Nichts ist einfacher, als kriminell zu bleiben“, sagt Friedrich Olejak, und er spricht aus Erfahrung. Ungefähr 40 seiner bald 70 Lebensjahre hat er hinter Gittern verbracht; dort, wo die schweren Jungs sitzen: Stein, Garsten, Karlau. Wenn er draußen war, dann meistens nur für ein Jahr. „Urlaub“ nennt er diese kurzen Phasen. Sie waren deshalb so kurz, weil er es sehr schwierig fand, ein rechtschaffenes Leben zu führen. „Du brauchst Geld, du brauchst eine Wohnung“, erzählt er. Woher nehmen, wenn nicht stehlen. „Wenn du eine Tat setzt, hast du plötzlich alles.“
Vor allem, wenn es Taten im Stile Olejaks sind. „Ein Raub ist ja sehr einfach“, sagt er. Mit zwölf Jahren begann er in den frühen Sechzigern seine kriminelle Karriere, Fahrräder und Mopeds waren damals seine bevorzugte Beute. Aus dem Kleinkriminellen wurde über die Jahre ein ausgewachsener: Banküberfälle, zweieinhalb Millionen Schilling erbeutet, Dorotheum ausgeraubt, Schusswechsel mit der Polizei – trotz Maschinenpistole niemanden getroffen, aber sechs Mal getroffen worden. Dafür einmal einem Komplizen in den Bauch geschossen, der ihm Geld schuldete – das ist das Leben von Fritz Olejak im Zeitraffer. Es gibt kaum etwas, was er ausgelassen hat. Nur das, sagt er: Er habe den Bischof damals bei der Weihnachtsfeier in Garsten nicht als Geisel genommen. Ja, er wollte flüchten. Ja, er habe eine Waffe gehabt. Aber keine Geisel genommen, auch wenn er dafür verurteilt wurde. Aber wie kam er im Gefängnis überhaupt zu einer Waffe? „Das fragen die Richter auch immer.“
Heute, fast sieben Jahre nach seiner bislang letzten Entlassung, verbringt Olejak seine Tage in einem verrauchten Billardklub in der Äußeren Mariahilfer Straße. Er spielt Partien unter anderem mit dem österreichischen Meister Markus Krska, der Olejak und seine Mitinsassen schon in Stein besuchte, um ihnen dort Tipps für ihre Partien hinter Gittern zu geben. Es war ihm zunächst nicht ganz geheuer. „Da überlegst du dir schon, ob du sie nicht lieber gewinnen lässt“, sagt er. Den Billardtisch hat Olejak damals in Stein durchgesetzt, gegen heftige Widerstände der Belegschaft. Jetzt, wo er draußen ist, und es doch noch geschafft hat, mit der kriminellen Karriere abzuschließen, hat er gemeinsam mit der Anwältin Astrid Wagner den Verein „AufGefangen“ gegründet. Er soll vor allem den Angehörigen derer helfen, die noch im Gefängnis sind. Weil er weiß, wie schwer es ist.
Ihm hat der Verein Neustart nach seiner Entlassung geholfen, der rund 40.000 Klienten betreut – manche freiwillig und andere, weil sie vom Gericht einen Bewährungshelfer zugewiesen bekommen. Dass so viele Haftentlassene (wobei nicht alle Klienten von Neustart Ex-Häftlinge sind) die Hilfe von Neustart brauchen, ist für deren Pressesprecher Andreas Zembaty ein Problem: „Wir haben in Österreich zu viele Menschen in Haft“, sagt er.
Das andere Problem sei: Dass sie zu lange einsitzen. Und eines noch: „Die Zeit drinnen sollte nicht nur zur Verwahrung, sondern auch zur Resozialisierung genutzt werden – so steht es auch im Strafvollzugsgesetz. Diese Chance wird derzeit nicht wahrgenommen.“ Mit Neustart würden die Insassen erst viel zu spät in Kontakt kommen. „Am ersten Tag in Haft sollte der letzte Tag bereits geplant sein“, sagt Zembaty.
Es gibt – abseits von Flucht oder Tod – zwei Möglichkeiten, aus dem Gefängnis rauszukommen: Wenn man seine Strafe komplett abgesessen hat – die unbedingte Entlassung. Oder bereits vor Strafende – die bedingte Entlassung. Nur im zweiten Fall gibt es die Möglichkeit, den Insassen eben mit Bedingungen in die Freiheit zu entlassen, etwa Besuche bei einem Bewährungshelfer. Neustart sieht es deshalb als Problem, wenn jemand seine Haft komplett absitzt: „Wenn ich jemanden am letzten Tag seiner Haft entlasse, hat der Staat keinen Zugriff mehr“, sagt Andreas Zembaty. „Wenn ich ihn vorzeitig entlasse, kann ich ihm therapeutische Weisungen geben, genauso wie Bewährungshilfe als Unterstützung und Kontrolle – da ist auch dem Sicherheitsgedanken viel mehr Rechnung getragen.“
Die Zahlen geben ihm recht: 53,3 Prozent der unbedingt Entlassenen im Jahr 2013 wurden in den vier Jahren darauf wieder erwischt, bei bedingt Entlassenen sind es knapp 36 Prozent – bei bedingten und teilbedingten Strafen sind die Rückfallquoten sogar noch geringer.
Der Maßnahmenvollzug stellt auch in dieser Hinsicht eine Besonderheit dar: Weil eine Anhaltung unbegrenzt gilt, wird jeder mit Auflagen entlassen – und die Rückfallquote ist noch einmal geringer. Meist landen die Entlassenen zunächst in betreuten Einrichtungen.
