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„Ankara wird bei der Wahl mitreden“
6. Dezember 2018 News Lesezeit 8 min
Nach knapp zwei Jahren geht die Amtszeit von Ibrahim Olgun, dem Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft, schon wieder zu Ende. Sie war geprägt von Skandalen und Machtspielen. Der Islamismus-Experte Heiko Heinisch erklärt im Interview die Hintergründe.
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Die Aufregung war groß, als vor nicht einmal zwei Jahren der damals erst 28-jährige Ibrahim Olgun zum neuen Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) gewählt wurde. Die IGGÖ gilt als offizielle Vertretung der Muslime in Österreich. Olgun kam aus der ATIB, und es wurde kein großes Hehl daraus gemacht, dass er direkt aus Ankara von der dortigen Diyanet, der Behörde für religiöse Angelegenheiten in der Türkei, als Kandidat eingesetzt wurde. Durch einen in die Öffentlichkeit gelangten Mailverkehr zwischen der türkischen Botschaft in Wien und ATIB Österreich wurde das hinlänglich bewiesen.

ATIB, mit rund 100.000 Mitgliedern der größte Moscheeverein in Österreich, wird immer wieder eine Nähe zur türkischen Regierungspartei AKP nachgesagt; der Verein gilt als verlängerter Arm des türkischen Präsidenten Erdoğan in Österreich. In internen Mails wurde Olgun nach seiner Wahl von Kritikern als Marionette der AKP bezeichnet. Die Wahl Olguns wurde von den arabischen Verbänden innerhalb der IGGÖ angefochten, der Erfolg blieb aus.

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Ruhe kehrte in die Organisation freilich nicht ein. Nach der umstrittenen Wahl bekriegten sich die verschiedensten türkischen, arabischen und bosnischen Moscheeverbände untereinander. Dabei wurde öffentlich diffamiert oder mit falschen Behauptungen und Anschuldigungen operiert, und das ohne Rücksicht auf die eigene Nationalität oder Ethnie.

Dazu fallen in die kurze Amtszeit von Ibrahim Olgun eine Reihe von Skandalen, der größte davon waren die publik gewordenen Kriegsspiele von Kindern in ATIB-Moscheen oder Imame, die trotz Islamgesetz aus dem Ausland finanziert wurden. Nachdem die Regierung vor dem Sommer ankündigte, eine Reihe von Moscheen schließen zu wollen, wurde Olgun von arabischen, aber auch von türkischen Verbänden ein doppeltes Spiel vorgeworfen. Er würde zwar intern von den Plänen Abstand nehmen, dennoch mit der Regierung intensiv kooperieren, um unliebsame Gegenspieler aus der Glaubensgemeinschaft loszuwerden und damit auch seine eigene Haut zu retten, ließen die Kritiker verlauten. Diesen Vorwurf konnte Olgun nicht entkräften, er brachte ihn schlussendlich auch um seine Präsidentschaft.

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Interview mit Heiko Heinisch

Am 8. Dezember wählt die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) einen neuen Präsidenten. Gleichzeitig werden auch alle Führungspositionen neu gewählt. Wer hat denn derzeit das Sagen in der Vertretung von Österreichs Muslimen?

Die IGGÖ wird klar von türkischen Vereinen dominiert. Von mir bekannten 27 Kultusgemeinden gehören 18 den vier großen türkischen Verbänden an. Der Größe nach geordnet sind das: ATIB, der österreichischen Ableger der staatlichen türkischen Religionsbehörde Diyanet (63 Moscheevereine in 6 Kultusgemeinden), die Islamischen Föderation, das ist die islamistische türkische Millî Görüş (auf Deutsch: Nationale Sicht) (52 Moscheevereine in 5 Kultusgemeinden), die Union Islamischer Kulturzentren sowie die Türkische Föderation, in der sich die nationalistischen und islamistischen Grauen Wölfe organisieren. Diese Verbände stellen auch rund 40 Prozent der Moscheevereine in Österreich. Man muss dazu wissen, dass die Vereins- und Moscheelandschaft weitgehend nach ethnischer Herkunft unterteilt ist.

Bis 2011 war die Führung der IGGÖ dennoch in arabischer Hand, was der Gründungsgeschichte der Glaubensgemeinschaft geschuldet ist. ATIB, der größte türkische Verband, trat überhaupt erst 2011 der IGGÖ bei. Im selben Jahr wurde mit Fuat Sanaç erstmals ein aus der Türkei stammender Präsident gewählt. Nach Inkrafttreten des Islamgesetzes im Jahr 2015, das innerhalb der Glaubensgemeinschaft auf große Widerstände stieß, stellte Sanaç, der am Zustandekommen des Gesetzes beteiligt war, seine Funktion zur Verfügung. Bei den Wahlen 2016 wurde dann mit Ibrahim Olgun dann meiner Meinung nach der Wunschkandidat Ankaras zum Präsidenten gewählt.

