Es ist ruhig geworden rund um jene Polizeibehörde, die in der Rennwegkaserne im dritten Wiener Gemeindebezirk angesiedelt ist. In den Gemäuern entlang der Landstraßer Hauptstraße und des Rennwegs ist das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, kurz BVT, untergebracht. Die Ruhe wäre an sich wünschenswert. Hier arbeiten jene etwa 250 Beamten, die Staatssicherheit gewährleisten, drohende Gefahren rechtzeitig erkennen und abwehren sollten. Das tut man am besten im Hintergrund, unauffällig und jedenfalls, indem man mit ausländischen Diensten kooperiert.
Mit dem internationalen Austausch von Informationen hapert es seit geraumer Zeit aber, erfuhr Addendum bei Hintergrundgesprächen. Nachrichtenhändler aus anderen Ländern haben sich zurückgezogen. Sie befürchten, dass ihre an Österreich übermittelten Daten und Fakten in falsche Hände gelangt sein könnten und geizen nun mit ihrem Wissen. So gesehen ist die Ruhe eher beunruhigend.
Zurückzuführen ist der Rückzug ausländischer Dienste auf die Ereignisse vom 28. Februar 2018. An diesem Tag stand in der Früh eine Abordnung aus Staatsanwaltschaft, Polizisten der Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität und IT-Experten in den BVT-Büros und führte eine Hausdurchsuchung durch. „Polizei, Hände weg von der Tastatur, kein Telefon!“, bekamen Beamte gegen 9 Uhr Früh zu hören. Durchforstet wurden drei Büros in der EDV-Abteilung, das Büro eines ehemaligen ÖVP-Klubmitarbeiters, jenes der Leiterin des Extremismusreferats (die nur Zeugin ist) und jenes eines Beamten, der mit einer Nord- und Südkorea betreffenden Causa zu tun hatte. Durchsucht wurden auch vier Wohnungen von BVT-Mitarbeitern.
Anlass für den großen Bahnhof war ein anonym verfasstes 39-Seiten-Konvolut, das eine Vielzahl an Anschuldigungen gegen Beamte des Innenministeriums bzw. der Polizei enthält. Warum die Razzia just am 28. Februar gestartet wurde, ist bis heute nicht restlos geklärt, zumal das 39-seitige Dossier schon im Vorjahr Staatsanwälten und Medien zugespielt worden war.
Sichergestellt wurden im Zuge der Hausdurchsuchungen nicht 19 Gigabyte, wie es anfangs hieß, und auch nicht 40 Terabyte, wie später berichtet wurde. Laut Addendum-Informationen wurden rund 40 Terabyte allein in drei Wohnungen beschlagnahmt. Hinzu kommt etwa, dass im Chefzimmer der IT-Abteilung ein Arbeitsplatzrechner, zahlreiche CDs und Festplatten eingepackt wurden.
Besonders brisant: Fachkundige Gesprächspartner berichten, es sei keinesfalls ausgeschlossen, dass Daten von ausländischen Diensten sichergestellt worden sind. Die Ängste und Befürchtungen der befreundeten Nachrichtenhändler, dass ihre geheimen Informationen plötzlich in einem Ermittlungsakt aufscheinen und damit auch an die Öffentlichkeit gelangen könnten, seien mehr als berechtigt.
Das ist so zu erklären: Der Datenaustausch mit Nachrichtenhändlern aus vielen Ländern läuft über verschlüsselte Kanäle ab – und zwar über das sogenannte Kommunikationszentrum im BVT. Von den dort eintrudelnden Informationen, vornehmlich E-Mails und Fotos, werden Backups erstellt. Aufbewahrt werden die Sicherungskopien in der EDV-Abteilung. Dort wurden drei Büros durchsucht und Daten beschlagnahmt.
Christian Pilnacek, der Generalsekretär des Justizministeriums, schloss am 22. März aus, dass Daten von deutschen Verfassungsschützern darunter sein könnten. Das habe eine Prüfung der für die Ermittlungen zuständigen Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ergeben. Zeitgleich räumte er aber ein, dass man noch nicht sagen könne, wie viele Daten sichergestellt worden sind.
