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Der Österreicher und der Oligarch
10. September 2020 News Lesezeit 7 min
Nach 23 Gerichtstagen endete in der Slowakei der Prozess um den erschossenen Investigativ-Journalisten Ján Kuciak mit einem überraschenden Freispruch für den mutmaßlichen Auftraggeber Marian Kočner. Der schillernde Oligarch hat einen ganzen Staat unterwandert, wie ein letztes E-Book von Addendum beleuchtet. Was das heißt, bekam auch ein österreichischer TV-Boss zu spüren.
Bild: Collage | Addendum
Das E-Book zum Fall ist bei Thalia erhältlich

Lebensläufe wie der von Marian Kočner werden sonst eher in Hollywood geschrieben als fünfzig Kilometer östlich von Wien. Der Sohn eines Maurers und einer Volksschullehrerin steigt vom Politikjournalisten zum Multimillionär mit besten Kontakten nach ganz oben auf. Bis erste Vorwürfe laut werden. Von Mafia-Verbindungen ist die Rede. Medien beginnen, das Attribut „kontroversiell“ vor seinen Namen zu rücken. Und er wird als Auftraggeber eines Doppelmordes angeklagt.

Am Abend des 21. Februar 2018 fallen in einem kleinen Haus in einem westslowakischen Dorf drei Schüsse. Zwei Kugeln treffen den 27-jährigen Investigativ-Journalisten Ján Kuciak im Vorzimmer. Seiner gleichaltrigen Verlobten Martina Kušnírová schießt der Mörder in der Küche in den Kopf. Beide sind auf der Stelle tot. Es ist das Werk eines Profis. Der Auftragskiller, ein ehemaliger Soldat, läuft aus dem Haus und flieht mit seinem Komplizen, einem früheren Polizisten. Für ihre Tat erhalten sie jeweils 20.000 Euro.

Der Journalistenmord mitten in der EU, gerade einmal eine halbe Stunde Fahrzeit von der österreichischen Grenze entfernt, schockiert ganz Europa und wirft dunkle Schatten auf ein Land, das so nahe ist, aber selten auf unserem Radar auftaucht. Im Jänner 2020 beginnt das Verfahren gegen die zwei mutmaßlichen Täter, ihren Vermittler, eine geheimnisvolle Verbindungsfrau und eben gegen Marian Kočner, den mächtigen Millionär, der als Auftraggeber angeklagt ist. „Freispruch aus Mangel an Beweisen“ lautet nach 23 Verhandlungstagen das überraschende erstinstanzliche Urteil in dem Monsterprozess. Ein ganzes Land bleibt geschockt zurück. Es hat nun einen erwiesenen Auftragsmord ohne verurteilten Auftraggeber.

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Ein Polit-Thriller als E-Book

Der Freispruch des medial längst vorverurteilten Kočner ist eine dramatische Wendung in einer geradezu unglaublichen Geschichte. Addendum-Journalist Christoph Lehermayr hat das unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen stattfindende Verfahren über Monate hinweg begleitet, dutzende Hintergrundgespräche geführt und präsentiert mit dem E-Book „Ján Kuciak – Das Mordrätsel“ einen realen Polit-Thriller. Wäre die Handlung darin nur ein Hollywood-Plot, die Produzenten würden ihn wohl zurückwerfen: zu abgründig, zu abstrus, zu brutal, zu viel von allem. Doch es ist die Wahrheit, und die gewährt einen selten intimen Einblick ins Innere eines Systems. Denn es bleibt ein politischer Mord. Ján Kuciak und Martina Kušnírová mussten sterben, weil sie in einem Mafia-Staat lebten.

