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„Kindesmissbrauch kann nicht wie ein Blechschaden behandelt werden“
25. März 2019 Missbrauch 4 min
Die „Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt“ arbeitet mit einigen Anwälten zusammen, die an Vorschlägen arbeiten, wie die zivilrechtliche Verjährungsfrage gesetzlich geändert werden könnte. Der Wiener Rechtanwalt Roman Schiessler ist einer von den Experten, die eine Änderung anstreben.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Missbrauch und ist Teil 10 einer 12-teiligen Recherche.

Man könne sexuellen Missbrauch im Kindesalter „nicht behandeln wie einen Blechschaden bei einem Verkehrsunfall“, sagt Schiessler. „Auf diese Fälle sind diese Verjährungsfristen gemünzt. Der Gesetzgeber sagt ja zu Recht: Man soll zeitnah klagen, damit Konflikte vor Gericht ausgetragen und möglichst zeitnah entschieden werden.“ Das sei bei sexuellem Missbrauch aber nicht möglich.

Strafrechtlich wurde die Verjährung schon mehrmals angepasst. Sie beginnt bei Fällen sexuellen Missbrauchs die Verjährung erst zehn Jahre nach dem 18. Lebensjahr – also ab einem Alter von 28 Jahren – zu laufen. Die Verjährungsfrist beträgt in diesen Fällen meist 20 Jahre. Im Zivilrecht, wo Geschädigte Schadenersatz, Verdienstentgang und Schmerzengeld geltend machten könnten, beträgt die Frist im Normalfall nur drei Jahre.

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Willkür

Hinzu kommt, dass in der zivilen Rechtsprechung die Verjährung nicht automatisch eintritt, sondern vom Beklagten eingefordert werden muss. Was, etwa bei Fällen sexuellen Missbrauchs durch katholische Geistliche, in der Regel geschieht. Anwalt Schiessler kritisiert diese Regelung: „Es kann nicht der Willkür des Beklagten obliegen, ob Rechtsprechung stattfindet oder nicht. Verjährung ist ein Teil der rechtlichen Beurteilung, die nicht vom Gericht ausgeht. Und das sollte beendet werden.“ Es gehe nicht darum, dass sich jemand in einem Gerichtsverfahren etwas erschleiche, oder „etwas bekommt, das ihm nicht zusteht, sondern es soll Recht gesprochen werden.“ Diese Rechtsprechung finde nicht statt, und das müsse geändert werden.

Es wurden bereits die Parlamentsparteien kontaktiert, um eine Gesetzesänderung voranzutreiben. Schiessler ist überzeugt, dass die Anhebung oder gar die Aufhebung der Verjährung in Fällen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen auch rückwirkend möglich ist. „Es ist ja nicht so, dass man rückwirkend einen neuen Straftatbestand einführt. Das geht nicht. Aber sexueller Missbrauch war ja schon damals rechtswidrig, als er passiert ist. Da ist die Änderung der Verjährung meines Erachtens sehr wohl regelbar.“

Experten betonen immer wieder, dass ein Gerichtsverfahren für Betroffene sexueller Gewalt oft eine harte Belastung darstellen würde. Schiessler entgegnet: „Aber die Menschen, die Rechtsprechung wollen, die sich dieser Belastung auch aussetzen, die sollen die Möglichkeit haben. Und nicht von vornherein gesagt bekommen: Das ist nicht gut für dich.“ 

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