Pro Mente bietet mehrere Nachbetreuungseinrichtungen und -modelle quer über Österreich verteilt an. Manche der Entlassenen werden mobil betreut, andere haben eine 24-Stunden-Betreuung in eigenen Wohngemeinschaften. „Der Unterschied zur normalen Delinquenz ist, dass unsere Leute krank sind, und sobald die Krankheit behandelt wird, gibt es kaum noch Delinquenz“, sagt Nicolas Gyane von Pro Mente.
Viele jener, die als Zurechnungsunfähige entlassen werden, leiden unter Schizophrenie, und da ist es die Krankheit selbst, die für Herausforderungen sorgt. „Da tritt häufig eine Krankheitsuneinsichtigkeit auf. Es ist sehr schwer, einer Person, die unter Schizophrenie leidet, tatsächlich zu vermitteln, dass sie krank ist“, sagt Gyane.
So wie bei Maria C. (Name geändert), die irgendwann wieder begonnen hat, Stimmen zu hören. „Ich war in einem Wahnzustand, habe nur mehr Leute angeschrien und bin herumgerannt wie eine Wahnsinnige“, erzählt sie. Sie wurde wegen einer gefährlichen Drohung zur Maßnahme verurteilt, jetzt ist sie mit fünf Jahren Bewährungszeit in der Nachbetreuung der Pro Mente, wo sie in einer betreuten Wohnung lebt. „Ich mache jeden Tag eine Therapie und habe begonnen, ein Instrument zu lernen“, sagt sie. „Mein Leben hat sich mithilfe der Psychotherapie komplett zum Positiven verändert.“
Menschen, die nicht wegen ihres Geisteszustands kriminell wurden, bekommen oft keine Nachbetreuung – obwohl sie diese genauso nötig hätten. Eben weil sie im Gefängnis waren. „Strafvollzug bedeutet eine Veränderung der Persönlichkeit, aber nicht in der gewünschten Form“, sagt Neustart-Pressesprecher Andreas Zembaty. Dass das Gefängnis die Menschen besser mache, sei eine Illusion. „Die Haft sollte ein Trainingscenter für Menschen sein, die an der Realität gescheitert sind, aber das ist es überhaupt nicht.“
Die Insassen würden in der Haft lernen, wie sie sich im Gefängnis zu verhalten haben und nicht, was sie in Freiheit anders machen sollen: „Kaum kommen sie heraus, wissen sie nicht, wie eine Supermarktkassa funktioniert“, sagt Zembaty. Das würde eine gefährliche Spirale in Gang setzen: „Aus der Angst, erkannt zu werden als jemand, der sich im Leben nicht zurechtfindet, entsteht Aggression“ – und daraus vielleicht die nächste Tat. „Wir müssen teilweise mit den Klienten leben lernen“, sagt Zembaty.
Wenn man Friedrich Olejak fragt, warum er Banken ausgeraubt hat, bekommt man zur Antwort: „Weil dort das Geld ist.“ Er ist im zweiten Wiener Gemeindebezirk beim Prater aufgewachsen, „das war damals Strichergebiet, schon in meiner Schule waren viele kriminell“, erzählt er. Er fand Gefallen an seinem Lebenswandel. Aber Verbrecher aus Leidenschaft, wie Olejak einer war, seien lediglich die Ausnahme, sagt Andreas Zembaty: „Wir haben es nicht mit Menschen zu tun, die glücklich wirken mit ihrer Situation. Wir haben es mit deklassierten Menschen zu tun.“
Die schwierigsten seiner Klienten seien solche, die Probleme mit Abhängigkeiten hätten. Das zeigt auch ein Blick auf die Rückfallquoten nach Deliktgruppen: Unerlaubter Umgang mit Suchtgift (41,4 Prozent) sowie Raub (43,7 Prozent) und Diebstahl (41,6 Prozent) beziehungsweise Diebstahl durch Einbruch (42,6 Prozent) haben die größte Rückfallwahrscheinlichkeit – es sind auch jene Delikte, die am ehesten mit Beschaffungskriminalität in Zusammenhang gebracht werden.
Werden Rückfällige in anderen Deliktgruppen wieder verurteilt, zeigt die Statistik, dass Verurteilte wegen Delikten gegen fremdes Eigentum oft wegen Verstößen gegen das Suchtmittelgesetz erneut verurteilt werden und umgekehrt.
Die größte Risikogruppe aber sind männliche Jugendliche. „Zwischen 16 und 26 werden junge Männer kriminell, das ist die definierte Risikosituation, das sind die Gefährlichsten“, sagt Zembaty. Und wer als Jugendlicher einmal verurteilt ist, hat eine sehr große Wahrscheinlichkeit, wieder verurteilt zu werden. Und während Erwachsene ohne Vorverurteilung nach dem ersten Schuldspruch insgesamt nur zu 17,4 Prozent wieder rückfällig werden, ist es bei Jugendlichen bis 17 Jahren knapp mehr als die Hälfte.
Gerade für diese Gruppe müsse es Möglichkeiten abseits der Haft geben, findet Zembaty. Bei der Sozialnetzkonferenz werden beispielsweise Angehörige und Freunde aktiviert, um straffällig gewordene Jugendliche zu betreuen anstatt sie einzusperren.
Und vor allem müsse an der Opferempathie gearbeitet werden: „Der Strafvollzug muss dazu genutzt werden, um beim Opfer Schadenswiedergutmachung zu betreiben – sofern das Opfer das will“, sagt Zembaty. Aktuell würden Insassen ihre Tat in der Haft meist einfach verdrängen. „Das geht nie gut. Wenn man etwas verdrängt, kommt es in einer Form zurück, die man nicht kontrollieren kann.“