Bärnkopf in Niederösterreich und Kaunerberg in Tirol trennen 350 Kilometer und ein spezielles Merkmal. Während von den Fortgezogenen im Waldviertel in den vergangenen 14 Jahren niemand zurückkam, ist es in der Tiroler Kleingemeinde fast jeder Zweite. Bärnkopf und Kaunerberg sind zwei Ausreißer einer exklusiven Auswertung der Statistik Austria. Im bundesweiten Durchschnitt kehrt im Zeitraum von rund 15 Jahren etwa jeder vierte Jungbürger in seine Heimatgemeinde zurück. In dieser Karte sehen Sie, wie viele Bürger seit 2003 in Ihrer Gemeinde zuerst weggezogen, dann aber wiedergekommen sind.
Was unterscheidet also Bärnkopf von Kaunerberg? Ein entscheidender Faktor ist die Anbindung an größere Städte. „In 45 Minuten in Innsbruck, in 20 Minuten in Landeck – wer ein Auto hat, der ist vergleichsweise schnell in der Stadt“, sagt Kaunerbergs Bürgermeister Peter Moritz. „Als Waldviertler ist man gewohnt, 30 Kilometer zu pendeln. Aber unserer gesamten Region fehlen die Arbeitsplätze bzw. entsprechende Verkehrsanbindungen an strukturstarke Regionen“, sagt Bärnkopfs Bürgermeister Arnold Bauernfried. Die Jugend seines Orts zieht ins benachbarte Gutenbrunn, nach Zwettl und Linz, aber die meisten direkt nach Wien. Die gute Luft allein – Bärnkopf ist „Luftkurort“ und umgeben vom größten geschlossenen Waldgebiet Österreichs – hält sie nicht.
Eines der Resultate daraus: Bärnkopf schrumpft. Kaunerberg hingegen wächst. Und das, obwohl die Anbindung an den öffentlichen Verkehr mehr schlecht als recht ist und ein Nahversorger gänzlich fehlt. „Das hat es bei uns nie gegeben. Immer die gleichen Sachen für den Bevölkerungsrückgang verantwortlich zu machen, ist nicht sinnvoll“, sagt Bürgermeister Moritz. Wichtiger sei das Anbieten günstiger Baugründe und flexibler Kinderbetreuung gewesen. Der Quadratmeter sei um 15 Euro vergeben worden, in benachbarten Gemeinden koste dieser bis zum Zwanzigfachen mehr.
Als der Kindergarten vor der Schließung stand, hat sich der Ort bewusst dagegen entschieden: „Es wäre für uns günstiger gewesen, wenn wir die wenigen Kinder mit dem Bus in den nächstgelegenen Kindergarten gebracht hätten. Aber es muss eine minimale Infrastruktur immer gegeben sein. Heute haben wir rund 20 Kinder“, erklärt Moritz. Im Vergleich zu anderen ländlichen Gemeinden Österreichs ist das eine Ausnahmestellung. In manchen gibt es keine eigene Betreuungseinrichtung und tendenziell kürzere Öffnungszeiten als in der Stadt. 437 Einwohner hat Kaunerberg zum Jahresanfang. Das sind 84 Einwohner mehr als im Jahr 2003. In Bärnkopf wohnen 355 Personen – 24 weniger als im Jahr 2003 (–6 Prozent). Drastischer ist die Entwicklung und vor allem die Prognose für die Regionen Murau und Murtal in der Steiermark.
Jeder vierte Einwohner soll den Bezirk Murau bis 2050 nach Berechnungen der Österreichischen Raumordnungskonferenz verlassen. Einer der betroffenen Orte ist Oberwölz. Carina Schweiger hat ihren Heimatort verlassen und arbeitet als Sozialarbeiterin in Graz. Im Video spricht sie über ihre Beweggründe: Arbeitsplätze, Kinderbetreuung und andere Möglichkeiten.
