In Österreich sind kirchliche beziehungsweise kirchennahe Vertreter in Gremien wie der Bioethikkommission vertreten. Diese verabschiedet zwar keine verbindlichen Beschlüsse, ihre Stellungnahmen haben aber dennoch Gewicht. In zahlreichen anderen Ländern geht der Einfluss von Religionen und religiösen Institutionen noch wesentlich weiter. Anlass genug, sich die maßgeblichen religiösen Haltungen zu den großen fortpflanzungsmedizinischen Fragen näher anzusehen.
Im Unterschied zum Islam und zum Judentum gibt es in der römisch-katholischen Kirche mit dem Papst ein zentrales Oberhaupt, das verbindliche Regeln festsetzen kann. Bereits 1956 – lange vor der Erfindung von In-vitro-Fertilisation (IVF) – verurteilte Papst Pius XII. im Rahmen einer Rede in Neapel die künstliche Befruchtung. Schließlich könne man aus der Ehe und den damit einhergehenden Pflichten kein Recht auf Kinder ableiten. Außerdem verurteilte er jede Form der Masturbation – unabhängig vom dahinterstehenden Zweck.
1987 folgte mit der Enzyklika Donum Vitae eine explizite Ablehnung von IVF durch die katholische Kirche. Begründet wurde sie auch mit den überzähligen Embryonen. Für die Kirche handelt es sich bei ihnen um menschliche Lebewesen, deren Ehre und Würde gewahrt werden muss: Ihre Zerstörung ist daher ebenso verboten wie die Verwendung zu Forschungszwecken. Aus dem Verbot von IVF ergibt sich logisch auch ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik.
Die römisch-katholische Kirche verweist in Fragen der Fortpflanzungsmedizin seit jeher auf die Natürlichkeit, die einer fortpflanzungsmedizinischen Trennung der Fortpflanzung vom Geschlechtsakt entgegensteht. Neben IVF sind daher auch Leihmutterschaften sowie das Einfrieren und Spenden von Embryonen verboten.
Andere christliche Strömungen – die griechisch-orthodoxe und die evangelische Kirche, Methodisten, Baptisten, Mormonen oder die Zeugen Jehovas, um nur einige zu nennen – sind etwas weniger streng und erlauben die künstliche Befruchtung mit dem Samen des Ehepartners. So wird im Protestantismus zwar tendenziell davon abgeraten, letztlich steht jedoch die individuelle Gewissensentscheidung des Paares im Vordergrund. Andere Formen der Fortpflanzungsmedizin werden allerdings auch von den nicht-katholischen christlichen Bekenntnissen eher abgelehnt.
Unfruchtbarkeit ist im Judentum ein bedeutsames Thema, waren doch mit Sara, Rebekka und Rachel drei der vier biblischen Erzmütter auf die eine oder andere Weise betroffen.
Die einzige Ausnahme bildet folglich Lea, die Jakob von ihrem Vater Laban mehr oder minder „untergejubelt“ wurde (Jakob wollte eigentlich deren jüngere Schwester Rahel zur Frau, durfte diese aber erst heiraten, nachdem er Laban weitere sieben Jahre gedient hatte).
Wie in allen Weltreligionen genießt die Fortpflanzung im Judentum einen zentralen Stellenwert, es besteht sogar eine einschlägige Verpflichtung: „Seid fruchtbar und vermehrt euch“ heißt es im Buch Genesis.
Daraus leitet sich auch eine allgemeine Erlaubnis von künstlicher Befruchtung ab, sofern keine außenstehenden Personen als Spender involviert sind. Einem kinderlosen Paar gilt es bestmöglich zu helfen. Auch die Präimplantationsdiagnostik lässt sich damit rechtfertigen, dass ein Embryo erst nach 40 Tagen „beseelt“ wird. Uneinigkeit besteht jedoch in Bezug auf Detailfragen: Onanie, risikoreiche Mehrlingsschwangerschaften, Umgang mit überschüssigen Embryonen.
Aus der Genesis lässt sich ein Verbot der männlichen Selbstbefriedigung ableiten. Schon das Wort Onanie bezieht sich schließlich auf Onan, der die Witwe seines verstorbenen Bruders heiraten sollte, um diesem Nachkommen zu verschaffen. Nachdem er sich dieser Verpflichtung durch einen frühzeitigen Abbruch des Geschlechtsakts (Coitus interruptus) widersetzte, wurde er von Gott getötet.