Die Folgen der Aktion vom 28. Februar sind bekannt: Ermittelt wird gegen vier Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, allen voran gegen Direktor Peter Gridling, gegen einen ehemaligen Spitzenbeamten des BVT und gegen den langjährigen Kabinettschef im Innenministerium, Michael Kloibmüller.
Zunächst war der gebürtige Oberösterreicher Kloibmüller nur „Verdächtiger“. Mittlerweile dürften sich die Verdachtsmomente aber erhärtet haben, denn Kloibmüller ist nun offiziell „Beschuldigter“, wie Pilnacek auf Addendum-Anfrage sagt: „Bestätigen kann man, dass die Ermittlungen andauern und dass der Betroffene als Beschuldigter geführt wird, worüber er auch verständigt wurde.“
Michael Kloibmüller diente den ÖVP-Ministern Johanna Mikl-Leitner und Wolfgang Sobotka über viele Jahre als Kabinettschef im Innenministerium. 2017 wurde er Leiter der Präsidialsektion, am 8. März 2018 gab der gebürtige Oberösterreicher bekannt, dass er aus dem Staatsdienst ausscheiden und in die Privatwirtschaft wechseln werde.
Der Unterschied liegt laut Paragraf 48 der Strafprozessordnung darin, dass gegen einen Verdächtigen nur ein „Anfangsverdacht“ vorliegt. Als „Beschuldigter“ gilt, wer „aufgrund bestimmter Tatsachen konkret verdächtig ist, eine strafbare Handlung begangen zu haben“ und daher „Beweise aufgenommen oder Ermittlungsmaßnahmen angeordnet oder durchgeführt werden“.
Was Kloibmüller konkret vorgeworfen wird, wollte weder das Innenministerium noch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft mitteilen. Auch im Justizministerium verwies man darauf, dass es sich um eine „Verschlusssache“ handle.
Michael Kloibmüller diente den ÖVP-Ministern Johanna Mikl-Leitner und Wolfgang Sobotka über viele Jahre als Kabinettschef im Innenministerium. 2017 wurde er Leiter der Präsidialsektion, am 8. März 2018 gab der gebürtige Oberösterreicher bekannt, dass er aus dem Staatsdienst ausscheiden und in die Privatwirtschaft wechseln werde.
Rechtsanwalt Richard Soyer ist etwas auskunftsfreudiger. Er teilte Addendum mit, gegen seinen Mandanten werde wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch und Bestechlichkeit sowie wegen des Verdachts auf Verletzung des Amtsgeheimnisses ermittelt. Es gehe ausschließlich um Vorwürfe, die aus dem 39-Seiten-„Pamphlet“ stammen würden, konkret etwa um die Causa Mauss.
Werner Mauss ist ein deutscher Privatagent, der unter anderem im Fall des gestohlenen Flick-Sarges mit den österreichischen Ermittlern zusammengearbeitet hat. Kloibmüller hat Mauss schriftlich bestätigt, dass er für Österreich tätig war. Im Dossier ist auch vom Verdacht auf Kickback-Zahlungen die Rede. Soyer sagt, sein Mandant habe sich nichts vorzuwerfen.
In der BVT-Affäre geht es insgesamt aber auch um den Vorwurf, dass Beamte bestimmte Daten nicht – wie vorgesehen – gelöscht hätten. Das betrifft vor allem Daten des Wiener Rechtsanwalts Gabriel Lansky. Der umtriebige Advokat hatte im vergangenen Jahr ein anonymes Schreiben erhalten, wonach Daten aus seiner Kanzlei widerrechtlicherweise noch immer bei den Verfassungsschützern liegen würden.
Der Ursprung dieser Sache reicht in das Jahr 2011 zurück:
In den 39 Seiten kommt auch zweimal eine deutsche Privatagentin vor. Welche Rolle die Ex-Stasi-Mitarbeiterin in Österreich gespielt hat, lesen Sie am Sonntag ab 12 Uhr im Projekt „Spionage“. Um über die Veröffentlichung informiert zu werden, abonnieren Sie unseren Newsletter.
