Wehende kroatische Fahnen, unzählige Touristenbusse, Polizeiwagen, zwei Gegendemonstrationen und Peter Pilz (JETZT – Liste Pilz) mittendrin: Rund um das Kärntner Städtchen Bleiburg tobt seit Jahrzehnten ein Kampf um die kroatische Geschichte, das Selbstverständnis als Nation. Das Treffen beschäftigt auch die österreichische Innen- und Außenpolitik: In Bleiburg findet die einzige kroatische Gedenkfeier außerhalb des eigenen Staatsgebiets und die größte ihrer Art statt, die mit dem Zweiten Weltkrieg zusammenhängt. Für den jungen kroatischen Staat ist die Feier ein genauso bedeutsames wie auch umstrittenes Symbol, ein Quasi-Staatsakt unter Beteiligung von Vertretern aus Regierung und Parlament. Kritiker sehen darin eine der größten rechtsextremen Versammlungen in Europa, die untersagt werden sollte. Wer hat nun recht?
Bleiburg steht für eine Reihe von Kriegsverbrechen, die jugoslawische Partisanen 1945 an Soldaten und sonstigen Angehörigen des im Untergang befindlichen faschistischen Ustaša-Staats begangen hatten. Darüber hinaus gehörten auch andere feindliche Kämpfer wie slowenische Kollaborateure, serbische Tschetniks, russische Kosaken, deutsche Nachzügler und Zivilisten zu den Opfern. Aber auch Muslime, weswegen bei den Gedenkfeiern in Bleiburg seit jeher ein islamischer Vertreter spricht. Die genauen Zahlen sind seit jeher umstritten, der kroatische Historiker Jozo Tomasevich gelangt zum Schluss, dass es sich unmöglich sagen lässt, wie viele der Opfer Soldaten und wie viele Zivilisten waren. Außerdem verweist er darauf, dass kommunistische wie auch Pro-Ustaša-Autoren eine entsprechende Schlagseite haben. Wir haben dazu mit dem Politologen Vedran Džihić vom Österreichischen Institut für Internationale Politik gesprochen.
Ustaša-Kämpfer im engeren Sinne und sonstige kroatische Wehrpflichtige, die sogenannten Domobrani
Dass Verbrechen begangen wurden, steht jedenfalls außer Streit. Der gern zitierte kroatische Demograf und Ökonom Vladimir Žerjavić ging in seinen Berechnungen von 50.000 getöteten Kroaten aus – das wäre die Hälfte aller jugoslawischen Truppen, die sich im Mai 1945 den Partisanen entlang der österreichischen Grenze ergeben hatten. Der Kern der emotionalen Diskussionen um das Gedenken ist vielmehr der Umgang damit, insbesondere dessen politische Instrumentalisierung und das Verhältnis zu den kroatischen Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs.
In Bleiburg selbst ereigneten sich allerdings keine Massaker. Die Gemeinde spielt vielmehr eine symbolische Rolle: Hier (genau genommen auf dem Bleiburger Feld, also dem Ort der Gedenkfeiern) war ab 15. Mai 1945 ein Flüchtlingslager entstanden, nachdem der Zerfall des faschistischen Ustaša-Regimes eine Massenflucht in Richtung Österreich ausgelöst hatte. Damit wollten die Ustaša-Soldaten den Racheakten feindlicher Partisanen entgehen. Die Briten akzeptierten ihre Kapitulation jedoch nicht, da dies der gemeinsamen Vorgehensweise der Alliierten, wonach jede Seite sich bei ihren direkten Kontrahenten ergeben musste, widersprochen hätte.
Das Durchkämpfen nach Österreich war damit umsonst gewesen, am 19. Mai 1945 vereinbarten die Briten mit Titos Jugoslawien – unter Zusicherung, die einschlägigen völkerrechtlichen Bestimmungen einzuhalten – die Übergabe aller jugoslawischen Staatsangehörigen: Das war der Beginn der sogenannten Todesmärsche oder auch Kreuzwege. Die überwiegende Mehrheit der Opfer kam auf jugoslawischem Staatsgebiet bis Maribor ums Leben, allerdings wurden auch in Kärnten Gräber gefunden.
