Noch nie in ihrer Geschichte ist die Europäische Union so entschlossen gegen illegale Einwanderung vorgegangen. Seit der Flüchtlingskrise von 2015 hat die EU ihr Budget für Migrationspolitik auf heute 23,3 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Allein 9,1 Milliarden Euro sind als sogenannte Notfallunterstützung an die Mitgliedstaaten geflossen, 2,2 Milliarden an das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen und an Frontex. Das Personal der Grenzschutzagentur Frontex soll bis 2027 von 1.500 auf 10.000 Einsatzkräfte aufgestockt werden.
Weitere 9 Milliarden Euro sind an Nachbar- und Drittstaaten geflossen, um die Ursachen von Fluchtbewegungen zu bekämpfen. Diese Maßnahmen werden unter dem Begriff „Migration Diplomacy“ zusammengefasst. Diese Flüchtlings-, oder treffender Migrationsdiplomatie basiert auf dem Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“. Die EU sichert den Nachbar- und Drittstaaten finanzielle und wirtschaftliche Unterstützung zu, knüpft diese aber an die Bedingung, dass die Staaten ihren Grenzschutz massiv ausbauen und Migranten somit von Europa fernhalten. Kritiker werfen der EU eine Verschiebung der Außengrenzen und ein Abschieben von Verantwortung vor.
Solche Maßnahmen sind nicht neu. Schon 2008 vereinbarte der damalige Ministerpräsident Italiens Silvio Berlusconi mit dem libyschen Machthaber Muammar Al-Gaddafi einen sogenannten Freundschaftsvertrag, der Milliardenzahlungen im Gegenzug für effektiven Grenzschutz vorsah. Mit dem Sturz Al-Gaddafis war dieser Vertrag allerdings 2011 schon wieder Geschichte. Bis zur Flüchtlingskrise 2015 sahen die EU-Staaten von ähnlichen Übereinkommen ab. Erst dann wurde die Notwendigkeit einer solchen Migrationsdiplomatie auf einen Schlag deutlich. Obwohl die EU sich nun gezwungen sah, eine ganze Reihe von Verträgen in kürzester Zeit auszuhandeln, zeigte sich schnell, wie effektiv die Übereinkommen waren: Die Zahl der illegalen Grenzübertritte konnte äußerst rasch drastisch reduziert werden.
Seitdem wägt sich die EU in Sicherheit. Doch die nächste Flüchtlingswelle könnte bereits in wenigen Monaten nach Europa schwappen. Addendum hat sich die vier wichtigsten Brennpunkte angeschaut, von denen im kommenden Jahr eine ähnlich große Flüchtlingsbewegung ausgehen könnte wie 2015.
Im März 2016 einigten sich die Europäische Union und die Türkei auf ein völkerrechtlich unverbindliches Abkommen mit dem Ziel, die illegalen Grenzübertritte vom türkischen Festland über den Balkan in die EU und auf die griechischen Inseln zu verringern. Der Preis für diesen EU-Türkei-Deal: 6 Milliarden Euro, eine Beschleunigung der Beitrittsgespräche und Visa-Erleichterungen für türkische Staatsangehörige. Für den türkischen Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist dieses Abkommen ein nützliches Druckmittel. Wenn die EU ihre Seite der Abmachung nicht einhalte, werde er die „Tore öffnen“. Zur Erinnerung: In der Türkei befinden sich aktuell etwa 3,9 Millionen syrische Flüchtlinge.
Obwohl Erdoğans Rhetorik inzwischen ein altbekanntes Stilmittel der türkischen Außenpolitik darstellt, haben seine Beschwerden über die EU einen wahren Kern. Zwar hat die EU alle finanziellen Zusagen eingehalten, die Visa-Erleichterungen wurden hingegen noch nicht umgesetzt, Beitrittsverhandlungen sind nach wie vor in weiter Ferne. Offiziell, weil die Türkei am umstrittenen Paragraphen zur Terrorismusbekämpfung festhalte. Erdoğan wirft der EU Doppelzüngigkeit vor, die Union habe erst nach Abschluss der Verhandlungen diese Vorbehalte vorgebracht. Viele europäische Regierungschefs wollen mit Erdoğans Türkei nur so viel wie nötig und so wenig wie möglich zu tun haben. Sie fürchten, die Wiederaufnahme von Beitrittsverhandlungen sei den Wählern nur schwer zu vermitteln, eine entschlossene und distanzierte Haltung gegenüber der Türkei kommt hingegen bei weiten Teilen der Bevölkerung gut an.
