. Es ist aber auch ein Offenbarungseid des selbst geschaffenen Systems, dass derartige Direktvergaben offensichtlich lange Zeit ohne Vergleichsangebote oder funktionierendes Controlling möglich waren. Wie hoch also das Einsparungspotenzial im Bereich der Direktvergaben gewesen wäre, kann im Nachhinein nicht mehr seriös beurteilt werden.

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Der KAV hat auf Anfrage mitgeteilt, dass Beauftragungen bis zu einer Wertgrenze von 100.000 Euro in die Eigenverantwortung und Kompetenz von Führungskräften fallen. Darüber hinaus gäbe es vom KAV-Vorstand per Erlass geregelte detaillierte Vorgaben für die Beauftragung von BeraterInnenverträgen. Diese sehen etwa das verpflichtende Vieraugenprinzip vor, aber auch verpflichtende Vergleichsangebote oder Begründungen für ein Alleinstellungsmerkmal des Auftragnehmers. Dieser Erlass wird erweitert. Künftig muss dem Vorstand verpflichtend berichtet und eine Darstellung der Zweckmäßigkeit vorgelegt werden.

Dem KAV fehlte beim Krankenhaus Nord ausreichend internes Know-how, um seine Interessen selbst durchsetzen zu können und das Projekt innerhalb der Kosten- und Terminvorgaben abzuwickeln.

7.    Das Selbstbewusstsein des KAV als Generalunternehmer

Der KAV hat sich gegen einen Generalunternehmer entschieden. Die dadurch vermeintlichen Einsparungen werden durch Mehrkosten in Folge ungenügender Koordination weit übertroffen.

Die Frage betreffend die KAV-eigene Professionalität beantwortete der Rechnungshof in seinem Rohbericht abschließend und vernichtend. „Der KAV konnte im überprüften Zeitraum keine stabile, durchgängige Projektorganisation gewährleisten. Ihm fehlten Ressourcen zur Wahrnehmung der Bauherrnfunktion.“

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Rechtsstreitigkeiten, Baumängel und Regresse waren ebenso die Folge wie eine bereits mehrere Jahre andauernde Verzögerung der Fertigstellung.

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8.    Eine, drei oder doch 250 Ausschreibungen

Zu Beginn des KH Nord stand die Idee eines Public-Private-Partnership-Modells, bei dem Grundstück und Krankenhaus von einem Anbieter kommen hätten sollen. Diese Ausschreibung wurde widerrufen .

Im September 2010 hat man mit Generalunternehmern bzw. Teil-Generalunternehmern geplant, was maximal drei Vergabeverfahren erfordert hätte.

Im April 2011 hat sich der KAV für eine gänzlich andere Variante entschieden: Nun waren insgesamt 250 einzelne Vergabeverfahren (davon alleine 42 für den Bau) geplant. Der KAV hat sich geringere Kosten durch erhöhten Wettbewerb erhofft und wollte sich die sonst übliche Pauschale für den Generalunternehmer sparen.

Ohne Generalunternehmer, dafür aber mit hunderten Vergabeverfahren, drohten Mehrkosten wegen einer Vielzahl an Schnittstellen, großer Koordinationsbedarf und die Gefahr gegenseitiger Behinderung. Berechnet hat der KAV diese möglichen Mehrkosten nicht.

Wie die Erfahrung der letzten Jahre nun zeigt, sind eben viele dieser Risiken eingetreten und haben laut Rechnungshof über 200 Millionen Euro zusätzlich gekostet. Auf der Seite der erhofften Einsparungen blieb demgegenüber nur ein Bruchteil von rund 70 Millionen Euro bestehen.

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Sämtliche Projektbeteiligte schenkten den damit einhergehenden Risiken zu wenig Aufmerksamkeit.

9.    Das Krankenhaus Nord war lange undicht

Kein Häuslbauer kommt auf die Idee, sein Eigenheim einzurichten, bevor das Dach geschlossen ist. Beim Krankenhaus Nord ist im Prinzip genau das passiert. Mit dem Innenausbau wurde begonnen, bevor das Gebäude dicht war.

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Das hält der Rechnungshof zu dieser Schwäche der Projektorganisation fest. In 355 Räumen ist es so zu Feuchte- und Schimmelschäden gekommen – das Ergebnis: 1,23 Millionen Euro an Sanierungskosten.

Strittig ist, ob der Innenausbau trotz der fehlenden Fassade hätte beginnen dürfen. Der KAV sagt, das Gebäude hätte provisorisch abgedichtet werden müssen. Am Bau Beteiligte unterstellen dem KAV, dass er die Schäden bewusst in Kauf genommen hat, um Verzögerungen bei einer Bauunterbrechung zu vermeiden.

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Die Erkenntnis

Was der KAV also beim Projekt KH Nord falsch gemacht hat, bringt der Rechnungshof im Rohbericht auf den Punkt: „Die vom KAV installierte, koordinierte und gesteuerte Projektorganisation war zur Wahrnehmung der Bauherrnfunktion den Herausforderungen, die ein derartig umfangreiches und komplexes Bauwerk an den Bauherrn stellt, nicht ausreichend geeignet.“

Bleibt zu hoffen, dass die Stadt Wien und der KAV für künftige Projekte die richtigen Lehren ziehen. 

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