Die Rolle der Briten ist bis heute umstritten, direkt nach dem Krieg wurden sie beschuldigt, die kroatischen Kämpfer entwaffnet und vorsätzlich ihren späteren Mördern ausgeliefert zu haben. Dabei gilt es allerdings zu bedenken, dass nur ein Bruchteil der Geflüchteten es überhaupt nach Österreich geschafft hatte (die Kolonne soll gute 45 bis 65 Kilometer lang gewesen sein). Außerdem betont die britische Seite, nicht über die notwendigen Mittel zur Verpflegung der Flüchtlinge verfügt zu haben. Hinzu kommt, dass die Briten sich auf etwaige Kampfhandlungen gegen Jugoslawien einstellten, das die Annexion von Teilen österreichischen Staatsgebiets beabsichtigte.
Der Ursprung der heutigen Gedenkfeiern geht auf Allerheiligen 1952 zurück. Damals versammelten sich Überlebende der Todesmärsche zum ersten Mal auf dem britisch kontrollierten Bleiburger Feld (bis heute trifft sich eine überschaubare Anzahl jährlich zu Allerheiligen). Im Jahr darauf gründeten ehemalige Soldaten des Ustaša-Staates ein „Ehrenkomitee“, um der getöteten Soldaten zu gedenken. Mit Ende der Besatzungszeit konnten die Überlebenden, ihre Familien und Sympathisanten Bleiburg ohne weiteres besuchen, Österreich verbot die Gedenkfeiern trotz britischen und jugoslawischen Drucks nicht. 1966 wurde ein kleiner Teil des Bleiburger Felds gekauft, zehn Jahre später folgte die Errichtung eines Denkmals beim Friedhof in Unterloibach, auf dem sich einige Ustaša-Gräber befinden.
Der jugoslawische Geheimdienst beobachtete die Gedenkfeiern direkt vor seiner Grenze stets genau, die kroatische Exilgemeinde galt als die potenziell größte Gefahr für den jugoslawischen Staat. Die jährlichen Reden boten einen guten Überblick über die anti-jugoslawischen Agitatoren. Im Jahr 1962 kam es zum ersten größeren Akt politischer Gewalt, als 26 Mitglieder der „kroatischen Kreuzzüge-Brüderschaft“ eine jugoslawische Handelsmission in Bonn zerstört und dabei den (serbischen) Portier getötet hatten. Kroatische Separatisten zählten bis 1983 zu den weltweit aktivsten Terror- und Gewaltakteuren, Schätzungen gehen von über 50 Hinrichtungen und Hinrichtungsversuchen, 40 Bombenangriffen auf öffentliche Gebäude und zwei Flugzeugentführungen aus. 1972 bezeichnete Deutschland den kroatischen Separatismus als das „größte Problem mit Ausländern im Land“, das FBI sah sie als eine der drei aktivsten und ausländischen Terrorgruppen (neben Organisationen aus Kuba und Puerto Rico).
Gleichzeitig schrecken auch die jugoslawischen Sicherheitsdienste nicht vor erheblicher Gewalt zurück, 1966 kam es in Österreich zu einem Bombenattentat auf die rund 50 Teilnehmer der damaligen Gedenkfeier, die sich zum Mittagessen im bei Bleiburg gelegenen Lokal Hrust trafen. Die Explosion erfolgte allerdings einige Minuten vor dem verspäteten Eintreffen der Gruppe, weshalb niemand verletzt wurde. Damals bestanden reale Sorgen, von den „Udba“ – der unter Emigranten damals geläufige Begriff für die jugoslawischen Sicherheitsdienste – getötet zu werden. In Südkärnten kam es unter mutmaßlicher jugoslawischer Beteiligung in den 1970er Jahren zu 19 Sprengstoffattentaten, erst vor wenigen Jahren sorgte ein slowenischer Forscher mit neuen Hinweisen zur Ermordung des Ehrenzug-Mitbegründers und Organisators Nikica Martinovic in seinem Klagenfurter Gemüseladen 1975 für Aufsehen.
Die österreichische Polizei kontrollierte und vernahm die Teilnehmer der Bleiburger Gedenkfeiern regelmäßig, 1974 hatte der Bleiburger Bürgermeister von einer „unbedeutenden Gedenkfeier“ und „heimatlosen Menschen“ gesprochen, die „nichts repräsentieren“. Insgesamt versuchte Österreich wie so oft eine Art goldenen Mittelweg: Gute nachbarschaftliche Beziehungen und eine funktionierende Zusammenarbeit mit Jugoslawien, ohne sich allzu interessiert an den Aktivitäten der Exil-Community zu zeigen.
Der jugoslawische Geheimdienst sah in einem Bericht aus dem Jahr 1972 einen direkten Zusammenhang zwischen der politischen Gewalt und den Gedenkfeiern in Bleiburg. Dem Historiker Mate Nikola Tokic zufolge wurde Bleiburg von unzähligen Exilkroaten in dieser Zeit als Eckpfeiler eines serbisch-sozialistischen Völkermords an den Kroaten gedeutet – als Gelegenheit, möglichst viele der ideologisch und militärisch bedeutsamsten Verfechter einer unabhängigen kroatischen Nation zu liquidieren. Ohne sie, so diese Deutung, wurde die spätere schrittweise Zerstörung der kroatischen Nation wesentlich einfacher: Durch eine ruinöse Landreform, gezielte Arbeitslosigkeit, systematische Inhaftierungen und gezieltem Druck, zu migrieren. Diese Ängste vor serbisch-kommunistischer Feindseligkeit gegenüber Kroaten sollten sich in den 1990er Jahren voll entladen.
Daneben bot und bietet Bleiburg allerdings auch eine willkommene Gelegenheit, von den Ustaša-Verbrechen zwischen 1941 und 1945 abzulenken. Der Ustaša-Staat hatte im kroatischen Jasenovac eines der größten Konzentrationslager Europas betrieben, das bisweilen als „Balkan-Auschwitz“ bezeichnet wird. Opfern waren großteils Serben, aber auch Juden, Roma sowie als regimefeindlich eingestufte Kroaten und Muslime. Als einziges seiner Art gab es sogar ein eigenes Lager für Kinder. Und auch hier wird, wie beim Massaker auf dem Bleiburger Feld, über die Opferzahlen diskutiert. In Jugoslawien war von 700.000 die Rede, aus heutiger Sicht eine eindeutige Übertreibung: Die Europarats-Kommissarin für Menschenrechte, Dunja Mijatović, sprach bei der Gedenkfeier im April 2019 jedenfalls von mehr als 80.000 Opfern.
Das komplizierte Zusammenspiel von Opfer- und Täterrollen zeigt sich bei den unterschiedlichen Gedenkfeiern. Politikwissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang von „Erinnerungsinseln“: Wer in Jasenovac gedenkt, wird nicht auch in Bleiburg gedenken. Und umgekehrt.
Anmerkung: Anders als der rechtsgerichtete kroatische Politiker Davorin Karačić in diesem Video behauptet, steht neben dem „U“ auch eine Reihe weiterer Symboliken in einem klaren Zusammenhang zum Ustaša-Regime.
Diese Polarisierung zieht sich bis in die kroatische (Spitzen)-Politik: Obwohl das kroatische Parlament seit 1995 die Bleiburg-Gedenkfeiern finanziert, hat bislang kein einziger amtierender Präsident oder Premierminister teilgenommen. Stattdessen werden andere Regierungsmitglieder oder Sprecher des Parlaments vorgeschickt, dieses Jahr nahmen Verwaltungsminister Lovro Kuščević und Kriegsveteranenminister Tomo Medved teil (beide waren auch bei der diesjährigen Gedenkfeier in Jasenovac).
Damit will zumindest die oberste Staatsspitze vermeiden, gemeinsam mit Ustaša-Symbolen abgelichtet zu werden. Wohl alleine aus diesem Grund besuchte die amtierende Präsidentin die Gedenkstätte Bleiburg anlässlich des Gedenktags für die kroatischen Opfer für die Freiheit und Unabhängigkeit bereits am 9. Mai. Den Gedenkfeiern in Jasenovac war sie in den letzten Jahren ferngeblieben, erst dieses Jahr war sie gemeinsam mit Premierminister Andrej Plenković und Parlamentspräsidenten Gordan Jandroković wieder vor Ort. Jandroković wies dabei den Vorwurf, dass die Regierung Bleiburg stärker ins Licht rücke als Jasenovac, ausdrücklich zurück.
Bleiburg gilt Kritikern als faschistische Zusammenkunft, die den Ustaša-Staat verharmlost oder gar glorifiziert. Umgekehrt betonen rechte Politiker, dass es primär um die unschuldigen Opfer gehe. Die kroatische Präsidentin versucht einen Balanceakt, im Zusammenhang mit Bleiburg sprach sie jüngst unter anderem von einem „Massenmord an Kriegsgefangenen“ und einer „der größten Nachkriegs-Gräueltaten in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, für die es keine Entschuldigung gibt“.
Dabei muss man auch bedenken, dass die Tragödie von Bleiburg und andere Massaker zur Zeit des jugoslawischen Staats tabuisiert waren. Staaten und Nationen sind konstruierte, ja imaginierte Gemeinschaften, wie es der Politikwissenschaftler und Historiker Benedict Anderson in seinem gleichnamigen Hauptwerk ausdrückte. Konstruktionen, die allerdings mit realen Gefühlen verbunden sind. Demgemäß übernahm das Anfang der 1990er Jahre neu entstandene Kroatien auf der Suche nach Feier- und Gedenktagen das Narrativ der Exilgemeinde. Bleiburg wurde über das Massaker hinaus mehr und mehr zum wohl bedeutendsten Sinnbild für das repressive Tito-Jugoslawien.
Gleichzeitig zeigen sowohl die in Österreich als Verein eingetragenen Organisatoren selbst (nicht zuletzt aufgrund der Bezeichnung als „Bleiburger Ehrenzug“) als auch die Teilnahme offenkundiger Ustaša-Sympathisanten in den vergangenen Jahren, dass der ursprüngliche Hintergrund nach wie vor eine bedeutsame Rolle spielt. Auch der Gedenkstein in Bleiburg spricht von „Ruhm und Ehre der gefallenen kroatischen Armee“ (die deutsche Version lediglich vom „Gedenken an die gefallenen Kroaten“). Außerdem wurden in den Reden der letzten Jahre die Gräuel des faschistischen, nationalsozialistischen oder kommunistischen Totalitarismus erwähnt, ohne den Ustaša-Staat ausdrücklich zu kritisieren, war er doch ein bedeutsamer Vorläufer auf dem Weg zu einem unabhängigen Staat. Dabei sei jedoch angemerkt, dass die Präambel der kroatischen Verfassung, die die historischen Eckpfeiler Kroatiens beinhaltet, die Opposition zum Ustaša-Staat betont.
Im Vorfeld der diesjährigen Gedenkfeiern wurde angesichts des gesetzlichen Verbots eindeutiger Ustaša-Symbole eine „jetzt erst Recht“-Stimmung oder gar Ausschreitungen befürchtet. Der Verfassungsjurist Heinz Mayer sprach in einem Gutachten gar von der Verpflichtung, das Treffen zu untersagen. Vor Ort wurden allerdings nur wenige einschlägige und kleinere Symbole (etwa Anstecknadeln) gesichtet, auch sonst blieb es ruhig. Selbst das oft mit dem Ustaša-Staat assoziierte Schachbrettmuster (allerdings ohne das „U“ und die sonstigen Insignien des Ustaša-Wappens), das – im Gegensatz zum offiziellen kroatischen Wappen – mit dem weißen anstatt mit dem roten Feld beginnt, war oft zu sehen: eine klare Anspielung, die nicht ausdrücklich verboten ist und damit gerechtfertigt wird, dass die Geschichte des kroatischen Schachbrett-Musters in seinen unterschiedlichen Anordnungen bis ins 11. Jahrhundert und damit wesentlich weiter reiche als bis zum Ustaša-Staat.
Die Polizei hatte einen verhältnismäßig ruhigen Tag. Eine Amtshandlung erfolgte, nachdem ein Mann den Hitlergruß gezeigt hatte. Außerdem musste sie eingreifen, als der Journalist Daniel Majić, der den rechtsradikalen Hintergrund einiger Teilnehmer im Bereich der Ehrengäste problematisierte, beim Gedenkstein angegriffen wurde. Er wurde weggebracht, ein weitergehendes Eingreifen, etwa zwecks Aufnahme der Personaldaten der Angreifer, unterblieb jedoch. Laut Polizeisprecher vor Ort sei dies nicht notwendig gewesen, da es sich bei Anspucken um Ehrenbeleidigung und damit um ein Privatanklagedelikt handle. Wir haben unmittelbar nach dem Vorfall mit ihm gesprochen.
Bleiburg ist kein leichtes Thema. Wer darüber berichtet, muss damit rechnen, es niemandem recht zu machen. Zwischen Zuspitzung und Verharmlosung liegt die Wahrheit oft weniger in der Mitte als im Auge des Betrachters. Ob die Gedenkfeiern trotz des heurigen Widerstands der katholischen Kirche Kärnten weiter in Bleiburg stattfinden, wird sich weisen. Der kroatische Verwaltungsminister Lovro Kuščević meinte auf Nachfrage jedenfalls, dass er es hoffe. Gleichzeitig wird in Kroatien immer wieder debattiert, ob der Ort sich angesichts dessen, dass hier keine Kampfhandlungen stattfanden und es keine Massengräber gibt, überhaupt eignet.