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Ein „Abwickler“ fordert 69 Millionen

Einer, der seine eigenen Erfahrungen mit diesem Marian Kočner gemacht hat, ist Österreicher und Chef von „Markíza“, der größten privaten TV-Sendergruppe der Slowakei. Als Matthias Settele vor sieben Jahren ins Land kam, steckte der Sender tief in den roten Zahlen und galt als Sanierungsfall. Eine Herausforderung für den Niederösterreicher, der 1996 als Büroleiter von ORF-General Gerhard Zeiler auf dem Küniglberg begann, ihm später zu RTL folgte und bald als Troubleshooter für TV-Sender durch ganz Europa jettete, bevor er in der Slowakei landete. „Das Land ist von der Größe her wie ein Österreich ohne Wien. Ganz oben kennt jeder jeden, vieles beruht auf Freundschaften von früher, das Business selbst ist aber beinhart. Ich hatte den Vorteil, keine Schulden aus der Vergangenheit begleichen zu müssen und keine Visionen für die Zukunft zu haben. Ich will hier nicht Minister oder was auch immer werden.“ So gelang dem Pendler zwischen Baden und Bratislava der Turnaround. 15 Millionen Euro Verlust im Jahr drehte er zuletzt zu 30 Millionen Gewinn, bei 33 Prozent Rendite, „und das ohne Personalabbau“, wie Settele betont.

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TV-Senderchef Matthias Settele

Das weckt Begehrlichkeiten. Petr Kellner, mit 15 Milliarden Euro der reichste Tscheche, plant die im Eigentum des amerikanischen Medienmulti WarnerMedia stehende Sendergruppe zu übernehmen. Während die Verhandlungen laufen, trifft vom Bezirksgericht in Bratislava eine Nachricht ein: Ein gewisser Marian Kočner halte Schuldscheine von Markíza aus dem Jahr 2000 und fordere nun deren Auszahlung. Es geht um insgesamt 69 Millionen Euro. In den wilden neunziger Jahren trug der beleibte Kočner den Spitznamen „prasa“, das Schwein, und galt als „Abwickler“ damaliger Mafia-Clans. Als solcher hatte er Kontrolle über „Markíza“ erlangt und den Sender von seinen Männern besetzen lassen. Nun behauptet er, der damalige TV-Chef Pavol Rusko, ein slowakischer Berlusconi, der erst Minister und später Mordangeklagter war, habe ihm die Wechsel damals unterzeichnet. „Wir stellten also unsere Buchhaltung auf den Kopf, durchsuchten alles und fanden nichts“, sagt Settele, „die Vermutung tauchte auf, ob es sich nicht um dreiste Fälschungen handeln könnte.“

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Die Justiz-Staatssekretärin als sein „Äffchen“

Umso überraschter sind er und die Anwälte des Senders, als das Gericht das anders sieht. Es gibt Kočner in dem Verfahren Recht und schreibt vor, ihm einen ersten Teilbetrag über 8,8 Millionen Euro auszuzahlen. Internationale Experten, die bestätigen hätten können, dass das für die Wechsel verwendete Papier und die Tinte nicht original waren, wurden in dem Verfahren erst gar nicht zugelassen. „Wir begannen zu ahnen, dass es ein abgekartetes Spiel ist“, sagt Settele. Vor Gericht machte er erstmals selbst Bekanntschaft mit dem gerissenen und selbstsicher auftretenden Kočner. „Ich war Zeuge, und er fing an, mich zu befragen. Bald versuchte er, mich in Widersprüche zu verwickeln und zu verwirren.“ Es ist eine erste Kostprobe auf der Partitur, die der Millionär perfekt beherrscht und die er auch später beim Kuciak-Prozess bespielen wird. Was Settele zu diesem Zeitpunkt dennoch nicht im ahnt, ist der Abgrund, der sich hinter Kočner auftut. Er soll Richter kontrollieren, sie schmieren, deren Verfahren steuern und so für genehme Urteile sorgen. Sein Einfluss reicht hinauf bis zur Justiz-Staatssekretärin, die er „mein Äffchen“ nennt. Auch im Markíza-Verfahren weist sie der zuständigen Richterin den Weg in Richtung völliger Willfährigkeit.