Die entsprechende Bibelstelle lautet wie folgt: „Onan wusste also, dass die Nachkommen nicht ihm gehören würden. Sooft er zur Frau seines Bruders ging, ließ er den Samen zur Erde fallen und verderben, um seinem Bruder Nachkommen vorzuenthalten.“
Einige Rabbiner verbieten die Onanie sogar dann, wenn sie der künstlichen Befruchtung der eigenen Ehefrau dient. Dagegen wird eingewendet, dass – im Gegensatz zur Geschichte Onans – der Same eben nicht verschwendet („ließ er den Samen zur Erde fallen und verderben“, wie es in der entsprechenden Bibelstelle heißt) wird. Abgesehen davon sei Onan nicht wegen des Coitus interruptus oder der Selbstbefriedigung bestraft worden, sondern weil er gegen die Pflicht verstoßen hatte, die Linie seines verstorbenen Bruders fortzusetzen.
In-vitro-Fertilisationen führen überdurchschnittlich oft zu Mehrlingsschwangerschaften. Bei Drillingen oder gar mehr Kindern besteht jedoch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit zu Früh- oder gar Fehlgeburten. Sie sind daher als Risikoschwangerschaft einzustufen. In solchen Fällen kann ein sogenannter Fetozid (auch als selektive Abtreibung bezeichnet) vorgenommen werden, also die Tötung eines oder mehrerer der im Mutterleib befindlichen Föten. Eine eindeutige jüdische Position gibt es zu dieser schwierigen ethischen Frage nicht. Fest steht, dass der Fetozid – wie die Abtreibung im Allgemeinen – gerechtfertigt sein kann, um das Leben der Mutter und der übrigen Kinder zu retten.
Laut Talmud sind Embryonen bis zum vierzigsten Tag „bloßes Wasser“. Dementsprechend kann mit bei In-vitro-Fertilisationen produzierten überschüssigen Embryos auf unterschiedliche Weise verfahren werden: Das Einfrieren für einen späteren Befruchtungsversuch bei aufrechter Ehe ist jedenfalls gestattet. Außerdem dürfen sie passiv (nicht jedoch aktiv) zerstört werden, also indem man sie nicht weiterversorgt. Ebenso dürfen Embryonen an unfruchtbare Paare gespendet werden – dem widersprechen einige Rabbiner jedoch, weil es dadurch später zu Fällen von (unbewusstem) Inzest kommen könnte. Embryonenforschung ist ebenfalls möglich, Israel hat eine besonders liberale Gesetzeslage und gehört deshalb zu den führenden Ländern auf diesem Gebiet.
Die Ansichten zu fremden Samenspenden gehen noch weiter auseinander. Sie lassen sich zwar damit rechtfertigen, dass es zu keinem Geschlechtsakt kommt. Dennoch sollte der Samenspender kein Jude sein, damit es zu keinem Quasi-Ehebruch unter Juden kommt. Außerdem soll so Inzest vermieden werden. Manche Rabbiner lehnen die Samenspende wiederum kategorisch ab, zumal die Spende über die grundsätzlich verbotene Onanie gewonnen wird. Außerdem gilt der Samenspender, und nicht der Ehemann der künstlich befruchteten Frau, als Vater.
Ähnlich verhält es sich mit Eizellenspenden. Manche verbieten sie komplett, andere machen sie von der Zustimmung des Ehemanns abhängig. Leihmutterschaften werden jedenfalls von den meisten Rabbis abgelehnt; jene, die sie erlauben, wollen die Kinder bevorzugt von alleinstehenden Jüdinnen austragen lassen.
Allgemein besteht bei Eizellenspenden keine Einigkeit, wer als Mutter gilt – was vor allem deswegen bedeutsam ist, weil der Status als Jude sich von der Mutter ableitet. Einer Ansicht zufolge kommt es darauf an, ob die Eizellenspenderin Jüdin ist. Die Gegenansicht wiederum betont die entscheidende Rolle der Mutter, die das Kind austrägt, zumal hier keine Zweifel hinsichtlich der Abstammung bestehen.
Auch im Islam ist die Familie und damit die Fortpflanzung von herausragender Bedeutung. Auf kinderlosen Paaren lastet oft ein enormer sozialer Druck. Vor allem Frauen sind betroffen, weibliche Unfruchtbarkeit stellt (wie übrigens auch im Judentum) einen Scheidungsgrund dar.
Unterschiedliche Fatwas haben sich mit dem Thema der Fortpflanzungsmedizin näher auseinandergesetzt. Allerdings bestehen manifeste Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten.
Fatwas sind durch religiöse Autoritäten verabschiedete islamische Rechtsmeinungen.
Die erste bedeutende sunnitische Fatwa zur Reproduktionsmedizin wurde am 23. März 1980 vom Scheich al-Azhar verabschiedet. Die zweite wesentliche Fatwa wurde 1984 vom Islamischen Fiqh-Rat in Mekka verabschiedet. Wenn die Eheleute auf keine Spenden von Außenstehenden zurückgreifen, werden Behandlungen bei Infertilität nicht nur erlaubt, sondern sogar empfohlen.
