Im Herbst 2014 setzten der damalige Außenminister Sebastian Kurz und der Islamwissenschaftler Ednan Aslan das Thema „islamische Kindergärten“ auf die politische Agenda. Es bestehe der begründete Verdacht, so Aslan und Kurz, dass die von islamischen Betreibern geführten Kindergärten das Entstehen von Parallelgesellschaften förderten, statt einen Beitrag zur Integration zu leisten. Die Debatte verlief von Beginn an extrem polarisiert. Die Kritiker warfen und werfen den zuständigen Wiener Behörden Verharmlosung und Untätigkeit vor, die Gegenseite sieht in der Kritik einen Versuch, mit Ängsten Politik zu machen.
Etliche Studien und zwei Wahlkämpfe später steht das Thema noch immer auf der Agenda. Kurz vor Weihnachten 2017 wurde jene Studie präsentiert, die als gemeinsame Antwort des Außenministeriums und der Stadt Wien auf jene erste Aslan-Studie gedacht war, die insgesamt dreimal für heftige Kritik gesorgt hatte.
Zunächst bei der eher unkoordinierten Präsentation eines Konzeptpapiers, das Aslan später als „Vorstudie“ bezeichnen sollte, dann bei der Präsentation der tatsächlichen Studie, der mangelnde Wissenschaft vorgeworfen worden war – und dann noch einmal etwas mehr als ein Jahr nach der Präsentation, als der Falter davon berichtete, dass die Aslan-Studie vor ihrer Veröffentlichung durch Beamte des Außenministeriums manipuliert worden sei.
Mit der jüngsten, im Dezember 2017 präsentierten Studie war eine Gruppe unter der Leitung des Bildungswissenschaftlers Henning Schluß beauftragt worden. Auch Ednan Aslan sollte Teil der Forschungsgruppe sein, am Ende wurden aber die Ergebnisse der Schluß-Gruppe und Aslans Ergebnisse separat publiziert. Wegen unterschiedlicher wissenschaftlicher Ansätze, wie es hieß.
Kindergärten in Wien
Die MA 11 aktualisierte am 8.2.2018 die Daten zu den Wiener Kindergärten auf dem Portal data.gv.at. Demzufolge gibt es
Laut Stellungnahme der Stadt Wien gibt es allerdings:
Nimmt man alle bisherigen Studien zum Thema zusammen, lässt sich in erster Linie eines feststellen: Sie sind alle nur begrenzt aussagefähig und bilden nicht wirklich eine Grundlage für politische Entscheidungen. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass alle bisherigen Untersuchungen auf dem Prinzip der freiwilligen Teilnahme und auf Selbstauskünften der zu untersuchenden Institutionen beruhen. Was in den Kindergärten tatsächlich passiert, lässt sich kaum seriös untersuchen. Der alternative Ansatz, die Beurteilung und Bewertung der Kindergärten anhand der Betreiberorganisationen durchzuführen, ist allerdings derzeit nicht konsensfähig.
Das Addendum-Rechercheteam hat über mehrere Wochen islamische Kindergärten besucht und mit den Betreibern gesprochen, das bisher vorhandene Studienmaterial evaluiert und Gespräche mit den verantwortlichen Politikern – vor allem Bildungsminister Heinz Faßmann und Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky – geführt. Die Ergebnisse dieser Recherchearbeit lassen sich so zusammenfassen:
Die Zahl der Kindergartenbetreiber ist durch das verpflichtende Kindergartenjahr und durch den Beschluss der Wiener Stadtregierung, allen Kindern kostenlos Kindergartenplätze zur Verfügung zu stellen, in einer Geschwindigkeit gewachsen, die effiziente Kontrolle vor der Zulassung und während des Betriebs extrem schwierig machen. Bis zu einem gewissen Grad ist das Kindergartenwesen eine Blackbox. Ob in einzelnen Kindergärten tatsächlich religiöse Indoktrinierung oder ein Erziehungsprogramm stattfindet, das eher zur Segregation als zur Integration führt, lässt sich schwer feststellen. Die Frage, die sich die Politik am Ende stellen muss, ist, ob sie das Risiko, das damit verbunden ist, eingehen will oder Möglichkeiten findet, entweder alle Kindergärten selbst zu betreiben oder eine effiziente Kontrolle zu etablieren.
Im Zuge der Recherchen und Gespräche ist auch der Wunsch der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) bekannt geworden, selbst Kindergärten zu betreiben und eine Art Oberaufsicht über die islamisch geführten Kindergärten zu übernehmen (deren Existenz die Glaubensgemeinschaft bisher eher in Abrede gestellt hat). Ob das ein Beitrag zur Problemlösung ist oder eine Verschärfung des Problems – die IGGÖ wird inzwischen von türkischen Vereinen dominiert, die sehr deutlich unter dem Einfluss der türkischen Regierungspartei AKP und des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan stehen –, ist eine weitere Frage, der sich die Wiener Stadtpolitik wird stellen müssen.