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Diese Wahl wurde von Beobachtern damals als eine Art Putsch beschrieben. Ist das zutreffend? 

Die Geschehnisse nach der Wahl 2016 basieren zwar auf einer demokratischen Entscheidung innerhalb der IGGÖ, daher ist Putsch nicht ganz das richtige Wort, aber man kann durchaus davon sprechen, dass die türkische Fraktion auf allen Ebenen die Macht übernommen hat. Unterstützung fand sie dabei in den bosnischen und der albanischen Kultusgemeinde. Die arabischen Vereine wurden ausgebootet. Wesentliche Funktionen innerhalb der Glaubensgemeinschaft wurden mit Personen aus den türkischen Verbänden, bzw. aus dem bosnischen und albanischen besetzt. In der Folge wurden auch die untergeordneten Organisationen mit neuen Funktionären und Funktionärinnen besetzt. So musste Amena Shakir, die Direktorin des Instituts Islamische Religion der KPH Wien/Krems, vormals IRPA, die aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft kam, ihren Posten abgeben. Heute wird das Institut von Elif Medeni geleitet. An diesem Institut werden Religionslehrerinnen und Religionslehrer für Pflichtschulen ausgebildet.

Wie werden sich die Machtverhältnisse mit der Wahl am 8. Dezember verschieben?

Die türkischen Verbände sind innerhalb der IGGÖ nach wie vor dominant. Die Ablöse von Ibrahim Olgun durch vorgezogene Neuwahlen ist dessen schlechter Führung geschuldet. Kritik an ihm war mehrmals zu vernehmen. Olgun hat sich als nicht geeignet erwiesen, die Glaubensgemeinschaft nach außen zu vertreten. Das zeigte sich insbesondere in Krisensituationen. Ich denke etwa an die kurzfristige Schließung einiger Moscheen im Juni. Zunächst kam es zu lautstarkem Protest aus der Glaubensgemeinschaft, dann stellte sich heraus, dass die Schließungen auch auf Olguns Initiative zurückgingen. Oder an den Skandal wegen der Kriegsspiele mit Kindern in ATIB-Moscheen im vergangenen Frühjahr: Das Thema kochte in den Medien hoch, aber der Präsident der Glaubensgemeinschaft war nicht in der Lage, ein Statement abzugeben. Er war tagelang nicht erreichbar. Nach der ersten von seinem Stellvertreter aus dem bosnischen Verband, Esad Memic, unterzeichneten Stellungnahme der Glaubensgemeinschaft hatte man das Gefühl, dass vor allem die bosnischen Vereine nicht länger bereit sind, mit der türkischen Fraktion in einen Topf geworfen zu werden.

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Heiko Heinisch
Islamismus-Experte

Heiko Heinisch, geboren 1966, ist Historiker und Autor. Er hat unter anderem den Forschungsbericht „Die Rolle der Moschee im Integrationsprozess“ mitverfasst.

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Wer hat die besten Chancen, neuer Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft zu werden?

Der neue Präsident wird wohl entweder aus der ATIB oder der Islamischen Föderation (Millî Görüş) kommen, obwohl hin und wieder andere Namen fallen. Ich tippe am ehesten auf Millî Görüş, den nach ATIB zweitgrößten Verband. Es ist davon auszugehen, dass Ankara bei der Wahl in Österreich mitredet, wenn nicht sogar letztlich die Entscheidung dort getroffen wird. ATIB und Islamische Föderation stehen der türkischen Regierung am nächsten. ATIB als österreichischer Ableger der staatlichen türkischen Religionsbehörde und Millî Görüş, also Islamische Föderation, weil Erdoğan selbst aus dieser Organisation stammt. Aktuell kursiert der Name Ümit Vural, ein Mann der Millî Görüş.

Ist Ihrer Ansicht nach der türkische Einfluss in der IGGÖ im Verhältnis zu den in Österreich lebenden Muslimen zu groß?

Der Einfluss der Türkei auf die IGGÖ ist in der Tat sehr groß. Die vier türkischen Verbände sind weitgehend von der Türkei abhängig. Neben ATIB und Islamischer Föderation ist das auch bei der Türkischen Föderation deutlich zu sehen. Erdoğans AKP regiert in der Türkei gemeinsam mit der nationalistischen Partei MHP, der Partei der türkischen Ülkücü (Idealisten-)Bewegung, also der Grauen Wölfe. Aus dieser Bewegung ist auch die Türkische Föderation hervorgegangen. Die Union Islamischer Kulturzentren steht da zwar etwas abseits und ist auch eher als unpolitisch einzuschätzen, wird sich aber Vorgaben aus Ankara kaum widersetzen, um ihre Organisation in der Türkei selbst nicht zu gefährden.