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Marian Kočner am Tag der Urteilsverkündung

An die Oberfläche gelangt dies und der noch viel weiter reichende Bauplan des Mafia-Staates erst im Zuge der Ermittlungen zum Kuciak-Mord. Die Fahnder beschlagnahmen das mit Gold und Kristallen bestückte iPhone des Millionärs und finden darauf tausende Nachrichten, die er mit höchsten Amtsträgern austauschte. Gerade das Markíza-Verfahren sollte aber am Anfang von Kočners Ende stehen. Der Sender ging in die Offensive und stellte eine Betrugsanzeige wegen des Verdachts der Urkundenfälschung gegen Kočner. Im Juni 2018, vier Monate nach dem Kuciak-Mord, wird er deswegen in U-Haft genommen. Die Ermittlungen bringen das gesamte Ausmaß der Unterwanderung des Staates zum Vorschein. Die Slowakei ist geschockt und angewidert vom Blick in dieses Biotop des Abgründigen.

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Ein Schuldspruch als Wendepunkt

„Der große Unterschied zwischen Österreich und Osteuropa besteht darin, dass es dort regionale Tycoons gibt, die Macht ausüben“, erklärt Settele, „während es in Österreich eher Parteien und gewisse Banken sind, die ihre Netzwerke versorgen. Was in Wien Institutionen regeln, das machen ab Bratislava ostwärts konkrete Personen, was dadurch immer etwas plumper wirkt. Viel beruht auf persönlicher Verbundenheit, was die, die darauf eingehen, automatisch zu Teilen einer Schutzgemeinschaft werden lässt.“ Und genau dieses System zerbricht für Marian Kočner, den Mann, der sich ab einem gewissen Zeitpunkt allmächtig glaubte, als die sozialdemokratische Regierung durch den Kuciak-Mord unter Druck gerät. Massenproteste treiben Premier Robert Fico und seinen Innenminister aus dem Amt.

Noch einmal versucht der Millionär, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, sich mit der ihm eigenen Mischung aus Dreistigkeit und Druck zu retten. Doch das Markíza-Verfahren beschert ihm im Februar 2020 die erste große Niederlage. Er selbst zieht es vor, gar nicht mehr im Saal zu sein, als das Gericht ihn zu 19 Jahren Haft wegen der gefälschten Wechsel verurteilt. Die Strafe ist überraschend hoch und wird als Signal eines Rechtsstaats verstanden, in den jegliches Vertrauen verloren ging. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, Kočners Anwälte streben den Gang vor das Höchstgericht an. Der Schuldspruch wird zum Wendepunkt, Kuciaks Tod zum Katalysator für einen Wandel, der lange als unvorstellbar galt. „Die Slowakei ist längst nicht mehr der Ostblockstaat, als den sie viele noch sehen, sondern ein wunderschönes, vielfältiges Land mit offenen und freundlichen Menschen. Was jetzt geschieht, ist ein evolutionärer Prozess der Veränderung“, bilanziert Settele, „es ist traurig, dass erst zwei Menschen sterben mussten, um die Notwendigkeit dafür zu offenbaren.“

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Kočners Gefährtin und Mitangeklagte Alena Zsuzsová

Das nun nach Ende des Prozesses erschienene E-Book „Ján Kuciak – Das Mordrätsel“ wird so zu einer Art Vermächtnis des ermordeten Journalisten. Erpressbare Politiker, bestochene Richter, mit kompromittierenden Fotos unter Druck gesetzte Mächtige – erzählt wird die Geschichte eines Mafia-Staates und dessen Versuch, sich selbst zu reinigen. Denn der Freispruch für Kočner und Zsuzsová ist nicht rechtskräftig. Der Staatsanwalt legte Berufung ein. Der Fall kommt vor das Höchstgericht. Dort wird entschieden, ob Auftragsmord ohne Auftraggeber ungesühnt bleibt. Das Buch zeigt das Einsickern korrupter Netzwerke in eine Gesellschaft, die vorgeblich und an ihrer Oberfläche ganz normal weiter zu funktionieren scheint. Bis zu dem Punkt, an dem alles zerbricht. 

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