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Abschiebung von IS-Rückkehrern: Türkei stellt Österreich erste Fälle in Aussicht
29. November 2019 News Lesezeit 6 min
Innenminister Peschorn traf den stellvertretenden Innenminister der Türkei. Quellen zufolge geht es um eine „geringe einstellige Zahl“ von IS-Sympathisanten, die nach Österreich abgeschoben werden könnten. Doch Wien stellt Bedingungen.
Bild: Michael Gruber | EXPA | APA

Österreich sei von der geplanten Abschiebung europäischer IS-Sympathisanten aus der Türkei „derzeit nicht betroffen“. Zwei Wochen ist es her, dass Außenminister Alexander Schallenberg mit diesen Worten Bevölkerung und Medien beruhigte. Die Ankündigung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, inhaftierte „Foreign Fighters“ der am Boden liegenden Dschihadisten-Miliz Islamischer Staat in ihre Heimatstaaten zurückzuführen, betraf zu diesem Zeitpunkt tatsächlich nur andere Länder.

Das dürfte sich ändern. Wir sprachen mit Quellen innerhalb der Behörden, die über aktuelle Entwicklungen zum Thema informiert sind. Demnach könnte in nächster Zeit nun doch eine „geringe einstellige Zahl“ österreichischer IS-Angehöriger von den türkischen Behörden in Richtung Wien abgeschoben werden. Könnte. Die Vorbereitungen dafür laufen schon.

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Unter Foreign Fighters (fremde Kämpfer) versteht man in der Regel ideologisch radikalisierte Personen, die für ihre Weltanschauung in ein fremdes Land reisen, um dort zu kämpfen. Öffentlich bekannt wurde der Begriff im Zusammenhang mit radikalen Muslimen, die von Europa aus nach Syrien und in den Irak reisten, um sich dort dem „Kalifat“ des sogenannten Islamischen Staats (IS) anzuschließen.

Hochrangiges Treffen in Wien

Vergangenen Donnerstag trafen sich in der Sache Innenminister Wolfgang Peschorn und der türkische Vize-Außenminister Ismail Catakli. Und zwar abseits des Scheinwerferlichts. Offiziell war der Vertreter Ankaras bei der Jahreskonferenz des internationalen Thinktanks ICMPD (International Centre for Migration Policy Development) in Wien zu Gast. Am Rande der Veranstaltung, die in der Aula der Wissenschaften stattfand, verschwand Catakli diskret in Richtung Innenministerium. Auf der Agenda: aus Österreich in die Region gereiste IS-Anhänger, die sich in türkischem Gewahrsam befinden.

Nachdem die Türkei in einem ersten Durchgang und unter großem öffentlichen Interesse vor allem Deutsche, Belgier, Franzosen und andere Europäer in ihre Heimatländer abschob, scheint nun auch Wien an der Reihe zu sein. Unsere zuverlässige Quelle berichtet davon, dass in türkischen Gefängnissen derzeit eine einstellige Zahl von inhaftierten IS-Anhängern Österreicher seien.

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Ministerbüro zurückhaltend

Im Kabinett von Innenminister Peschorn hielt man sich bei der Beantwortung unserer Rückfrage nach Bestätigung unserer Informationen im Ton zurück, dementierte aber nicht. In einem schriftlichen Statement teilte man uns mit, dass die Abschiebung von Kämpfern aus Europa „von der Türkei grundsätzlich für alle Herkunftsstaaten medial in Aussicht gestellt wurde. Es wird davon ausgegangen, dass bei einer Konkretisierung eine dementsprechenden Kontaktaufnahme seitens der Türkei stattfindet.“

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Oliver N. (r.) war einer jener IS-Rückkehrer, die öffentlich Schlagzeilen machten. Er reiste u.a. deshalb wieder nach Hause, weil er bei Kampfhandlungen schwer verletzt wurde. Neben ihm mit Waffe: Der ebenfalls aus Österreich ins „Kalifat“ gereiste Firas Houidi. Er ist inzwischen tot.

Der Umgang mit diesen islamistischen Extremisten ist diplomatisch heikel, rechtlich kompliziert und stellt die Sicherheitsbehörden vor große Herausforderungen. Deshalb wurde das Thema vergangene Woche auch auf höchster Ebene zwischen Peschorn, Catakli und einigen wenigen Experten persönlich besprochen.