Trotz wiederkehrender Drohungen Erdoğans hat die Türkei sich bisher an das Abkommen mit der EU gehalten. Neue Kontrollposten wurden entlang der Küsten errichtet, der Grenzschutz zu Land und zur See intensiviert. Bei unserem Aufenthalt auf der Insel Samos berichteten die meisten Flüchtlinge, dass es ihnen erst beim dritten oder vierten Versuch geglückt sei, die Insel zu erreichen, da sie vorher von türkischen Grenzbeamten an der Flucht gehindert worden sein.
Es gibt aber ernstzunehmende Warnzeichen aus der Türkei. Die türkische Wirtschaft ist im vergangenen Quartal zwar wieder leicht gewachsen, doch die Jahre des Aufschwungs mit Wachstumsraten von mehr als fünf Prozent sind vorbei. Mit dem Andauern des Bürgerkriegs in Syrien bleiben auch die 3,9 Millionen Flüchtlinge auf unabsehbare Zeit im Land. Die offene Willkommenshaltung der Bevölkerung ist am Ende und droht ins Gegenteil zu kippen. Das wurde zuletzt vor allem bei den türkischen Gemeindewahlen deutlich, bei denen anti-syrische Rhetorik eine wichtige Rolle spielte. Auf Druck aus der Bevölkerung wurden in Istanbul und anderen Großstädten Syrer ohne Aufenthaltsgenehmigung in die südlichen Regionen des Landes umgesiedelt. Unbestätigten Berichten zufolge wurden einige dieser Flüchtlinge in die entmilitarisierte Zone in Nordsyrien gebracht, die in der Operation „Schutzschild Euphrat“ von der Türkei erobert worden war.
Auch Flüchtlinge aus Afghanistan geraten zunehmend unter Druck. Ihre Zahl hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Lange hatten sie in der Masse der syrischen Flüchtlinge untertauchen können, doch das wird immer schwieriger. Allein 2018 griffen die türkischen Behörden laut Innenminister Süleyman Soylu mehr als 270.000 illegale afghanische Flüchtlinge auf. In diesem Jahr dürften es noch deutlich mehr werden. Im November wurden allein aus Istanbul 43.000 afghanische Flüchtlinge abgeschoben. Im Gegensatz zu syrischen Flüchtlingen genießen Afghanen in der Türkei keinen Schutz vor Abschiebung: Sie können deportiert werden, wenn die Polizei sie aufgreift. Ziel der Regierung ist es, im Laufe des kommenden Jahres 100.000 Afghanen in ihre Heimat abzuschieben. Die EU unterstützt dieses Vorgehen, nicht nur politisch, sondern auch finanziell.
Die Anti-Flüchtlings-Bewegung in der Türkei nimmt an Fahrt auf und setzt die Regierung unter Zugzwang. Erdoğan ließ verlautbaren, er wolle mehr als 1,5 Millionen Flüchtlinge wieder außer Landes bringen. Die mögliche Folge: Viele Syrer könnten versuchen, möglichst bald nach Europa zu gelangen, um einer Abschiebung in ihre Heimat zu entgehen. Vor allem Griechenland ist schon jetzt nicht mehr in der Lage, mit der steigenden Zahl an Flüchtlingen umzugehen. Und es ist mehr als fraglich, ob die EU mit noch mehr Geld Erdoğan davon überzeugen kann, an seinem Kurs festzuhalten. Der innenpolitische Druck könnte schwerer wiegen als die finanziellen Verlockungen aus Brüssel.
Ende November fand in Wien eine Konferenz des International Center for Migration Policy Development (ICMPD) zur Zukunft der EU-Migrationspolitik statt. Zu Besuch war auch der neue griechische Vize-Minister für Migration, Georgios Koumoutsakos. Im Gepäck hatte er eine Warnung an die europäischen Partner: „Griechenland hat seine Grenzen des Möglichen längst überschritten, trotz aller Anstrengungen kommen mehr und mehr Flüchtlinge. Wenn sich das nicht ändert, wird das ganz natürliche Konsequenzen haben.“ Koumoutsakos verglich das Problem mit einem überlaufenden Glas. Flüchtlinge würden sich bald neue Routen in die EU suchen, wenn die schon jetzt hoffnungslos überfüllten Aufnahmezentren auf den griechischen Inseln wirklich keine neuen Ankünfte mehr verkraften könnten. Der Vize-Minister trifft mit seinen Worten einen empfindlichen Nerv: Seitdem im Frühjahr wieder Bilder von katastrophalen Zuständen in griechischen Lagern und von Flüchtlingsmärschen am Balkan in den Nachrichten auftauchten, mehren sich auch in Brüssel die mahnenden Stimmen.
Dass Griechenland trotz der EU-Türkei-Vereinbarung in den vergangenen Monaten so sehr unter Druck geraten ist, liegt vor allem daran, dass die Balkanroute nach ihrer „Schließung“ bislang tatsächlich wenig durchlässig ist und der Weg über das türkische Festland auf die griechischen Inseln der vermeintlich leichtere ist, um in die EU zu gelangen. Seit Jänner sind 54.000 Flüchtlinge auf den griechischen Inseln angekommen, 40.000 davon allein in den Sommermonaten. Das sind schon jetzt 65 Prozent mehr als im Vorjahr und 80 Prozent mehr als 2017. Die Aufnahmezentren auf den ägäischen Inseln sind insgesamt für 5.500 Menschen ausgelegt. Aktuell sind dort mehr als 30.000 Menschen untergebracht, täglich kommen neue Flüchtlinge hinzu. Das Aufnahmezentrum Vathy auf Samos beherbergt mittlerweile mehr als 5.000 Menschen, ausgelegt ist es für lediglich 648. Fast 1.500 Flüchtlinge leben außerhalb des Lagers auf Privatgrundstücken. Die Ressentiments in der Bevölkerung nehmen zu, auch auf den Nachbarinseln gibt es ähnliche Tendenzen. Dabei wären mindestens 3.000 Flüchtlinge berechtigt, die ägäischen Inseln sofort zu verlassen. Doch da es auch auf dem griechischen Festland einen Mangel an Unterbringungsmöglichkeiten gibt, kommt es zu einem immensen Rückstau auf den Inseln.
Übergriffe auf Migranten sind in Griechenland keine Seltenheit mehr. Anfang November wurden mehrere Busse mit Flüchtlingen, die auf dem Weg in neue Unterkünfte nahe der Stadt Thessaloniki waren, von Maskierten aufgehalten und zur Umkehr gezwungen. Die Bewohner der Inseln sind der jahrelangen Belastung durch die Flüchtlingslager müde und stehen der geplanten Eröffnung neuer Aufnahmezentren äußerst kritisch gegenüber. Daran ändert auch nichts, dass die konservative Regierung diese fortan als „Abschiebezentren“ bezeichnet. Die Bürger misstrauen der Regierung und fürchten, dass auch die neuen Lager weit über die offiziellen Kapazitäten hinauswachsen. Auf der Insel Samos nehmen islamfeindliche Tendenzen zu, viele Insulaner fürchten sich angesichts von 7.000 Flüchtlingen bei gerade einmal 30.000 Einwohnern vor einer Überfremdung ihrer Heimat.
Die Regierung versucht verlorengegangenes Vertrauen wiederaufzubauen und betont, dass die neuen Lager nur vorübergehende Einrichtungen seien. Sie plant im kommenden Jahr 10.000 Flüchtlinge vor allem in die Türkei zurückzuführen. Ein neues Asylrecht und 400 zusätzliche Beamte sollen die Verfahren beschleunigen. Ob das wirklich gelingt bleibt abzuwarten, denn die steigende Zahl der Neuankünfte könnte den Plänen der Regierung einen Strich durch die Rechnung machen. Griechenland fordert daher weitere Unterstützung von der EU, vor allem bei der Rückführung von Flüchtlingen. Bislang stoßen die Griechen damit auf taube Ohren. Die Kommission und vor allem die nördlichen Mitgliedstaaten weisen darauf hin, dass Griechenland seit 2015 mehr als 2,2 Milliarden Euro zur Unterstützung erhalten habe. Was genau mit diesen Geldern passiert ist, beschäftigt seit vergangenem Jahr auch das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung OLAF. Vieles deutet darauf hin, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Gelder nicht bei den Flüchtlingen, sondern in den Taschen griechischer Beamter und Politiker gelandet ist.
