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U-Bahn-Bau: Unter US-Gebäude ist vorerst Schluss
5. Juni 2019 News Lesezeit 5 min
Der Bau einer neuen U-Bahn-Station in Wien braucht Raum, der unter einem Gebäude der USA liegt. Eine Einigung konnte bisher nicht erzielt werden, die Verhandlungen dauern bereits mindestens sechs Monate. Könnten die USA enteignet werden, wenn es darauf ankommt?
Bild: Teodoru Badiu | Addendum

Update 7. Juni:

Die Wiener Linien teilten uns auf Anfrage mit, dass nun eine vertragliche Einigung mit der US-Botschaft erzielt werden konnte. Das bestätigte uns auch die US-Botschaft in folgender Stellungnahme:

The United States Government is in complete agreement with Wiener Linien regarding access to the space beneath Amerika-Haus. We have absolutely no outstanding issues that would prevent the Wiener Linien project from moving forward.

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Ursprünglicher Artikel vom 5. Juni:

In geschlossener Reihe, flankiert von schwerem Baugerät und mit Spaten in der Hand: So gingen die politisch Beteiligten für den Startschuss der Bauarbeiten am geplanten Linienkreuz von U2 und U5 in Stellung und posierten für die Kameras: der damalige Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ), Wiens Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne), die Stadträtin für Umwelt und Wiener Stadtwerke Ulli Sima (SPÖ) und der Geschäftsführer der Wiener Linien, Günter Steinbauer.

Damals, im Oktober 2018, sprach Steinbauer von einem „Lückenschluss“ für das innerstädtische U-Bahn-Netz. Doch nur einen Monat später kam die Ernüchterung: Aufgrund von preislich inakzeptablen Angeboten für Bauleistungen sollte es beim Bau zu einer zeitlichen Verzögerung von rund einem Jahr kommen.

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Neuausschreibung

Im November 2018 wurden zwei sogenannte Rohbauausschreibungen des U2/U5-Projekts widerrufen. Eine weitere wurde gar nicht erst aufgelegt. Man wolle im Interesse der Steuerzahler zu besseren Preisen gelangen, teilte uns die Presseabteilung der Wiener Linien dazu mit.

Als Grund für die überhöhten Preise nannten die Wiener Linien einen „unerwarteten Boom“ der Baubranche im Jahr 2018. Im Rahmen von Verhandlungsverfahren wolle man nun „im Interesse der Steuerzahler“ zu besseren Preisen gelangen.

Hohe Preise sind jedoch nicht die einzige Widrigkeit, mit der sich die Verantwortlichen in der ungewollt dazugewonnenen Zeit auseinandersetzen müssen. Denn ohne Zustimmung der USA darf unter dem Amerika-Haus am Friedrich-Schmidt-Platz 2, gelegen im Wiener Zentrum nahe des Rathauses, nicht gebaut werden. Spürbar zurückhaltend und in aller Kürze erklärten sowohl Wiener Linien als auch US-Botschaft, dass „die Gespräche zur Einräumung der erforderlichen Rechte für den U-Bahn-Bau konstruktiv verlaufen“. Unser Fragenkatalog dazu wurde jedoch nicht beantwortet. Die Recherchen zeigten aber, dass diese Gespräche bereits seit mindestens sechs Monaten geführt werden. Eine lange Zeit, über deren bisherige Ergebnisse offenbar Stillschweigen vereinbart wurde. Die Angelegenheit scheint heikel zu sein:

Bereits im Rahmen unserer ersten Kontaktaufnahme mit den Wiener Linien wurde uns Anfang Jänner 2019 signalisiert, dass ein starkes Interesse daran besteht, dieses Thema „im Sinne der Steuerzahler“ nicht an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen.

Es stellt sich also die Frage: Was, wenn sich die Beteiligten nicht einigen?

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Amerika-Haus

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs spielten die USA als Besatzungsmacht in Österreich eine wichtige Rolle beim politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes. Um gleichzeitig kulturelle Präsenz zu zeigen, wurden in den Jahren 1945 bis 1950 insgesamt zwölf Amerika-Häuser gebaut, die in ganz Österreich verteilt aufzufinden waren.

In diesen Einrichtungen wurde unter anderem wissenschaftliches und populäres Wissen über die USA angeboten und vermittelt. Am wichtigsten war den Amerikanern jedoch, Österreichern amerikanische Hochkultur – abseits von Hollywood und Jazz – näherzubringen. Im Zuge dessen wurden Vorträge mit bekannten Wissenschaftlern organisiert, und US-amerikanische Konzerte und Theaterstücke aufgeführt.

Betrieben wurden die Häuser von einer Organisation namens United States Information Agency (USIA), die laut dem Historiker Günter Bischof eine „groß angelegte Propaganda-Angelegenheit im Kalten Krieg“ war. Neben der Darstellung als militärische und politische Macht sollte mittels dieser Strategie auch die kulturelle Macht der USA präsenter werden.