Ein Rückgang des türkischen Einflusses könnte in Zukunft dadurch möglich werden, weil sich die ethnische Zusammensetzung der Muslime in Österreich durch den Zuzug der vergangenen drei Jahre geändert hat. Die arabische Gruppe wird zumindest größer werden und dadurch an Gewicht gewinnen.

Solange sich allerdings die türkischen Verbände selbst an Ankara orientieren, von dort finanziell unterstützt werden und auf in der Türkei ausgebildete Imame zurückgreifen, wird der Einfluss aus der Türkei bestehen bleiben. Es läge an den türkischen Verbänden, sich von der türkischen Nabelschnur zu lösen und als österreichische Organisationen erwachsen zu werden. Bislang ist eine solche Entwicklung allerdings nicht abzusehen und es bleibt spannend zu beobachten, wie lange sich die anderen Gruppen innerhalb der Glaubensgemeinschaft die Bevormundung aus Ankara gefallen lassen.

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Sollte die Regierung die IGGÖ als Partner für religiöse Angelegenheiten sehen? Ist die IGGÖ in der derzeitigen Konstellation förderlich für die Integration der Muslime in Österreich?

Das ist keine Frage des Wollens. Da die IGGÖ und die ALEVI (für einen Teil der Aleviten) bislang die einzigen offiziell anerkannten und damit gesetzlichen Vertretungen der Muslime sind, muss die Regierung die IGGÖ in religiösen Angelegenheiten als Partner akzeptieren, obwohl sie meiner Meinung nach in ihrer aktuellen Konstellation nicht integrationsfördernd ist. Im Gegenteil. Gerade die Moscheen der türkischen Verbände haben sich in der von meinem Kollegen Imet Mehmedi und mir durchgeführten Wiener Moscheestudie als jene erwiesen, die am stärksten eine auf Segregation von der übrigen Gesellschaft setzende „muslimische Identität“ propagieren.

Wie beurteilen Sie den Einfluss der IGGÖ im Schulbereich – also auf die Ausbildung von Religionslehrern oder den Inhalt von Schulbüchern?

Aus den bereits genannten Gründen halte ich das für fatal. Für den islamischen Religionsunterricht in öffentlichen Schulen sind ausgerechnet jene verantwortlich, in deren Moscheen ein konservativer bis teilweise fundamentalistischer Islam gepredigt wird und die im letzten Jahr wegen der Duldung islamistisch eingestellter Imame oder militaristischer, türkisch-nationalistischer Aufführungen mit Kindern in die Kritik geraten sind. Das fördert sicher nicht die Integration.

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Kann man davon sprechen, dass die IGGÖ alle Muslime in Österreich vertritt, wenn nicht einmal klar ist, wie viele Muslime welcher Herkunft und welcher genauen religiösen Zugehörigkeit in Österreich leben?

Nein, davon kann man sicher nicht sprechen. Zunächst ist, wie Sie ganz richtig sagen, die Zahl der Muslime ganz allgemein unklar. Hinzu kommt, dass wir nicht genau wissen, wie viele der als Muslime betrachteten Menschen tatsächlich Muslime, also gläubig sind. Wir haben uns angewöhnt, in allen Menschen, die selbst oder deren Vorfahren aus einem islamischen Land eingewandert sind, Muslime zu sehen. Aber unter ihnen finden sich viele, die nicht an Gott glauben, also per definitionem keine Muslime sind.

Eine weitere große Gruppe sind sogenannte Kulturmuslime, also Muslime, die sich nicht in religiösen Vereinen organisieren, die vielleicht die wichtigsten religiösen Feste feiern und vielleicht auch mal eine Moschee besuchen, Gott ansonsten aber einen guten Mann sein lassen. Laut einer 2017 durchgeführten Studie zu muslimischer Diversität fallen etwa 42 Prozent in diese Gruppe. Nur wenige davon werden sich von der IGGÖ vertreten fühlen. Laut dieser Studie sind nur 18 Prozent der österreichischen Muslime Mitglied in einem Moscheeverein und damit in der IGGÖ. Von der Glaubensgemeinschaft selbst sind mir keine überprüfbaren Zahlen bekannt, für die Wahlen 2011 registrierten sich gerade einmal 45.000 Mitglieder. 

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