Der kleine Nachbarstaat Syriens ist gerade einmal so groß wie Oberösterreich und Heimat von vier Millionen Menschen. Im Libanon leben derzeit etwa 1,5 Millionen Flüchtlinge aus Syrien. Kein Land hat gemessen an der Gesamtzahl seiner Bevölkerung mehr Syrer aufgenommen. Einige der Flüchtlinge leben bereits seit dem Beginn des Bürgerkriegs vor nunmehr fast neun Jahren hier. Viele von ihnen sehen sich zunehmenden Schikanen und Anfeindungen ausgesetzt. Die Toleranz des Gastlandes ist erschöpft. Seit 2018 führt Libanon immer wieder „freiwillige“ Rückkehrer nach Syrien zurück, im Sommer begann die Regierung trotz internationaler Proteste Flüchtlingsunterkünfte mit Bulldozern abzureißen.
Die Wirtschaft liegt am Boden und droht sich weiter zu verschlechtern. Die Konfliktforscherin Randa Slim vom Middle East Institute in Washington D.C. warnt im Gespräch mit Addendum bereits vor einer neuen Flüchtlingsroute:
„Viele syrische Flüchtlinge haben das Gefühl, dass es für sie nur zwei Optionen gibt. Entweder gehen sie zurück nach Syrien oder nach Europa. In den letzten Monaten wurden mehrfach Flüchtlinge aufgegriffen, die mit dem Boot vom Libanon nach Zypern unterwegs waren.“
Der libanesische Außenminister Gebran Bassil drohte vergangene Woche bei der Mittelmeerkonferenz in Rom damit, die Grenzen künftig weniger streng zu sichern, sollte sich das Ausland nicht aus den inneren Angelegenheiten des Libanon heraushalten. In Beirut kommt es seit Oktober immer wieder zu Protesten gegen die Regierung.
Die Demonstranten beklagen Misswirtschaft und die grassierende Korruption im Land. Ministerpräsident Saad Hariri trat Ende Oktober zurück, steht aber bereits kurz vor einer Rückkehr an die Spitze der Regierung. Welche Auswirkungen dieser Schritt auf die Proteste haben könnte, ist ungewiss. Genauso wie die künftige Ausrichtung der Flüchtlingspolitik des Landes.
Wie effektiv europäische Migrationspolitik sein kann, zeigt sich am Engagement der EU in Niger. Seit 2016 unterstützt die EU die nigrische Regierung mit mehr als 700 Millionen Euro in ihren Reformbemühungen. Heuer ist es gelungen, die Route über die Stadt Agadez, eines der wichtigsten Drehkreuze für hunderttausende Flüchtlinge auf dem Weg zur libyschen Küste, zu schließen. Die Regierung Nigers greift erstmals massiv gegen Menschenschmuggler durch, konfisziert Fahrzeuge und erlässt hohe Geldstrafen. Außerdem wurde eine Reihe von Programmen gestartet, mit denen die lokale Wirtschaft gestärkt werden soll. Die Gelder hierfür kommen aus dem mit vier Milliarden Euro ausgestatteten Afrikafonds der EU. Die europäischen Missionen für Militär- und Polizeiausbildung wurden verlängert, das Budget erhöht. Bis heute konnten 13.000 zusätzliche Polizisten und Grenzschützer ausgebildet werden. Die Migrationsbewegung nach Libyen wurde massiv reduziert.
