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Kindergartengebühr in Oberösterreich: 3.450 Kinder weniger
28. Mai 2018 Kinderbetreuung Lesezeit 9 min
Die Gratis-Nachmittagsbetreuung ist in Oberösterreich seit 1. Februar Geschichte. Welche Konsequenzen das hat, erfasst das Land Oberösterreich nicht. Wir haben eine erste umfassende Erhebung für jede Gemeinde durchgeführt.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Kinderbetreuung und ist Teil 1 einer 5-teiligen Recherche.
Bild: Lilly Panholzer | Addendum

Update 10.09.2018:

Das Land Oberösterreich hat die Ergebnisse einer Befragung zur Einführung der Gebühren für die Nachmittagsbetreuung präsentiert. Nach diesen Zahlen waren im April (nach Einführung der Elternbeiträge) um 3.170 Kinder weniger als im Oktober (vor Einführung) in Nachmittagsbetreuung – diese Zahl umfasst gänzliche Abmeldungen ebenso wie Ummeldungen, also kürzere Betreuungszeiten. Die Daten der Evaluierung sind niedriger als jene aus der Addendum-Erhebung. Wir kamen im Mai auf 3.450 ab- oder umgemeldete Kinder. Wie kommt es zu diesem Unterschied? Dafür können mehrere Faktoren verantwortlich sein:

  • Unvollständige Daten:
    Wie Addendum hat das Land Oberösterreich nicht aus allen Kinderbetreuungseinrichtungen eine Rückmeldung erhalten. Beispielsweise haben die Linzer städtischen Betriebe keine Daten gemeldet. Nach unseren Informationen sind dort etwa 400 Kinder abgemeldet worden. Es ist in den Unterlagen zur Evaluierung nicht aufgeschlüsselt, ob Kindergärten aus anderen Städten ebenso nicht an der freiwilligen Umfrage teilgenommen haben.
  • Unterschiedliche Erhebungszeitpunkte:
    Das Land Oberösterreich hat Daten für den Oktober 2017 und für den April 2018 erfragt. Bei unserer telefonischen Anfrage haben wir uns nach dem Stand im Jänner und nach dem aktuellen Stand erkundigt. Das betraf die Monate März, April, Mai.
  • Schätzungen:
    Unsere Anfrage erfolgte mündlich. Wir haben telefonisch die verantwortlichen Personen in den Gemeinden kontaktiert. Es ist nicht auszuschließen, dass dabei Schätzungen genannt wurden, die nicht den nun gemeldeten Zahlen entsprechen.

Wir hätten die Daten der Evaluierung gerne im Detail analysiert. Allerdings verweigert das Büro der zuständigen Landesrätin Christine Haberlander die Veröffentlichung. Von Referent Johannes Weindl hieß es: „Sie sind auch so zu Ihrer Berichterstattung gekommen.“ Eine Rückfrage nach dem Hintergrund für die Nichtveröffentlichung beantwortete er ohne Begründung nur mit: „Bitte um Verständnis.“

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Als wir Andreas dann mit 1. Februar von der Nachmittagsbetreuung abgemeldet haben, hat das zu vielen Tränen geführt“, sagt Sandra Weilnböck aus Sankt Martin im Mühlkreis. Ihr Sohn Andreas ist eins von mindestens 3.450 Kindern in Oberösterreich, die den Kindergarten seit Einführung der Gebühren für die Nachmittagsbetreuung nicht mehr oder kürzer besuchen. Das ist die Bilanz einer Erhebung von Studenten der Fachhochschule Wien in Kooperation mit Addendum.

Weniger Kinder in 162 Gemeinden

Alle 442 Gemeinden wurden telefonisch kontaktiert und zu den Auswirkungen der Gebühr befragt. In mindestens 162 Gemeinden hat sich die Zahl der Kinder in Nachmittagsbetreuung verringert, in 43 blieb die Zahl konstant. In der folgenden Karte sehen Sie die Antworten aus den Gemeinden.

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Landesrätin Christine Haberlander will die recherchierte Zahl abgemeldeter Kinder nicht direkt kommentieren, sondern auf ihre eigene Erhebung warten.

Die Recherche konzentrierte sich auf öffentliche Kindergärten. Private Erhalter müssen die Zahl betreuter Kinder nicht an die Gemeinde weiterleiten. Ein Kontaktieren der fast 600 privaten Erhalter war aus Ressourcengründen nicht möglich. Die Caritas – mit rund 13.500 betreuten Kindergartenkindern eine der wichtigsten Institutionen für Kinderbetreuung in Oberösterreich – lehnte eine Veröffentlichung von Daten auf Gemeindeebene ebenso ab. Nur so viel: 1.050 Kinder seien oberösterreichweit seit 1. Februar entweder kürzer (z.B. drei statt fünf Tagen) oder gar nicht mehr in Nachmittagsbetreuung.

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Unterschiedlichste Abmeldezahlen haben lediglich zu Verunsicherungen geführt.
Landesrätin Christine Haberlander

Wir haben die zuständige Landesrätin Christine Haberlander gefragt, ob diese erste Schätzung von mindestens 3.450 betroffenen Kindern ihren Erwartungen entspricht. Sie teilte dazu schriftlich mit: „In den Medien wurden zahlreiche unterschiedlichste Abmeldezahlen genannt. Das hat lediglich zu Verunsicherungen bei Eltern und Pädagogen geführt. Mit Hilfe einer Evaluierung, die nun durchgeführt wird, sollen die wirklichen Zahlen erhoben werden. Das Ergebnis kann ich natürlich nicht vorweg nehmen. Die Gemeinden haben nun bis Ende Juni Zeit zurückzumelden und im August soll der Bericht vorliegen.“ Für das Aufsetzen dieses Formulars mit siebzehn Fragen nahm sich das Land zwei Monate Zeit und gibt den Gemeinden ebenso zwei Monate für die Beantwortung. 

Kostenmodell

Seit 1. Februar 2018 müssen Eltern zwischen 42 und 110 Euro pro Monat an die Gemeinde überweisen, wenn sie ihr Kind an fünf Tagen nach 13 Uhr im Kindergarten betreuen lassen möchten. Berechnet wird die Gebühr wie in den übrigen Bundesländern anhand des Brutto-Familieneinkommens. Eine Familie, die insgesamt monatlich 1.400 Euro brutto verdient, zahlt den  Mindestbeitrag – 42 Euro pro Monat. Maximal können die Gebühren 110 Euro betragen. Neben dem Wochentarif gibt es für Kinder, die nur tageweise nachmittags in Betreuung sind, Tagestarife, etwa einen Tarif für zwei Tage oder einen Drei-Tage-Tarif. Für vier Tage wird bereits der Wochentarif fällig. Ähnlich ist die Regelung, wenn das Kind nur einen Tag nachmittags in Betreuung ist – dann kommt der Zwei-Tage-Tarif zur Anwendung. „Mein Mann und ich verdienen beide nicht schlecht. Wir haben Andreas mit 1. Februar trotzdem abgemeldet, weil das für uns für einen Tag in der Woche für zwei Stunden 55 Euro kosten würde“, sagte Weilnböck und führte aus: „Es gibt nur 2-, 3- und 5-Tage-Tarife. Die meisten Eltern bei uns in der Gemeinde bräuchten nur 4 Tage, zahlen aber dann den 5-Tage-Tarif. Das Lustige: Unser Kindergarten hat am Freitag gar kein Nachmittagsprogramm. Wir könnten die fünf Tage nicht mal nutzen, wenn wir wollten.“

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In einer unter allen Caritas-Kindergärten durchgeführten Erhebung seien „spezifische Informationen“ enthalten, sagte Edith Bürgler-Scheubmayr, Geschäftsführerin der Caritas für Kinder und Jugendliche in Oberösterreich. Auf den Hinweis, dass Addendum kein Interesse an personenbezogenen Daten habe, sie sich gegebenenfalls vor Veröffentlichung auch vergewissern könne, dass diese nicht veröffentlicht werden, hat sie nicht mehr geantwortet.

Wien bleibt die Ausnahme

Vor dieser Regelung war Oberösterreich zusammen mit Wien das einzige Bundesland, das noch keine Kindergartengebühren eingehoben hatte. Das Ziel: Einsparungen in Höhe von 13 bis 15 Millionen Euro. Förderungen, die den Gemeinden bisher für die Kindergartengruppen am Nachmittag zugestanden sind, entfallen nämlich. „Das wird sich meiner Einschätzung nach nicht ausgehen. Die Gemeinden werden zusätzliche Kosten haben, weil zu viele Kinder sich abgemeldet haben“, sagte Edith Bürgler-Scheubmayr, Geschäftsführerin der Caritas für Kinder und Jugendliche. Landesrätin Haberlander will sich nicht festlegen, ob das Ziel erreicht werden kann: „Die Evaluierung wurde eingeleitet, um dies beurteilen zu können.“

Die Auswirkungen der Gebühr waren nicht in allen Gemeinden gleichmäßig zu spüren. In manchen Gemeinden gibt es heute mehr Kinder in der Nachmittagsbetreuung, in manchen Gemeinden blieb alles beim Alten, in manchen Gemeinden wurde der Großteil der Kinder abgemeldet. Die Gemeinden mit den prozentual meisten Abmeldungen sind Edlbach, St. Marienkirchen am Hausruck, Rechberg, St. Georgen am Walde, Lembach im Mühlkreis und Münzbach.

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In vielen Gemeinden wurden mehr als 50 Prozent der Kinder abgemeldet

„Mir sind die Kosten eigentlich egal. Aber mich ärgert es, dass es überhaupt keine Nachmittagsbetreuung mehr geben wird“, sagt etwa Bernadette Lukmayr. Sie arbeitet im Gemeindeamt von Edlbach und hat einen Sohn, der in den örtlichen Kindergarten geht. In der 660-Einwohner-Gemeinde wurden 70 Prozent der Kinder von der Nachmittagsbetreuung abgemeldet. Von zehn Kindern besuchen nur noch drei Kinder die Nachmittagsbetreuung, darunter der Sohn von Bernadette Lukmayr. Ab Herbst 2018 wird er nicht mehr in die Nachmittagsbetreuung gehen können, weil diese nicht mehr zustande kommt.

Über den Sommer hält die Gemeinde die Nachmittagsbetreuung aufrecht, obwohl zu wenige Kinder dafür angemeldet sind. Gemäß oberösterreichischem Kinderbetreuungsgesetz müssen mindestens zehn Kinder in einer Gruppe sein. Weil das Budget der Gemeinde laut Lukmayr schlecht aufgestellt ist, kann die kleine Gruppe nach dem Sommer nicht finanziert werden. Die Kinder müssen in Zukunft von Eltern, Großeltern oder Tagesmüttern betreut werden.

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Gebühren treffen Kinder und Alleinerziehende

Auch in der Gemeinde Rechberg (Bezirk Perg) sind nur noch sieben Kinder in der Nachmittagsbetreuung. Vor dem 1. Februar waren es noch bis zu 30 pro Nachmittag. Kindergartenleiterin Andrea Spiegel meint, dass das Gesetz viele Eltern überrumpelt habe. „Es gab zwar keinen Aufschrei in der Gemeinde, aber Unverständnis. Wieso so kurzfristig, wieso mitten im Jahr? Was mach ich jetzt?, fragten sich viele Eltern. Die Kosten waren nicht das größte Problem, sondern eher die fehlende Flexibilität. Früher konnten die Eltern ihre Kinder flexibel alle zwei Wochen je nach Bedarf für die Betreuung anmelden. Jetzt ist die Anmeldung für ein halbes Jahr verpflichtend.“

Freundeskreise zerrissen

Auch der Kindergarten stand vor Schwierigkeiten. Weil weniger Kinder in Betreuung sind, werden nicht mehr zwei Pädagoginnen pro Nachmittag gebraucht. Deshalb betreut jetzt nur noch eine Pädagogin pro Nachmittag die Kinder. Für die Kinder heißt das auch, dass sie am Nachmittag nicht mehr mit ihren Freunden spielen können. Der Amtsleiter von Rechberg, Karl Kriechbaumer sagte, dass die Regelung jene am härtesten trifft, die die Unterstützung am meisten brauchen. Zum Beispiel alleinerziehende Mütter. Aber auch die Kinder: „Sie hatten durch den Kontakt mit anderen auch am Nachmittag den größten Nutzen“, sagt Kriechbaumer. Fairer findet er ein generelles Kinderbetreuungsgeld – wie es schon bis zum Jahr 2009 der Fall war. Dieser Beitrag wurde vor einer Landtagswahl abgeschafft.

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Entfall der Nachmittagsangebote

Auch in Saxen haben die Einwohner Wege gesucht, die Betreuung ihrer Kinder neu zu regeln. Drei von fünf Kindern wurden von der Nachmittagsbetreuung abgemeldet. Da nicht überall die Großeltern einspringen oder die Arbeitszeiten geändert werden können, wird der Verein Tagesmütter die Betreuung übernehmen. Das wird für Eltern und Gemeinde teurer. Der Mindestsatz des Elternbeitrags für den Verein Tagesmütter beträgt 54 Euro und liegt somit pro Kind 12 Euro über dem Mindestbeitrag von 42 Euro für die Nachmittagsbetreuung im Kindergarten. Der Höchstbeitrag ist mit 414 Euro veranschlagt und liegt somit 304 Euro über dem für die Betreuung im Kindergarten.

Zudem gab es vor den Gebühren in vielen Gemeinden zahlreiche Angebote über den normalen Betreuungsumfang hinaus – Vorbereitungsstunden für Schulanfänger, Malwerkstätten oder Aktivitäten für ältere Kinder. Bisher ließen viele Eltern ihre Kinder zu diesen Aktivitäten noch nachmittags betreuen und nahmen das Angebot an, weil es gratis war. Mit der Gebührenregelung müssten die Eltern, die ihre Kinder sonst am Nachmittag regulär nicht in den Kindergarten geben, für wenige Betreuungsstunden den Zwei-Tage-Tarif von 42 Euro zahlen. Das ist vielen zu teuer. Dadurch sind solche außerregulären Programme bedroht.

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Gemeinden und Kindergärten wehren sich

Viele Gemeinden suchen neue Wege, um mit der Situation umzugehen. Das kann sich auf die Finanzierung beziehen. Wie beispielsweise in Kirchheim im Innkreis. Weil zu wenige Kinder die Nachmittagsbetreuung nutzen würden, bezahlt die Gemeinde die Tagesmütter für die Eltern. In Moosdorf, Kremsmünster sowie in Obertraun übernimmt die Gemeinde die Gebühren. Andernfalls hätte es keine Nachmittagsbetreuung mehr gegeben. Außerdem bieten die meisten Gemeinden soziale Unterstützung an – etwa in Form von individueller Unterstützung aufgrund der Lebensumstände. Zum Beispiel können die Essenskosten übernommen werden.

Manche Kindergärten umgehen die Regelungen auch. Zum Beispiel Andorf. Der Kindergarten hat einen „Spätabholer-Tarif“: Kinder können anstatt bis 13 Uhr bis 13:45 Uhr bleiben, ohne den Zwei-Tage-Tarif zahlen zu müssen. Es werden nur 10,50 Euro eingehoben. Ein anderes Beispiel: Waldburg hat nach eigener Aussage gegen den Willen des Landes gehandelt und einen Ein-Tages-Tarif eingeführt. Oder: In Ansfelden gab es 20 Abmeldungen. Der Kindergarten hat in Folge der neuen Regelung seine Öffnungszeiten von 8 bis 14 Uhr auf 7 bis 13 Uhr geändert, wodurch keine Gebühren für die Eltern anfallen. 80 Kinder, die früher bis 14 Uhr im Kindergarten waren, sind jetzt nur noch bis 13 Uhr dort. Ohne die Änderung der Öffnungszeiten hätte es laut Gemeindeamt mehr Abmeldungen gegeben.

Viele Gemeinden und Kindergärten wissen allerdings noch nicht, wie es nach den Sommerferien weitergehen wird. Manche sind aber vorsichtig positiv und rechnen damit, dass Eltern ihre Kinder nach dem ersten Schock erneut für den Kindergarten anmelden würden. 

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Keine Auskunft unter dieser Nummer

Wie viele Kinder waren im Jänner am Nachmittag in Betreuung und wie viele nach der Einführung im März? Wie viele sind insgesamt in Betreuung? Diese drei Fragen haben wir telefonisch an alle Gemeinden gerichtet. Manche waren auskunftsfreudig, manche weniger. In 53 Gemeinden wollten die Mitarbeiter keine Antworten geben – beispielsweise aus Datenschutzbedenken, obwohl keine personenbezogenen Informationen angefragt wurden. Wenn Sie uns bei der Datenrecherche helfen möchten und Ihr Glück bei der Gemeinde versucht haben, können Sie die Antworten über dieses Formular an uns übermitteln.

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