Der schiitische Islam geht hier einen anderen Weg: Ende der 1990er Jahre erließ Ajatollah Khameini eine Fatwa, die Eizellen- und sogar Samenspenden grundsätzlich erlaubt. Jene schiitischen Autoritäten, die solche Spenden akzeptieren, koppeln sie jedoch an strenge Regeln. So obliegt die Entscheidung über eine Spende im Einzelfall einem schiitischen Gericht. Letztlich müssen alle involvierten Parteien inklusive dem Samenspender oder der Eizellspenderin Anwesenheit von Zeugen und dem behandelnden Arzt zustimmen.
Eine Streitfrage betrifft dabei die Vermeidung von Unzucht. Für Ajatollah Khomeini stellt sich dieses Problem nicht, da es zu keinem Geschlechtsverkehr kommt. Anderen schiitischen Autoritäten zufolge muss der Ehemann für die Phase der Spendenentnahme bis zum Einsetzen des Embryos eine Kurzzeit-Ehe (Mut’ah) mit der Spenderin eingehen. Da eine derartige Zweitehe nur Männern vorbehalten ist, gibt es keine entsprechende Möglichkeit für Samenspenden, womit sie als Unzucht oder Ehebruch gelten.
Theoretisch stehen sie daher nur verwitweten oder aus anderen Gründen alleinstehenden Frauen offen (die soziale Akzeptanz für alleinerziehende Mütter, die ihr Kind über eine künstliche Befruchtung empfangen haben, ist allerdings denkbar gering). Eine Möglichkeit bestünde darin, dass Frauen sich von ihrem unfruchtbaren Mann scheiden lassen, eine Ehe mit dem Spender eingehen, sich danach wieder scheiden lassen und ihren ursprünglichen Ehemann wieder heiraten.
Das Einsetzen von fremden Embryonen ist wiederum gestattet. Im Gegensatz zur dominierenden Ansicht im sunnitischen Islam sind im Iran auch Leihmutterschaften nicht verboten.
Bei all dem gilt es allerdings zu bedenken, dass eine Reihe von schiitischen Autoritäten in- und außerhalb des Iran mit dieser liberalen Gesetzgebung nicht übereinstimmen und der sunnitischen Linie folgen.
Der Hinduismus sieht das Thema Reproduktionsmedizin äußerst liberal. Während die künstliche Befruchtung unter Eheleuten ohne fremde Spenden erfolgen sollte, sind auch Samenspenden erlaubt – der Spender muss jedoch ein naher Verwandter des unfruchtbaren Mannes sein.
Dabei galt Indien lange Zeit als erste Anlaufstelle für Paare auf der Suche nach Leihmüttern. 2012 wurden kommerzielle Leihmutterschaften jedoch für homosexuelle Paare verboten, im März 2016 folgte ein sehr weitgehendes Verbot.
Seitdem sind in Indien nur nichtkommerzielle Leihmutterschaften für indische Paare erlaubt: Die Ehe muss seit mindestens fünf Jahren bestehen, mindestens ein Partner muss von Unfruchtbarkeit betroffen sein. Für die Leihmutter gelten wiederum drei Voraussetzungen: Sie muss eine nahe Verwandte von einem der Partner sein, in aufrechter Ehe leben und mindestens ein eigenes Kind haben. Außerdem erhält sie keine über die medizinischen Kosten hinausgehende Bezahlung.
Religion und religiöse Interpretationen spielen bis heute eine zentrale Rolle bei zahlreichen ethischen und moralischen Fragestellungen. So auch bei der Fortpflanzungsmedizin. Das Spektrum reicht von Pauschalverboten der Reproduktionsmedizin bis hin zu den verhältnismäßig liberalen Auffassungen im schiitischen Iran und dem Hinduismus – was sich auch auf die Rechtslage in den jeweiligen Ländern auswirkt. Gleichzeitig muss man sich auch der rechtlichen Grenzen in diesem Bereich bewusst sein: Wird die Rechtslage in einem Land verschärft, weichen Ärzte und Paare oft einfach auf andere Länder aus.
Außerdem gibt es zwei maßgebliche medizinische Richtlinien: eine der in Kuwait gelegenen Organisation für Islamische Medizin aus dem Jahr 1991 und eine der Islamischen Erziehungs-, Wissenschafts- und Kulturorganisationen, die in Rabat (Marokko) 1992 verabschiedet wurde.
Dieser Amtstitel bezeichnet den Imam der in Kairo gelegenen al-Azhar-Moschee, der auch der al-Azhar-Universität vorsteht. Aufgrund der Bedeutung dieser Institutionen gilt er als eine der zentralen Autoritären im sunnitischen Islam.