Einerseits hat Europa kein Interesse an Staatsbürgern, die sich einer Terrororganisation angeschlossen haben, ebenso wenig wie die Türkei, die sich nicht als Abstellgleis für Dschihadisten aus der EU sieht. Gleichzeitig sind Europas Staaten rechtlich dazu verpflichtet, eigene Staatsbürger bei einer Abschiebung aus der Türkei in jedem Fall zurückzunehmen. Richtig kompliziert wird die Sache jedoch dann, wenn die betroffenen Personen grundsätzlich zwar keine Staatsbürger sind, jedoch ein Daueraufenthaltsrecht haben, weil sie – zum Beispiel – Flüchtlingsstatus haben. Aus österreichischer Sicht sind das die allermeisten Fälle, vor allem Tschetschenen (Russen). Im Außenministerium beschrieb man uns die Zusammensetzung der aus Österreich in die Kampfgebiete ausgereisten Personen so: ein Drittel Einheimische, zwei Drittel Ausländer.

Im letzten Verfassungsschutzbericht waren mit Stichtag 31.12.2018 noch 107 Personen dokumentiert, die sich zu diesem Zeitpunkt im Kriegsgebiet befunden haben sollen.

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Lesen Sie im Folgenden unsere Anfrage und die Antworten des Innenministeriums im vollständigen Wortlaut.

 

Innenministerium: Vorweg darf festgehalten werden, dass die Federführung bei diesem Thema aufgrund der formalen Zuständigkeiten grundsätzlich im Außenministerium liegt.

Ist es korrekt, dass die Türkei, nach anfänglicher Nicht-Betroffenheit, Österreich inzwischen die Ausweisung einer geringen Zahl von IS-Sympathisanten in Aussicht gestellt hat, die behaupten, Österreicher zu sein?

Innenministerium: Dies wurde von der Türkei grundsätzlich für alle Herkunftsstaaten medial in Aussicht gestellt – es wird davon ausgegangen, dass bei einer Konkretisierung eine dementsprechenden Kontaktaufnahme seitens der Türkei stattfindet.

Sollte sich deren österreichische Staatsbürgerschaft bestätigen: In welchem Zeitraum rechnet das Innenministerium mit einer Rückkehr nach Österreich?

Innenministerium: Eine Beantwortung der Frage zum Zeitraum der potentiellen Rückkehr österreichischer Staatsbürger ist aufgrund unterschiedlicher Sachverhalte leider nicht möglich.

Wie viele sogenannte IS-Sympathisanten ohne österreichische Staatsbürgerschaft, aber mit Aufenthaltsrecht in Österreich, werden derzeit noch lebend in der Region vermutet?

Innenministerium: Laut Verfassungsschutzbericht (https://www.bvt.gv.at/401/files/Verfassungsschutzbericht2018.pdf) dürften sich Ende 2018 noch 107 Foreign Terrorist Fighters im Kriegsgebiet befunden haben (Achtung: Es kann sich hierbei sowohl um Personen mit österr. Staatsbürgerschaft als auch um Personen, die in Österreich ein Aufenthaltsrecht besitzen, handeln).
Ergänzend dazu darf auch auf die Seiten 42 ff im Verfassungsschutzbericht 2018 verwiesen werden

Ist die für die Aberkennung dieses Aufenthaltsrechts notwendige Aberkennung der Grundlage dafür (zB ein aufrechter Asyltitel) auch ohne rechtskräftige Verurteilung für eine Straftat möglich?

Innenministerium: Für die Aberkennung ist nicht zwingendermaßen eine rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung notwendig – siehe beispielsweise auch aus Gründen, die in Artikel 1 F GFK angeführt sind (keine Anwendung der GFK auf Personen, bei denen aus schwer wiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sie ein Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben) – die Grundlage für eine Aberkennung ist damit immer einzelfallabhängig.

Wien fordert „geordnete Verfahren“

Der Plan der Regierung lautet in etwa so:

  • IS-Angehörige mit österreichischer Staatsbürgerschaft sind in jedem Fall zu übernehmen.
  • Ausländer, die von hier aus in die Kampfgebiete gereist sind, aber kein Daueraufenthaltsrecht haben, erhalten keine Erlaubnis zur Einreise.
  • Anerkannten Flüchtlingen soll möglichst schon in Abwesenheit der Flüchtlingsstatus und damit das Aufenthaltsrecht entzogen werden. Ist das nicht möglich, wird das Verfahren nach einer Überstellung in Österreich geführt.

Österreichs Regierung hat nach Auskunft unserer Quelle sowohl in der türkischen Botschaft in Wien als auch im Rahmen des Treffens zwischen Peschorn und Catakli „geordnete Verfahren“ eingefordert. Offenbar hat man sich darauf geeinigt, dass die türkischen Behörden sowohl bei den genannten Österreichern als auch bei IS-Anhängern mit Flüchtlingsstatus zuvor sämtliche Akten, Beweismittel, Protokolle und mehr der österreichischen Botschaft in der Türkei übermitteln.

Anschließend, so das Angebot aus Wien, werde man in Österreich die behauptete Identität der betroffenen Person prüfen. Das kann – zum Beispiel – über den Vergleich von Fingerabdrücken geschehen, bei Personen mit Asylstatus durch die Nutzung anderer Register.

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Statistik über die vom Staatsschutz registrierten Reisebewegungen von Österreich in Richtung IS-Kampfgebiete

„Die Türkei weiß nun: Sollte man anfangen, ohne Ankündigung verdächtige IS-Angehörige in ein Flugzeug in Richtung EU zu setzen, bekommen Maschinen aus der Türkei keine Landeerlaubnis mehr in Europa“, so unsere Quelle. Und auch Beamte in Außen- und Innenministerium zeigten sich uns gegenüber überzeugt davon, dass die Türkei selbst ein starkes Interesse an einem geordneten Ablauf hat. Unsere telefonischen und schriftlichen Anfragen bei der türkischen Botschaft blieben unbeantwortet.

Deutlich schwieriger und aufwendiger als die mögliche Übernahme der wenigen Österreicher würden die Verfahren bei Flüchtlingen ablaufen. Um ihnen die Einreise verweigern zu können, muss das an den Asylstatus gebundene Aufenthaltsrecht wegfallen.

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Plan: Asyltitel aberkennen, Einreise verweigern

Die Aberkennung des Asylstatus ist meistens selbst bei Verurteilten schwer, bei „nur“ Verdächtigen fast unmöglich. Allerdings kennt die Genfer Flüchtlingskonvention eine Ausnahme, mit der Österreich die Asylaberkennung für – mutmaßliche – IS-Anhänger in Schnellverfahren durchsetzen will. Demnach sind dafür „ernsthafte Gründe für den Verdacht“ nötig, dass sich die betroffenen Personen „Handlungen schuldig gemacht haben, die sich gegen die Ziele und Prinzipien der Vereinten Nationen richten“.

Die Mitgliedschaft beim sogenannten Islamischen Staat reicht nach Auffassung der österreichischen Behörden jedenfalls dafür aus.

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Selbst Schnellverfahren dauern bis zu zwei Monate

Dennoch stellen sich die Asylbehörden der Republik auf schwierige Aberkennungsverfahren ein. Am liebsten, so unser Eindruck im Zuge der Recherchen, würde man diese in Abwesenheit der Betroffenen führen. Dies deshalb, weil man im Fall einer Aberkennung die entsprechende Person gar nicht entgegennehmen müsste. Der Nachteil: Selbst die für solche Fälle vorgesehenen Schnellverfahren dauern wohl mindestens zwei Monate und sind – aufgrund des Rechtsschutzes der Betroffenen – nur sehr schwer zu führen.

Wahrscheinlicher ist jedoch Plan B: Empfang der Person nach Abstimmung mit der Türkei, Festnahme (wenn möglich) und anschließend das Asyl-Aberkennungsverfahren. Der Nachteil bei dieser Variante: Ist im Anschluss die Abschiebung nicht möglich, etwa weil das Heimatland keine Papiere ausstellt, müssen solche Personen von Österreich geduldet werden. 

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Erste Instanz: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA)

Zweite Instanz: Bundesverwaltungsgericht (BVwG)

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