Carinas Vater, Günther Bischof, kennt die Facetten der Landflucht aus zwei Perspektiven. Einerseits als ehemaliger Bürgermeister der Gemeinde, andererseits als Vater. Seine Frau Beatrix und er sprechen darüber, was ihre drei weggezogenen Kinder am Zurückkommen schätzen, und über die Bemühungen, Bürger zu halten:
Das Stärken der Gemeinschaft steht auch im Fokus der Initiative „Lokal Global“. Sie ist eine jener Initiativen gegen Bevölkerungsrückgang, die sich im ländlichen Raum formiert haben. Das Ziel: Weggezogene in ihre Heimatgemeinde zurückholen.
Das Heimkehren ist dabei nur eine Möglichkeit: Fortgezogene sollen auch als mögliche Touristen, Investoren für Betriebe oder als Abnehmer lokaler Produkte angesprochen werden. Verantwortlich ist Harald Kraxner, Geschäftsführer der Holzwelt Murau: „Zum Ort, wo ein Mensch geboren ist, hat er eine besondere Beziehung. Diesen Ursprung wollen wir aktivieren.“
Der Kontakt mit allen Weggezogenen soll systematisch, konsequent und kontinuierlich gepflegt werden. 149.000 Euro sind für das Projekt veranschlagt. Aktuell ist der Anteil junger Heimkehrer in den Bezirk Murau höchst unterschiedlich. Er pendelt von unterdurchschnittlichen 22 Prozent in St. Peter am Kammersberg bis zu überdurchschnittlichen 33 Prozent in Mühlen.
Munderfing in Oberösterreich liegt mit 25 Prozent hingegen im bundesweiten Durchschnitt. Weit darüber ist der Wachstum des Orts. In den letzten 15 Jahren ist die Gemeinde um knapp 400 Einwohner auf 3.063 gewachsen. Rund 70 Prozent des Bevölkerungswachstums gehen auf Zurückgezogene zurück. Leonhard Moser ist einer von ihnen.
Der Filmemacher hat als Erster einen neu geschaffenen Co-Working-Space im Ortskern bezogen. Der einzige Grund für seine Rückkehr war das nicht: „Man hat das gefühlt, dass etwas weitergeht. Die Gemeinde floriert. Es siedeln sich Betriebe an, der Bürgerwindpark wurde eröffnet, Glasfaser wird ausgebaut. Munderfing lebt.“
Die Statistik Austria hat für Addendum eine Spezialauswertung zum Thema Heimkehrer erstellt. Die Daten dafür kommen in erster Linie aus dem Zentralen Melderegister. Ausschlaggebend für das Zählen eines Umzuges in der Statistik ist der Hauptwohnsitz. Nebenwohnsitze sind nicht enthalten. Der Fokus lag auf 18- bis 26-Jährigen Personen, weil in diesem Alter die meisten Umzüge passieren. Der beobachtete Zeitraum ist von 1.1.2003 bis 1.1.2018. Der typische Fall wäre jemand, der im Jahr 2003 umzieht und fünf Jahre später, beispielsweise nach einem Studium, wieder zurückkehrt in seine Heimatgemeinde. Allerdings gibt es andere Szenarien, die ebenso mitgezählt werden. Bis 2018 wieder zurückgezogen heißt nicht zwingend, dass die betreffenden Personen 2018 in der Herkunftsgemeinde gelebt haben, sondern nur, dass sie irgendwann zwischen ihrem Wegzug von dort und dem Stichtag wieder zurückgezogen sind. Es kann danach auch noch einen weiteren Wegzug gegeben haben. Dieser wäre seperat gezählt worden. Als Beispiel: Eine Person, die im Alter von 19 Jahren im Jahr 2009 von Eisenstadt fortgezogen ist, dann 2012 wiedergekommen ist und 2015 erneut fortgezogen ist, wäre insgesamt zweimal als „Wegzug“ gezählt worden.
Die Ergebnisse unserer Recherchen werden von Kollegen der Bundesländer-Zeitungen ergänzt. Hier ihre Berichte dazu: