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Was tun mit psychisch kranken Rechtsbrechern?
Knapp 1.000 Menschen sitzen in Österreich in Strafanstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher, im sogenannten Maßnahmenvollzug. Zur Hälfte werden sie als zurechnungsfähig eingestuft, zur Hälfte als zurechnungsunfähig. Die psychologische und/oder psychiatrische Betreuung, die sie bräuchten, bekommen beide Gruppen nicht oder nicht im ausreichenden Maß. Die Zahl der Einweisungen in den Maßnahmenvollzug nimmt sprunghaft zu, die Betreuungskapazitäten bleiben unzureichend.
Das Projekt Maßnahmenvollzug ist eine 12-teilige Recherche.

Knapp 1.000 Menschen sitzen in Österreich in Strafanstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher, im sogenannten Maßnahmenvollzug. Zur Hälfte werden sie als zurechnungsfähig eingestuft, zur Hälfte als zurechnungsunfähig. Die psychologische und/oder psychiatrische Betreuung, die sie bräuchten, bekommen beide Gruppen nicht oder nicht im ausreichenden Maß. Die Zahl der Einweisungen in den Maßnahmenvollzug nimmt sprunghaft zu, die Betreuungskapazitäten bleiben unzureichend.

Dass es im österreichischen Maßnahmenvollzug Probleme gibt , ist schon länger bekannt. Eine Reform, die unter dem früheren Justizminister Wolfgang Brandstetter ausgearbeitet wurde, verschwand allerdings in der Schublade, weil zum geplanten Veröffentlichungs- und Umsetzungszeitpunkt ein spektakulärer Fall passierte, im Zuge dessen die Durchsetzung von Verbesserungen für Straftäter im Maßnahmenvollzug nicht durchzusetzen gewesen wäre.

Die Argumente für und gegen die Inhaftierung psychisch Kranker, die Straftaten begangen haben, sind längst ausgetauscht: Auf der einen Seite steht das Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft und der Schutz der Bürger vor der Gefahr, die von psychisch kranken Straftätern ausgeht, auf der anderen Seite scheint klar, dass Kranke nicht ins Gefängnis gehören, sondern ins Krankenhaus, in diesem Fall in eine geschlossene psychiatrische Abteilung.

Aber in der Diskussion über die „geistig abnormen Rechtsbrecher“ schwingen alte Vorstellungen über gute und böse Menschen mit und darüber, ob die einen gut geboren sind und die anderen böse. Der italienische Kriminalpsychologe und Urvater der Disziplin Cesare Lombroso gab seinem Hauptwerk den Titel „L’uomo delinquente“, der Verbrechermensch. So archaisch diese Ideen anmuten mögen, sie wirken weiter. Und sie werden sogar durch neueste wissenschaftliche Entwicklungen und Disziplinen aktualisiert: Wenn der Mensch keinen freien Willen hat, bedeutet das nicht, dass er bereits entweder „gut“ oder „böse“ auf die Welt gekommen ist?

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Unser Rechercheteam hat einen Neurowissenschaftler gefragt , was denn der Umstand, dass wir über keinen freien Willen verfügen, für das Strafrecht und die Behandlung von Straftätern bedeuten würde, es hat mit Haftentlassenen, Richtern, Psychologen und Gutachtern gesprochen. Letzteren kommt im gesamten Themenkomplex wohl die wichtigste Rolle zu: Gutachter entscheiden über Zurechnungsfähigkeit oder Zurechnungsunfähigkeit eines Straftäters und damit, ob sie potenziell für immer (und das ist vermutlich einer der Gründe für die steigenden Zahlen: Hier kann lebenslang wirklich lebenslang sein) hinter den Mauern des Maßnahmenvollzugs verschwinden.

Gutachter entscheiden auch darüber, ob und wann Häftlinge aus dem Maßnahmenvollzug entlassen werden. Der Verantwortung, die damit verbunden ist, werden die Gutachter nach fast einhelliger Einschätzung von Experten nicht gerecht: Das Entgelt für Gutachten, die über den weiteren Lebensverlauf kranker Menschen, die Straftaten begangen haben, entscheiden, ist lächerlich gering, zu wenige Gutachter arbeiten an viel zu vielen Gutachten.

Mehr erfahren Sie in unserem vorliegenden Gutachten über den Maßnahmenvollzug. 

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Das Addendum-Team, September 2020