Trotz dieser drastischen Maßnahmen in Niger ist die Binnenflucht in Westafrika nicht zum Erliegen gekommen, neue Routen sind entstanden. Die Migranten versuchen, die Grenzen in entlegenen Regionen zu überqueren. Diese Routen, die zum Teil durch die Sahara führen, sind wesentlich gefährlicher als die alten Wege. Die Internationale Organisation für Migration hat jüngst dokumentiert, wie riskant diese sind: 253 Menschen sind zwischen Januar und August 2019 auf dem Weg durch die Wüste nach Nordafrika gestorben oder verschollen. „Die Statistik ist unvollständig und unterschätzt sehr wahrscheinlich eine der gefährlichsten Regionen für Migration weltweit“, schreibt die IOM. 2017 schätzte die Organisation, dass in der Wüste mindestens doppelt so viele Menschen sterben wie im Mittelmeer. Offiziell starben 2017 mehr als 3.000 Menschen im Mittelmeer – läge die IOM mit ihrer Vermutung richtig, wären in der afrikanischen Wüste in diesem Jahr mehr als 6.000 Migranten gestorben. Viele Flüchtlinge meiden Niger inzwischen und versuchen den Weg durch Mali – trotz der politischen und ethnischen Konflikte im Land, trotz der hohen Zahl an Übergriffen durch Straßenräuber und Dschihadisten.
Mali und die angrenzenden Sahelstaaten könnten sich schnell zum Sorgenkind Europas entwickeln, warnen viele Migrationsexperten. In den vergangenen Jahren hat sich Mali zu einem der weltweit wichtigsten Drehkreuze für Flüchtlinge entwickelt – sowohl für Migrationsbewegungen innerhalb Westafrikas als auch von Flüchtlingen auf dem Weg nach Europa. Vor zehn Jahren galt Mali noch als Musterdemokratie der Afrikanischen Union, nach dem Militärputsch im Jahr 2012 herrschen im Land allerdings chaotische Zustände. Islamistische Gruppen besetzten den Norden des Landes, Anfang 2013 griffen französische Truppen ein und drängten sie zurück. Doch immer wieder verüben Islamisten in Mali und den angrenzenden Staaten der Sahelzone tödliche Anschläge. Hinzu kommt ein ethnischer Konflikt zwischen den Stämmen der Dogan und Fulani. Diese unübersichtliche Gemengelage hat dazu geführt, dass fast 200.000 Menschen innerhalb des Landes geflüchtet sind, weitere 140.000 sind außer Landes geflohen. Ohne die internationale Unterstützung würde das Land und die gesamte Sahelzone im Chaos versinken, fürchten viele Beobachter.
Die Wirtschaft des Landes liegt am Boden, die Arbeitslosigkeit ist enorm hoch – genauso wie die Geburtenrate. Angaben der Weltbank zufolge bekommt eine Frau in Mali durchschnittlich sechs Kinder. Der Bevölkerungszuwachs im Land verstärkt die Probleme. Die EU hat ihre Mittel für Mali bereits aufgestockt und seit 2012 mehr als 320 Millionen Euro ins Land gepumpt – bisher allerdings mit mäßigem Erfolg.
Der österreichische Brigadier Christian Habersatter hat im Juni das Kommando über die EU-Streitkräfte in Mali übernommen, am Montag, den 16. Dezember wird er es an Finnland übergeben. Gegenüber Addendum warnte der Salzburger vor einer weiteren Destabilisierung des Landes: „Viele Probleme, die wir in Europa sehen, haben ihre Wurzel auch hier in Mali. Wenn man das erkannt hat, muss man sich zwei Fragen stellen: Warte ich, bis das Problem an der Grenze auftaucht, oder beginne ich das Problem vorher an der Wurzel anzugehen?“ Weltweit seien 60 Millionen Menschen auf der Flucht. „Die Bedeutung des Begriffs der Bedrohung hat sich für unsere Gesellschaft verschoben.“
Wie groß diese „Bedrohung“ wirklich ist, wird sich spätestens nach dem Winter zeigen. Dann werden wieder Zehntausende Menschen ihre Heimatländer verlassen, um sich auf den Weg nach Europa zu machen. Gelingt es der EU nicht, das Problem an der Wurzel zu packen, könnte sich im kommenden Jahr die Geschichte aus dem Jahr 2015 wiederholen.