Bis auf das Amerika-Haus am Friedrich-Schmidt-Platz 2 in Wien sind inzwischen alle Standorte geschlossen worden

Lageplan des Amerika-Hauses und der darunter liegenden U2-Station Rathaus

Diplomatie contra Hoheitsrecht

Falls es zu keinem gütlichen Vertragsabschluss zwischen der US-Regierung und den Wiener Linien kommen sollte, ist eine Enteignung zwar grundsätzlich möglich. „Das Problem ist, dass man diese nicht durchsetzen kann“, sagt Völkerrechtsexperte Stephan Wittich im Interview. Das Gebäude wurde einst von der US-Regierung diplomatischen Zwecken gewidmet und von Österreich anerkannt, es gilt also die absolute Unverletzlichkeit – ebenso wie beim Botschaftsgelände in der Boltzmanngasse 16. Im Klartext heißt das: Die österreichischen Behörden haben ohne Zustimmung des US-Botschafters keinen Zugang zum Grundstück.

Vergleichbare Fälle, bei denen es in Österreich zur Enteignung eines Nationalstaats kam, sind Wittich zufolge nicht bekannt.

Sonderfall Nationalstaat

Verträge oder Enteignungen im Rahmen von Infrastrukturprojekten sind hingegen keineswegs unüblich. Alleine an den zwei geplanten U-Bahn-Strecken liegen laut Wiener Linien rund 370 Häuser bzw. Grundstücke, die sich im Eigentum von über 2.200 Personen befinden. Für den Bau ist die „Inanspruchnahme“ dieser Grundstücke notwendig. Dazu schließen die Wiener Linien Verträge zur „Einräumung von Dienstbarkeit“ oder der temporären Nutzung mit betroffenen Eigentümern. Insgesamt habe man diese Einigung bereits bei mehr als 70 Prozent der Privatliegenschaften erzielen können. Man liege somit im Zeitplan.

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Zwangsenteignung zum Allgemeinwohl

Wenn ein Bauprojekt zum Allgemeinwohl beitragen soll – wie das beim Bau von U-Bahnen der Fall ist – und die Inanspruchnahme aus baulicher Sicht notwendig ist, haben Privatpersonen im Regelfall keine realistische Möglichkeit, sich gegen eine Enteignung zu wehren.

Exemplarisch dafür steht der aktuelle Fall von Landwirt Willibald Schrank aus Loidesthal im Weinviertel. Auch ihm steht eine Enteignung bevor. Fast die Hälfte seines Grundstücks soll mit einer neu zu bauenden Stromleitung des Betreibers Austrian Power Grid AG (APG) überspannt werden. 462 Quadratmeter sollen für das Bauvorhaben laut Dienstbarkeitsübereinkommen in Anspruch genommen werden.

Als Entschädigung bot man dem Landwirt eine einmalige Zahlung in Höhe von 677,20 Euro an:

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Ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte

Mit den Betroffenen verhandelt wird in solchen Fällen offenbar häufig nicht. Das erste Mal habe sich APG vor etwa einem Jahr bei ihm bezüglich der Inanspruchnahme gemeldet. Nicht jedoch, um ihn zu Gesprächen einzuladen. Vielmehr stellte man ihm postalisch ein Angebot zu, das er im Grunde gar nicht ablehnen konnte.

Da er diesem nicht zustimmte, stellte die APG einen „Antrag auf zwangsweise Einräumung der erforderlichen Dienstbarkeitsrechte“ beim Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus. Schrank habe man inzwischen mitgeteilt, sein Fall sei bereits beschlossene Sache, Einspruch könne er nur noch in Bezug auf die Höhe der angebotenen Entschädigung einlegen.

Sensible Amerikaner

Der Preis ist jedoch nicht die einzige Frage, die sich in der Causa Amerika-Haus aufdrängt. Warum haben die USA ein Problem mit dem Verlauf einer U-Bahn-Linie unter einer – offiziell – völlig harmlosen Kultureinrichtung?

Der Historiker Günter Bischof sieht den Grund hierfür in der grundsätzlichen Sensibilität der US-Amerikaner, was ihr Eigentum betrifft. Gerade in der heutigen Zeit sei diese stark ausgeprägt, da die Präsidentschaft von Donald Trump auch hierzulande nicht besonders beliebt sei.

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Hoffnung auf guten Willen

Aus diplomatischer Sicht scheint es zwar eher unwahrscheinlich, dass sich USA und die Wiener Linien nicht einigen werden.

Realistisch gesehen scheint die Umsetzung des Bauvorhabens jedoch vom guten Willen der Amerikaner abhängig zu sein. Sollten diese sich tatsächlich weigern, das Baurecht einzuräumen, müsste man die Linienführung ändern. Das hätte teure Umplanungen und Verzögerungen zur Folge. Derzeit ist jedoch unklar, ob das aus baulichen und geologischen Gründen überhaupt möglich wäre. 

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