Das pädagogische Konzept ist ja in erster Linie nur ein Konzept.“ Mit diesem einen, simplen Satz bringt Erziehungswissenschaftler Henning Schluß auf den Punkt, worüber Islamwissenschaftler, Politiker und nicht zuletzt auch Medien seit Jahren aufgeregt streiten: Kann man verhindern, dass in Kindergärten auch extreme Inhalte vermittelt werden, dass schon in Kleinkindern die Saat der Radikalisierung gelegt wird? Die – ernüchternde – Antwort lautet: Sehr schwer – und wohl gar nicht mit den Ressourcen, die derzeit dafür eingesetzt werden. Denn wenn die Behörden Kindergärten prüfen, gibt es eine Checkliste objektivierbarer Kriterien – dazu gehört das pädagogische Konzept der Einrichtung. Wie das in der Praxis ausschaut, ist aber noch einmal ein anderes Thema.
Nach einer intensiven Debatte um „Islamkindergärten“ sollen mehr Kontrollen in Wiens Kindergärten sicherstellen, dass Kindern keine extremistischen Inhalte beigebracht werden und sie nicht radikalisiert werden. Die Stadt kommt dieser Forderung auch nach, die Zahl der Kontrollen in Kindergärten ist von 125 Prozent im Jahr 2014 auf 166 Prozent im Jahr 2016 gestiegen. Jeder Kindergarten wird also einmal pro Jahr kontrolliert, zwei Drittel der Kindergärten zweimal. Nach der Art und Qualität der Kontrollen wird allerdings kaum gefragt.
Das Problem beginnt mit der Frage: „Wer macht das?“ Denn die Aufsicht über Kindergärten ist nicht einer Stelle zugeordnet, sondern auf zwei Magistratsabteilungen aufgeteilt: die MA 10 (Wiener Kindergärten) und die MA 11 (Amt für Jugend und Familie). Die MA 10 ist zuständig für die Leitung der Kindergärten der Stadt Wien, für Förderabwicklungen und für „Allgemeine und grundsätzliche Angelegenheiten der Tagesbetreuung von Kindern, mit Ausnahme der der MA 11 vorbehaltenen Angelegenheiten“, also für Genehmigungen und die wirtschaftliche Aufsicht über Kindergärten sowie die Verwendung von Fördermitteln. Die MA 11 wiederum ist für die Wahrnehmung der behördlichen Aufgaben gemäß dem Kindergartengesetz zuständig und damit für die Vor-Ort-Kontrollen in Kindergärten.
Kindergärten in Wien
Die MA 11 aktualisierte am 8.2.2018 die Daten zu den Wiener Kindergärten auf dem Portal data.gv.at. Demzufolge gibt es
Laut Stellungnahme der Stadt Wien gibt es allerdings:
Bei diesen Kontrollen soll überprüft werden, wie mit Kindern umgegangen wird und welche Inhalte ihnen beigebracht werden. Gleichzeitig werden aber auch die sogenannten strukturellen Rahmenbedingungen überprüft. Um überall denselben Maßstab anzulegen, hilft sich die Behörde mit geregelten Abläufen und Checklisten. Begrüßung, offizielle Information über die Kontrolle, gemeinsame Begehung – Kontrollbesuche folgen immer demselben Ablauf. Dabei wird kontrolliert, ob Feuerlöscher und Rauchmelder ordnungsgemäß überprüft wurden, ob im Büro alle nötigen Dokumente der Betreuer vorhanden sind und ob das pädagogische Konzept aufliegt. In der Checkliste wird den strukturellen Abläufen jedenfalls wesentlich mehr Platz eingeräumt als dem Umgang mit den Kindern.
2011 beurteilte der Stadtrechungshof diesen Ablauf folgendermaßen: „Der Schwerpunkt der Überprüfungen lag im Wesentlichen auf den Gebieten der internen Organisation der Kindertagesheime, der pädagogischen Konzepte sowie der hygienischen Belange, wogegen der sicherheitstechnische Sektor eher untergeordnet betrachtet wurde. Das Kontrollamt sah diesen Umstand in erster Linie in der vom Gesetz geforderten Ausbildung der Aufsichtsorgane als Kindergartenpädagoginnen begründet.“
Da es bei den Kontrollen in erster Linie um das Kindeswohl geht – was sich nicht darauf beschränkt, die Position von Blumentöpfen zu verändern, damit diese nicht auf Kinder fallen können –, müssen die Kontrolleure ausgebildete Pädagogen sein. Die sollen bei ihren Besuchen neben dem physischen auch das psychische und emotionale Befinden der Kinder erheben. Die Frage ist nur: wie?
Der erste Anhaltspunkt ist das pädagogische Konzept des Kindergartens, das schon vor Eröffnung eines Kindergartens bei der Stadt Wien eingereicht werden muss. Die Stadt Wien meint in einer Stellungnahme: „Die Überprüfung und Beurteilung der Umsetzung des pädagogischen Konzeptes ist Bestandteil jeder Aufsicht.“ Auch der zuständige Stadtrat Jürgen Czernohorszky versucht, das Vertrauen in die Stadt zu bestärken: „Wir schauen, was in Kindergärten passiert und wie es passiert – dafür übernehme ich auch die Verantwortung.“ Wie genau ein Prüfer das bei der Aufsicht kontrolliert, wird nicht elaboriert.
Stattdessen verweist die Stadt Wien gern auf die Anzahl der Kontrollen. Eine Kontrolle pro Jahr ist gesetzlich vorgeschrieben, mittlerweile wird das Pensum seit Jahren übererfüllt. Bei Kindergärten finden diese Kontrollen außerdem unangekündigt statt, damit nichts verheimlicht werden kann. Nur bei kleineren Kindergruppen werden Termine ausgemacht, damit die Prüfer nicht wegen eines Ausflugs vor verschlossenen Türen stehen.
Die hohe Anzahl der Kontrollen bedeutet allerdings nicht, dass die Stadt Wien grundlos ein zweites Mal im Jahr in Kindergärten vorbeischaut. Im Jahr 2016 waren die Besuche über den gesetzlich vorgeschriebenen laut MA 11 „Nachkontrollen und Kontrollen anlässlich von Beschwerden“. Damit ist viel zu tun für die Kontrolleure. 2017 wurde auf 20 Kontrolleure aufgestockt, noch vor ein paar Jahren sah die Personalsituation ganz anders aus: 2011 gab es vier Prüfer für 925 Kindergärten – damit blieben laut Stadtrechnungshof zwei Stunden Zeit pro Kontrolle. Erst im Laufe der Jahre wurden mehr Mitarbeiter eingestellt, meist nachdem medial mehr Kontrollen gefordert wurden.
Heute dauern Kontrollen laut Stadt Wien „So lange wie nötig“. Vergleicht man nun die Anzahl der Kontrolleure und die Anzahl der Kindergärten beziehungsweise Kontrollen (für 2011 sind diese Daten nicht verfügbar), kommt man auf weniger Kindergärten pro Kontrolleur, seit 2013 nimmt auch die Anzahl der Kontrollen pro Prüfer ab. Das ändert allerdings nichts daran, dass die Kontrolleure nicht erfassen können, was in ihrer Abwesenheit geschieht.
Auch der Erziehungswissenschaftler Henning Schluß von der Universität Wien sieht darin eine große Herausforderung: „Interessant wäre einfach, wie das Konzept mit Leben erfüllt wird. Aber das zu überprüfen ist schwierig. Wie es den Kindern geht, kann man vielleicht bei ganz intensivem Kontakt mit den Kindern merken. Man kann aber immerhin merken, wie die Interaktion zwischen Kindern und Pädagogen ist. Aber eine pädagogisch schlechte Behandlung ist schwer nachzuweisen.“
Die Stadt Wien versucht unter anderem bei den jährlichen Kontrollen die Pädagogik zu überprüfen.
Jürgen Czernohorszky über die Aufsicht der Stadt Wien:
Gleichzeitig ist der bisherige Zugang sehr geprägt von Misstrauen, schließlich wird oft eine komplette Kontrolle aller Inhalte gefordert. Schluß sieht auch darin ein Problem: „Wenn die Aufsicht immer zu 100 Prozent vor Ort ist, wäre es ein Überwachungsstaat. Das wird aber nicht der Fall sein, und meistens werden Probleme auftreten, wenn die Aufsicht nicht da ist, und hier müsste man sich vertrauensvoll an die Aufsicht wenden können, ohne Angst vor einer Schließung zu haben. In England zum Beispiel wird die Aufsicht viel mehr als Förderorgan begriffen. Wenn eine Schule also nicht den gewünschten Output schafft, kommt die Aufsicht und fragt, wie sie helfen kann. Dann gibt es eine Reihe von Unterstützungsmaßnahmen und erst ganz am Schluss die Drohung der Schließung. Aber diese Perspektive kommt bei uns auch in der öffentlichen Diskussion überhaupt nicht vor.“
Teilweise versucht die Stadt Wien in diese Richtung zu gehen. Kindergartenpädagogen und Eltern sind aufgerufen, Missstände oder Auffälligkeiten bei der Stadt zu melden, in so einem Fall gibt es zusätzliche Besuche der MA 11 in Kindergärten. Auch die Mitarbeiter zur Sprachförderung von Kindern sind regelmäßig in Kindergärten und interagieren. Als Kontrolleure oder Spitzel der Stadt sollen diese aber keinesfalls wahrgenommen werden. Stattdessen wurden die Bedingungen zur Eröffnung eines Kindergartens verschärft, Ausbildungsstandards für Pädagogen erhöht und ein Vorstellungsgespräch mit Diskussion über das pädagogische Konzept eingeführt. Ob damit der Alltag in Kindergärten kontrolliert und beeinflusst werden kann, ist allerdings fraglich. Schließlich wusste man bei der Stadt Wien schon 2015: „Wir wissen nicht, was passiert, wenn wir zur Tür hinausgehen.“