Damals engagierte Gabriel Lansky einen belgischen IT-Experten. In einem Beschluss des Landesgerichts Wien vom 17. August 2015 wird geschildert, dass der Datenspezialist ab September 2011 für Lansky, Ganzger & Partner (LGP) tätig war. Im Jänner 2013 habe der Fachmann vorgeschlagen, zwei Server der Kanzlei „auf denen sich Outlook-Postfächer von 27 Mitarbeitern, Rechtsanwaltsakten zu diversen Strafverfahren und die komplette Buchhaltung der LGP befunden hätten, nach Luxemburg zu transferieren“ (siehe Faksimile unten). Das geschah auch. Dann passierte Folgendes: Lansky konnte laut eigenen Angaben plötzlich von Österreich aus nicht mehr auf seine Daten im Ausland zugreifen.
Warum? Der IT-Mann wies die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass auf den Lansky-Servern in Luxemburg „Daten gespeichert seien, welche die Verflechtungen des Beschuldigten (Dr. Gabriel Lansky, Anm.) mit dem kasachischen Geheimdienst KNB bzw. dem Verein Tagdyr belegen“. Der Hintergrund: Lansky vertrat die Witwen zweier in Kasachstan getöteter Bankmanager, deren Chef einst Rakhat Alijew war. Der 2015 verstorbene ehemalige kasachische Botschafter in Österreich wurde mit diesen Morden in Verbindung gebracht. Bewiesen werden konnte das nicht.
Lansky jedenfalls war Rechtsvertreter der Gegenseite und wies die Behauptung, wonach er für den kasachischen Geheimdienst arbeite, stets vehement zurück. Das Ermittlungsverfahren gegen den Anwalt wurde eingestellt.
Die Luxemburger Polizei stellte nach dem Hinweis des belgischen Datenmannes im Sommer 2013 jedenfalls die zwei Lansky-Server, eine Festplatte sowie 129 Datenkassetten sicher.
Per offiziellem Rechtshilfeersuchen wurden die Daten nie an die heimischen Behörden übergeben, Lansky konnte das via Gericht verhindern.
Dennoch wurden Informationen, die von den Luxemburger Servern stammten, auf unterschiedlichen Wegen nach Österreich transferiert. Das behauptet nicht nur Lansky, das bestätigt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Linz auf Anfrage: „Den Ermittlungsbehörden wurden von anonymen Personen zumindest Teile der Serverdaten auf Datenträgern übermittelt.“ Adressaten seien etwa die Staatsanwaltschaft, die Oberstaatsanwaltschaft, das Justizministerium und auch die Polizei gewesen.
Lansky mutmaßte, dass der Anwalt bzw. die Witwe von Rakhat Alijew (später Shoraz) dahintersteckt. Tatsächlich gab es starke Indizien für diese These, belegt werden konnte sie nicht. Elnara Shorazova zahlte zwar mehr als 400.000 Euro an den belgischen IT-Mann. Das Gericht sah es aber nicht als erwiesen an, dass das Geld für die Lansky-Daten geflossen ist. Es gäbe verschiedene Möglichkeiten, wie die Daten nach Österreich gelangt sein können. Shorazova legte Rechnungen für Dienstleistungen sowie für Lizenzgebühren für Software vor.
Addendum wollte von Lansky wissen, was er zu der Causa heute sagt, schließlich hat er maßgeblich dazu beigetragen, dass die BVT-Affäre ins Rollen gekommen ist. Der Advokat will sich nicht mehr ausführlich damit beschäftigen: „Ich bin total lustlos bei dieser Causa.“ Er habe sich an die Staatsanwaltschaft gewandt, weil er die ominösen 39 Seiten bekommen habe. Darin stand, dass die Daten aus Luxemburg nicht gelöscht und auch an die ÖVP weitergegeben worden seien. Er sei mittlerweile zweimal befragt worden. „Ich finde in Ordnung, dass ermittelt wird. Die Staatsanwaltschaft soll tun, was sie tun will.“
In den 39 Seiten kommt auch zweimal eine deutsche Privatagentin vor. Welche Rolle die Ex-Stasi-Mitarbeiterin in Österreich gespielt hat, lesen Sie im Projekt „Spionage“. Um über die Veröffentlichung informiert zu werden, abonnieren Sie unseren Newsletter: